Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Geschichte des Fräuleins von Sternheim

Sie sollen mir nicht danken, meine Freundin, daß ich so viel für Sie abschreibe. Sie wissen, daß ich das Glück hatte, mit der vortrefflichen Dame erzogen zu werden, aus deren Lebensbeschreibung ich Ihnen Auszüge und Abschriften von den Briefen mitteile, welche Mylord Seymour von seinen englischen Freunden und meiner Emilia sammelte. Glauben Sie, es ist ein Vergnügen für mein Herz, wenn ich mich mit etwas beschäftigen kann, wodurch das geheiligte Andenken der Tugend und Güte einer Person, welche unserm Geschlechte und der Menschheit Ehre gemacht, in mir erneuert wird.

Der Vater meiner geliebten Lady Sidney war der Oberste von Sternheim, einziger Sohn eines Professors in W., von welchem er die sorgfältigste Erziehung genoß. Edelmut, Größe des Geistes, Güte des Herzens, waren die Grundzüge seines Charakters. Auf der Universität L. verband ihn die Freundschaft mit dem jüngern Baron von P. so sehr, daß er nicht nur alle Reisen mit ihm machte, sondern auch aus Liebe zu ihm mit in Kriegsdienste trat. Durch seinen Umgang und durch sein Beispiel wurde der vorher unbändige Geist des Barons so biegsam und wohldenkend, daß die Familie dem jungen Mann dankte, der ihren geliebten Sohn auf die Wege des Guten gebracht hatte. Ein Zufall trennte sie. Der Baron mußte nach dem Tode seines ältern Bruders die Kriegsdienste verlassen, und sich zu Übernehmung der Güter und Verwaltung derselben geschickt machen. Sternheim, der von Offizieren und Gemeinen auf das vollkommenste geehrt und geliebt wurde, blieb im Dienste, und erhielt darin von dem Fürsten die Stelle eines Obersten, und den Adelstand. »Ihr Verdienst, nicht das Glück hat Sie erhoben«, sagte der General, als er ihm im Namen des Fürsten in Gegenwart vieler Personen das Obersten-Patent und den Adelsbrief überreichte; und nach dem allgemeinen Zeugnisse waren alle Feldzüge Gelegenheiten, wo er Großmut, Menschenliebe und Tapferkeit in vollem Maß ausübte.

Bei Herstellung des Friedens war sein erster Wunsch, seinen Freund zu sehen, mit welchem er immer Briefe gewechselt hatte. Sein Herz kannte keine andere Verbindung. Schon lange hatte er seinen Vater verloren; und da dieser selbst ein Fremdling in W. gewesen war, so blieben seinem Sohne keine nahe Verwandte von ihm übrig. Der Oberste von Sternheim ging also nach P., um daselbst das ruhige Vergnügen der Freundschaft zu genießen. Der Baron P., sein Freund, war mit einer liebenswürdigen Dame vermählt, und lebte mit seiner Mutter und zwoen Schwestern auf den schönen Gütern, die ihm sein Vater zurückgelassen, sehr glücklich. Die Familie von P., als eine der Angesehensten in der Gegend, wurde von dem zahlreichen benachbarten Adel öfters besucht. Der Baron P. gab wechselsweise Gesellschaft und kleine Feste; die einsamen Tage wurden mit Lesung guter Bücher, mit Bemühungen für die gute Verwaltung der Herrschaft, und mit edler anständiger Führung des Hauses zugebracht.

Zuweilen wurden auch kleine Konzerte gehalten, weil die jüngere Fräulein das Klavier, die ältere aber die Laute spielte, und schön sang, wobei sie von ihrem Bruder mit etlichen von seinen Leuten akkompagniert wurde. Der Gemütszustand des ältern Fräuleins störte dieses ruhige Glück. Sie war das einzige Kind, welches der Baron P. mit seiner ersten Gemahlin, einer Lady Watson, die er auf einer Gesandtschaft in England geheiratet, erzeugt hatte. Dieses Fräulein schien zu aller sanften Liebenswürdigkeit einer Engländerin auch den melancholischen Charakter, der diese Nation bezeichnet, von ihrer Mutter geerbt zu haben. Ein stiller Gram war auf ihrem Gesichte verbreitet. Sie liebte die Einsamkeit, verwendete sie aber allein auf fleißiges Lesen der besten Bücher; ohne gleichwohl die Gelegenheiten zu versäumen, wo sie, ohne fremde Gesellschaft, mit den Personen ihrer Familie allein sein konnte.

Der Baron, ihr Bruder, der sie zärtlich liebte, machte sich Kummer für ihre Gesundheit, er gab sich alle Mühe, sie zu zerstreuen, und die Ursache ihrer rührenden Traurigkeit zu erfahren.

Etlichemal bat er sie, ihr Herz einem treuen zärtlichen Bruder zu entdecken. Sie sah ihn bedenklich an, dankte ihm für seine Sorge, und bat ihn mit tränenden Augen, ihr ihr Geheimnis zu lassen, und sie zu lieben. Dieses machte ihn unruhig. Er besorgte, irgendein begangener Fehler möchte die Grundlage dieser Betrübtnis sein; beobachtete sie in allem auf das genaueste, konnte aber keine Spur entdecken, die ihm zu der geringsten Bestärkung einer solchen Besorgnis hätte leiten können.

Immer war sie unter seinen oder ihrer Mutter Augen, redete mit niemand im Hause, und vermied alle Arten von Umgang. Einige Zeit überwand sie sich, und blieb in Gesellschaft; und eine ruhige Munterkeit machte Hoffnung, daß der melancholische Anfall vorüber wäre.

Zu diesem Vergnügen der Familie, kam die unvermutete Ankunft des Obersten von Sternheim, von welchem diese ganze Familie so viel reden gehört, und in seinen Briefen die Vortrefflichkeit seines Geistes und Herzens bewundert hatte. Er überraschte sie abends in ihrem Garten; die Entzückung des Barons, und die neugierige Aufmerksamkeit der übrigen ist nicht zu beschreiben. Es währte auch nicht lange, so flößte sein edles liebreiches Betragen dem ganzen Hause eine gleiche Freude ein.

Der Oberste wurde als ein besonderer Freund des Hauses bei allen Bekannten vom Adel aufgeführt, und kam in alle ihre Gesellschaften.

In dem Hause des Barons machte er die Erzählung seines Lebens, worin er ohne Weitläuftigkeit das Merkwürdige und Nützliche, was er gesehen, mit vieler Anmut und mit dem männlichen Tone, der den weisen Mann und den Menschenfreund bezeichnet, vortrug. Ihm wurde hingegen das Gemälde vom Landleben gemacht, wobei bald der Baron von den Vorteilen, welche die Gegenwart des Herrn den Untertanen verschafft, bald die alte Dame von demjenigen Teil der ländlichen Wirtschaft, der die Familienmutter angeht, bald die beiden Fräulein von den angenehmen Ergötzlichkeiten sprachen, die das Landleben in jeder Jahrszeit anbietet. Auf diese Abschilderung folgte die Frage:

»Mein Freund, wollten Sie nicht die übrigen Tage Ihres Lebens auf dem Lande zubringen?«

»Ja, lieber Baron! aber es müßte auf meinen eignen Gütern und in der Nachbarschaft der Ihrigen sein.«

»Das kann leicht geschehen, denn es ist eine kleine Meile von hier ein artiges Gut zu kaufen; ich habe die Erlaubnis hinzugehen, wenn ich will; wir wollen es morgen besehen.«

Den Tag darauf ritten die beiden Herren dahin, in Begleitung es Pfarrers von P., eines sehr würdigen Mannes, von welchem die Damen die Beschreibung des rührenden Auftritts erhielten, der zwischen den beiden Freunden vorgefallen war.

Der Baron hatte dem Obersten das ganze Gut gewiesen, und führte ihn auch in das Haus, welches gleich an dem Garten und sehr artig gelegen war. Hier nahmen sie das Frühstück ein.

Der Oberste bezeugte seine Zufriedenheit über alles, was er gesehen, und fragte den Baron: ob es wahr sei, daß man dieses Gut kaufen könne?

»Ja, mein Freund; gefällt es Ihnen?«

»Vollkommen; es würde mich von nichts entfernen, was ich liebe.«

»O wie glücklich bin ich, teurer Freund«, sagte der Baron, da er ihn umarmte; »ich habe das Gut schon vor drei Jahren gekauft, um es Ihnen anzubieten; ich habe das Haus ausgebessert, und oft in diesem Kabinette für Ihre Erhaltung gebetet. Nun werde ich den Führer meiner Jugend zum Zeugen meines Lebens haben!«

Der Oberste wurde außerordentlich gerührt; er konnte seinen Dank und seine Freude über das edle Herz seines Freundes nicht genug ausdrücken; er versicherte ihn, daß er sein Leben in diesem Hause zubringen würde; aber zugleich verlangte er zu wissen, was das Gut gekostet habe. Der Baron mußte es sagen, und es auch durch die Kaufbriefe beweisen. Der Ertrag belief sich höher, als es nach dem Ankaufsschilling sein sollte. Der Baron versicherte aber, daß er nichts als seine eigne Auslage annehmen würde.

»Mein Freund (sagte er) ich habe nichts getan, als seit drei Jahren alle Einkünfte des Guts auf die Verbesserung und Verschönerung desselben verwendet. Das Vergnügen des Gedankens; du arbeitest für die Ruhetage des Besten der Menschen; hier wirst du ihn sehen, und in seiner Gesellschaft die glücklichen Zeiten deiner Jugend erneuern; sein Rat, sein Beispiel, wird zu der Zufriedenheit deiner Seele und dem Besten deiner Angehörigen beitragen – Diese Gedanken haben mich belohnt.«

Wie sie nach Hause kamen, stellte der Baron den Obersten als einen neuen Nachbar seiner Frau Mutter und seinen Schwestern vor. Alle wurden sehr froh über die Versicherung, seinen angenehmen Umgang auf immer zu genießen.

Er bezog sein Haus sogleich, als er Besitz von der kleinen Herrschaft genommen hatte, die nur aus zweien Dörfern bestund. Er gab auch ein Festin für die kleine Nachbarschaft, fing gleich darauf an zu bauen, setzte noch zween schöne Flügel an beide Seiten des Hauses, pflanzte Alleen und einen artigen Lustwald, alles in englischem Geschmack. Er betrieb diesen Bau mit dem größten Eifer. Gleichwohl hatte er von Zeit zu Zeit eine düstre Miene, die der Baron wahrnahm, ohne anfangs etwas davon merken zu lassen, bis er in dem folgenden Herbst einer Gemütsveränderung des Obersten überzeugt zu sein glaubte, bei welcher er nicht länger ruhig sein konnte. Sternheim kam nicht mehr so oft, redete weniger, und ging bald wieder weg. Seine Leute bedaurten die ungewöhnliche Melancholie, die ihren Herrn befallen hatte.

Der Baron wurde um so viel mehr bekümmert, als sein Herz von der zurückgefallnen Traurigkeit seiner ältern Schwester beklemmt war. Er ging zum Obersten, fand ihn allein und nachdenkend, umarmte ihn mit zärtlicher Wehmut, und rief aus: – »O mein Freund! wie nichtig sind auch die edelsten, die lautersten Freuden unsers Herzens! – Lange fehlte mir nichts als Ihre Gegenwart; nun seh ich Sie; ich habe Sie in meinen Armen, und sehe Sie traurig! Ihr Herz, Ihr Vertrauen ist nicht mehr für mich; haben Sie vielleicht der Freundschaft zu viel nachgegeben, indem Sie hier einen Wohnsitz nehmen? – Liebster bester Freund! quälen Sie sich nicht; Ihr Vergnügen ist mir teurer als mein eignes, ich nehme das Gut wieder an; es wird mir wert sein, weil es mir Ihr schätzbares Andenken, und Ihr Bild an allen Orten erneuern wird.

Hier hielt er inne; Tränen füllten sein Auge, welches auf dem Gesicht seines Freundes geheftet war – Er sah die größte Bewegung der Seele in demselben ausgedrückt. Der Oberste stund auf, und umfaßte den Baron. »Edler P., glauben Sie ja nicht, daß meine Freundschaft, mein Vertrauen gegen Sie vermindert sei; noch weniger denken Sie, daß mich die Entschließung gereue, meine Tage in Ihrer Nachbarschaft hinzubringen. – O Ihre Nachbarschaft ist mir lieber, als Sie sich vorstellen können! – Ich habe eine Leidenschaft zu bekämpfen, die mein Herz zum erstenmal angefallen hat. Ich hoffte, vernünftig und edelmütig zu sein; aber ich bin es noch nicht in aller der Stärke, welche der Zustand meiner Seele erfodert. Doch ist es nicht möglich, daß ich mit Ihnen davon spreche; mein Herz und die Einsamkeit sind die einzigen Vertrauten, die ich haben kann.«

Der Baron drückte ihn an seine Brust; »ich weiß«, sagte er, »daß Sie in allem wahrhaft sind, ich zweifle also nicht an den Versicherungen Ihrer alten Freundschaft. Aber warum kommen Sie so selten zu mir? Warum eilen Sie so kalt wieder aus meinem Hause?«

»Kalt, mein Freund! Kalt eile ich aus Ihrem Hause? O P.! Wenn Sie das brennende Verlangen kennten, das mich zu Ihnen führt; das mich stundenlang an meinem Fenster hält, wo ich das geliebte Haus sehe, in welchem alle mein Wünschen, all mein Vergnügen wohnt; Ach P.! –«

Der Baron P. wurde unruhig, weil ihm auf einige Augenblicke der Gedanke kam, sein Freund möchte vielleicht seine Gemahlin lieben, und meide deswegen sein Haus, weil er sich zu bestreiten suche. Er beschloß, achtsam und zurückhaltend zu sein. Der Oberste hatte still gesessen, und der Baron war auch aus seiner Fassung. Endlich fing der letztere an: »Mein Freund, Ihr Geheimnis ist mir heilig; ich will es nicht aus Ihrer Brust erpressen. Aber Sie haben mir Ursache gegeben zu denken, daß ein Teil dieses Geheimnisses mein Haus angehe: Darf ich nicht nach diesem Teile fragen?«

»Nein! Nein, fragen Sie nichts, und überlassen Sie mich mir selbst –« Der Baron schwieg, und reiste traurig und tiefsinnig fort.

Den andern Tag kam der Oberste, bat den Baron um Vergebung, daß er ihn gestern so trocken heimreisen lassen, und sagte, daß es ihn den ganzen Abend gequält hätte. »Lieber Baron«, setzte er hinzu, »Ehre und Edelmut binden meine Zunge! Zweifeln Sie nicht an meinem Herzen, und lieben Sie mich!«

Er blieb den ganzen Tag in P. – Fräulein Sophie und Fräulein Charlotte wurden von ihrem Bruder gebeten, alles zu Ermunterung seines Freundes beizutragen. Der Oberste hielt sich aber meistens um die alte Dame und die Gemahlin des Barons auf. Abends spielte Fräulein Charlotte die Laute, der Baron und zween Bediente akkompagnierten sie, und Fräulein Sophie wurde so inständig gebeten, zu singen, daß sie endlich nachgab.

Der Oberste stellte sich in ein Fenster, wo er bei halb zugezognem Vorhang das kleine Familien-Konzert anhörte, und so eingenommen wurde, nicht wahrzunehmen, daß die Gemahlin seines Freundes nahe genug bei ihm stund, um ihn sagen zu hören: »O Sophie, warum bist du die Schwester meines Freundes! Warum bestreiten die Vorzüge deiner Geburt die edle, die zärtliche Neigung meines Herzens! –«

Die Dame wurde bestürzt; und um die Verwirrung zu vermeiden, in die er geraten sein würde, wenn er hätte denken können, sie habe ihn gehört, entfernte sie sich; froh, ihrem Gemahl die Sorge benehmen zu können, die ihn wegen der Schwermut des Obersten plagte. – Sobald alles schlafen gegangen war, redete sie mit ihm von dieser Entdeckung. Der Baron verstund nun, was ihm der Oberste sagen wollte, da er sich wegen des vermeinten Kaltsinns verteidigte, dessen er beschuldigt wurde. »Wäre Ihnen der Oberste als Schwager ebenso lieb, wie er es Ihnen als mein Freund ist?« fragte er seine Gemahlin.

»Gewiß, mein Liebster! Sollte denn das Verdienst des rechtschaffnen Mannes nicht so viel Wert haben als die Vorzüge des Namens und der Geburt!«

»Werte edle Hälfte meines Lebens«, rief der Baron, »so helfen Sie mir die Vorurteile bei meiner Mama, und bei Sophien überwinden!«

»Ich fürchte die Vorurteile nicht so sehr als eine vorgefaßte Neigung, die unsre liebe Sophie in ihrem Herzen nährt. Ich kenne den Gegenstand nicht, aber sie liebt, und liebt schon lange. Kleine Aufsätze von Betrachtungen, von Klagen gegen das Schicksal, gegen Trennung – die ich in ihrem Schreibetische gefunden habe, überzeugten mich davon. Ich habe sie beobachtet, aber weiter nichts entdecken können.« »Ich will mit ihr reden«, sagte der Baron, »und sehen, ob ihr Herz nicht durch irgendeine Lücke auszuspähen ist.«

Den Morgen darauf ging der Baron zu Fräulein Sophie, und nach vielen freundlichen Fragen um ihre Gesundheit, nahm er ihre Hände in die seinigen. »Liebe teure Sophie«, sprach er, »du gibst mir Versicherung deines Wohlseins; aber warum bleibt dir die leidende Miene? Warum der Ton des Schmerzens; warum der Hang zur Einsamkeit; warum entfliehen diesem edeln gütigen Herzen so viele Seufzer? – O wenn du wüßtest, wie sehr du mich diese lange Zeit deiner Melancholie durch bekümmert hast; du würdest mir dein Herz nicht verschlossen haben!«

Hier wurde ihre Zärtlichkeit überwältiget. – Sie zog ihre Hände nicht weg, sie drückte ihres Bruders seine an ihre Brust, und ihr Kopf sank auf seine Schulter. »Bruder, du brichst mein Herz! Ich kann den Gedanken nicht ertragen, dir Kummer gemacht zu haben! Ich liebe dich wie mein Leben; ich bin glücklich, ertrage mich, und rede mir niemals vom Heiraten.«

»Warum das, mein Kind? Du würdest einen rechtschaffnen Mann so glücklich machen!«

»Ja, ein rechtschaffener Mann würde auch mich glücklich machen; aber ich kenne –« Tränen hinderten sie, mehr zu sagen. –

»O Sophie – hemme die aufrichtige Bewegung deiner Seele nicht; schütte ihre Empfindungen in den treuen Busen deines Bruders aus – Kind! ich glaube, es gibt einen Mann, den du liebst, mit dem dein Herz ein Bündnis hat.«

»Nein, Bruder! mein Herz hat kein Bündnis –«

»Ist dieses wahr, meine Sophie?«

»Ja, mein Bruder, ja – –«

Hier schloß sie der Baron in seine Arme. »Ach wenn du die entschloßne, die wohltätige Seele deiner Mutter hättest!«

Sie erstaunte. »Warum, mein Bruder? was willst du damit? Bin ich übeltätig gewesen?«

»Niemals, meine Liebe, niemals – aber du könntest es werden, wenn Vorurteile mehr als Tugend und Vernunft bei dir gälten.«

»Bruder, du verwirrest mich! In was für einem Falle sollte ich der Tugend und Vernunft entsagen?«

»Du mußt es nicht so nehmen! Der Fall, den ich denke, ist nicht wider Tugend und Vernunft; und doch könnten beide ihre Ansprüche bei dir verlieren?«

»Bruder, rede deutlich; ich bin entschlossen nach meinen geheimsten Empfindungen zu antworten –«

»Sophie, die Versicherung, daß dein Herz ohne Bündnis sei, erlaubt mir, dich zu fragen: was du tun würdest, wenn ein Mann, voll Weisheit und Tugend, dich liebte, um deine Hand bäte, aber nicht von altem Adel wäre?«

Sie geriet bei diesem letzten Wort in Schrecken, sie zitterte, und wußte sich nicht zu fassen. Der Baron wollte ihr Herz nicht lange quälen! sondern fuhr fort. »Wenn dieser Mann der Freund wäre, dem dein Bruder die Güte und Glückseligkeit seines Herzens zu danken hätte – Sophie; was würdest du tun?«


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