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Feldpostbrief

Dir eigne ich nun diese Blätter zu. Ich habe sie in den Nächten der letzten Monate mit den Zeichen gefüllt, die das unwiderruflich Entgleitende dennoch zurückzurufen die Macht haben. Sie rufen nicht alles zurück; das Leben ist wie das Meer: das meiste, was es an den Strand wirft, ist Sand, und unter den Muscheln sind die schönen selten. Ich weiß nicht, ob mein Wort stark genug ist, die Bilder, die es beschwor, nun so leuchten zu lassen, wie sie mir vor Augen standen, als ich sie der Sprache zur Bewahrung anvertraute. Du wirst sie anders sehen als ich, dir sind sie nicht Wiederbegegnungen wie mir.

Vielleicht vermissest Du Äußerungen über die geschichtliche Seite dessen, was hier und überhaupt in der Welt vor sich geht. Auch was kriegerisch in diesem Lande geschehen ist, habe ich nur hin und wieder gestreift. Versteh mich recht: beides bewegt mich wie jeden von uns, aber es entzieht sich dem Formvermögen meiner Sprache. Mehr noch: es zeigt sich, je älter wir werden, daß wir immer bedingungsloser der Gestalt entgegenwachsen, die unser zeitloses Wesen uns vorbestimmt hat; wir werden, ob wir wollen oder nicht, immer mehr wir selbst. Die Art und Weise, die Welt zu erleben, ist tief in uns angelegt, sie setzt sich – und wenn es sein muß, gegen alle unsere Wünsche – von Jahr zu Jahr ernsthafter durch. Sie engt uns damit gleichsam auf einen schmalen Schwingungsbereich ein, der nur noch auf jene Ausstrahlungen anspricht, die genau auf ihn zugesteuert sind. Ich kann die Welt nicht anders erleben, als ich es hier aufgezeichnet habe; andere erleben sie anders, und wenn jeder sich Mühe gibt, ihr nur mit dem eigenen Ton zu erwidern, ist die Fülle des Lebens und seine Wahrheit gewährleistet; das Menschliche ist so reich wie die Schöpfung.

Auch von den Leuten, die hier leben, ist wenig die Rede; die Gelegenheiten, einzelne unter ihnen kennenzulernen, sind spärlich, und von dem wenigen, was ich gesehen und erzählen gehört habe, möchte ich nicht Verallgemeinerungen ableiten, die nirgends so falsch sind wie in den Urteilen über fremde Völker. Noch ist hier alles in einem tiefreichenden Umbruch begriffen; Erzähler einzelner Schicksale fänden wahrscheinlich den ergiebigsten Boden.

Mich wirst Du auf allen diesen Seiten wiedererkennen; ich hoffe bloß, daß ich dem Bildnis des Landes, das ich zeigen will, nicht allzusehr im Wege stehe.

Der Krieg hat uns getrennt, zum drittenmal ist es Frühling geworden, seit ich von Dir fort mußte. Als ich vor siebenundzwanzig Jahren an die Front fuhr, warst Du ein Schulmädel, wir wußten nichts voneinander, und Du verstandest wenig von dieser Welt der Männer und der Kriege. In wie vielen Nächten habe ich damals an den Frieden zu denken versucht, es war mir nicht möglich, an seine Wirklichkeit zu glauben oder mir einen Weg vorzustellen, der aus den Gräben und Kavernen jemals wieder hinausführen sollte. Vielen erging es so. Und wenn sie nun zum zweiten Male dabei sind, wer will es ihnen verdenken, daß sie ihr Gefühl von damals für bestätigt halten und manchmal von dem Gedanken nicht loskommen, sie wären bloß ein paar Jahre auf Urlaub gewesen, und nun stünden sie eben wieder bei der Kompanie. Das mag Dir seltsam klingen, denn gerade diese paar »Urlaubsjahre« waren Dein Leben, waren unser Leben; aus ihm sind die Kinder hervorgegangen. Frauen fragen immer wieder nach dem Warum eines Krieges, der in ihre kleine behütete Welt mit so harter Hand greift wie nur Krankheit oder Katastrophen der Natur. Ich nenne ihn mit diesen zusammen, weil es unfruchtbar ist, über seine Ursachen nachzugrübeln, solange man nicht zugleich mit dem Sinn für das Verständliche und Erklärbare ein Gefühl für das Unbegreifliche besitzt, das die Alten das Schicksal nannten. Und ist es des Menschen würdig, dem Schicksal anders zu begegnen als mit Ehrfurcht?

Wenn ich jetzt an den Frieden denke, ist es nicht mehr so wie vor fünfundzwanzig Jahren. Damals war mir mein eigenes Leben unbekannt wie ein fremder Erdteil; nichts war mein als die Tage und Nächte der Front, nichts war begonnen, und die Jahre der Kinderzeit waren vorbei. Heute weiß ich, wohin ich gehöre, und in der nächsten Stunde schon fände ich in mein Leben zurück, das zugleich das Deine ist.

Damit schließe ich diese Aufzeichnungen. Der russische Feldzug wird uns noch mancherlei Veränderung und Bewegung bringen; ob damit zu den Erfahrungen, die uns bisher geschenkt worden sind, neue hinzukommen werden, kann niemand vorauswissen. Auch verlangt nicht alles, was einem begegnet, nach Darstellung; und solange nicht im Rohstoff des Lebens selbst die Begierde nach Form brennt, bleibt doch alle Mühe, seiner im Worte habhaft zu werden, vergeblich.

Gib diese Blätter auch unserem Ältesten zu lesen! Er findet in ihnen zwar nicht den Krieg, den er meint, den der Flieger, der Panzer und U-Bootmänner, der Sturmgeschütze und Flammenwerfer, aber es streift ihn vielleicht ein Hauch des Landes, das einmal sein Schicksal werden kann.

Es ist das Land der fruchtbaren Erde. Blut unseres Volkes ist in sie gesickert. Aus ihren schwarzen Furchen wächst das Brot. Blut des Krieges, Brot des Friedens – vor beidem gleicherweise sollen diejenigen Ehrfurcht lernen, denen wir unser Leben vererben.

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