Sophie von La Roche
Geschichte des Fräuleins von Sternheim
Sophie von La Roche

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Auszug aus einem Briefe von Lord N. an Lord B---

Du weißt, daß ich mit der reichen zierlichen Alton vermählt bin, und daß sie stolz darauf ist, mich in Hymens Fesseln gebracht zu haben. Einfältig brüstet sie sich, wenn ich, um das Maß ihrer albernen Denkensart zu ergründen, mit einer Miene voller Gefälligkeit nach ihren neuen Wünschen frage. Ich wollte damit eine Zeitlang meinen Scherz haben, um mein Register über weibliche Narrheiten vollzumachen, und ich habe mir einen sehr wesentlichen Dienst dadurch getan. Denn nachdem das elende Gepränge vorbei war, womit Neuvermählte einander im Triumphe herumzuführen scheinen, fragte ich meine Lady, ob sie nicht irgendeine Landreise machen wollte, und sie schlug mir einen Besuch bei ihrer Tante Summers vor, die eine langweilige Frau, aber reich und angenehm zu erben sei. – Wir schrieben ihr, und ich schickte den John mit unsrem Briefe unsern Besuch zu melden. Die Matrone nahm ihn sehr freundlich auf; während sie mit der Antwort beschäftigt war, ging John mit ihrem Hausmeister in einem Zimmer auf und ab; die Lady hatte gleich um eine Madam Leidens geschickt. Eine Viertelstunde darauf tritt mit eilfertigem Schritte eine feine englisch gekleidete Weibsperson in den Vorsaal, und geht mit beinahe geschlossenen Augen ins Zimmer der Lady. John, wie vom Blitz gerührt, erkennt die Sternheim in ihr, erholt sich aber gleich, und fragt, wer diese Lady sei? Der Hausmeister erzählt, daß sie mit der Lady aus Deutschland gekommen wäre, und daß die Lady sie außerordentlich liebte; sie sei ein Engel von Güte und Klugheit, und Lord Rich, dessen Güter an der Lady ihre grenzten, würde sie heuraten. – Mein armer Teufel, John, zitterte vor Ängsten, zu der Lady gerufen zu werden, und betrieb seine Abfertigung. Die Alte kam, aber allein; John ließ sich so schnell als möglich abfertigen, und jagte zurück. – Urteile selbst wie ich von dieser Nachricht überrascht wurde! Über keinen meiner kleinen Streiche bin ich jemals so verlegen gewesen als diesen Augenblick über den, welchen ich dieser Schwärmerin gespielet hatte. Wo mag sie die Verwegenheit genommen haben, sich in England zu zeigen? Aber geht's nicht allezeit so? Die furchtsamste Kreatur wird in den Armen eines Mannes herzhaft gemacht. Ich hatte ihr also etwas von meiner Unverschämtheit mitgeteilt, welches sie mir in dem Hause der Lady Summers wieder zurückgeben konnte. Diesem wollte ich mich nicht aussetzen, indem meine Absichten unumgänglich die Beobachtung des Wohlstandes erfoderten. Ich wußte mir Dank, den John bei mir behalten zu haben; denn der listige Hund fand eher einen Ausweg als ich. Er schlug mir vor, sie entführen zu lassen; dies mußte aber bald geschehen, und der Ort ihres Aufenthalts mußte sehr entfernt sein. Ich bestimmte ihr den nämlichen Platz in den schottischen Gebürgen auf Hoptons Gütern, wo ich vor einigen Jahren die Nancy aufgehoben habe; und da diese von ihrem Vater, der ein Advokat war, nicht gefunden werden konnte, wer sollte eine Ausländerin da suchen? Ich gestehe Dir, es ist ein verfluchtes Schicksal für eines der artigsten Mädchen, daß sie so viele hundert Meilen von ihrem Geburtsort bei einem armen Bleiminenknecht in Schottland Haberbrod fressen muß. Aber was, zum T—, hatte sie mir auf meinem Weg nach England zu begegnen? Es ist billig, daß sie diese Frechheit bezahle. Sie ist bereits sicher an Ort und Stelle angekommen, und ich habe Befehl gegeben, daß man gut mit ihr umgehen soll. John machte die Anstalten, und weil er vom Hausmeister der Lady Summers wußte, daß Lord Rich, und die Töchter und Frau des Pfarrers öfters mit meiner Heldin im Park Unterredungen hatten, so ließ er sie im Namen der Miß Emma auf einen Augenblick in den Park rufen. Sie kam, er packte sie auf, und brachte sie, wie er sagt, mit Mühe lebendig nach Schottland. Den ganzen Weg über hat sie nichts als ein paar Gläser Wasser zu sich genommen, und, eine Ausrufung über mich unter dem Namen Derby ausgenommen, wie ein totes Bild in der Schäse gesessen. Wenn du toller Narr hier gewesen wärst, so hätte ich sie Dir in Verwahrung gegeben; und gewiß, wenn der heulende Genius, der Dich ehemals regierte, um sie geschwebt wäre, hättest Du sie zahm machen können, und noch eine bessere Beute an ihr gemacht, als alles Dein Gold in den Galanteriebuden zu Paris sich erkaufen kann. Denn sie ist eine der schönsten Blumen von allen, die an dem feurigen Busen Deines Freundes verwelkt sind. Sobald ich Nachricht von ihrer zweitägigen Abreise hatte, ging ich mit meiner Lady und ihrem Vater nach Summerhall, wo die Matrone im Bette lag, und um ihre Pflegtochter wehklagte. Alle Leute im Hause und im Orte, die Familie des Pfarrers, besonders Lord Rich, ein alter Knabe, der den Philosophen spielt, bejammerten den Verlust von Madam Leidens. Lady Summers flehte mich um Hülfe an; ich gab mir auch das Ansehen aller Bewegungen, sie suchen zu helfen, und erfuhr bei dieser Gelegenheit, wie sie nach England gekommen war. Jedermann rühmte ihre Reize, ihre Talente und ihr gutes Herz; die Narren machten mich toll und müde damit; besonders Rich, der Weise, der mich zum Vertrauten seiner Leidenschaft machte, und so weise ist sich einzubilden, daß sie sich vor ihm geflüchtet habe, weil er sie so weit gebracht hätte, ihm die Erzählung ihrer Geschichte zu versprechen, die gewiß besonders sein müsse, indem das junge Frauenzimmer alle Merkmale der edelsten Erziehung, der vollkommensten Tugend, und der feinsten weiblichen Zärtlichkeit in ihrem Betragen hätte. Er vermutete, ein Bösewicht habe ihre Gutherzigkeit betrogen, und dadurch den Grund des Kummers gelegt , mit welchem er sie immer kämpfen sehen. War es nicht eine verdammte Sache, alles dieses anzuhören und fremde zu scheinen? Er wies mir ihr Bildnis, wohl getroffen, vor einem Tische, wo ein Gestelle mit Schmetterlingen war, von denen sie, ich weiß nicht welchen, Gebrauch zu einem Fest machen wollte, so mir zu Ehren angestellt werden sollte, und wovon sie die Erfinderin war. Der Einfall war nicht gut gewählt; sie verstund sich wenig auf die Schmetterlingsjagd, sonst hätte sie meine Fittige nicht frei gelassen. Aber ihr Bild machte mehr Eindruck auf mich als alle Züge von ihrem Charakter. Es ist, bei meinem Leben! schade um sie; und ich möchte wissen, was sie bei der Vorsicht, die sie doch so stark verehrt, verschuldet haben mag, daß sie in der schönsten Blüte ihres Lebens aus ihrem Vaterlande gerissen, zugrunde richtet, und in den elendesten Winkel der Erde geworfen werden mußte. Und was wollte das Verhängnis mit mir, daß ich der Henkerbube sein mußte, der diese Verurteilung vollzog? O ich schwör es, wenn ich jemals eine Tochter erziehe, so soll sie alle Stricke kennenlernen, womit die Bosheit unsers Geschlechts die Unschuld des ihrigen umringt! – Aber was hilft dies dir arme Sternheim? – – Komm zurück, wir wollen im Frühjahre sie einmal besuchen; diesen Winter muß sie ausharren, ob sie mich schon jammert.


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