Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Fräulein von Sternheim an Emilia

Emilia! Ich erliege fast unter meinem Kummer; mein Pflegvater tot! Warum schrieben Sie mir, oder doch Rosinen nichts, als da alles vorbei war? Die gute Rosine vergeht vor Jammer. Ich suche sie zu trösten, und meine eigne Seele ist niedergeschlagen. Meine werte Freundin, die Erde deckt nun das Beste, das sie uns gegeben hatte, gütige verehrungswürdige Eltern! – Kein Herz kennt Ihren Verlust so wohl als das meinige; ich empfinde Ihren Schmerz doppelt. – Warum konnte ich seinen Segen nicht selbst hören? Warum benetzen meine Tränen seine heilige Grabstätte nicht! da ich mit gleichen kindlichen Gesinnungen wie seine Töchter um ihn weine. – Die arme Rosine! Sie kniet bei mir, ihr Kopf liegt auf meinem Schoße, und ihre Tränen träufeln auf die Erde. Ich umarme sie und weine mit. Gott lasse durch unsern Kummer Weisheit in unsrer Seele aufblühen; und erfülle dadurch den letzten Wunsch unserer Väter! besonders den, welchen mein Pflegvater für seine Emilia machte, da seine zitternde Hand noch ihre Ehe einsegnete, und sie so dem Schutz eines treuen Freundes übergab. Tugend und Freundschaft sei mein und Rosinens Teil, bis die Reihe des Loses der Sterblichkeit auch uns in einer glückseligen Stunde trifft! Möchte alsdann ein edles Herze mir Dank für das gegebene Beispiel im Guten nachrufen, und ein durch mich erquickter Armer mein Andenken segnen! Dann würde der Weise, der Menschenfreund sagen können, daß ich den Wert des Lebens gekannt habe!

Ich kann nicht mehr schreiben, unsre Rosine gar nicht; sie bittet um ihres Bruders und ihrer Schwester Liebe, und will immer bei mir leben. Ich hoffe, Sie sind es zufrieden, und befestigen dadurch das Band unsrer Freundschaft. Edelmut und Güte soll es unzertrennlich machen. Ich umarme meine Emilia mit Tränen; Sie glauben nicht, wie traurig mir ist, daß ich diesen Brief schließen muß, ohne etwas an meinen väterlichen Freund beizusetzen. Ewige Glückseligkeit lohne ihn und meinen Vater! Lassen Sie uns, meine Emilia, meine Rosina, so leben, daß wir ihnen einmal als würdige Erbinnen ihrer Tugend und Freundschaft dargestellt werden können!


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