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XVII. »Grausamer Fürst, gehorsam dem Geschick«

Don Luis wandte sich wieder an Vorski:

»Wir verstehen uns, nicht wahr, Kamerad? Was ich sage, ist doch die lautere Wahrheit?«

Vorski hatte die Augen geschlossen. Sein Kopf hing herab, die Adern seiner Stirn waren geschwollen. Um einem abermaligen Einspruch Stephans zuvorzukommen, rief Don Luis: »Jetzt, mein Junge, wirst du wohl reden. Dein Zustand fängt an bedenklich zu werden ... Ah, du willst nicht? ... Du bist noch nicht reif? Um so schlimmer für dich! ... Und Sie, Stephan, fürchten Sie nichts für Franz. Ich stehe für alles. Nur kein Mitleid mit diesem Ungeheuer, ich bitte Sie.«

Don Luis entfaltete das Blatt des Notizbuches, worauf Vorski die Prophezeiung abgeschrieben hatte:

»Also, wir sind im Monat Juni. Es ist dies die für die Ausführung der dreißig Verbrechen vorgesehene Zeit. Man braucht also dreißig Opfer. Man wird sie haben, vorausgesetzt, daß die neunundzwanzig Einwohner von Sarek -- wir werden nämlich gleich sehen, daß Vorski eben sein dreißigstes Opfer an der Hand hat -- vorausgesetzt, daß sie auf der Insel bleiben und die Hinschlachtung abwarten. In diesem Augenblick erfährt plötzlich Vorski von der Abreise Honorines und Maguennocs. Honorine wird schon zur rechten Zeit zurückkehren. Aber Maguennoc? Vorski zaudert nicht. Er hetzt Elfriede und Konrad auf ihn mit dem Auftrag, ihn zu töten und das Weitere abzuwarten. Er hat es um so eiliger, als er aus gewissen Redereien entnommen, daß Maguennoc den kostbaren Stein entwendet hat. Elfriede und Konrad machen sich nun auf. Eines Morgens in einem Gasthof tut Elfriede Gift in den Kaffee, den Maguennoc trinkt. (Die Prophezeiung verkündet ja, daß eine Vergiftung stattfinden wird.) Maguennoc setzt bald darauf seine Reise weiter fort. Einige Stunden später bricht er an einer Hecke zusammen. Elfriede und Konrad eilen herbei, durchwühlen und leeren seine Taschen, kein Kleinod, kein Stein zu finden! Vorskis Hoffnungen haben sich nicht verwirklicht. Aber die Leiche liegt nun einmal da. Was tun damit? Man wirft sie vorläufig in eine halbzerfallene Hütte, in der einige Monate zuvor bereits Vorski und seine Genossen genächtigt haben. Dort findet Veronika von Hergemont den Toten, um ihn eine Stunde später schon nicht mehr dort zu sehen, weil inzwischen Elfriede und Konrad ihn in den Keller eines verlassenen Schlosses geschleppt haben.

Auf Sarek führt Vorski mittlerweile Franz und Stephan Maroux fort. Er zieht die Kleider Stephans an, während Reinhold in die Franzens schlüpft. In der Abtei wird nun die Aufgabe leichter. Nur der greise Herr von Hergemont mit der Köchin Marie Le Goff ist noch im Hause. Sobald diese beseitigt sind, wird man die ganze Wohnung und besonders das Zimmer Maguennocs durchsuchen. Wer weiß, sagte sich Vorski, der ja noch nichts von Maguennocs Ermordung erfahren hat, wer weiß, ob nicht das wundertätige Kleinod in der Abtei verborgen ist?

Sein erstes Opfer ist also die Köchin Marie Le Goff, die Vorski bei der Kehle packt und durch einen Messerstich erledigt. Doch der Bandit hat sich bei der Tat über und über mit Blut besudelt. Er flieht und überläßt den alten Hergemont seinem Reinhold.

Zwischen dem Greis und dem Jungen findet ein langer Kampf statt. Reinhold verfolgt ihn durch das ganze Haus, und ein tragischer Zufall will es, daß Hergemont vor den Augen Veronikas gerade in dem Augenblick getötet wird, wo die Tochter den Vater nach vielen Jahren der Trennung wiedersieht. In diesem Moment kommt Honorine hinzu. Sie fällt als zweites Opfer.

Von jetzt an überstürzen sich die Ereignisse. Im Laufe der Nacht beginnt die Panik. Als die Einwohner von Sarek sehen, daß Maguennocs Weissagungen sich erfüllen, und daß die seit langem angekündigte Stunde der Vernichtung geschlagen hat, beschließen sie, die Insel zu verlassen. Das ist es, worauf Vorski und sein Sohn warten. In dem gestohlenen Motorboot verfolgen sie die Flüchtlinge, und die fürchterliche, von Frater Thomas prophezeite Jagd beginnt:

»Schiffbrüchige wird es geben, Trauer und Verbrechen.«

Honorine wohnt dem Schauspiel bei, wird wahnsinnig und stürzt sich von der Klippe ins Meer.

Darauf einige Tage der Ruhe. Veronika durchsucht ungestört die Abtei der Insel Sarek. Nach ihrer erfolgreichen Jagd lassen Vater und Sohn Otto allein in der Zelle, der sich weidlich betrinkt. Sie selbst suchen Elfriede und Konrad im Boot auf, um die Leiche Maguennocs zu holen und sie zwischen den dreißig Klippen von Sarek ins Meer zu werfen.

Als Vorski nach Sarek zurückkehrt, ist er bereits beim vierundzwanzigsten Opfer angelangt. Stephan und Franz werden gefangen gehalten und von Otto bewacht. Bleiben noch die vier Frauen zu erledigen, von denen zunächst die drei Schwestern Archignat an die Reihe kommen. Veronika von Hergemont versucht sie zu befreien: zu spät. Reinhold, der ein geschickter Bogenschütze ist, lauert ihnen auf, und schießt seine Pfeile auf sie ab. (Die Pfeile spielen ja auch bekanntlich eine Rolle in der Prophezeiung.) So in die Hände des Feindes gefallen, wurden die drei Schwestern Archignat noch am selben Abend ans Kreuz geschlagen, nachdem ihnen Vorski zuvor die fünfzig Tausendfranknoten abgenommen hat, die sie bei sich trugen. Resultat: Neunundzwanzig Opfer. Wer wird das dreißigste sein? Wer die vierte Frau am Kreuz?

Hier machte Don Luis eine Pause, um dann fortzufahren:

»Auf diese Fragen gibt die Prophezeiung an zwei Stellen klare Auskunft:

›Vor seiner Mutter wird Abel den Kain töten‹ und dann:

›Nachdem er die Gattin an einem Juniabend ermordet.‹«

Vorski hatte die beiden Stellen auf seine Art gedeutet. Da er zu dieser Zeit Veronikas, die er vergebens überall gesucht hatte, nicht habhaft werden konnte, so findet er sich folgendermaßen mit den Befehlen des Schicksals ab. Die vierte zu marternde Frau soll seine Gattin sein und zwar seine erste Gattin Elfriede. Das widerspricht ja auch nicht der Weissagung, da ja die Frage, ob es die Mutter Kains oder Abels sein soll, offen gelassen ist.

Also die treue, demütige Helferin soll zugrunde gehen. Das kommt Vorski zwar hart an, aber der Gott Moloch verlangt Gehorsam.

Da -- ein unvorhergesehenes Ereignis! Bei der Verfolgung der Schwestern Archignat sieht und erkennt Vorski Veronika von Hergemont.

Wie hätte nun in dieser Begegnung ein Mann von Vorskis Schlage nicht ebenfalls einen Wink des Schicksals erblicken sollen? Das Weib, das er nie vergessen hat, es wird ihm in dem Augenblick gesandt, da es eine so große Rolle in seinem Dasein zu spielen hat. Er kann es opfern oder ... erobern. Über ein so ungeahntes Eingreifen der überirdischen Mächte verliert Vorski den Kopf. Mehr und mehr hält er sich für den Messias, den Auserwählten des Schicksals.

Was nun weiter geschieht, wissen Sie ja, Stephan. Veronika von Hergemont hat Ihnen alles erzählt. Wir kennen all ihre Leiden und wissen auch, welche Rolle der köstliche Allesgut gespielt hat. Wir haben erfahren, wie sie die unterirdischen Zellen mit seiner Hilfe entdeckte, wie sie um Franz und Sie kämpfte, der Sie von Vorski in den Folterzellen gefangen gehalten wurden. (Der Totenkammer der Prophezeiung.) Dort werden Sie mit Veronika überrascht. Das junge Scheusal, dieser Reinhold, wirft Sie ins Meer. Franz und seine Mutter entkommen. Unglückseligerweise gelingt es Vorski, trotz aller Hindernisse mit seiner Bande bis zur Abtei vorzudringen. Franz wird festgenommen. Und nun folgen die tragischen Szenen zwischen Vorski und Veronika und das Duell zwischen Kain und Abel unter den Augen der Mutter, wie es die Weissagung fordert.

Die Leiden Veronikas übersteigen alle Grenzen. Den Kämpfenden werden Masken vor die Gesichter gebunden. Und als Abel nahe daran ist, zu unterliegen, ermordet Vorski den Kain, damit Kain getötet werde.

Das Scheusal ist verrückt geworden. Das Drama geht dem Ende zu.

»Nachdem er durch tausend Todesarten
Die Gattin langsam hat dahinsterben lassen.«

Die Stunde ist da. Die Leiter wird errichtet. Die Stricke werden angebracht ... Da tritt der alte Druide auf den Plan und ...«

Hier brach Don Luis in schallendes Gelächter aus:

»Hahaha, jetzt wird es lustig. Das Drama wird zur Komödie, und die Burleske vermischt sich mit dem Totentanz. Was ist doch der alte Druide für ein drolliger Kauz! Für Sie, Stephan und Patrice, die Sie beide hinter den Kulissen standen, bietet ja die Geschichte keinerlei Überraschungen mehr. Aber für Vorski ...! Hör' mal, Otto, lehn' doch die Leiter an den Baum, damit dein Herr ein bißchen die Füße auf die oberste Sprosse stellen kann! Hast du's jetzt leichter, Vorski? Du sollst bequem die Geschichte von dem alten Druiden mit anhören können.

Mit dem alten Druiden kommt erst Sinn und Ordnung in das ganze Abenteuer. An Stelle des blindlings waltenden und blindlings wütenden Schicksals tritt die strenge Methode eines Mannes, der weiß, was er will, und der keine Zeit zu verlieren hat.

Der alte Druide -- gleichviel, ob wir ihn nun Don Luis Perenna oder Arsène Lupin nennen -- wußte nicht das mindeste von der ganzen Geschichte, als er gestern Mittag zu Schiff in Sarek ankam. Aber er hatte das Glück, gleich bei der Landung auf Freund Stephan zu stoßen, der seinerseits das Glück gehabt hatte, in eine Wasserlache zu fallen und so dem Schicksal zu entgehen, das ihr, Vorski und dein Sohn, ihm zugedacht hattet. Rettung. Konversation. Eine halbe Stunde später war der alte Druide in alles eingeweiht. Und nun begannen seine Nachforschungen. Er entdeckte die Zellen und fand in der deinigen, lieber Vorski, einen weißen Kittel, den er sehr gut brauchen konnte. Daneben, auf einem Stück Papier war von deiner Hand eine Abschrift der Prophezeiungen des Bruder Thomas. Damit kennt der alte Druide den ganzen Plan des Feindes.

Sie erinnern sich, lieber Stephan, welche Angst wir beide anfangs um Veronika von Hergemont ausgestanden haben. Dann die Freude, als wir den Baum mit der Inschrift V. v. H. fanden, an dem noch kein Opfer hing. Veronika konnte noch gerettet werden ... Tatsächlich hören wir bald darauf ein Gewirr von Stimmen, das aus der Richtung der Abtei herkommt. Es ist der unheimliche Transport. In der dichten Finsternis steigt er langsam herauf. Eine Laterne wird geschwenkt. Man macht halt. Vorski hält eine Ansprache, verkündet das nahe Ende Veronikas.

Nun passiert etwas, was dich amüsieren wird, Vorski. Meine Freunde und ich machen eine Entdeckung. Die Entdeckung einer Frau, welche um den Dolmen her umschleicht. Bei unserem Näherkommen verbirgt sie sich ... Man bemächtigt sich ihrer ... Beim Schein einer elektrischen Taschenlampe erkennt Stephan die Frau. Weißt du, wer es ist, Vorski? Es ist deine mitschuldige Elfriede, die du ursprünglich ans Kreuz hast schlagen wollen: Sehr aufgeregt erzählt sie uns, daß sie unter der Bedingung in den Zweikampf der beiden Kinder gewilligt habe, daß ihr Sohn Sieger und der Sohn Veronikas Besiegter sein würde ... Am Abend findet sie den Leichnam ihres Sohnes Reinhold. Nun will sie der Marterung der verabscheuten Rivalin beiwohnen, um sich darauf an dir, mein Junge, zu rächen. Kaum aber vernimmt sie deine Stimme, so ändert sie plötzlich ihre Absicht. Ganz im Banne ihres Herrn und Meisters, will sie dich retten, will sie dir zu Hilfe kommen. Mit gezücktem Dolche stürzt sie sich auf den alten Druiden. Der tötet sie in der Notwehr. Als sie nun leblos vor ihm liegt, erkennt dieser sofort, welchen Vorteil er aus dem Geschehnis ziehen kann. Der alte Druide gibt Stephan den weißen Kittel und die nötigen Weisungen dazu, schießt einen Pfeil nach dir und, während du nun den weißen Kittel verfolgst, wird Elfriede mit Veronika, wird deine erste Gattin mit der zweiten vertauscht.«

Don Luis schöpfte Atem. Nach seinem vertraulich-familiären Tone zu urteilen, hätte man meinen können, er habe Vorski soeben eine spaßige Geschichte erzählt, die diesen zum Lachen reizen müßte.

»Aber das ist noch nicht alles«, fuhr er fort. »Patrice Belval und einige meiner Araber -- ich habe deren achtzehn an Bord -- hatten inzwischen in den unterirdischen Sälen gute Arbeit getan. Was besagte doch die Prophezeiung? Sobald die Gattin den letzten Seufzer ausgehaucht hatte:

»Werden Flammen und Getöse aus der Erde kommen am selbigen Orte, wo der große Schatz liegt.«

Wohlgemerkt. Weder der Bruder Thomas noch sonst irgendwer auf der Welt hatten gewußt, wo der große Schatz lag. Aber der alte Druide will, daß er Vorski wie die gebratenen Tauben ins Maul fliegt. Man legt also eine alte verschüttete Treppe frei, höhlt einen alten abgestorbenen Baum aus. Man legt Dynamitpatronen und Raketen an Ort und Stelle, und als nun Vorski oben mit Heroldstimme verkündet: ›Sie ist tot! Sie ist tot! Die vierte Frau ist am Kreuze gestorben!‹ geht es daneben los: ›Bum, bum, bum!‹ Donner, Flammen, Getöse, Erdbeben ... Nun ist es so weit. Nun kann der Liebling der Götter, das Schoßkind des Glückes in den Kamin hineinkriechen und den Gottesstein in Empfang nehmen. Nachdem du also am nächsten Tage deinen sechsunddreißigprozentigen Branntwein und deinen Rum heruntergeschluckt hast, kräuselt sich zufrieden dein Mund. Du hast nach dem Ritus des Bruders Thomas die dreißig Opfer getötet, hast alle Hindernisse überwunden. Die Prophezeiung hat sich erfüllt.

»Und der Mann wird endlich finden den Stein,
Der einstmals den Barbaren gestohlen wurde,
Den Gottesstein, der Leben und Tod verleiht.«

Don Luis führte behend einige der Sprünge und Hopser auf, für die er so große Vorliebe zu haben schien. Dann sagte er:

»Mein Lieber, ich habe jetzt die Empfindung, daß du genug von meiner Rede hast und uns jetzt lieber das Versteck des Franz mitteilen als länger zuhören möchtest. Tut mir leid. Du sollst erst noch erfahren, wieso Veronika von Hergemont hierher kommt. Zwei Minuten werden genügen. Ich bitte solange um Entschuldigung.

Ja, warum brachte ich Veronika an diesen Ort, nachdem ich sie deinen Klauen entrissen? Die Antwort ist sehr einfach. Wohin sollte ich sie sonst bringen? Etwa in die Abtei? Um alles in der Welt nicht! Das wäre zu weit entfernt vom Schauplatz gewesen, und ich hätte keine ruhige Stunde gehabt. Nur an einem einzigen Orte war sie vor deinen weiteren Anschlägen sicher. Hier im Opfersaal. Darum brachte ich sie her und ließ sie unter dem Einfluß eines narkotischen Mittels ruhig schlafen. Die freundliche Absicht, dir dieses Schauspiel zu verschaffen, paßte außerdem so recht in meinen Plan. Die Fratze, die du bei dieser Vision geschnitten hast, war wirklich zu köstlich. Veronika wieder auferstanden! Eine lebendige Tote! Der Anblick war für dich so furchtbar, daß du sofort die Beine in die Hand genommen hast, und ausgerissen bist. Du findest den Ausgang verrammelt, besinnst dich eines Besseren und Konrad kehrt zum Angriff zurück, fällt heimtückisch über mich her, während ich Veronika in mein Schiff zu schaffen versuche. Konrad erhält von einem meiner Araber einen unheimlichen Schlag. Nun folgt ein zweites komisches Intermezzo. Konrad wird in den Kittel des alten Druiden gesteckt und in einer der Grüfte lang hingelegt. Das erste, was du tust, ist natürlich, daß du wütend auf ihn losstürzt. Und als du nun die Leiche Elfriedens, die an Stelle Veronikas von Hergemont auf der heiligen Platte liegt, bemerkst ... gehst du auch auf diese los und zerhackst die bereits Gekreuzigte zu Brei. Bist und bleibst halt immer der Dumme. Die weitere Entwicklung des Dramas ist ebenfalls sehr komisch. Du wirst an den Marterpfahl gehängt, während ich dir eine schöne Rede halte, aus der hervorgeht, daß, wenn du kraft deiner dreißig Verbrechen den Gottesstein erobert hast, ich aus eigener Kraft davon Besitz ergreife. Da hast du das ganze Abenteuer, mein lieber Vorski. Du hast es dir nun inzwischen an dem Baum recht bequem gemacht und kannst in aller Ruhe über dein Schicksal nachdenken, und so erwarte ich in vollem Vertrauen deine Antwort bezüglich Franz.

Don Luis war einige Sprossen der Leiter hinaufgestiegen. Stephan und Patrice hatten sich genähert und horchten ängstlich auf. Vorski wollte offensichtlich sprechen. Er hatte die Augen geöffnet und blickte Don Luis voll Haß und zugleich voll Furcht an. Seine Qualen wurden ihm unerträglich. Er sprach mit kaum verständlicher Stimme.

»Etwas lauter bitte,« sagte Don Luis, »ich kann nicht verstehen. Wo ist Franz von Hergemont?«

Vorski stammelte:

»Werde ich freigelassen?«

»Auf Ehrenwort. Wir gehen alle fort, außer Otto, der dich losbinden wird.«

»Sofort?«

»Sofort!«

»Franz lebt!«

»Bravo, ich zweifle nicht daran. Aber wo ist er?«

»In der Barke angebunden.«

»Die am Fuße der Klippe?«

»Ja!«

Don Luis schlug sich vor die Stirn. »So ein Idiot! ... Damit meine ich nicht dich, nein, das gilt mir selbst. Das hätte ich ahnen können. Allesgut schlief ja ruhig unter der Barke wie ein guter Hund neben seinem Herrn schläft. Allesgut hat ja auch, als man ihn die Spur des Franz aufnehmen ließ, Stephan zu dieser Barke hingeführt! Wahrhaftig, selbst die gescheitesten Menschen handeln manchmal wie die Esel. Ja wußtest du denn, Vorski, daß sich da ein Abstieg und eine Barke befanden?

»Seit gestern.«

»Und auf dieser Barke wolltest du entkommen?«

»Ja!«

»Schön, Vorski, das sollst du tun. Ich lasse dir und Otto die Barke ... Stephan!«

Doch Stephan Maroux eilte bereits mit Allesgut zur Klippe.

»Befreien Sie Franz, lieber Stephan!« schrie ihm Don Luis nach und, zu den Arabern gewendet, fuhr er fort:

»Ihr helft ihnen, macht auch mein Schiff klar, in zehn Minuten stechen wir in See.«

Er kehrte sich wieder nach Vorski um.

»Leb' wohl, lieber Freund. Doch halt, ein Wort noch. In jedem richtigen Abenteuer kommt eine Liebessache vor. Die scheint in unserem Abenteuer zu fehlen, es sei denn etwa, daß man deine Empfindungen für das arglose Geschöpf so bezeichnen möchte, das deinen Namen trug. Ich kann dich aber auf eine andere sehr reine und sehr edle Liebe hinweisen. Du hast wohl gesehen, mit welchem Eifer Stephan zur Befreiung des Franz eilte. Offenbar hat er seinen jungen Schüler sehr gern. Aber auch die Mutter hat er gern. Weil nun alles, was Veronika von Hergemont angenehm ist, auch dir nur Vergnügen machen kann, so will ich dir gestehen, daß Stephan ihr nicht gleichgültig ist, daß seine hingebungsvolle Liebe ihr Frauenherz gerührt hat, daß sie heute Morgen Stephan mit außerordentlicher Freude wieder gefunden hat und daß die ganze Geschichte mit einer Heirat enden wird ... sobald sie Witwe sein wird, wohl verstanden! Du verstehst mich doch, nicht wahr? Das einzige Hindernis für ihr Glück bist du. Als vollkommener Gentleman wirst du nun doch nicht wollen, daß ... Na, das übrige kann ich mir ja wohl ersparen. Ich rechne auf deine gute Lebensart und hoffe, daß du so schnell als möglich sterben wirst. Adieu, mein Lieber, ich gebe dir nicht die Hand, aber mein Herz ist dennoch bei der Sache. Otto, wenn kein Gegenbefehl kommt, so kannst du in zehn Minuten deinen Herrn losbinden. Ihr werdet die Barke unten an der Klippe finden. Lebt wohl, Freunde!«

Damit war es zu Ende. Der Ausgang des Kampfes zwischen Don Luis und Vorski war ja nicht einen Augenblick zweifelhaft gewesen. Von Anfang an hatte sich der eine der beiden Gegner dem anderen derart überlegen gezeigt, daß dieser andere trotz seiner Kühnheit und seines verbrecherischen Elans nur noch ein Hampelmann in den Händen des Gegners gewesen war.

Ohne sich weiter mit seinem Opfer zu beschäftigen, zog Don Luis Patrice Belval mit sich fort, der nicht umhin konnte, ihm zu sagen: »Immerhin noch anständig verfahren mit einem solchen Lumpen!«

»Pah, sie werden schon bei einer anderen Gelegenheit gefaßt werden«, spottete Don Luis. »Was sollen sie jetzt machen?«

»Na, zunächst werden sie sich den Gottesstein holen.«

»Unmöglich, dazu sind zwanzig Mann nötig und ein hohes Gerüst. Ich selbst verzichte für den Moment darauf. Ich werde später einmal hierher zurückkommen.«

»Ja, aber sagen Sie mir, Don Luis, was hat es eigentlich für eine Bewandtnis mit diesem wundertätigen Stein?«

»Gott, was sind Sie neugierig«, sagte ausweichend Don Luis.

Als sie an den Strand kamen, war die Barke mit Franz schon herabgelassen. Sie stand leer. Weiter hinten rechts schwamm friedlich Arsène Lupins kleines Schiff.

Franz kam ihnen entgegengelaufen, blieb einige Schritte von Don Luis entfernt stehen und betrachtete ihn mit großen Augen:

»Ach,« rief er, »sind Sie es? ... Habe ich Sie nicht erwartet?«

»Ich weiß nicht,« sagte Don Luis lächelnd, »ob du mich erwartet hast, aber eines weiß ich sicher, daß ich es bin.«

»Sie ... Sie sind Don Luis Perenna ...?«

»Pst, keine weiteren Namen. Perenna genügt mir und wir wollen überhaupt nicht mehr von mir sprechen, nicht wahr? Ich bin sozusagen der Zufall gewesen, der Herr, der gerade vorüberkommt und sich zur rechten Zeit einstellt ... Du aber, sapperlot, mein Junge, du hast deine Sache ausgezeichnet gemacht! So hast du also die Nacht in der Barke verbracht?«

»Ja, am Boden angebunden und mit einem Knebel im Munde.«

»Ist es dir schlecht bekommen?«

»Durchaus nicht.«

Eine Viertelstunde später kam Allesgut an.

»Aber der Mensch, dieser Bandit, was wollte er eigentlich mit dir machen?«

»Nach dem Duell und während alle sich mit meinem Gegner beschäftigten, hatte er mich hierher gebracht, angeblich um mich zu Mama zu führen und uns beide zu Schiff wegzuschaffen. Als wir dann zu der Barke kamen, hat er mich ohne ein weiteres Wort gepackt und gefesselt.«

»Kennst du den Mann? Weißt du seinen Namen?«

»Ich weiß nichts von ihm. Ich weiß nur, daß er Mama und mich mit seinem Haß verfolgte.«

»Die Gründe werde ich dir später sagen, mein kleiner Franz. In jedem Falle hast du nichts mehr von ihm zu befürchten.«

»Oh, haben Sie ihn denn getötet?«

»Nein, aber ich habe ihn unschädlich gemacht. Alles das werde ich dir schon erklären. Für den Moment können wir wohl nichts Besseres tun als zu deiner Mutter gehen.«

»Stephan hat mir erzählt, daß sie sich in Ihrem Schiff ausruht und daß sie ebenfalls von Ihnen gerettet wurde. Sie wartet doch auf mich?«

»Jawohl, heute Nacht haben wir miteinander gesprochen und ich habe ihr fest zugesagt, daß ich dich wiederfinden würde. Ich merkte sofort, daß sie Vertrauen zu mir hatte. Stephan, gehen Sie doch immer voraus und bereiten Sie die Dame vor ...«

Rechts, hinter einer Reihe Felsen, die ihm natürlichen Schutz boten, schwamm das Schiff Lupins auf dem ruhigen Wasser. Etwa zehn Araber liefen geschäftig an Bord hin und her. Zwei von ihnen schoben jetzt eine Schiffbrücke heran, über die Don Luis und Franz an Bord gelangten. In einer der Kabinen saß Veronika auf einem Streckstuhl. Ihr bleiches Antlitz trug das Merkmal der ungeheuren Leiden, die sie durchgemacht hatte. Sie schien sehr schwach, sehr müde. Aber ihre tränenfeuchten Augen glänzten voll Freude.

Franz umarmte sie. Sie brach in Schluchzen aus, keines Wortes mächtig.

Ihnen gegenüber saß Allesgut und betrachtete mit zur Seite geneigtem Kopf die beiden, indem er sie mit den Vorderpfoten begrüßte.

»Mama,« sagte Franz, »Don Luis ist da.«

Sie ergriff Don Luis' Hand, während Franz leise sagte:

»Sie haben auch Mama gerettet, Sie haben uns alle gerettet.«

Don Luis unterbrach ihn:

»Willst du mir einen Gefallen tun, kleiner Franz? Nun, dann bedank dich nicht bei mir. Wenn du das Bedürfnis hast, dich bei jemanden zu bedanken, so bedank dich bei deinem Freunde Allesgut! Der scheint gar nicht zu wissen, was für eine wichtige Rolle er in diesem Drama gespielt hat. Er war im Gegensatz zu diesem verfluchten Menschen der gute, kluge, bescheidene, stille Schutzgeist.«

»Ja, aber Sie auch.«

»Ich, ich bin weder bescheiden noch still. Und gerade wegen dieser Tugenden bewundere ich Allesgut. Los, Allesgut, folge mir und hör endlich auf, schön zu machen. Du scheinst es ja die ganze Nacht tun zu wollen. Lassen wir die beiden da allein.«


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