Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Lord Seymour an Doktor T.

O Gott, warum hindert Ihre Krankheit Sie, mich auf zween Tage zu sehen! Ich bin dem Unsinn und der Wut ganz nahe. Mein Bruder Rich, den Sie noch aus dem Hause des ersten Gemahls meiner Mutter kennen, ist mit aller seiner stoischen Philosophie, durch eben den Streich zur Erde gedrückt. In zween Tagen reisen wir in die schottischen Bleygebürge, um – o tötender Gedanke! um das Grab des ermordeten Fräuleins von Sternheim aufzusuchen, und ihren Körper in Dumfries prächtig beerdigen zu lassen. – Wie konntest du, ewige Vorsicht, wie konntest du dem verruchtesten Bösewicht das Beste, so du jemals der Erde gabst, preisgeben? Meine Leute machen Anstalten zu unserer Reise; ich kann nichts tun; ich ringe meine Hände wie ein tobender Mensch, und schlage sie tausendmal wider meine Brust und meinen Kopf. Derby, der Elende! hat die Frechheit zu sagen, um meinetwillen, aus Eifersucht über mich habe er das edelste, liebenswürdige Geschöpfe betrogen, unglücklich gemacht, und getötet. Er beheult es nun, der wütende Hund, er beheult es. Seine Ruchlosigkeit hat ihn an den Rand des frühen Grabes geführet, vor welchem er zittert, und das ihn vor der Rache schützt, die ich an ihm ausüben würde. Hören Sie, mein Freund, hören Sie das Fürchterlichste, so jemals der Tugend begegnete, und das Ärgste, so jemals die Bosheit ausüben konnte. – Sie wissen, daß ich vor vier Monaten krank mit Mylord Crafton nach England zurückkam, und gleich zu meiner Frau Mutter nach Seymour-House ging, dem Übel meines Körpers und meiner Seele nachzuhängen. Ich fragte endlich nach Derby, itzo Lord N., man sagte mir, daß er auf seinem Landhause zu Windsor krank liege. Ich wollte seine und meine Genesung abwarten; aber etliche Tage nach meiner Frage um ihn ließ er mich zu sich bitten. Ich war nicht wohl, und schlug es ab. Einige Tage hernach reisete ich zu meinem Bruder Rich, den ich freundschaftlich ebenso finster fand, als ich es selbst war. Die brüderliche Vertraulichkeit wurde ohnehin schon durch die funfzehn Jahre gehindert, die er älter ist als ich, und seine trockne Stille munterte mich nicht auf, eine Erleichterung bei ihm zu suchen. Wir brachten vierzehn Tage hin, ohne von was anders als unsern Reisen, und auch dieses nur abgebrochen, zu reden; bis wir endlich in einer Minute zur offenherzigen Sprache kamen, da ein Kammerdiener von Lord N. einen Brief an mich brachte, worin er mich bat, mit Lord Rich zu ihm zu kommen, in einer Sache, welche das Fräulein Sternheim beträfe; ich sollte dem Lord Rich nur sagen, daß es die Dame wäre, welche er bei Lady Summers gesehen, und welche von da entführt worden sei. Ich fuhr wie aus einem schreckenden Traume auf, und schrie nur dem Kerl zu, ich würde kommen. Meinen Bruder packte ich beim Arme, und fragte ihn auf eine hastige Art nach der jungen Dame, die er in Summerhall gesehen. Mit Bewegung fragte er: ob ich sie kenne, und was ich von ihr wisse? – Ich zeigte ihm das Billet, und erzählte ihm kurz von allem, was das ewig teure geliebte Fräulein anging; ebenso kurz, so unterbrochen, erzählte er, wie er sie gesehen und geliebt hätte; ging, mir ein Bildnis von ihr zu holen, und konnte mir nicht genug von ihrem Geiste, von ihren edlen Gesinnungen, von der Traurigkeit, womit sie beladen gewesen, sagen, besonders zur Zeit, da Derbys Heurat mit Lady Alton bekannt worden. Wir waren bald entschlossen, abzureisen, und kamen in Windsor an; Lord Rich tiefsinnig, aber gesetzt; ich voll Unruh, voller Vorsätze und Entschlüsse. Schauer und Hitze eines wütenden Fiebers befielen mich beim Eintritt in Derbys Haus. Mein Haß gegen ihn war so aufgebracht, daß ich seines elenden Aussehens und der sichtbaren Schwachheit, die ihn im Bette hielt, nicht achtete. Mit stummer Feindseligkeit sah ich ihn an; er heftete seine erstorbenen Augen mit einem flehenden Blick auf mich, und streckte seine abgezehrte, rotbrennende Hand gegen mich. »Seymour«, sagte er, »ich kenne dich; aller Haß deines Herzens liegt auf mir; – aber du weißt nicht, wie viel wütende Szenen in dieser Brust wegen dir entstanden sind.« Ich hatte ihm meine Hand nicht gegeben, und sagte mit Widerwillen und trotzigem Kopfschütteln: »Ich weiß keinen Anlaß dazu als die Ungleichheit unserer Grundsätze.« Derby antwortete: »Seymour! diesen Ton hättest du nicht, wenn ich gesund wäre, und der Stolz, mit dem du von deinen Grundsätzen sprichst, ist ein ebenso großes Vergehen als der Mißbrauch, den ich von meinen Talenten machte.« Lord Rich fiel ein: daß von allem diesen die Frage nicht sein könnte, und daß Lord Derby nur Nachricht von der entführten Dame geben möchte. »Ja, Lord Rich, Sie sollen sie haben«, sagte er; »es liegt mehr Menschlichkeit in Ihrer Kälte als in Seymours kochender Empfindlichkeit. Er mag Ihnen sagen, was in der ersten Zeit unserer Bekanntschaft mit dem Fräulein von Sternheim vorging. Wir liebten sie beide zum Unsinn; aber ich bemerkte zuerst ihren vorzüglichen Hang für ihn, und wandte alles an, ihn zu zerstören. Durch Verstellung und Ränke gelung es mir, sie unter der Verfolgung des Fürsten und der dummen Bedenklichkeit des Seymours durch eine falsche Vermählung in meine Gewalt zu bekommen. Aber mein Vergnügen dauerte nicht lange; ihr zu ernsthafter Charakter ermüdete mich, und ihre geheime Neigung gegen Seymour regte sich, sobald nur meine Gedanken im geringsten von dem ihrigen entfernet waren. Die Eifersucht machte mich rachgierig, und die Veränderung meiner Umstände, durch den Tod meines Bruders, gab mir Anlaß sie auszuüben. Ich verließ sie; doch reute es mich wenige Tage hernach, und ich schickte nach dem Dorfe, wo sie sich aufgehalten hatte, aber sie war fort. Lange wußte ich nichts von ihr, bis ich sie in England bei der Tante meiner Lady fand, wo ich sie nicht lassen konnte, und entführen ließ. Es jammerte mich ihrer schon damals, aber es war kein anders Mittel. – Mein Mißvergnügen mit der Lady Alton brachte die Sternheim in meine Erinnerung zurück. Ich dachte: sie ist mein, und um von dem elenden Leben im Gebürge loszukommen, wird sie gern in meine Arme eilen. Ich dachte es um so mehr, als ich wußte, daß sie mein von der Nancy Hatton zurückgelassenes Mädchen liebreich besorgte und erzog; ich schrieb es einer Art Neigung zu, und schickte ihr darauf mit angenehmen Vorschlägen meinen vertrauten Kerl ab; aber sie verwarf alles mit äußerstem Stolz und Bitterkeit.« Hier hielt er mit Stocken und Bewegung inne, sah bald mich, bald den Lord Rich an, bis ich mit stampfenden Füßen und mit Schreien den Verfolg seiner Erzählung foderte. – »Seymour! – Rich!« sagte er mit tiefen traurigen Ton, mit ringenden Händen und stotternd, »o wäre ich Elender selbst hin, und hätte ihre Vergebung und Liebe erflehet! Mein Kerl, der Hund, wollte sie zwingen zurückzugehen. – Er wußte, wie glücklich mich Gesellschaft gemacht hätte – er sperrete sie in ein altes verfallenes Gewölbe, worin sie zwölf Stunden lag, und – aus Kummer starb.« – »Sie starb«, schrie ich, »Teufel! Unmensch! Und du lebst noch nach diesem Mord? – Du lebst noch?« Lord Rich sagt, ich hätte die Stimme und das Ansehen der Raserei gehabt. Er fiel mir in die Arme, und riß mich weg in ein anderes Zimmer, lange brauchte er, mich zu besänftigen und zu dem Versprechen zu bringen, daß ich nicht reden wollte. – Er sagte: »Derby liegt auf der Folter der Reue und der Erinnerung unwiederbringlicher übel verwendeter Lebenstage; willt du deine Hand an den Gegenstand des göttlichen Gerichts legen? Glaube, mein Bruder, aller unser Schmerz ist süß gegen die Pein seiner Seele. – Mein Herz blutet über das unglückliche Schicksal der Sternheim; aber die Tugend und die Natur rächet sie an ihrem Verfolger; laß mich ihn, ich bitte dich, noch fragen, was er von uns gewollt hat; überwinde dich, sei großmütig, sei auch gegen das unglückliche Laster mitleidig!« Ich versprach's ihm, wollte aber bei der Unterredung zugegen sein. – Der elende Mensch heulte, da wir wieder zu ihm kamen, und foderte, daß wir nach Schottland reisen, den Körper des Engels ausgraben lassen, und ihn in einen zinnernen Sarg zu Dumfries beisetzen lassen sollten. Zweitausend Guineen will er auf ihr Grabmal verwenden, worauf die Beschreibung ihrer Tugenden und ihres Unglücks neben den Merkmalen seiner ewigen Reue aufgezeichnet werden soll. Er bat uns, nach D. Bericht davon zu geben; übergab uns alle Briefe, die er über sie an seinen Freund B. geschrieben hatte, und flehte uns, ihm zu schwören, daß wir unverzüglich abreisen wollten, damit er noch den Trost erleben möchte, daß dem Andenken der edelsten Seele eine öffentliche Ehrenbezeugung widerfahren sei. – Lord Rich redete ihm hierauf wenige pathetische Worte zu, und ich bezwang meinen mit der Wut kämpfenden Kummer; wir reisten sogleich ab; – morgens gehen wir nach Dumfries. – Was für eine Reise! – O Gott, was für eine Reise! –


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