Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Dritter Brief

Alles, was Sie in meinem letztern Briefe gesehen haben, ist, daß Mylord Seymour seine beste Freundin in mir gefunden hat; und mein lieber Pflegvater betet für mich, weil es für menschliche Kräfte das einzige ist, das man nun für mich tun kann.

Emilia, Sie lieben mich; Sie kennen mich, und Sie dachten nicht an den Kummer, den mir dieser so viel bedeutende Gedanke Ihres Vaters geben konnte?

Ich erkenne alles; die lebhafte Hochachtung, welche ich für die Verdienste, für die Vorzüge des Charakters vom Mylord Seymour gezeigt habe, macht Sie besorgt für mich. Sein Sie ruhig, werte Freunde! Aller Anteil, den ich je an Mylord Seymour nehmen kann, ist der, den mir meine Liebe für das Fräulein C* gibt; denn diese ist's, die er liebt; diese ist's, die er glücklich machen wird. Der Teil, den ich davon genieße, ist allein die Freude, die ein edles Herz in der Zufriedenheit seiner Freunde und in der Betrachtung der guten Eigenschaften seiner Nebenmenschen findt.

Noch eins, meine Emilia, ist für mich dabei: Weil ich von der Würklichkeit eines vollkommenen, edlen, gütigen und weisen, liebenswürdigen Mannes überzeugt bin, so wird der Niederträchtige, oder der bloße Witzling und der nur allein artige Mann niemals, niemals keine Gewalt über mein Herz erhalten; und dies ist viel Vorteil, den ich von der Bekanntschaft des Mylords habe.

Ich bedaure, daß die Krankheit des rechten Arms Ihres Papa ihm nicht zuläßt selbst an mich zu schreiben; nicht weil ich mit Ihren Briefen unzufrieden bin, sondern weil er mir mehr von seinen eignen Gedanken über mich sagen würde als Sie. Ich hoffe, der Zufall verliert sich, und dann bitte ich ihn, es zu tun.

Gestern waren wir bei einer großen Mittagstafel bei Mylord G. Der Graf F. kam nachmittags dazu, und noch abends spät reiseten alle zum Fürsten. Der Graf ist ein angenehmer Mann von vielem Verstand. Seine Gemahlin führte ihn zu mir; »da reden Sie selbst mit meinem Liebling«, sprach sie, »und sagen: ob ich unrecht habe, mir eine solche Tochter zu wünschen?« Er sagte mir sehr viel Höfliches, beobachtete mich aber dabei mit einer Aufmerksamkeit, die mich sonderbar dünkte, und mich beinahe aus aller Fassung brachte.

Mylord Seymour hatte an der Tafel seinen Platz zwischen dem Fräulein C* und mir bekommen, sich meistens nur mit uns unterhalten, auch beim Kaffee uns beide mit der liebenswürdigsten Galanterie bedient, englische Verse auf Karten geschrieben, und mich gebeten, sie dem Fräulein zu übersetzen. Wie die Gräfin F. ihren Gemahl zu mir führte, entfernten sich beide in etwas und redeten lang an einem andern Fenster. Der Graf begab sich von mir zu Mylord G., und nahm im Weggehen Mylord Seymour am Arm mit sich zu dem ersten hin. Das Fräulein C* und ich gingen, die mit Gemälden und Kupferstichen ausgezierten Zimmer zu besehen, bis man uns zum Spielen holte. In der Zwischenzeit redeten Graf F. und Mylord G. mit mir von meinem Vater, welchen F. sehr wohl gekannt hatte, und von meiner Großmutter Watson, die er gleich bei ihrer Ankunft gesehen hatte, und von welcher er behauptete, daß ich viele Ähnlichkeit mit ihr hätte. Mylord S. war neben dem Fräulein C*, sah ernsthaft und nachdenklich aus, und es schien mir, als ob seine Augen einigemal mit einer Art von Schmerzen auf mich und die beiden Herren geheftet wären. Das Getrippel vieler Leute, das man auf einmal in der Straße hörete, machte alles an die Fenster laufen. Ich ging an das, wo Mylord Seymour und das Fräulein C* standen. Es waren Leute, die von einer kleinen, aber sehr artig angestellten Spazierfahrt des Fürsten auf dem Wasser, zurückekamen, welche zu sehen sie haufenweise gegangen waren. Da ich sehr viele in armseliger Gestalt und Kleidung, und uns hingegen in möglichstes Pracht, und die Menge Goldes auf den Spieltischen zerstreut sah; das Fräulein C* aber von einem dergleichen Festin erzählte, dessen Aufwand berechnete, und auch die unzähliche Menge Volks anführte, die von allen Orten herzugelaufen, es zu sehen; kam ich in Bewegung, und sagte: »O wie wenig bin ich für diese Ergötzlichkeiten geschaffen!«

»Warum das? Wenn Sie es einmal sehen, werden Sie ganz anders denken.« (Mylord Seymour war die ganze Zeit still und kalt.) »Nein, meine liebe C*, ich werde nicht anders denken, sobald ich die Pracht des Festins, des Hofes, das auf den Spieltischen verschleuderte Gold neben einer Menge Elender, welche Hunger und Bedürfnis im abgezehrten Gesichte und in den zerrißnen Kleidern zeigen, sehen werde! Dieser Kontrast wird meine Seele mit Jammer erfüllen; ich werde mein eignes glückliches Aussehen, und das von andern hassen; der Fürst und sein Hof werden mir eine Gesellschaft unmenschlicher Personen scheinen, die ein Vergnügen in dem unermeßlichen Unterschied finden, der zwischen ihnen und denenjenigen ist, die ihrem Übermut zusehen.«

»Liebes, liebes Kind; was für eine eifrige Strafpredigt halten Sie da!« sagte das Fräulein; »reden Sie nicht so stark!« »Liebe C*, mein Herz ist aufgewallt. Die Gräfin F. machte gestern so viel Rühmens von der großen Freigebigkeit des Fürsten; und heute sehe ich so viele Unglückliche!«

Das Fräulein hielt meine Hände: »St. st.« Mylord Seymour hatte mich mit ernstem unverwandtem Blick betrachtet, und erhob seine Hand gegen mich: »Edles rechtschaffenes Herz!« sagte er. »Fräulein C*, lieben Sie ihre Freundin, sie verdient's! Aber«, setzte er hinzu, »Sie müssen den Fürsten nicht verurteilen; man unterrichtet die großen Herren sehr selten von dem wahren Zustande ihrer Untertanen.«

»Ich will es glauben«, versetzte ich; »aber Mylord, stand nicht das Volk am Ufer, wo die Schiffahrt war? Hat der Fürst nicht Augen, die ihm ohne fremden Unterricht tausend Gegenstände seines Mitleidens zeigen konnten? Warum fühlte er nichts dabei?«

»Teures Fräulein; wie schön ist Ihr Eifer! Zeigen Sie ihn aber nur bei dem Fräulein C*.«

Hier rief Mylord G. seinen Vetter ab, und kurz darauf gingen wir nach Hause.

Heute spielte meine Tante eine seltsame Szene mit mir. Sie kam, sobald ich angezogen war, in mein Zimmer, wo ich schon bei meinen Büchern saß. »Ich bin eifersüchtig auf deine Bücher«, sagte sie, »du stehst früh auf, und bist gleich angezogen; da könntest du zu mir kommen; du weißt, wie gern ich mich mit dir unterrede. Dein Oncle ist immer mit seinen düstern Prozeßsachen geplagt; ich arme Frau muß schon wieder an ein Wochenbette denken, und du unfreundliches Mädchen bringst den ganzen Morgen mit deinen trocknen Moralisten hin. Schenke mir die Stunde, und gib mir deine ernsthafte Herren zum Unterpfand.«

»Meine Tante, ich will gerne zu Ihnen kommen; aber meine besten Freunde kann ich nicht von mir entfernt wissen.«

»Komme immer mit, wir wollen in meinem Zimmer zanken.«

Sie setzte sich an ihren Putztisch; da hatte ich auf eine Viertelstunde Unterhalt mit ihren beiden artigen Knaben, die um diese Tagszeit die Erlaubnis haben, ihre Mama zu sehen. Aber sobald sie fort waren, so blieb ich recht einfältig da sitzen, sah der außerordentlichen Mühe zu, die sie sich um ihren Putz gab, und hörte Hoferzählungen an, die mir mißfielen; Ehrgeiz und Liebes-Intrigen, Tadel, Satiren, aufgetürmte Ideen zu dem Glücksbau meines Oncles. »Sei doch recht gefällig gegen die Gräfin F.«, setzte sie hinzu; »du kannst deinem Oncle große Dienste tun, und selbst ein ansehnliches Glück machen.«

»Dies sehe und wünsche ich nicht, meine Tante; aber was ich für Sie tun kann, soll geschehen.«

»Liebste Sophie, du bist eines der reizendesten Mädchen; aber der alte Pfarrer hat dir eine Menge pedantische Ideen gegeben, die mich plagen. Laß dich ein wenig davon zurückbringen.«

»Ich bin überzeugt, meine Frau Tante, daß das Hofleben für meinen Charakter nicht taugt; mein Geschmack, meine Neigungen gehen in allem davon ab; und ich bekenne Ihnen, gnädige Tante, daß ich froher abreisen werde, als ich hergekommen bin.«

»Du kennest ja den Hof noch nicht; wenn der Fürst kömmt, dann lebt alles auf. Dann will ich dein Urteil hören! Und mache dich nur gefaßt; du kömmst vor künftigem Frühjahr nicht aufs Land.«

»O ja, meine gnädige Tante, auf den Herbst geh ich zur Gräfin R., sobald sie zurückgekommen sein wird.«

»Und mein Wochenbette soll ich allein ohne dich halten müssen?«

Sie sah mich zärtlich an, indem sie dies sagte, und reichte mir die Hand. Ich küßte ihre Hand, versicherte sie, bei ihr zu bleiben, wenn diese Zeit käme.

Vor der Tafel ging ich in mein Zimmer. Da fand ich meine Büchergestelle leer: »Was ist dies, Rosine?« Der Graf, sagte sie, wäre gekommen, und hätte alles wegnehmen lassen. Es wäre ein Spaß von der Gräfin, hätte er gesagt.

Ein unartiger Spaß, der sie nichts nützen wird; denn ich will desto mehr schreiben; neue Bücher will ich nicht kaufen, um sie nicht über meinen Eigensinn böse zu machen. O wenn nur meine Tante R. bald käme! Zu dieser, Emilia, zu dieser geh ich mit Vergnügen. Sie ist zärtlich, ruhig, sucht und findet in den Schönheiten der Natur, in den Wissenschaften und in guten Handlungen das Maß von Zufriedenheit, das man hier sucht, wo man es nicht findet, und darüber das Leben vertändelt.

Mein Fräulein C* hat Lektion im Englischen angenommen; ich denke, sie wird bald lernen. Sie weiß schon viele, lauter zärtliche Redensarten, an denen ich den Lehrmeister erkenne. Sie hat mit uns gespeist. Ich klagte meine Tante, über ihren Bücherraub, im Scherz an. Das Fräulein stund ihr bei: »Das ist gut ausgedacht«, sagte sie, »Wir wollen sehen, was der Geist unsrer Sternheim macht, wenn sie ohne Führer, ohne Ausleger mit uns lebt.« Ich lachte mit, und sagte: »Ich verlasse mich auf den rechtschaffenen Gelehrten, der einmal sagte: die Empfindungen der Frauenzimmer wären oft richtiger als die Gedanken der Männer.Eine Bemerkung, welche der Herausgeber aus vieler Erfahrung an sich und andern von Herzen unterschreibt. – Darauf erhielt ich die Erlaubnis zu arbeiten. Ich sagte, es wäre mir unmöglich am Putztisch immer zuzusehen, nachmittags allezeit zu spielen, oder müßig zu sein; und es wurde eine schöne Tapetenarbeit angefangen, woran ich sehr fleißig zu sein gedenke.

Morgen kommt der Fürst und der ganze Hof mit ihm: Diesen Abend sind die fremden Ministers angekommen. Mylord G. besuchte uns noch spät, und brachte Mylord Seymour nebst einem andern Engländer, Lord Derby genannt, mit, den er als einen Vetter vorstellte, der durch ihn und Lord Seymour ein großes Verlangen bekommen, mich zu sehen, besonders weil ich eine halbe Landsmännin von ihm wäre. Lord Derby redete mich sogleich auf englisch an. Er ist ein feiner Mann von ungemein vielem Geist und angenehmen Wesen. Man bat diese Herren zum Abendessen; es wurde freudig angenommen, und meine Tante schlug vor, im Garten zu speisen, weil Mondschein sein würde, und der Abend schön sei.

Gleich war der kleine Saal erleuchtet, und meine Tante fing bei der Türe, da sie mit Mylord G. hinausging, ganz zärtlich an: »Sophie, meine Liebe, deine Laute bei Mondschein wäre recht vielen Dank wert.«

Ich befahl, sie zu holen; Lord Derby gab mir die Hand, Seymour war schon mit dem Fräulein C* voraus. Der kleine Saal war am Ende des Gartens, unmittelbar am Flusse, so, daß man lange zu gehen hatte. Lord Derby unterhielt mich mit einem ehrerbietigen Ton von lauter schmeichelhaften Sachen, die er von mir gehört hätte. Mein Oncle kam zu uns, und wie wir kaum etliche Schritte über den halben Weg waren, stieß er mich mit dem Arme, und sagte: »Seht, seht, wie der trockne Seymour bei Mondschein so zärtlich die Hände küssen kann!« Ich sah auf; und, liebe Emilia, es dünkte mich, ich fühlte einen Schauer. Es mag von der kühlen Abendluft gekommen sein; weil wir dem Wasser ganz nahe waren. Aber da mich ein Zweifel darüber ankam, als ob dieser Schauer zweideutig wäre, weil ich ihn nur in diesem Augenblick empfand, so mußten Sie es wissen.

Der junge Graf F., Neveu des Ministers, kam auch noch, und da er den Bedienten, der die Laute trug, angetroffen, und gefragt hatte, »für wen?« nahm er sie, und klimperte vor dem Saal, bis mein Oncle hinaussah und ihn einführte. Ich mußte gleich noch vor dem Essen spielen und singen. Ich war nicht munter, und sang mehr aus Instinkt als Wahl ein Lied, in welchem Sehnsucht nach ländlicher Freiheit und Ruhe ausgedrückt war. Ich empfand selbst, daß mein Ton zu gerührt war; meine Tante rief auch: »Kind, du machst uns alle traurig; warum willst du uns zeigen, daß du uns so gerne verlassen möchtest? Singe was anders.« Ich gehorchte still, und nahm eine Gärtnerarie aus einer Opera, welche mit vielem Beifall aufgenommen wurde. Mylord G. fragte: ob ich nicht englisch singen könnte? Ich sagte, nein; aber wenn ich was hörte, so fiele mir's nicht schwer. Derby sang gleich, seine Stimme ist schön, aber zu rasch. Ich akkompagnierte ihn, sang auch mit. Daraus machte man viel Lobens von meinem musikalischen Ohr.

Die Gräfin F. sagte mir Zärtlichkeiten; Lord Seymour nichts; er ging oft in den Garten allein, und kam mit Zügen einer gewaltsamen Bewegung in der Seele zurück, redete aber nur mit Fräulein C*, die auch gedankenvoll aussah. G. sah mich bedeutend an, doch war Vergnügen in seinem Gesichte; Lord Derby hatte ein feuriges Falkenauge, in welchem Unruhe war, auf mich gerichtet. Mein Oncle und meine Tante liebkosten mir. Um eilf Uhr gingen wir schlafen, und ich schrieb noch diesen Brief. Gute Nacht, teure Emilia! Bitten Sie unsern ehrwürdigen Vater, daß er für mich bete! Ich finde Trost und Freude in diesem Gedanken.

* * *


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