Kurd Laßwitz
Sternentau
Kurd Laßwitz

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Unsichtbare Früchte

Sigi hatte den Vater verabredetermaßen in der Weinstube von Borninger abgeholt. Eigentlich sollte Harda sie begleiten, aber die hatte sich noch gar nicht gezeigt, als Sigi das Haus verließ. Sie traf den Vater dort mit Frickhoff und zwei fremden Herrn, dem Vertreter von Hildenführ und dessen Patentanwalt, und mußte notgedrungen ein Glas und noch ein Glas mittrinken. Gleich sah sie dem Vater an, daß er alles durchgesetzt hatte, was er wollte; sie sah auch, daß die beiden fremden Herren Pommery nicht vertrugen. Das teilte sie Harda noch in Kürze unmittelbar vor Tische mit.

Kern war in vorzüglicher Laune. Er erzählte allerlei lustige Episoden aus seinen Verhandlungen mit den Vertretern von Hildenführ. In der Familie pflegte er sich sehr offen auszusprechen, das gehörte eben mit zu seiner Erholung. Anna Reiner störte dabei nicht, sie war wie ein Kind im Hause, wußte, daß nichts ausgeplaudert werden durfte, und hatte auch nicht einmal ein genügendes Verständnis und Interesse dafür. Minna hatte nach dem nächtlichen Ausbruch wieder ihren liebenswürdigen Tag. Innerlich war sie von Herzen froh über Hermanns Erfolg und seine Heiterkeit, denn sie hing ebenso mit inniger Liebe an ihm, wie sie ihn dadurch unter Umständen quälte. Ihre schönen Augen glänzten heute in ruhiger Freude. Sie lobte ehrlich die Tätigkeit des Doktor Eynitz, nach dessen Besuch Hermann gefragt hatte.

»Dem wird der Abschluß »H« auch gut tun,« lachte Kern gutmütig. »Die Nordbank kommt nun sicher, dafür wird Frickhoff sorgen. Im nächsten Jahr werden wir wohl fünfhundert Mann mehr haben. Möglich, daß wir dann unser gesamtes Krankenwesen in eigne Verwaltung nehmen. Das wäre eine Stellung für ihn. Natürlich muß er dann einen Assistenten bekommen.«

Harda beschloß, die Gelegenheit beim Schopfe zu ergreifen. Der Vater so wohlgemut, die ganze Familie zusammen, da konnte sie die Sache auf einmal abmachen und brauchte sich nicht den einzelnen zu erklären. Was sie etwa noch vom Vater speziell haben wollte, das würde sie schon zur rechten Zeit sagen.

»Weißt du,« knüpfte sie an, »daß der Doktor Werner Eynitz ursprünglich Botanik studieren wollte?«

»Also seid ihr Kollegen?« scherzte der Vater. »Da siehst du, daß einem das Abspringen recht gut ausschlagen kann. Nimm dir ein Beispiel.«

»Höre nur erst mal, ob du nicht Respekt vor mir bekommst. Ich habe nämlich eine neue Pflanze entdeckt.«

»Hoho! Du! Na, hoffentlich einen neuen Salat!«

»Wer weiß, was noch daraus wird. Der Doktor sagte, daß sie noch vollständig unbekannt sei. Und weißt du, was es ist? Das blaue Blümchen –«

»Die blaue Blume der Romantik,« parodierte Sigi sentimental mit verstellter Stimme.

»Du, das ist aber ein alter Zauber!« sagte der Vater.

»Erlaube!« rief Harda. »Ganz neu! Ros stellarius Kern. Sternentau, entdeckt von Harda Kern. Noch niemals auf dieser Erde gesehen!«

»Donnerwetter! Alle Achtung!« Kern amüsierte sich über Hardas lustige Grandezza.

Sigi stand schweigend auf und machte einen tiefen Knix vor ihrer Schwester. Alle brachen in ein herzliches Gelächter aus.

Nun erzählte Harda ganz kurz, wie Eynitz zur Untersuchung der Pflanze gekommen sei und wie sich die Eigentümlichkeit gezeigt hätte, daß die Früchte der Pflanze ganz spurlos verschwänden. Der Einfachheit wegen bezeichnete sie die Gametophyten schlechthin als Früchte, denn eine nähere Erklärung hielt sie nicht für nötig.

Der Vater neckte sie hartnäckig.

»Das ist ausgezeichnet. Und jetzt glaube ich, daß die Pflanze von dir entdeckt ist, wenn die Früchte verschwinden. Weißt du, das war früher an deinen Aprikosenbäumen auch immer so. Nu sag' aber mal, Mädel, nimmt denn der Doktor die Sache wirklich ernst?«

»Ja,« sagte Harda. »Es handelt sich nämlich dabei um ganz eigenartige Vorgänge in den Blüten, die nur mikroskopisch zu verfolgen sind. Und da möchte er gern einige Studien darüber machen. Er sagte auch, daß chemisch ganz neue Stoffe aufzutreten scheinen.«

Sie hatte sich erlaubt, Eynitz Worte ein wenig anders auszudrücken. Aber sie hatte den gewünschten Erfolg.

Der Vater bemerkte sogleich etwas ernsthafter:

»Das soll er ja mal gründlich untersuchen. Es kommen da manchmal in kleinsten Mengen Stoffe von größter Wichtigkeit zu Tage. Läßt sich deine Pflanze vielleicht anbauen? Hoffentlich kommt es dabei nicht auf die Früchte an. Das wäre fatal. Aber vielleicht gibt das Kraut ein gutes Viehfutter. Das soll er nur studieren. Sag mal im Ernste, Harda – der – wie nanntest du das Ding?«

»Sternentau.«

»Der Sternentau soll nur hier bei uns vorkommen? Das ist seltsam. Da wird es jedenfalls nicht lange dauern, und man wird ihn auch anderweitig auffinden. Wenn die Früchte wirklich verschwinden, so muß irgend ein unbekannter Prozeß zugrunde liegen. Wir wollen mal die Sache im Auge behalten. Der Doktor ist doch ein zuverlässiger Mann. Was stellt er sich denn darunter vor, daß die Früchte verschwinden? Es wird sich wohl um ein Zerstäuben in so kleine Körnchen handeln, daß man nichts davon merkt.«

»Es scheint doch nicht, sonst hätten sich mit dem Mikroskop irgend welche Spuren finden lassen müssen. Der Doktor glaubt eher, daß sich ein außerordentlich feines Gespinst bilde, das bei Tageslicht durchsichtig wie die Luft ist und davongetragen wird. Übrigens soll das eben erst näher erforscht werden.«

»Na, na,« sagte Minna. »Das schmeckt ein wenig nach dem Märchen von den unsichtbaren Kleidern des Königs«

»Und mir ist die Sache noch zu luftig,« lachte der Vater. »Aber ich werde mir mal den Doktor anhören. Wenn ihr etwa unsichtbare Gewebe fertig bringt, so kaufe ich euch das Patent ab. Na, Sigi, du bist wohl übergeschnappt?«

Sigi experimentierte nämlich aufs Komischste mit ihren Händen.

»Seht ihr denn nicht,« fragte sie ernsthaft, »was für wunderbar durchsichtige Handschuhe ich habe? Da kann man sämtliche Ringe darunter bewundern.«

»Amüsiert euch nur,« sagte Harda. »Es kann doch Stoffe geben, die während der Bearbeitung durch irgend ein Verfahren sichtbar gemacht werden können, dann aber wieder –«

»Verschwinden!« rief Sigi.

»Abwarten, Kleine!« drohte Harda.

»Na, dann schlaft wohl inzwischen!« sagte Kern, sich erhebend. »Das heißt, ich für mich wünsche wohl zu schlafen. Um vier Uhr den Landauer.«

Die Spazierfahrt war bei schönem Wetter das stehende Sonntagnachmittag-Programm.

Harda huschte hinauf in des Vaters Zimmer, wo sie noch vor ihm ankam. Hier ließ sie es sich nicht nehmen, ihm die Decke zu seinem Nachmittagsschläfchen zurecht zu rücken.

»Du, Vater,« sagte sie schmeichelnd, »ich brauche doch heute nachmittag nicht mit euch zu fahren.«

»Was hast du denn wieder ausgeklügelt, Herzel?«

»Ich möchte mal nach meinem Sternentau sehen, drüben auf dem Friedhof; ich bin die letzte Woche nicht hingekommen, und dort ist wahrscheinlich allerlei aufgeblüht. Ich habe nämlich dem Doktor versprochen, ihm etwas Material zu besorgen.«

Kern hatte eine Zeitung in die Hand genommen. Aber die Augen fielen ihm zu.

»Mach's nur, wie du willst,« sagte er müde. »Wir sind so schon vier im Wagen. Übrigens – ja – klingele doch hernach mal bei Eynitz an, ich ließe ihn fragen, ob er nicht heute abend bei uns – ich möchte doch – zum Abendessen –«

Mit der Zeitung in der Hand schlief er ein.

* * *

Der Wagen war fortgefahren.

Harda beeilte sich, das Haus zu verlassen, um nicht durch irgend eine Störung abgehalten zu werden. Den Auftrag des Vaters hatte sie ausgeführt; es war ihr sehr angenehm, daß ihre persönliche Einladung noch diese offizielle Form erhalten hatte. Überhaupt war sie mit dem Verlauf des Tages sehr zufrieden. Das Rätsel des Sternentaus hatte eine greifbarere Gestalt angenommen, es war zu einer Aufgabe geworden. Sie bestrebte sich bestimmte Fragen zu stellen, deren Antwort zu suchen war. Was ist aus den entschwundenen »Elfen« geworden? Wie kann man ihrer habhaft werden? Nur fort mit den mystischen Phantasieen! Hübsch nüchtern, wie der Doktor. Sicherlich handelt es sich um sogenannte Vorkeime, die dann die Sporen der neuen Generation entwickeln; im vorliegenden Falle lösen sie sich von der Pflanze und werden durch Gasblasen, die leichter als die Luft sind und im Dunkeln leuchten, aufs Ungewisse hinausgetrieben. Soviel wird an ihren Beobachtungen richtig sein. Was sie sonst gesehen und erlebt zu haben glaubte, das wird sie wohl in ihrer Erregung hinzugeträumt haben.

In solchen Gedanken schritt sie in den schönen, nicht zu heißen Junitag hinein unter dem Schatten der hohen Bäume, die an der Straße zwischen dem Park und dem Friedhof standen. Sie suchte zunächst die Stelle zu finden, wo sie in der Nacht die Blüten des Goldregens gesehen hatte, die der Wächter Gelimer für Gespenster erklärte. Es standen ja dadrüben auf dem Friedhof mehrere Sträucher. Aber ein Teil der goldenen Blütentrauben hatte schon abgeblüht, ein anderer hatte durch den Regen gelitten. Die Verteilung der hellen Stellen, die sie in der Nacht sich einzuprägen versucht hatte, konnte sie nicht mehr zustandebringen. Es schien ihr doch zweifelhaft, ob sie damals wirklich diese Blüten gesehen habe. Und da an der Existenz der leuchtenden »Elfen« des Sternentaus nicht zu zweifeln war, da doch vermutlich auch hier viele dieser Sendlinge des Pflänzchens sich entwickelt hatten, so mochten es wirklich diese gewesen sein, die Gelimer in Aufregung versetzt hatten. Aber das waren ja ganz harmlose Pflanzenprodukte.

Doch halt! Eines fiel ihr an dieser Stelle wieder ein. Das seltsame Verhalten des Hundes. Es war kein Zweifel, daß er einen Gegenstand gewittert hatte, den sie selbst nicht wahrnehmen konnte. Aber warum nicht? Diese »Elfen«, die ja, sobald sie nicht im Eigenlicht schimmerten, unsichtbar waren, konnten sehr wohl irgend einen schwachen Geruch ausströmen, der dem Menschen entging, der feinen Nase des Hundes aber bemerklich und verdächtig war. Das mußte sie doch Eynitz gelegentlich noch mitteilen.

Harda durchschritt nun das Tor des einsamen Friedhofs und suchte das Grab ihrer Mutter auf.

Sie brauchte kaum die Efeublätter zurückzubiegen, so sah sie schon eine reichliche Anzahl der blauen Sterne leuchten, die sich hier besonders günstig entwickelt hatten. Vermutlich war eben hier Lage und Boden viel zuträglicher als auf dem Berge unter der Buche, geschweige denn als in ihrem Zimmer. Und als sie nun niederkniete und unter dem Efeu näher Umschau hielt, fand sie zahlreiche Reste eingetrockneter Sporenkapseln. Es mußten also von hier aus eine ganze Schar Sternentau-Elfen in die Welt hinaus geflogen sein. Irgend etwas Neues vermochte sie nicht zu entdecken.

Jetzt löste sie vorsichtig eine größere Zahl der Pflänzchen mit geöffneten Sporenkapseln ab und pflanzte sie zugleich mit den Efeuzweigen, denen sie sich dicht angeschmiegt hatten, in das Erdreich, mit dem sie eine flache Schüssel am Boden des mitgebrachten Korbes bedeckt hatte. Er war dadurch ziemlich schwer geworden. Sie hob ihn auf die Bank, die in der Nähe des Grabes angebracht war, legte ihren Hut ab, und setzte sich ausruhend daneben. Es herrschte völliges Schweigen. Kein Mensch war in der Nähe. Nur die Insekten summten um die blühenden Sträucher.

Harda saß in stiller Andacht. Ihre erste Jugend zog an ihrem Auge vorüber, manche Erinnerung an ihre schöne, sanfte, gütige Mutter mit dem bleichen Antlitz. Wie schwer hatte sie gearbeitet, oft bis spät in die Nacht noch gerechnet und geschrieben, unermüdlich mit tätig am Werke und an den Sorgen des Gatten. Nun die glänzenden Früchte des Lebens reiften, war ihr nicht mehr beschieden, sich ihrer zu erfreuen. Zu erfreuen? Diese hastende Form des Erfolgs, wäre sie der Mutter, der stillen, sinnenden, wäre sie ihr reine Freude gewesen? Wäre es ihr nicht ergangen, wie es jetzt Harda selbst erging? Ein Tragen aus Pflicht mit einem Sehnen nach Freiheit?

Freiheit! Natürlich mußte sie in Pflichterfüllung bestehen. Also andere Pflichten! Eine Pflicht, wie sie dem eignen Wesen entspricht. Nicht dieses Hin- und Herwerfen von Moment zu Moment. Eine solche Aufgabe hatte sie jetzt, im Augenblick, aber wie lange? Was fand sie vielleicht schon zu Hause vor? Doch der Nachmittag gehörte ihr noch, vielleicht der Abend. Da würde vielleicht –

Was kam da für ein kühler Hauch von oben? Das war ja wieder das seltsame Gefühl wie neulich – Nein, sie wollte nicht träumen! Die Hand aber, die sie nach dem Kopfe erhob, fiel zurück in ihren Schoß. Wie ein sanfter, wohltätiger Dämmerzustand legte es sich über sie. Und vor ihren Augen stand wieder der Efeu um die Buche am Riesengrab. Wie man hinter der Spiegelscheibe eines Schaufensters mitten unter den Gegenständen der Auslage das Bild der Straße erblickt, bald das eine, bald das andre deutlicher je nach der Anpassung des Auges, so sah sie die Buche zwischen der Szenerie des Friedhofs, zugleich mit dem Efeu des Grabhügels. Es fiel ihr auch gar nicht ein, sich dagegen zu wehren, denn all ihre Aufmerksamkeit war gefangen genommen von den Vorstellungen, die sich wie die Worte eines Zwiegesprächs in ihrer Seele entwickelten.

»Harda ist bei dir, liebe Hedo? Wie bin ich froh, ich sorgte mich um sie. Zwei Viertel des Mondes sind vergangen, ohne daß ich von ihr erfuhr. Warum sprachst du nicht zu mir? Warum hast du mir nicht geantwortet?«

Harda wußte bestimmt, daß dies eine Äußerung des Efeus unter der Buche an diesen seinen Ableger war, den sie hier auf dem Friedhof von ihm gezogen hatte.

Auch ein Gefühl der Verwunderung stieg in ihr auf, daß der Efeu sprechen sollte. Aber das hatte keine weiteren Folgen, sie kam nicht zu selbständiger Überlegung. Ihr Gehirn stand ganz unter dem Einflusse einer Macht, die ihr das Gespräch der Pflanzen zum Bewußtsein brachte. Dem mußte sie sich hingeben.

»Ich konnte nicht sprechen,« antwortete der Efeu auf dem Grabhügel, »bis zu dieser Stunde nicht. Die fremde Pflanze mit den blauen Blüten verhinderte mich, sie hat sich mit ganz feinen Kletterfasern an mich geklammert. Sie sprach nicht, aber auch ich vermochte es nicht. Da kam Harda und schnitt viele der Blümchen ab und die Zweige, die sie umsponnen hatten. So wurde ich wieder freier, aber nur teilweise, ich fühle es. Mit der Pflanze ist etwas ganz Ungewöhnliches vorgegangen. O, sie beginnt wieder, mich zu hemmen, ich soll es nicht sagen.«

»Seltsam. Bei mir hat die fremde Pflanze noch nicht gesprochen. Es wird wohl mit ihr sein wie mit den ausländischen Sträuchern, von denen mir meine Freunde im Park erzählten. Den fremden Pflanzen, die manchmal von den Menschen hergesetzt werden, ist im Anfang der Boden ungewohnt. Sie haben Mühe, überhaupt ihre Nahrung zu gewinnen, dann erst lernen sie das Erdreich kennen und die feinen Pilzfasern, denen sie sich anzupassen haben. Nachher beginnen sie zu sprechen und uns zu verstehen. Ähnlich wird es wohl mit der fremden Pflanze auch noch kommen. Wir sind hier oben in der Entwicklung zurück gegen euch in eurer geschützten Lage. So lehrte mich die Schattende, an der ich hafte. Kannst du mir nicht sagen, was mit der fremden Pflanze geschah?«

Es kam keine Antwort.

Noch einmal begann der alte Efeu:

»Ich möchte so gern von dir wissen, ob Harda froh ist. Ich wünschte, daß sie hier wäre. Ich werde blühen. Ich bin aufgenommen in die große Gemeinschaft des Waldes. Ach, wenn Harda wüßte, wie schön es ist, zu blühen still für sich und doch zu wurzeln –«

Ganz plötzlich wich der Traumzustand von Harda. Es war, als ob sich etwas von ihrer Stirn löste, der kühle Hauch war verschwunden, verschwunden das Bild der Buche mit dem Efeu, unterbrochen die Rede, die sie zu vernehmen glaubte. Der helle Sommertag lag über den dicht umbuschten Grabsteinen mit ihrem Blumenschmuck, neben ihr stand der Korb mit Sternentau.

Harda strich sich mit den Händen über das Haar und setzte ihren Hut auf. Sie schüttelte den Kopf.

»Das ist doch toll!« dachte sie. »Schlafe ich denn wirklich so ruckweise ein? Aber das war ja ein ganz deutliches Gespräch, als ob sich wirklich zwei Pflanzen unterhalten könnten, und es käme irgend etwas zu mir, das mir ihre Sprache in Menschenworte übersetzte. Es ist ja Unsinn! Natürlich Traumzustand! Zentrale Reize! Aber ich fühle mich ganz gesund. Soll ich etwa mal den Doktor fragen? Damit er mich auslacht?«

Sie hob den Korb auf. Eigentlich wollte sie ihn nach Hause tragen. Aber es war ihr doch beschwerlich. Sie brachte ihn nur bis an das Häuschen des Friedhofswärters, dessen Frau sie zu Hause fand. Dort stellte sie ihn ein. Gelimer würde ihn abholen.

Auf dem Heimwege fiel ihr ein, daß sie jetzt sehr gut einmal nach dem Sternentau am Riesengrab sehen könne. Ob die Kapseln dort wirklich noch so unentwickelt waren, wie der Efeu in ihrem Traume angedeutet hatte? Sie mußte darüber lächeln, aber hin wollte sie doch. Zu Hause lief sie immer Gefahr, von einem Besuche gestört zu werden. Zum Tennis? Mochten die sich behelfen! Wenn sie Lust dazu bekam, blieb noch Zeit genug. Sie holte sich in ihrem Zimmer den Schlüssel zum Gatter, ergriff ein Buch von Solves und machte sich auf den Weg.

Ja, dort oben war der richtige Platz für ihre Stimmung. Dort wohnten die guten Geister ihres Lebens. Willkommen, alte Buche! Also drüben mit deinem Ableger auf dem Friedhofe kannst du dich unterhalten, mein getreuer Efeu? Wie nanntest du ihn doch? Ich habe sicher einen Namen gehört. War's nicht Hedo? Vielleicht auch gar mit dem Efeu in meinem Zimmer stehst du in Verbindung? Diese unterirdische Fernsprecherei ist etwas indiskret. Und du möchtest wissen, was dem Sternentau Absonderliches passiert ist? Ich will dir's sagen. Seine Kapseln sind ins Schleierhafte gegangen, unsichtbare Elfen sind herausgeflogen. Ja, jetzt habt ihr fliegende Pflanzen, die euch umschweben. Ach, das sollte dir Hedo gewiß nicht verraten? Na, da weißt du's jetzt. Hast du mich verstanden?

Der Efeu antwortete nicht. Er wußte kaum, daß Harda überhaupt sprach, nur daß sie da war, bemerkte er. Aber die Menschensprache war für ihn so fremd wie ihr die Pflanzensprache. Und ein Dolmetscher war nicht da.

Harda sah nach dem Sternentau. Wirklich, die Pflänzchen waren nur wenig stärker entwickelt als vor vierzehn Tagen. Und leere Kapseln fand sie trotz allen Suchens nicht. Hier waren noch keine Elfen ausgeflogen. Sie ließ sich auf der Bank nieder und schlug ihr Buch auf.


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