Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Geo

Es war schon recht spät am Vormittag, als die Liebenden vor der Tür des Laboratoriums sehr höflich von einander Abschied nahmen.

Harda ging nach der Villa; sie trat nur schnell ins Haus, in der Hoffnung, daß die zweite Post einen Brief von Geo gebracht haben könnte. Er mußte ihr Schreiben gestern gegen Abend erhalten haben. Wenn seine Antwort mit dem Frühzug um 6 Uhr von Geos Wohnort abgegangen war, so kam sie hier um halb zehn Uhr an und wurde mit der zweiten Post ausgetragen.

Es war nichts da.

Dann fragte sie nach der Tante. Die fühlte sich wohler und war eben mit Sigi nach der Stadt gefahren.

Harda wollte sich eine Arbeit vornehmen. Aber das ging absolut nicht. Doch eins mußte sie – sofort an Geo schreiben! Sie suchte den Federhalter – Ach, der lag ja auch oben an der Buche. Und der Hut – richtig – den wollte sie doch zuerst holen.

Freilich – durfte sie sich an den gefährlichen Ort wagen?

Ei, wenn die Idonen ihr schaden wollten, so brauchten sie doch wirklich nicht zu warten, bis sie ihnen an der Buche in ihre Gewalt liefe. Und sie wollte sich ja auch dort nicht aufhalten. Nur die Sachen holen und dann zurück!

Übrigens, wie wäre es denn mit einem Messer? Wenn sich so ein Ding von Elfe aufs Haupt setzte, da müßte man doch einfach damit über den Kopf fahren und es zerschneiden können? Sie hatte ein kleines scharfes Dolchmesser in einer Scheide, ein Geschenk von Geo; eigentlich war's als Papiermesser gedacht. Das holte sie sich. Sie fühlte sich dadurch außerordentlich gesichert. Und nun konnte ihr auch Werner nicht vorwerfen, daß sie unvorsichtig gewesen wäre.

Es zog sie nach ihrem Lieblingsplatze. Zu schade, daß sich die Idonen so schlecht benommen hatten! Wie gern hätte sie dem Efeu von ihrem Glücke erzählt. Ja, blühen!

Beim Gehen selbst beeilte sie sich nicht sehr. Das Herz war ihr so voll, durch den Kopf zogen ihr so viele Gedanken, frohe und schwere. Wie sollte das nun zu Hause werden? Von den Verhältnissen in der Familie zu Werner zu sprechen, schien ihr jetzt noch nicht möglich. Und was würden Frickhoff sagen und der Vater, wenn sie nun die Absage schickte? Und Geo? Hätte sie nicht seinen Rat abwarten müssen? Aber heute früh, das war doch so überraschend gekommen; es war ganz unmöglich gewesen, ihm zu schreiben zwischen Werners Erklärung und ihrer Antwort. So meinte es ja Geo auch nicht. Wie das eigentlich alles zugegangen? Das wäre doch komisch gewesen, wenn sie da – –

So in Gedanken, mit einem leichten, glücklichen Lächeln auf dem Antlitz trat sie auf das Plateau und näherte sich der Bank.

Da erhob sich langsam die stattliche Gestalt eines alten Herrn.

Einen Moment stutzte Harda. Dann stürmte sie mit einem Aufschrei auf ihn zu.

»Geo!«

Er fing sie in seinen Armen auf. Sie hing an seinem Halse und küßte ihn.

»Du, du!« schluchzte sie.

»Du geliebtes Kind,« sagte er zärtlich. »So sieht das Glück aus.«

»Du bist ja da!«

Er führte sie zu der Bank und ließ sich neben ihr nieder.

Sie lehnte den Kopf an seine Schulter. Er streichelte ihr Haar und Wange.

Sie umfaßte noch einmal seinen Hals und küßte ihn auf den Mund.

»Sei glücklich, mein Liebstes. Ich weiß alles,« sprach Geo sanft.

Sie sah ihn fragend an.

»Alles?« sagte sie errötend.

»Ja, du Gutes. Alles aus deinem Briefe, du hast ja nur von ihm gesprochen. Und das Letzte sagten mir deine Küsse. Die galten nicht mehr mir.«

Harda barg ihr Gesicht an seiner Brust.

»Du weißt alles.« Sie weinte selige Tränen.

»Ich hab' dich aber so lieb – wie immer –« sagte sie leise.

»Das weiß ich ja, und ich dich auch. Und ich segne dich und erflehe dir alles Menschenheil.«

»Heute früh,« begann sie wieder, »es kam so plötzlich. Die bösen Idonen, die Elfen sind daran schuld. Sie haben unser ganzes Laboratorium zerstört.«

»Wie? Und Werner?«

»Woher weißt du –?«

»Nun im Anfang des Briefes war es ja noch Herr Doktor Eynitz; aber zuletzt hieß es nur noch »Werner« und »wir beide«. Du weißt wohl nicht, daß du dein ganzes liebes Herzel ausgeschüttet hast? Aber du mußt mir noch viel erzählen. Diese Elfen – sie haben euch Schaden getan? Was heißt das? Doch das kommt alles.«

»Und du bist nicht unzufrieden mit mir?«

»Du bist ganz du selbst, wie ich dich kenne, meine Harda. So hast du gehandelt, dir selbst getreu. Und du weißt, das ist das Höchste, was der Mensch kann.«

»Aber ich sorge mich wegen des Vaters. Es wird ihm nicht recht sein. Ich weiß, er wünschte, daß ich Frickhoff – und das wird doch nun nicht gehen –«

»Nein, das wird wohl nun nicht gehen,« sagte Geo lächelnd.

»Der Absagebrief an Frickhoff lag schon in meinem Schreibtisch, ehe ich mit Werner sprach. Ich wollte ihn nur nicht abschicken, ehe ich deine Antwort hatte.«

»Die Rückkehr des Vaters willst du nicht abwarten?«

»Das hat keinen Zweck, denn mein Entschluß ist gefaßt.«

»So schicke den Brief jetzt ab, aber lies ihn vorher noch einmal durch. Und gesteh' einmal, Herzel, was ist denn nun heute früh geschehen? Diese Elfen – daß sie nicht bloß in deiner Einbildung existieren, habe ich freilich aus deinem Berichte ersehen – aber sie haben wirklich einen Angriff auf euch unternommen?«

»Nicht auf uns persönlich, aber auf unsere Präparate, unsere Photographieen; ihre gefangenen Kameraden haben sie befreit und alle Sternentaukapseln abgeschnitten. Komm nur hinüber ins Laboratorium, da kann ich dir alles besser erklären, da kannst du auch Werners Bericht lesen, der nun nicht abgeschickt werden kann.«

»Du wirst wohl jetzt im Laboratorium keine Gesellschaft brauchen können.«

Harda sah ihn hilflos an.

»Habe keine Sorge, ich werde es schon so einrichten, daß ich nicht störe, und ich bin diskret.«

Sie dachte nach.

»Weißt du,« sagte sie, »du kommst doch jetzt mit mir zu uns zu Tisch?«

»Ich hatte die Absicht, denn meine gute Frau Lohmann war trotz meiner Depesche durch meine Ankunft etwas überrascht.«

»Das ist herrlich! Wie bin ich froh! Ich habe mich gefürchtet, nach Hause zu gehen, ich hätte mich ja so verstellen müssen. Aber wenn du plötzlich mitkommst, da sind sie alle wie toll, und es wundert sich niemand, daß ich aus dem Häusel bin.«

Geo nickte lächelnd. »Du geliebtes Kind!« sagte er.

»Aber gleich nach Tisch, da führe ich dich hinüber. Da sind wir ganz ungestört, vor fünf Uhr kommt niemand hin.«

»Wer kommt denn dann?« fragte er neckend.

Sie warf sich an seine Brust. »Komm, komm!« rief sie eifrig. »Es ist Zeit. Ich habe noch so vieles zu erzählen. Aber zu Hause ja nichts verraten!«

»Ich weiß Bescheid, kleine Intrigantin.«

Sie sah ihn erschreckt an. »Tu ich Unrecht?« fragte sie ängstlich.

»Nein, Liebling. Es ist vorläufig nicht anders möglich. Erst müssen wir einmal sehen, wie es eigentlich mit euerm Schicksal, diesen unsichtbaren Feinden steht. Nachher wollen wir das Äußere überlegen.«

Er griff nach seinem großen breitrandigen Filzhut, den er auf den Tisch gelegt hatte.

Das erinnerte Harda an den eigentlichen Zweck ihres Herkommens. Sie sah sich nach ihrem Hute um, ohne ihn erblicken zu können.

»Hast du nicht meinen Hut hier gesehen, als du herkamst?« fragte sie Geo. »Ich habe ihn gestern hier liegen lassen, als ich Reißaus vor den Idonen nahm. So nennen sich nämlich die Elfen. Auch mein Federhalter – der liegt ja unter der Bank – aber der Hut?«

»Ich habe nichts gesehen. Es wird ihn jemand mitgenommen haben.«

»Ach, wer kommt denn hier her! Um den Hut ist's eigentlich noch schade. Vielleicht haben ihn die Idonen ihrer Rache geopfert.«

»Nun erzähle einmal Näheres, während wir gehen. Aber zuvor möchte ich mir jetzt den berühmten Sternentau wieder mal betrachten. Ich habe es doch auch für Blüten gehalten, was ihr als Sporangien erkannt habt.«

»Komm nur! Gleich hier unter dem Efeu. Hier waren gestern –« Sie kniete nieder und bog die Blätter beiseite. »Wo sind sie denn? Da ist etwas abgeschnitten!« Sie suchte an andern Stellen.

»Es ist nichts mehr da – nirgends!« Wieder kniete sie nieder und prüfte genauer. »Man sieht die Stellen, wo die Kapseln gesessen haben. Gerade wie im Laboratorium! Das sind die abscheulichen Idonen gewesen. Sie haben auch hier alle ihre eignen Sprossen an der Mutterpflanze vertilgt.«

Auf einmal sprang sie empor. »Da hinten, da ist noch ein blauer Stern –« rief sie – »aber er bewegt sich –«

Harda griff in den Gürtel und riß ihr Dolchmesser heraus.

»Da muß ein Idone dabei sein, den will ich –«

Sie wollte mit dem Messer nach der Stelle hinspringen. Geo fiel ihr in den Arm.

»Was tust du? Was wolltest du mit dem Dolche? Sprich! Es ist ja nichts zu sehen!«

»Das ist es eben! Ich steche blindlings hin!«

»Nein, nein,« sagte er beruhigend. »Sei vernünftig. Kind. Laß uns lieber beobachten.«

Er hielt sie zurück und nahm ihr sanft das Messer aus der Hand.

»Ich sehe jetzt ganz deutlich die blaue Blume. Sie neigt sich zur Seite.«

»Sie fliegt fort!« rief Harda.

»Wahrhaftig! Sie hebt sich, entfernt sich, als wenn sie jemand trüge.«

»Das tut ein Idone. Soll ich nicht – ich kann noch hin –«

»Nein, nein, Gutes! Es ist mir lieb, daß ich das sehe. Ich habe keinen Zweifel mehr an der Intelligenz dieser Idonen. – Sieh, Harda, wenn du das Wesen jetzt verwundetest, was hättest du davon? Wahrscheinlich würde es dich verletzen. Diese Ablösung der Blume muß durch eine scherenartig wirkende Kraft geschehen sein, die sich wahrscheinlich gegen dich wenden würde. Und mit welchem Recht willst du dem Wesen die Verfügung über sein Geschlecht bestreiten? Wer so planmäßig verfährt, wird seine Gründe haben.«

»Sie wollen uns unsrer Untersuchungsobjekte berauben.«

»Vielleicht wollen sie auch etwas anderes. Ich kann mir denken, sie wollen dieses zukünftige Individuum vor den Qualen schützen, die ihm bevorstehen, wenn es in die Hände der Menschen gelangt. Laß uns nicht in den alten Fehler verfallen, ethische Gebote nur auf Menschen anzuwenden, weil wir nur in ihnen unsergleichen sehen. Die Natur ist freilich eine Einheit unter eigenem Gesetz, das ethische Gesichtspunkte nicht kennt; aber wo sie in das Reich unsres Bewußtseins hineinreicht, wie es hier offenbar der Fall ist, da wird sie unsergleichen, da nimmt sie auch an der großen Forderung teil, als ein sich selbst bestimmendes Wesen geachtet zu werden. Laß uns gerecht sein, so werden wir diese Elfen verstehen lernen. Und nun komm und ängstige dich nicht. Ich habe das Vertrauen, daß wir uns mit deinen Elfen noch irgendwie im Guten abfinden werden.«

»Ach, möchtest du recht haben! Ich habe das ja auch geglaubt und gehofft, bis ich die Drohrufe vernahm. Und der Angriff hat sie bestätigt. Was soll nun aus unsern Forschungen werden? Sie werden überall den Sternentau vernichten, wo er steht.«

»Doch nicht die Stammpflanzen selbst, nur diese neue Generation von Elfen. Und das müssen wir eben zu erforschen suchen, was sie mit diesem Beginnen im Sinne haben.«

»Und dabei willst du uns helfen?«

»Ja, Liebling. Ich will prüfen, sofern ich dazu im stande bin. Denn mir scheint, hier liegt etwas Neues, ganz Großes vor, das noch nie auf Erden erschienen ist. Noch kann ich es nicht genau sagen, aber ich könnte mir denken, daß hier eine Kultur uns entgegentritt, nicht geringer als die menschliche, aber von ganz andrer Form, wie hierher verschlagen von einem andern Sterne, wo andere organische Wesen ihren Aufstieg zur Höhe des Bewußtseins auf anderm Wege gefunden haben. Versuchen wir einmal, von ihnen zu lernen.«

»Wenn es möglich ist. Mit unsrer Naturforschung am Sternentau wird es wohl bald zu Ende sein. Ja, von einem andern Sterne stammt die Pflanze, das meint auch Werner. Ach, wie glücklich bin ich, daß du gekommen bist, Geo! Nun bin ich ruhig, ich hab' keine Angst mehr. Und zu Werner wirst du auch gut sein?«

»Solange er zu dir gut ist. Das weißt du doch?«

»Dann ist alles gut!«

Sie stiegen die Stufen hinab.


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