Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

Madam Leidens an Emilien

Nicht wahr, meine Emilia, es gibt Reiche, die eine Art von Mangel fühlen, welchen sie durch Häufung aller Arten von Ergötzlichkeiten zu heben suchen, und dennoch dem Übel nicht abhelfen können, weil sie von niemand unterrichtet wurden, daß unser Geist und Herz auch ihre Bedürfnisse haben, zu deren Befriedigung alles Gold von Indien, und alle schönen wollüstigen Kostbarkeiten Frankreichs nichts vermögen, weil die wahren Hülfsmittel dagegen allein in der Hand eines empfindungsvollen Freundes, und in einem lehrreichen und unterhaltenden Umgang zu finden sind. Wie klein ist die Anzahl glücklicher Reichen, welche diese Vorteile kennen? Würklich bin ich im Besitze mancher angenehmen Güter des Lebens, ich fühle den vergnügenden Reiz, welcher darin liegt, ich genieße die Geschenke des Glücks mit aller Empfindung, welche das Schicksal für diese Gaben fordern kann; aber es mangelt meinem Herzen der Busen einer vertrauten Freundin, in den es das Übermaß seiner Empfindungen ausgießen könnte. Ich bin beliebt; meine hie und da mit Bescheidenheit erscheinende Grundsätze ziehen mir Verehrung zu; das Gefühl der Schönheiten Schakspears, Thomsons, Addisons und Popes haben meinem Geiste eine neue lebendige Nahrung in den Unterhaltungen unsers Pfarrers und eines sehr philosophisch denkenden Edelmanns in der Nachbarschaft erworben. Die älteste Tochter des Pfarrers ist sanft, gefühlvoll, und dabei mit wahrem Verstande begabt; ich liebe sie; aber mitten in einer zärtlichen Umarmung empfinde ich, wie viel mein Herz noch zu wünschen hat, um den Ersatz für meine Emilia zu erhalten. Schelten Sie mich deswegen nicht undankbar; ich weiß, daß ich Ihre Freundschaft noch besitze, und die von der liebenswürdigen Emma zugleich habe; Ihnen schreibe ich von dem Teile meiner Seele, den ich hier nicht zeigen kann, und mit Emma rede ich von dem, der in dem Zirkel meines englischen Aufenthalts sichtbar wird; aber ich kann mich nicht verhindern die Länge des Weges abzumessen, den meine armen Briefe durchlaufen müssen, bis sie zu Ihnen kommen, und zu fühlen, daß diese Entfernung der liebsten Gewohnheit meines Herzens schmerzlich fällt. Vielleicht, meine Emilia, bin ich bestimmt die ganze Reihe moralischer Empfindnisse durchzugehen, und werde dadurch geschickt, mit schneller Genauigkeit ihre mannichfaltige Grade und Nuancen im Bittern und Süßen zu bemerken. Ich will mich auch diesem Teile meines Geschickes gerne unterwerfen, wenn ich nur zugleich den nämlichen Grad von Fühlbarkeit für alles Weh und Wohl meines Nächsten behalte, und, so viel ich kann, seine Leiden zu vermindern suche.

Lady Summers hat zu gleicher Zeit für ihre Ehre und für meinen vermuteten Stolz zu sorgen geglaubt, da sie mich als eine Person von sehr edlem Herkommen dargestellt hat, welche elternlos sich mit wenigem Vermögen verheuratet, und ihren Mann gleich wieder verloren hätte. Meine Hände, meine feine Wäsche und Spitzen, die in Feuer so schön gemalten Bildnisse meiner Eltern, und der Ton meines gesellschaftlichen Bezeugens haben mehr zu Bekräftigung dieser Idee beigetragen, als meine eigentliche Denkungsart hätte tun können. Aber ein schönes, und für die Tugend der Lady Summers fest errichtetes Denkmal ist der Glaube an die Reinigkeit meiner Sitten, in welche, weil sie mich liebt, keine Seele den geringsten Zweifel setzt; denn, sagt der Pfarrer, die Luftsäule, in welcher die Lady atme, wäre so moralisch geworden, daß der Lasterhafte sich ihr niemals nähern würde. Denken Sie nicht mit mir, daß dieses die erhabenste Stelle des wahren Ruhms ist? O was für ein Kenner der Menschen, des Guten und Edlen ist Ihr Mann, der mir in den ehrwürdigen Falten der Stirne meiner Lady alles dies zeigte, als er mir in ihrem Hause die Bestärkung meiner Tugend, und Übung meiner Geisteskräfte versprach! Lord Rich, der philosophische Edelmann, von dem ich im Anfange dieses Briefes schrieb, hat sein Haus nur eine Meile von hier; es ist ganz einfach, aber in dem edelsten Geschmacke gebauet. Die besten Auszierungen des Innern bestehen aus verschiedenen schönen Sammlungen von Naturalien, aus einem vollständigen Vorrat mathematischer Instrumenten, und einer großen Büchersammlung, worunter zwanzig Folianten sind, in denen er beinahe alle merkwürdige Pflanzen des Erdbodens mit eigner Hand getrocknet hat. Sein wohlangelegter Garten, in welchem er selbst arbeitet, und sein Park, der an den unsern stößt, haben uns das erstemal angelockt hinzugehen. Aber die simple deutliche Art, womit er uns alle seine Schätze vorlegte und benennte, die großen asiatischen Reisen, welche er gemacht, und seine weitläuftige Kenntnis schöner Wissenschaften machen seinen Umgang so reizend, daß die Lady selbst entschlossen ist, ihn öfters zu besuchen, weil es ihr, wie sie sagt, sehr erfreulich ist, nah an dem Abend ihres Lebens so ergötzende Blicke in die Schöpfung zu tun. Lord Rich, der bisher ganz einsam gelebet, und niemand als den Pfarrer zu sehen pflegte, ist sehr vergnügt über unsre Bekanntschaft, und kömmt oft zu uns. Sein Tun und Lassen scheint mit lauter Ruhe bezeichnet zu sein, gleich als ob seine Handlungen die Natur der Pflanzenwelt angenommen hätten, die unmerksam, aber unablässig arbeitet; doch dünkt mich auch, daß sein Geist den moralischen Teil der Schöpfung nun ebenso untersuchend betrachtet wie ehemals den physikalischen. Meine Emma, und meine Lady Summers gewinnen viel dabei; aber mich hat er schüchtern gemacht. Da ich letzthin seine Meinung über meine Gedanken wissen wollte, sagte er: »Gerne möchte ich von den Wurzeln der schönen Früchte Ihrer Empfindungen reden, aber wir erhalten sie nur von der Hand Ihrer Gefälligkeit, welche sie uns mitten aus dem dichten Nebel darbietet, der ihr ursprüngliches Land beständig umgibt.« – Ich fand mich in Verlegenheit, und wollte mir durch den Witz helfen lassen, der ihn fragte: ob er denn meinen Geist für benebelt hielte? – Er sah mich durchdringend und zärtlich an; »gewiß nicht auf die Art, wie Sie meinen«, sagte er; »beweist nicht diese Träne in Ihren Augen, daß ich recht hatte, da ich Ihren Geist für umwölkt hielte? Denn warum kann die kleinste Bewegung Ihrer Seele diesen Nebel, wovon ich rede, in Wassertropfen verwandeln? Aber, liebe Madam Leidens, ich will niemals mehr davon sprechen; aber fragen Sie auch mein Herz nicht mehr um sein Urteil von dem Ihrigen.«

Sehen Sie, Emilia, wie viel mir mit Ihnen fehlt; alle Empfindungen, die sich in mir zusammendrängen, würde ich Ihnen sagen; da wäre mein Herz erleichtert, und schien' nicht durch diesen bemerkten Nebel hindurch. Ich war froh, mich genug zu fassen, um ihm in seinem physikalischen Ton zu antworten, daß er glauben möchte, diese Wolken würden durch meine Umstände, und nicht durch die Natur meines Herzens hervorgebracht. »Ich bin es überzeugt«, sagte er, »auch sein Sie ruhig! Es gehört alle meine Beobachtung dazu, dieses feine Gewölke zu sehen. Andere sind nicht so aufmerksam und erfahren, als ich es bin.« Unsere Unterredung wurde durch Miß Emma unterbrochen, und Mylord Rich trägt seitdem Sorge, daß er mich nicht zu genau betrachtet.


 << zurück weiter >>