Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Die Elfen kommen

In tiefem Dunkel lag der Platz unter der Buche am Riesengrab. Nur hin und wieder schimmerte ein Leuchtkäferchen durch die Büsche. Kein Lufthauch regte sich im Walde.

Durch den Efeu ging ein leises Zittern. Von den Wurzeln her kam es, durch den Erdleib sprach es:

»Was ist dir, Ebah?« fragte die Buche.

»Ich sorge mich um meine Kinder, die nicht sprechen dürfen. Und ich sorge mich um Harda, die wieder mit demselben fremden Menschen hier war. In manchem Augenblicke kommt es mir vor, als könnte ich zu ihr sprechen, aber das verging bald, und als sie hier saß, vernahm sie mich nicht. Der Fremde wird ihr doch kein Leides tun?«

»Närrchen, sie waren ja freundlich miteinander, soviel merkte man.«

»Es wurde oft im Walde erzählt von Menschen, die lieb zu einander waren unter den Bäumen und auf dem Moose, daß sie nachher trauernd einhergingen, wenn sie allein kamen.«

»Was wissen wir Genaueres von Menschenlust und Leid? Viel merkwürdiger ist es, daß die fremde Pflanze drüben bei deinem Sprößling sich soviel herausnimmt, und hier spricht sie nicht und rührt sich nicht, soviel man sie auch fragt.«

»Und doch, Schattende, seit der Abend kam, scheint es mir, als verändere sich die neue Pflanze, als hätte mein kleiner Schützling einen Wunsch, nur vermag sie ihn noch nicht deutlich zu machen. Sie schmiegt sich so eng an mich an.«

»So wird sie wohl jetzt unsere Sprache erlernen. Warte nur ab. Es gibt nichts Fertiges. Was da ist, das muß vorher werden. Auch des Menschen schnelles Handeln braucht Weile; und selbst der Gott gewinnt Wirklichkeit nur in der Zeit. Zeit ist der Pflanze größter Reichtum, und ihr Vorzug vor allem Lebendigen ist die Geduld.«

»Aber widerspricht sich das nicht, Leben und Geduld?« fragte der Efeu. »Denn Leben heißt Wünschen. Ich wünsche zu blühen, ich wünsche, daß Harda glücklich werde im Segen der Dauerseele, und wenn ich nicht wünschte, was hieße dann leben? Wünschen aber heißt, keine Geduld haben.«

»O Ebah,« sprach die Buche tadelnd, »was redest du? Wünschen ohne Geduld heißt leben in Unlust und Qual, Wünschen aber in Geduld heißt dauernde Freude im Denken ans Kommende, heißt Hoffnung. Und was wir so hegen im Innersten und träumend erwarten, das ist viel schöner, als was wirklich aufsteigt zum Geschehen. Denn Phantasie kann gebieten, Wirklichkeit muß gehorchen. Geduld ist Herrin, Tat ist Knecht.«

Während der weisen Betrachtung der Buche fühlte Ebah wieder den leisen Druck der Ranken des Sternentaus. Und aufmerkend wurde sie zwischen ihren Blättern einiger schwach schimmernder Stellen gewahr. Das war nicht das grünliche Licht des Leuchtwurms, nein, es glomm bläulich, und jetzt ward's immer deutlicher. Die Kapseln des Sternentaus sind's, die da schimmern, hellblau, dunkelblau, hier und dort, wie sie zerstreut wachsen zwischen dem ausgedehnten Laubkleide des Efeus.

»Was ist das?« sagte der Waldmeister leise zum Sauerklee. »Siehst du nicht, was sich der Efeu wieder herausnimmt?«

»Laß mich, ich will schlafen. Was geht's mich an?«

»Ich glaube, Ebah ist die Blühlust schlecht bekommen. Statt nach oben schlägt sie nach unten aus.«

»Still,« riefen die jungen Buchenbüsche. »Das ist kein gewöhnliches Blühen, das ist etwas ganz Seltsames. Das kommt ja von der fremden Pflanze.«

Die sehr jungen Fichten, die sich am Felsen angesiedelt hatten, wurden aufmerksam; sie benachrichtigten ihre hohen Verwandten am Abhang.

»Die fremde Pflanze macht sich bemerklich?« fragte die gekrümmte Fichte mißtrauisch. »Ich habe schon lange meine Bedenken. Warum versteckt sie der Efeu unter seinen Blättern? Und warum kriecht er so um die Buche herum?«

»Das ist eben das Schmeicheln hier und das Protegieren dort,« sagte eine schlanke, starke Fichte. »Das ruiniert den Wald. Dieses Buchenprotzentum hat abgewirtschaftet.«

»Es wäre Zeit für uns, die Leitung im Wald zu übernehmen,« rief eine dritte.

»Sehr richtig,« bemerkte eine Kiefer. »Die Laubhölzer haben sich nicht bewährt. Da gibt's keine Ausdauer. Im Winter ist's kahl zum jammern.«

Und eine alte, vom Sturm gekrümmte Kiefer, die oben auf dem Felsen hinkroch, fügte hinzu:

»Dieser bedecktsamige Blütenindividualismus muß zur Selbstüberhebung führen. Jeder will etwas Besonderes sein.«

Aus den schlanken geraden Fichten murrte es dagegen: »Wärst du nur nicht dort hinaufgestiegen! Wir müssen zusammenhalten. Siehe unsre soziale Gleichmäßigkeit! Es leben die Coniferen!«

»Nicht zu laut, nicht zu laut!« warnte die alte Fichte. »Ich bin überzeugt, die Buchen wittern schon, daß ihre unhaltbare Stellung bedroht ist, und sie bereiten irgend etwas Heimliches vor, um den Wald, vielleicht gewaltsam, zu beherrschen. Was sollte sonst diese fremde Pflanze bedeuten? Wenn es überhaupt eine Pflanze ist! Dieses Glimmen im Dunkeln erinnert an tierische Gewohnheiten.«

»Seien wir nicht ungerecht,« beruhigte eine alte Lärche. »Auch die Laubhölzer haben ihre Verdienste. Jedenfalls dürfen gerade wir nicht gegen das Prinzip des freien Wettbewerbs auftreten. Aber wir könnten ja einmal die Buche interpellieren, was sie eigentlich –«

»Ruhig, ruhig!« rief die Fichte. »Nur keine Übereilung! Sie sind verbunden, es von selbst mitzuteilen, wenn sie etwas von allgemeiner Bedeutung vorhaben. Das ist Waldrecht. Aber auf dem Posten wollen wir sein.«

»Hört ihr nicht? Sagte die Buche nicht etwas?« fragte die Lärche.

Alle lauschten.

»Nein, nein,« flüsterte ein kleiner Buchenfarn. »Aber der Efeu ist aufgeregt. Er spricht mit jemand, jedoch man kann es nicht verstehen. Er spricht direkt, also wohl mit der Buche.«

»Seht da, seht! Da ist doch ein weißlicher Lichtschimmer unter dem Efeu?«

Die bläulichen Sterne verblichen. An ihrer Stelle breitete sich ein bleicher, phosphoreszierender Glanz aus und drang hier und da durch das dichte Laub des Efeus.

Ebah zitterte.

»O sieh, sieh!« flüsterte sie zur Buche. »Die fremde Pflanze! Aus den Bechern drängen sich die Fäden wie leuchtende Gespinste hervor. Was soll das werden?«

»Ich weiß es nicht, Ebah,« antwortete die Buche. »Es wächst etwas Neues aus der fremden Pflanze. Das hat der Wald nicht gesehen.«

»Das ist jedenfalls das Seltsame, was die neue Pflanze schon drüben bei Hedo getan hat, und was mir Hedo nicht sagen durfte. Was wird geschehen? O höre! Höre! Hörst du nichts, Schattende?« Ebah rief es ängstlich.

»Ich höre nichts.«

»Aber ich! Zu mir spricht es, die neue Pflanze spricht! Ich klammre mich fester an dich. So – jetzt mußt du es mithören. Nicht wahr?«

»Ich höre, aber noch kann ich nichts verstehen.«

»Jetzt wird es deutlicher, ja, sie spricht.«

»Bio, Bio,« klang es zaghaft vom Sternentau.

Ebah empfand es fremdartig, wie ein Probieren ungewohnter Sprache.

Und nun wieder:

»Bio wird – ich werde –«

»Wer bist du?« fragte Ebah sanft.

»Ich bin Bio –«

»Bio? So heißest du?«

»Bio – ich heiße Bio – ich wachse –«

»Und warum sprachest du nie bisher?«

»Ich nicht vermochte, ich lernte – nun ich wachse, ich spreche.«

»Warum leuchtest du?«

»Ich wachse zum Wesen, aus mir wächst mein Wesen.«

»Noch verstehe ich dich nicht. Du heißest Bio. Ist das dein Eigenname, wie ich Ebah heiße, oder ist das der Name deiner Gattung, wie ich Efeu bin? Wie heißt Euere Pflanzengattung? Und wo kommst du her?«

»Du fragst viel, Ebah. Noch bin ich Euere Sprache nicht geübt – doch bald werde ich alles sagen können. Höre! Ich bin mein wachsendes Wesen, bin die Pflanze, Bio. Aber aus mir wachse ich selbst noch einmal als freies Wesen. Das freie Wesen kann im Dunkeln leuchten –« die Sprache wurde sicherer und geläufiger – »wenn es herausgewachsen ist, verwelken meine Fruchtbecher, aber ich bleibe bei dir, und dann werde ich zu dir sprechen dürfen von mir, der Pflanze Bio und von meinem freien Wesen.«

»Und dein freies Wesen, was wird aus ihm?«

»Du wirst es erfahren. Es schwebt frei durch die Luft, wohin es will, und es kann leuchten oder unsichtbar sein wie die Luft, je wie es will.«

»So ist es eine fliegende Pflanze? Aber wo wurzelt es?«

»Es bedarf keiner Wurzel, es ist keine Pflanze wie ihr oder ich. Unsere freien Wesen sind – wir nennen sie »Idonen«. Ich weiß nicht, ob es das bei euch gibt. Aber ich habe die beweglichen Wesen gesehen, die ihr Menschen nennt. An sie erinnert ein wenig der Idonen Gestalt, nur sind die Idonen viel kleiner und feiner und schweben unsichtbar umher, sichtbar nur für ihresgleichen. Wie nennt ihr solche Wesen?«

»Die sind uns nicht bekannt. Menschen oder Tiere wachsen bei uns nicht aus den Pflanzen. Sie können nicht zu uns sprechen, und wir nicht zu ihnen. Aber ich weiß jetzt, daß Menschen klug und mächtig sind.«

»Das sind die Idonen auch, und wohl noch viel mehr. Und sie können mit den Pflanzen sprechen und wir mit ihnen. Wenn meine – doch jetzt – oh – laß mich jetzt schweigen – ich wachse, wachse –«

Bio zitterte an den Efeu geschmiegt, der Efeu klammerte sich an die Buche. Ein Lichtwölkchen war aus dem Becher des Sternentaus hervorgequollen und löste sich jetzt ab. Hier und da, nach und nach, wie viel reife Fruchtbecher am Sternentau sich geöffnet hatten, so viel schwach schimmernde Idonen wurden sichtbar. Sie streiften ihre Gespinste ab und hüllten sich frei hinein.

Durch die Zwischenräume der Efeublätter schlüpften sie hindurch, hinaus unter die Buche, dort schwebten sie auf dem freien Platze.

Einige faßten einander an und schwangen sich in leichtem Reigen. Sie führten eine lebhafte Unterhaltung, doch konnte sie Ebah nicht verstehen, denn sie sprachen nicht die Sprache der Erdenpflanzen. Wohl aber verstand sie der Sternentau, nur teilte er sich jetzt Ebah nicht mit.

Andere Idonen kamen noch dazu, die an anderen Stellen und schon in den vorangehenden Tagen frei geworden waren. Alle versammelten sich unter der Buche, wo der erste Sternentau auf Erden, die Stammutter des Geschlechtes sich angesiedelt hatte. Mit dem Sternentau unterhielten sie sich lange, ohne daß Ebah etwas verstehen konnte. Dann tanzten sie wieder ihren Reigen wie die Blumenelfen des Märchens und berieten sich. Schließlich zerstreuten sie sich und verschwanden nach verschiedenen Richtungen zwischen den Bäumen.

Ein Schauer ging durch den Wald. Was war das? War der Gott erwacht? Aus der Pflanze geboren ward der Gott? Kam er zu erlösen von der Herrschaft der Menschen? Kam er zu vereinen die Lebendigen der Erde? Der Wald schwieg, gebannt zwischen Furcht und Andacht.

Vom Sternentau her klang es jetzt wieder ganz leise:

»Ebah!«

»Was willst du, Bio?« fragte der Efeu.

»Jetzt bin ich eine Pflanze auf der Erde, wie ihr, nur fremd. Schütze mich, Ebah, und bitte auch die Buche darum. Denn ohne dich kann ich nicht gedeihen. Aber jetzt kann ich zu dir sprechen.«

»Warum ließet ihr Hedo nicht zu mir reden? Warum sprach der Sternentau nicht dort?«

»Jetzt wird auch er sprechen. Unter uns konnten wir ja schon immer sprechen, ohne daß ihr es vernahmt oder verstandet. Aber die Pflanzen hier in meiner Nähe sollten nicht eher von den Idonen erfahren, bis ich, die Stammutter, zu euch reden konnte; und das vermochte ich erst, wenn mein Wesen frei wurde. Auch mit den Idonen kann ich reden, wenn sie nicht gar zu weit entfernt sind. Selbst was ihr untereinander sagtet, konnte ich ihnen mitteilen, denn das verstand ich schon lange; nur vermochte ich nicht, auch mich selbst verständlich zu machen, bevor meine Becher sich ganz öffneten. So kennen wir schon vieles von dem Leben der Pflanze.«

»Und wohin sind jetzt die Idonen gegangen?«

»Sie suchen einander und ziehen dann hinaus in dies unbekannte Land, es zu erforschen. Sie wollen erkunden, was die Tiere und die Menschen tun. Und wenn sie wiederkommen, werdet auch ihr viel Neues erfahren können, so weit ihr es versteht.«

»Aber wo wohnen sie? Wie ernähren sie sich?«

»Wohnungen werden sie sich bauen, wo sie es für geeignet finden. Im allgemeinen leben sie einsam oder zu zweien, nur hin und wieder vereinen sie sich zur Beratung. Und Nahrung brauchen sie nicht mehr, als die Luft ihnen bietet und das Wasser und weniges vielleicht vom Boden. Denn genährt haben sie sich als Pflanze. Das ist die Zeit ihres Wachsens, da nehmen sie auf, was sie brauchen. Als freie Wesen haben sie anderes zu tun. Doch laß mich jetzt ruhen, ich bin ermüdet.«

»Was tun sie?« fragte Ebah hartnäckig.

»Wie soll ich dir das kund tun? Jetzt als Pflanze vermag ich nur zu sagen, was der Pflanzen Wissen und Rede ist. Die Idonen aber sind der Teil von uns, der Wissen und Macht hat. Ihre Gedanken sind die Welt.«

»Wie ist das möglich? Woher kommt ihr?«

»Ich verstehe nicht, es auszudrücken, auch weiß ich es selbst nicht recht. Die Welt, von der wir stammen, sah anders aus als die neue. Wohl fern, fern von hier ist unsere Heimat.«

Der Sternentau versank in Schweigen. Der Wald schlief.


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