Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Lord Seymour an Doktor T.

Bester Freund, geben Sie mir Ihren Rat, um mich in dem Kummer zu erhalten, in welchen ich aufs neue, und, gewiß auf ewig gefallen bin! Sie wissen, daß ich meine Leidenschaft für das Fräulein von Sternheim ganz unterdrückt hatte, weil die Versicherung ihres niederträchtigen Bündnisses mit John ihren Geist und Charakter aller meiner Hochachtung beraubte. Ich fing auch an, eine ruhige und reizende Liebe zu kosten, indem ich meine ganze Zärtlichkeit dem Fräulein von C— widmete, und der ihrigen völlig versichert war: als mein Oheim unversehens den Befehl vom Hofe erhielt, eine Reise nach W. zu machen. Die Empfindlichkeit des liebenswürdigen Fräuleins von C— hatte vieles bei unserer Trennung zu leiden, und ich war ebenso traurig als sie. Mißvergnügt und murrend über die Fesseln, welche mir der Ehrgeiz meiner Familie, und die Zuneigung von Mylord Crafton anlegten, saß ich stumm und finster neben dem liebreichsten Manne, dessen feste Ruhe des Geistes meinen empörten Empfindungen ärgerlich war, so, daß ich der Geduld nicht achtete, mit welcher er meine Unart ertrug. Aber, mein Freund, stellen Sie sich, wenn es möglich ist, die Bewegungen vor, in die ich geriet, als wir den zweiten Tag abends bei sehr schlimmen Wetter, durch Versehen des Postillions, auf ein Dorf kamen, wo wir übernachten mußten, am Wirtshause anfuhren, und eben aussteigen wollten, als die Wirtin auf einmal anfing: »Was, Sie sind Engländer? fahren Sie fort, ich lasse Sie nicht in mein Haus; Sie können meinetwegen im Walde bleiben, aber meine Schwelle soll kein Engländer mehr betreten –« Während dem letztern Worte zog sie ihren Sohn, der wie ein wackerer Mensch aussah, und ihr immer zuredete, beim Arme gegen die Türe des Hauses, so sie zuschließen wollte. Der schreiende Unwille dieser Frau war seltsam genug, um mich aufmerksam zu machen; unsere Kerls schrien und zankten wieder, die Postillions auch. Mylord befahl unsern Leuten zu schweigen, und sagte zu mir: »Hier muß etwas Ernsthaftes vorgegangen sein, da es wichtig genug ist, die gewöhnliche Gewinnbegierde dieser Leute zu unterdrücken.«

Er rief der Frau freundlich zu: sie möchte ihm die Ursache sagen, warum sie uns nicht aufnehmen wollte?

»Weil die Engländer gewissenlose Leute sind, die sich nichts aus dem Unglücke der besten Menschen machen, und ich meine Tage keinen mehr beherbergen will; fahren Sie mit ihren schönen Worten nur fort, sie können alle so schöne Worte geben.«

Sie wandte sich von uns weg, und sagte zu ihrem Sohne, der ihr vermutlich wegen dem Gewinn zuredete. »Nein, und wenn sie meine Stube voll Gold steckten, so brech ich mein Gelübde nicht, das ich der lieben Dame wegen tat –«

Ich kochte vor Ungeduld; aber Mylord, der von seiner Parlamentsstelle her gewohnt war, den wütenden Aufwallungen des Pöbels nachzugeben, winkte ganz ruhig dem Sohne, und fragte ihn um die Ursache der Abneigung und der Vorwürfe seiner Mutter.

»Vor einem halben Jahre«, antwortete dieser, »führte ein Engländer seine Frau, eine schöne gütige Dame, zu uns; er ging weg und kam wieder, nachdem er viele Wochen weggewesen, indessen hatte die junge Frau, die immer sehr traurig war, meine Basen gekleidet, sie viele hübsche Sachen gelehret, und den Armen viel Gutes getan! Oh, sie war so sanft als ein Lamm; sogar mein Vater wurde sanft, seit sie in unserm Hause war; wir mußten sie alle lieben. Aber einen Tag, da der böse Lord lange weg gewesen, kam einer seiner Leute geritten, und sagte, er hätte Briefe an die Dame; wir fragten: ob sein Herr bald käme? ›Nein‹ – sagt' er, ›er kömmt nicht wieder; hier ist noch Geld für den übrigen Monat‹; und dies sagte er wild und trotzig wie ein böser Hund. Meiner Mutter ahndete nichts Gutes, und sie schlich sich in eine Nebenkammer, um auf den Brief zu horchen; da sah sie unsre liebe schöne Dame auf der Erde knien und weinen, und ihrem Kammermädchen erzählen: in dem Briefe stünde: ihre Heurat wäre falsch gewesen: der Bote, der ihn gebracht, wäre in einen Geistlichen verkleidet gewesen, und hätte sie eingesegnet; sie könne hin, wo sie wolle; da ist sie auch zwei Tage darauf fort; aber sie muß unterwegs gestorben sein, so krank und betrübt war sie; da will nun meine Mutter keinen Engländer mehr ins Haus aufnehmen.«

Mylord sah mich gerührt an:

»Carl, was sagt dein Herz zu dieser Erzählung?«

»O Mylord, es ist mein Fräulein Sternheim«, schrie ich, »aber der Bösewicht soll es bezahlen! Aufsuchen will ich ihn; es ist Derby; kein andrer ist dieser Grausamkeit fähig.«

»Junger Freund«, sagte Mylord dem Sohne der Wirtin; »sag Er seiner Mutter: sie hätte recht, den bösen Engländer zu hassen; auch soll er vom König nach der Schärfe abgestraft werden. Aber mach Er, daß ich ins Haus komme.«

»Steigen Sie aus, ich will meine Mutter befriedigen.

Er lief hinein, und bald darauf kam uns die Frau selbst entgegen: »Wenn Sie den abscheulichen Mann recht strafen wollen, wie Sie sagen, so kommen Sie, ich will Ihnen alles erzählen, wie es war; Sie sind ein alter Herr, gnädiger Lord, Sie können das Unrecht junger Leute gut einsehen, machen Sie ein Exempel aus dem bösen Mann, er könnte noch viele Streiche anfangen.«

Still, und langsam folgte ich ihr und Mylorden die Treppe hinauf. »Hier«, sagte sie oben, »hier ist der liebe Engel gestanden, wie ihr Herr das erstemal kam, sie zu besuchen, nun, er herzte sie recht schön, und sie hatte ihre lieben Hände so hübsch nach ihm ausgestreckt, daß mich ihre Einigkeit freute; aber sie redte so sanft und wenig, und er so laut, seine Augen waren so groß, und beschauten sie so geschwind, er rufte auch gleich so viel nach seinen Kerls, daß man wohl daraus hätte etwas vermuten können. Mein Mann war wild, doch hat er im Anfange allezeit leise und freundlich geredt, und geblinzelt; aber man denkt, jeder Mensch hat seine Weise, und wie sollte einem einfallen: daß man ein schönes frommes Tugendbild betrügen könne?«

Nun waren wir im Zimmer, wo ihre Kammerfrau gewohnt hatte; hernach wies sie uns das von der Dame; sie rufte Gretchen, die sich hinsetzen und zeigen mußte, wo die Dame gesessen, wie sie die Mädchen gelehrt hätte; hernach nahm sie ein Bild von der Wand, und sagte: »Da, mein Gärtchen, meine Bienengestelle, und das Stück Matte, wo meine Kühe auf der Weide gingen, zeichnete sie.« Indem sie es Mylorden hingab, küßte sie das Stück, und sagte mit Weinen: »Du liebe, liebe Dame, Gott habe dich selig, denn du lebst gewiß nicht mehr.«

Ein einziger Blick überzeugte mich völlig: daß es die Sternheim gemacht hatte; die richtigen Umrisse, die feinen Schattierungen erkannte ich; mein Herz wurde beklemmt; ich mußte mich setzen; Tränen füllten meine Augen; das Schicksal des edlen Mädchens, die rauhe, aber herzliche Liebe dieser Frau rührten mich; es gefiel ihr, sie klopfte mich auf die Achsel: »Das ist recht, daß Sie betrübt sind, bitten Sie Gott um ein gutes Herz, daß Sie niemanden verführen; denn Sie sind auch ein Engländer, und ein hübscher Mensch; Sie können einem in die Augen gehen.«

Nun mußte das Mädchen und der Sohn, und die übrigen Leute erzählen, wie gut die Dame gewesen, und was sie gemacht hatte; dann wies sie uns das Schlafzimmer. »Seit dem Brief«, fuhr sie fort, »ist sie nicht mehr hineingegangen, sondern schlief im Bette ihrer Jungfer; ich denke es wohl, wer möchte noch unter der Decke eines Spitzbuben schlafen? – Hier ist der Schrank, worein sie alle Kostbarkeiten von Gold, von Geschmeide, oh, gar viele Sachen legte, die er ihr mitgebracht hatte, und die ich ihm zurückgeben sollte; denn sie nahm nichts davon mit; zween Tage nachdem sie weg war, kam wieder ein Brief; er wolle kommen, sagte der Mensch; aber ich gab ihm seinen Pack Sachen, und schaffte ihn aus dem Hause.«

Mylord fragte sie noch genauer um alles, was geschehen war; halb hörte ich's, halb nicht; ich war außer mir; und da die Frau nicht sagen konnte: wo die Dame hingereiset wäre; so war mir am übrigen nichts gelegen. Ich hatte genug gehöret, um in Mitleiden zu zerschmelzen, und das geliebte Bild der leidenden Tugend mit erneuerter Zärtlichkeit in meine Seele zu fassen. Ich nahm das Zimmer ihrer Jungfer, weil ich darin den Platz bemerket hatte, wo sie gekniet, wo sie den unaussprechlichen Schmerzen gefühlt hatte, betrogen und verlassen zu sein. Derbys Schlafzimmer gab mir den nämlichen Abscheu wie ihr selbst, und ich warf mich unausgekleidet mit halb zerrütteten Sinnen auf das Bette, worin Sternheim so kummervolle Nächte zugebracht hatte. Trostlose Zärtlichkeit, und ein Gemische von bitterm Vergnügen bemächtigten sich meiner mit der Empfindung, welche mir sagte: hier lag das liebenswürdige Geschöpfe, in dessen Armen ich alle meine Glückseligkeit gefunden hätte; hier beweinte ihr blutendes Herz die Treulosigkeit des verruchtesten Bösewichts! Und ich – o Sternheim, ich beweine dein Schicksal, deinen Verlust, und meine verdammte Saumseligkeit, deine Liebe für mich zu gewinnen! – Vergnügen, ja ein schmerzhaftes Vergnügen genoß ich bei dem Gedanken: daß meine verzweiflungsvolle Tränen noch die Spuren der ihrigen antreffen, und sich mit ihnen vereinigen würden. Ich stand auf, ich kniete auf den nämlichen Platz, wo der stumme zerreißende Jammer über ihre Erniedrigung sie hingeworfen hatte; wo sie sich Vorwürfe über das blinde Vertrauen machte, womit sie sich dem grausamsten Manne ergab, und wo – ich ihrem Andenken schwur: sie zu rächen.

O mein Freund, warum, warum konnte Ihre Weisheit meinen Mut nicht stählen? – Wie elend, wie beklagungswert war ich, da ich mit ihr jeden Augenblick verfluchte, worin sie das Eigentum von Derby war! alle ihre Schönheit, alle ihre Reize sein Eigentum waren! Sie liebte ihn; sie empfing ihn mit offenen Armen an der Treppe. – Wie war es möglich: daß die edle reine Güte ihres Herzens den gefühllosen boshaften Menschen lieben konnte? –

Ich habe das kleine Hauptküssen vom Sohn der Wirtin gekauft; ihr Kopf hatte sich mit der nämlichen Bedrängnis darauf gewälzt wie meiner; ihre und meine Tränen haben es benetzt; ihr Unglück hat meine Seele auf ewig an sie gefesselt; von ihr getrennt, vielleicht auf immer getrennt, mußten sich in dieser armen Hütte die sympathetischen Bande ganz in meine Seele verwinden, welche mich stärker zu ihr als zu allem, was ich jemals geliebt habe, zogen.

Mylord fand mich am Morgen in einem Fieber; sein Wundarzt mußte mir eine Ader öffnen, und eine Stunde hernach folgte ich ihm in dem Wagen, nachdem ich die kleine Zeichnung des Gärtchens geraubt, und dem Mädchen, welches die Schülerin meiner Sternheim gewesen, einige Guineen zugeworfen hatte.

Die Kälte, welche die Politik ohnvermerkt bald in größerem, bald in kleinerem Maße auch in das wärmste Herz zu gießen pflegt, und es über einzelne Übel hinausgehen heißt, gab Mylorden eine Menge Vernunftgründe ein, womit er mich zu zerstreuen, und gegen meinen Kummer und Zorn zu bewaffnen suchte. Ich mußte ihn anhören und schweigen; aber nachts hielt mich mein Küssen schadlos; ich zehrte mich ab, und erschöpfte mich. Mein Schmerz ist ruhiger, und meine Kräfte erholen sich in dem Vorsatze, das Unglück des Fräuleins an Derby zu rächen, wenn er auch den ersten Rang des Königreichs besitzen sollte. Beobachten Sie ihn, wenn Sie nach London kommen, ob Sie nicht Spuren von Unruhe und quälender Reue an ihm sehen. Ewigkeiten durch möchte ich ihm die Marter der Reue empfinden lassen, dem ewig hassenswürdigen Mann!

Ich gebe mir alle mögliche Mühe, die Folgen des Schicksals des Fräuleins zu erfahren, aber bis itzt war alles vergeblich; so wie Ihre Bemühungen vergeblich sein werden, wenn Sie ihr Andenken in mir auslöschen wollten; – mein Kummer um sie ist meine Freude, und mein einziges Vergnügen geworden.


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