Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Auf dem Neptunsmond

Um die niedrigen Berggipfel der fremdartigen Landschaft breitet es sich wie weißliche Wolkenstreifen. Häufig lösen sich einzelne Stücke ab und gleiten durch die Luft hierhin und dahin, begegnen sich und weichen sich aus. Unter ihnen liegt das Land von üppigem Pflanzenwuchs bedeckt wie ein blühender Garten, durchzogen von Kanälen, die flache Seen verbinden. Ihre Wasserspiegel blinken in den wunderbarsten Farbenreflexen.

Denn über dem allen spannt sich ein blau-violetter Himmel, woran eine große leuchtende Scheibe mit verschwommenen Rändern prangt. Ein sichelförmiger Teil von ihr strahlt in weißlichem Lichte, der übrige glimmt matter mit einem ins Grünliche spielenden Gelb. Nach dem Horizont zu schimmert es von Blau bis Rot in allen Abstufungen des Spektrums.

Sämtliche Farben sind sanft und matt, selbst die Helligkeit ist nirgends blendend. Auch scharfe Schatten fehlen bei der großen Fläche des leuchtenden Himmelskörpers. Nur an einer Stelle, nach der Seite der weißen Sichel hin, strahlt am Himmelsgrund ein glänzender Stern.

Das ist unsre Sonne.

Unsere Sonne, gesehen in einer Entfernung, die dreißigmal so groß ist als ihr Abstand von der Erde. Denn jene große mattleuchtende Scheibe am Himmel ist der äußerste Planet unsres Sonnensystems, der Neptun. Jene Landschaft mit ihren Pflanzen und Seen liegt auf dem Monde, der den Planeten Neptun unkreist.

Wenn das Licht der Sonne dorthin gelangt, so hat es nur noch den neunhundertsten Teil der Helligkeit wie auf der Erde; das bedeutet immer noch die Leuchtkraft von 630 Vollmonden bei uns. Aber es wird noch weiter gedämpft durch die Dichtigkeit der Atmosphäre, die dem Neptunsmond zu eigen ist. Dafür liefert der große Planet selbst, dessen Durchmesser mehr als das Siebenfache von dem der Erde beträgt, außer dem reflektierten weißen Sonnenlicht auch Licht und Wärme von seinem eignen Vorrate. Denn er ist selbst noch gasförmig und warm. Den Bewohnern des Neptunsmonds erscheint er als eine Scheibe, deren Durchmesser das Sechzehnfache unsrer Mondscheibe ausmacht. Der von der Sonne nicht bestrahlte Teil und der sehr viel hellere weiße wechseln ziemlich schnell ihre Größe, denn in kaum sechs Tagen vollendet der Mond den Umlauf um seinen Planeten und hat daher diesen bald auf derselben, bald auf der entgegengesetzten Seite wie die Sonne.

Ja, dieser Neptunsmond, der äußerste Himmelskörper unsers Sonnensystems, besitzt Bewohner, und zwar ziemlich zahlreiche. Er hat überhaupt in seiner physischen Beschaffenheit eine gewisse Ähnlichkeit mit unsrer Erde, obwohl seine Größe nur ungefähr der unsres Mondes entspricht. Unserer Erde gleicht er darin, daß er eine Atmosphäre besitzt, während unser Mond ja ohne Atmosphäre, starr und scheinbar abgestorben ist. Der Neptunsmond aber befindet sich gegenwärtig annähernd im Entwicklungsstand unsrer Erde. Wegen seiner Kleinheit konnte er sich schneller abkühlen als sein Planet. Die Schwerkraft ist auf ihm wesentlich geringer als bei uns, alles ist leichter und freier beweglich. So sind auch die Organismen auf diesem Himmelskörper von unsern Pflanzen und Tieren recht verschieden, entsprechend der Anpassung an die Verhältnisse des Neptunsmonds.

Wie die Gesetze der Mechanik, so sind auch die Grundformen des Lebendigen die gleichen im ganzen Universum. Die Wechselwirkung zwischen der Zelle und ihrem Kern, die Teilung und Verschmelzung der Zellen, die Bildung von Zellgesellschaften, aus denen organische Individuen höherer Ordnung hervorgehen, der Fortschritt endlich dieser komplizierten Organismen zu immer klarerem Selbstbewußtsein, vom einfachen Sinneswesen bis zur Höhe der Vernunft, – diese allgemeinen Bestimmungen gelten für den Kosmos überhaupt. Aber die Resultate des Werdeganges sind sehr verschieden. Wie die Arbeitsleistung der Kultur sich unter die lebendigen Wesen verteilt, wie die einzelnen Organismen ihre Einheit mit der Natur aufrecht erhalten und ihre Freiheit in der Kultur gewinnen, ob sie überhaupt trennende Bahnen einschlagen, das ist eine Form der Entwicklung, die sich auf verschiedenen Weltkörpern verschieden vollzieht.

* * *

Die weißen Streifen an den Gipfeln und Hängen der Berge und die lichten Wölkchen, die sich von ihnen lösen, um in willkürlichen Richtungen durch die Luft über die Landschaft zu ziehen, sind nichts anderes als die Werkstätten der herrschenden Bewohner des Neptunsmonds, die sich selbst Idonen nennen.

Man könnte diese Wohnungen etwa mit großen, laubenförmigen Körben vergleichen, die aus feinen Geflechten filigranartig gebildet sind und mit schimmernden Gespinsten überzogen. Zahlreiche abgeschlossene Zimmer enthalten sie in sich, über- und nebeneinander geordnet, dazwischen ziehen sich verschlungene durchsichtige Röhren hin, gefüllt mit ebenfalls unsichtbaren Gasen, leichter als die Luft, die jene kunstvollen Gebäude schwebend erhalten. Ihre Architektonik, die auf die Schwere des Stoffes keine Rücksicht zu nehmen braucht, folgt frei den wechselreichen Formen der Wolkengebilde, deren leichten Zug wir an unserm Himmel bewundern. Bald legen sich die einzelnen Wohnungen an einander zu großen Städten, bald trennen sie sich und fahren einsam oder in willigen Gesellschaften durch die Höhen.

Auf den Dächern der luftigen Häuser sieht man einzelne Idonen ruhen, die meisten aber fliegen frei durch die Luft. Denn das ist ihre gewöhnliche Bewegung. Sie sind zierliche, kleine Gestalten von etwa ein Drittel Meter Höhe mit frei beweglichen, biegsamen Armen und flügelartigen Ruderfüßen. Durch willkürliche Zusammenziehung und Ausdehnung ihres sehr elastischen Körpers können sie sich heben und senken. In feine, nachschleppende Schleier gehüllt schweben sie anmutig dahin; sie haben keine Eile.

Für menschliche Augen würden sie schwer erkennbar sein, weil ihre Körper nahezu durchsichtig erscheinen, und nur die Reflexe an ihren großen Augen dürften auffallen. Der innere Bau ihres Körpers ist in weit höherem Grade als beim Menschen auf das Vorherrschen des geistigen Lebens eingerichtet, so daß man sie als schwebende Gehirne bezeichnen möchte. Mit der physischen Arbeit zur Erhaltung ihres Lebens haben sie wenig zu tun, ihre Energie konzentriert sich in der Bewältigung ihrer Gedankenwelt. Die schaffende Macht der Natur hat bei ihnen die Form selbständigen Bewußtseins gewonnen; ihre Phantasie löst die Widerstände der Wirklichkeit auf zum freien Spiele gütigen Wollens und beglückender Liebe.

Die Idonen werden nicht von Idonen erzeugt und geboren und bringen nicht wieder Idonen zur Welt. Sie wachsen hervor aus einer pflanzlichen Generation, die sich allein durch Zellteilung, durch Knospung vermehrt und so die innige Verbindung mit Leib und Seele des Weltkörpers dauernd bewahrt, auf dem sie gedeiht. Die Idonen aber sind das frei bewegliche Geschlecht, dessen Individuen sich in persönlicher Wahl, männliche und weibliche, vereinen in allen Feinheiten der Liebessehnsucht und Liebesgemeinschaft. Dieser Vereinigung entsprießen nicht junge Idonen, sondern ein Gebilde, das in pflanzliche Keime zerfällt; aus ihnen wachsen dann wieder die Pflanzen, welche die neue Generation darstellen. Während der Durchgang durch die wurzelnde Pflanze den steten Zusammenhang mit dem Leben und der Kraft des Weltkörpers aufrecht erhält, gibt die geschlechtliche Fortpflanzung und ihre freie Wahl den Idonen die Fähigkeit, alle Erwerbungen ihres individuellen Lebens der Gattung nutzbar zu machen. So hat hier ein dauernder Wechsel zwischen Pflanze und Gehirnwesen die günstigste Arbeitsteilung errungen, um die Energie des leiblichen Lebens und die Macht des geistigen zur höchsten Stufe der Kultur zu führen.

Fänu, eine junge Idonenfrau, verließ ihre Wohnung und schwebte hinab zu den gartenartigen Wäldern und Wiesen der Mondoberfläche. Langsam war ihr Flug und vorsichtig, als berge sie etwas Kostbares unter ihrem Schleier.

Um sie herum, die Umgebung gewissermaßen prüfend und sie vor zufälligen Störungen schützend, flog Fren, ihr Gatte, bald rechts oder links, oben oder unten. Das hinderte die beiden nicht, ihre Gedanken leise auszutauschen. Denn ihre Sprache war nicht an so geringe Entfernungen gebunden wie die des menschlichen Mundes. Zwar beruhten ihre Mitteilungen auch auf Luftschwingungen, aber ihre Organe waren ungleich empfindlicher als die der Menschen, ihre Verständigung bediente sich der mannigfachsten und feinsten Mittel.

Über blumengeschmückte Wiesen hinweg flog Fänu einem ausgedehnten Walde zu, dessen Bäume sich bis über zehn Meter hoch erhoben. Auf der Erde freilich würden diese Pflanzen als zierliche Ranken am Boden hinkriechen müssen, wenn sie nicht eine äußere Hilfe fänden. Bei der geringen Schwerkraft aber, die hier herrscht, konnten sie leicht ihr eigenes Gewicht tragen und strebten frei in die Luft, wo sie sich in zahllosen feinen Sprossen verzweigten und mit ihren vielfach gefiederten Blättern ein dichtes Laubdach bildeten.

Die Zweige dieser Ranken waren hier und da mit blauen Kelchen geschmückt, die in verschiedenen Entwicklungsstufen standen. Auch andere Pflanzengattungen zeigten sich zwischen den Rankenbäumen, kleinere Arten bedeckten den Boden, und eine mannigfaltige Tierwelt, wie eine bunte Gesellschaft seltsam gestalteter, freigewordener Blüten, kroch am Boden umher oder flatterte durch die Luft. Alle diese Tiere pflanzten sich wie die Idonen in einem Generationswechsel mit der Pflanzenwelt fort, jeder Tierform entsprach eine bestimmte Pflanzenform als Stammutter, und sie alle bildeten Vorstufen zu dem höchsten Produkt der Entwicklung, das der Neptunsmond hervorgebracht hatte, den Idonen.

»Schon sehe ich den Hügel der Mutter,« sagte Fänu. »Laß uns ein wenig rasten, ehe wir sie begrüßen.«

»Dort auf den Zweigen des Dunkelbaums,« antwortete Fren. »Kennst du ihn noch?«

Fänu schmiegte sich zärtlich an den Geliebten. »Wenn die Bilder der Frohgefühle kommen, um den Seelenreigen zu schlingen, dann sind sie bekränzt mit dem Spitzengewebe des Dunkelbaums.«

»Denn solchen Schmuck wand ich zuerst um diesen Gürtel, als ich das Glück gewann hier unter dem Baum.«

»Und nun magst du damit mich wieder zieren, da wir zum heiligen frohen Feste fliegen. Sieh, die Sichel ist schon schmal, bald werden wir im Schatten des Planeten sein.«

Sie blickten beide in die Ferne hinaus.

»Der Planet steht nicht mehr sehr hoch,« begann Fänu. »Ich möchte wieder einmal bis dahin reisen, wo sich sowohl der Planet als die Sonne ganz unter unserm Horizont befinden. Ich möchte wieder einmal Sterne sehen.«

»Das ist noch recht weit bis dahin,« sagte Fren. »Aber wir wollen daran denken. Was gefällt dir so Besonderes an den Sternen? Glänzen nicht überall bei uns funkelnde Lichter in den Wassern, am Boden, in der Luft?«

»Das sind nur Leuchten wie wir, höchstens wie wir. Aber die Sterne sind Welten, größer, prächtiger als der Boden, auf dem wir wohnen, größer zum Teil als unser Planet, der dort so machtvoll herüberwärmt. Wenn ich sie sehe in der großen, fremden Weite, so ist freilich dem Blicke scheinbar nicht mehr gegeben als hier in der vertrauten holden Nähe; aber unmittelbarer doch faßt es uns, daß so unendlich viel Glück lebt in der Welt. Glück überall in unzähligen Welten.«

»Woher willst du das wissen? Es gibt Gelehrte, die behaupten, daß die Sterne durchaus unbewohnbar seien, sogar die Planeten, die wie wir um unsre Sonne kreisen. Ja, sie sagen, daß es nirgends in der Welt vernünftige Wesen geben könne als auf unserm Lande, weil nur hier die Bedingungen zur Existenz der Idonen zusammentreffen.«

»So ein kluger Idone sollte lieber sogleich erklären, daß es überhaupt kein anderes vernünftiges Wesen geben könne als ihn selbst. Denn wozu erst die andern? Wenn die Vernunft nichts übrig hat für die andern Sterne, warum soll sie so verschwenderisch sein, hier bei uns mehr als das eine vernünftige Wesen, den einen weisen Idonen zu erzeugen? Und wozu jene großen Weltkörper, nahe der Sonne, in ihren Strahlen schwelgend, wenn sie nicht Organe ihres eigenen Wesens, ihrer Vernunft besitzen sollen? Oder meint der weise Mann vielleicht, daß die Planeten selbst keine bewußten, vernünftigen Wesen seien? Daß sie tot hinfliegen wie die stürzenden Trümmer am Gebirge? Daß etwa unser Planet da drüben keine Seele habe? Dann vielleicht auch nicht sein Trabant, auf dem wir wohnen? Dann auch nicht unsre Pflanzen, nicht unsre Mütter, nicht meine Mutter Bio, der ich entsprossen bin? Woher sollen unsre Seelen kommen, wenn nicht aus den Pflanzen, und woher die Pflanzen, wenn nicht aus dem Grunde, darin sie wurzeln?«

»Ereifere dich nicht zu sehr, Fänu. Wer zweifelt an der Seele unsres Planeten, und doch wohnen auf ihm keine bewußten Wesen wie wir.«

»Ach, Fren, verwirre dich nicht, mein Guter! Wer sind denn wir? Sind wir nicht diese bewußten Wesen? Daß wir nicht auf dem Planeten selbst wohnen, sondern auf seinem Monde, das macht doch nichts aus; das ist nur ein nebensächlicher Unterschied. Oder ist dieser Mond nicht bewohnt, weil es nicht jede Stelle ist, weil die fernen Hochwüsten im Norden nicht bewohnt sind? Ist nicht der Mond ein Teil des Planeten? Das haben wir doch schon in der ersten Jugend gelernt, daß wir hier nur wohnen, weil der Planet noch zu warm für uns ist, zu wenig fest. Wenn er sich aber abgekühlt hat, und es für uns hier zu frostig wird, dann werden wir auf ihn übersiedeln.«

»Du hast ja völlig recht, Liebste. Aber erinnerst du dich nicht des Buches von Kurla, das wir gelesen haben? Wie ein Idone auf einen Stern in der Nähe der Sonne verschlagen wird und dort als Herrscher riesenhafte Wesen trifft, die denken und reden können, aber nicht fliegen? Auch Pflanzen aller Art findet er dort, mächtige Bäume, schöne Blumen, unsichtbar kleine Zellen. Da beschreibt der Verfasser, wie die Herrscher des dortigen Planeten behaupten, daß die Pflanzen überhaupt keine Seele haben. Sie behandeln sie als Wesen ohne Bewußtsein, weil sie nicht mehr mit ihnen zu sprechen wissen. Denn sie haben sich in ihrer Entwicklung völlig von den Pflanzen getrennt, sie verstehen nicht mehr die Stimme des Planeten, die aus den Pflanzen spricht, und bilden sich ein, ihnen, den Herrschern allein, sei eine besondere Offenbarung geworden, die der ganzen Natur verschlossen ist. Erst müsse man das Leben ertöten, dann erst finde man die Seligkeit im Himmel.«

»Freilich erinnere ich mich. Jedoch ich meine, die Phantasie des Dichters, soweit sie nicht als reines Spiel ihren absoluten Wert hat, will hier wohl als Satire auftreten. Denn wenn in Wirklichkeit irgendwo solche Wesen existieren sollten, so wäre das ein Abweg der Natur, den die Vernunft selbst korrigieren wird. Entweder werden jene Wesen untergehen, weil sie den Zusammenhang mit der Natur verloren haben, oder sie werden ihn wiedergewinnen, indem sie ihren Irrtum durch Vernunft erkennen lernen.«

»So hat es sich auch der Dichter gedacht. Die Pflanzen finden ihr Recht.«

Fänu schauerte zusammen.

»Was ist dir?« fragte Fren besorgt.

»Huh! Ich dachte daran – wenn ich nun eine Frau auf solchem Planeten wäre, wie schrecklich müßte das sein! Denke nur.« Sie zog den Schleier sanft zusammen und fuhr fort: »Statt unsres stillen ruhegeborgenen Schatzes hier, der in seiner Hülle die Hoffnung unendlichen Lebens umfaßt, hielte ich dann ein kleines zappelndes Wesen, ein hilfloses Idonchen, das nicht sagen kann, was es will, das schreit und hungert –«

»Oder vielleicht auch lächelt und froh ist und uns beglückt.«

»Es müßte ja doch hinwelken, wovon sollte es leben? Entsetzlicher Gedanke! Diese fortwährende Sorge, die Bewachung des jungen Lebens, die Verantwortung für Ereignisse, über die wir keine Macht haben! Wo blieben da Ruhe und Glück? Unreife Dinger, deren wir uns eigentlich schämen müßten, hätten wir zu bejammern. Und diese lärmende, unzurechnungsfähige, rücksichtslose Gesellschaft würde uns in jeder höheren und freien Tätigkeit stören. Wo bliebe uns Zeit und Kraft übrig, die stolze Aufgabe des Idonenlebens zu erfüllen, ein Ich zu sein in voller Freiheit, das in seinem unverletzlichen Zusammenhange mit der Seele des ewigen Alls den großen Weltplan auf seine besondere Weise zu spiegeln sucht?«

»Du hast wohl recht, Liebling. Die Sorge um das kommende Geschlecht müßte so ganz alle Pflicht und Arbeit in Anspruch nehmen, daß Verständnis und Gefühl für das höchste Ziel nicht mehr gepflegt werden könnten. Daher blieb jene Aufgabe der Pflanze zugewiesen, wir aber haben genug zu tun. Denn es ist nicht leicht die Notwendigkeit zu begreifen, die in Sternen und Zellen waltet, und doch diese unendliche Macht frei aufzunehmen im Gefühle der Liebe, die uns mit allen Wesen vereint. Es ist nicht leicht, den Gott zu lieben in uns selbst, und doch nicht uns selbst zu sehen in dem Gotte.«

»Und es wäre unmöglich, Liebe zu hegen zugleich in Würde und in Freude, wenn diese Liebe das einzige Mittel der Natur sein müßte, sich zu erhalten. Und doch ist jedes Gefühl ohne Recht, das sich löst vom Zusammenhange der Natur. Darum ist es ein entsetzlicher Gedanke, daß die höchste Seligkeit der Liebe verhaftet sein soll mit einer Verantwortung für das kommende Geschlecht. Welcher Planet könnte eine solche Sinnlosigkeit aussinnen, eine Marter der Vernunft? Wenn es irgendwo solche unglückliche Frauen gibt, die lebendige Wesen ihrer eignen Art zur Welt bringen und sie hilflos sehen und pflegen müssen, dann wundert es mich nicht, wenn ein so naturbedrücktes Geschlecht seinen Gott nicht finden kann im ewigen Gesetz des Lebenswandels, wenn es ihn draußen sucht, jenseits des Lebens und der Liebe der Natur.«

»Es wäre ja möglich, daß manche Geschöpfe erst auf dem Umwege des Leidens zur Vernunft geführt werden.«

»Aber wie kann es Wesen geben, die ihresgleichen gebären? Wir alle müssen doch erst wieder hindurchgehen durch den Mondleib in den Pflanzenleib, und erst aus dem Pflanzenleib empfangen wir wieder die Kraft, zu schweben in der Freiheit des Idonenleibes. Und Leib und Seele sind doch untrennbar eines?«

»Das eben verstehen jene Wesen nicht, von denen der Dichter fabelt. Sie haben sich vom Bewußtsein des Mond- oder des Planetenleibes und des Pflanzenleibes getrennt, und nun können sie erst durch einen langen, langen Prozeß des Denkens und der Not wieder zur Einheit der Natur zurückgeführt werden.«

»Ich kann's nicht glauben. Stelle dir vor, unsre Eltern lebten noch gleichzeitig mit uns als Idonen, sie wären Intelligenzwesen wie wir, wir müßten auf einer Stufe mit ihnen leben, welche Fülle von hemmenden Bindungen wäre dadurch gegeben! Wie können jung und alt einander verstehen? Und hier sollten sie sich umeinander sorgen, hätten Verpflichtungen. Wie sollte da die Selbständigkeit des Denkens und Wollens bestehen? Tausend Konflikte der Natur und der Freiheit, tausend Schwierigkeiten des Lebens, ja zuletzt den Wunsch nach gegenseitiger Lösung sehe ich da sich notwendig ergeben. Wieviel glücklicher sind wir so gestellt! Unsre Pflanzenmutter steht friedlich im grünen Walde, dort lebt sie fort und wir leben auf unsere Weise in der Luft. Keiner stört den andern, denn jeder hat seinen eignen Weg und seine eigne Art zu gedeihen. Unsre Nachkommen kennen wir nicht, ihr Erbe wird ihnen von der Natur übergeben mit der ganzen Fülle des Erwerbes ihrer Vorfahren. Nicht als Mechanismus des Instinkts, sondern als Freiheit des Verstandes empfangen sie es, und ihren Dank richten sie an den Unendlichen. Mit unsrer Pflanzenmutter aber können wir sprechen, so oft es uns treibt, dem Gefühle Worte zu leihen, das dem Zusammenhange des ganzen Geschlechts im Bodengrunde der wurzelnden Rankenbäume gilt. Denn dort liegt unsre Kraft. Sie hat uns hervorgebildet aus der heiligen Urmutter unsres Sternes und uns den Vorrat dauernder Lebensmacht mitgegeben, ihn fröhlich zu nutzen in Luft und Arbeit des Geistes.«

»So laß uns aufbrechen, Fänu, zu deiner Mutter. Bio soll uns den Segen sprechen über unsern Schatz, ehe wir ihn zurückgeben dem Grunde des Lebens, daß er wieder als Pflanze gedeihe und Kraft gewinne für unsre Enkel.«

Sie flogen weiter und hatten bald ihr Ziel erreicht.


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