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Die Hügel

Sven Elversson war in Göteborg gewesen, um die Lieferanten für den Schulbau zu bezahlen, und kehrte eben mit dem Zug auf die Applum am nächsten gelegene Bahnstation zurück. Aber siehe, das Fuhrwerk, das ihn hatte abholen sollen, war nicht gekommen.

Bis Applum war ein Weg von zwei Meilen, und er stand recht verlegen auf dem kleinen Bahnhof und wunderte sich, wie er wohl weiterkommen sollte, als ein kleines, mit zwei Pferden bespanntes Gefährt an den steinernen Stufen des Bahnhofsgebäudes vorfuhr. Es kam vom Gasthaus in Applum, und auf Svens Nachfrage wurde ihm mitgeteilt, es sei vom Pfarrer bestellt, der in den letzten Tagen seine Hochzeit mit einer Propststochter weit droben in Norrland gefeiert habe.

Sven Elversson erwartete sein Gefährt von demselben Gasthof, und nun wurde ihm klar, daß seine Bestellung nicht angekommen und also für ihn kein Pferd abgeschickt war. Der Gastwirt schlug ihm vor, er solle den Pfarrer bitten, ob er nicht auf dem Kutschbock mitfahren dürfe; aber das kam Sven allzu aufdringlich vor, und darum lehnte er diesen Vorschlag ab.

Während sie noch darüber verhandelten, trat der Pfarrer mit seiner jungen Frau aus dem Bahnhofsgebäude heraus.

Es war ein schönes Paar. Der Pfarrer ein Mann von einigen dreißig Jahren, war von mittlerer Größe, von kräftigem Bau, mit einem prächtigen Kopf. Er hatte einen schwarzen, krausen Vollbart, eine breite, hohe Stirn, gutgeschnittene Züge, eine frische Gesichtsfarbe und weiße Zähne. Ein junges Mädchen konnte sich keinen Mann wünschen, der mehr imstande gewesen wäre, sie zu schützen und zu behüten, für sie zu arbeiten und ihr eine gute Stellung in der Welt zu verschaffen. Die Frau wiederum war geradezu überraschend schön. Sven Elversson mußte an den Typus schöner Frauen bei einigen berühmten englischen Malern denken, jenen Typus mit dem hohen, schlanken Körper, den abfallenden Schultern, dem etwas zur Seite geneigten Kopf, den reichen Haarmassen, die das Gesicht schön beschatten, den geraden Augenbrauen, den zarten Wangen und dem weltfremden, dem Himmel zugewandten Blick in den strahlenden Augen.

Es ging Sven Elversson sonderbar: Nachdem er diese beiden Menschen eine Weile betrachtet hatte, schien ihm der Mann allmählich alles Anziehende, das er zuerst an ihm gesehen hatte, zu verlieren. Die feine Gestalt und die unglaublich zarten Farben der jungen Frau machten, daß der Mann daneben grob und gewöhnlich, ja beinahe häßlich erschien. Sven Elversson hoffte, daß nicht irgendein alter Groll gegen den Pfarrer von jenem Auftritt in der Kirche her es sei, der ihm diesen Mann nicht als den richtigen Gatten für dieses zarte und zerbrechliche Geschöpf erscheinen lassen wollte.

Als die beiden nähertraten, zog sich Sven Elversson von dem Wagen zurück, aber er hörte doch, wie der Kutscher an seiner Statt um einen Platz für ihn auf dem Bock bat. Darauf kam der Pfarrer sofort zu ihm her und bot ihm an, mit ihnen zu fahren.

Eigentlich war der Pfarrer immer freundlich gegen Sven Elversson gewesen, und als dieser nun auf dem Bock saß und der Wagen abgefahren war, verjagte er bald den ersten Eindruck.

»Ich habe mich geirrt, wie so oft,« dachte er. »Jetzt muß ich zugeben, daß ich seit Jahren keine zwei Menschen gesehen habe, die so vollständig glücklich gewesen wären, wie diese beiden. Und sie haben ja auch allen Anlaß dazu. Hier sitzt nun der Mann und bewegt in seinem Herzen, wie ganz anders das Leben in dem kleinen Pfarrhaus in Applum werden wird, jetzt, wo eine junge Frau kommt, die es mit Leben und Fröhlichkeit erfüllt, und sie an seiner Seite träumt davon, wie sie ihm sein Heim so anziehend machen will, daß er es niemals gerne verlassen und sich immer nach Hause sehnen soll, wenn er auswärts ist.«

Sven Elversson hatte sich ganz in diesen Gedankengang vertieft und war höchst überrascht, als er nach einer Weile die junge Frau mit müdem und zugleich ungeduldigem Ton rufen hörte:

»Nimmt denn das niemals ein Ende!«

»Was kann die junge Frau nur meinen, was soll denn zu Ende gehen? Was mag sie nur an so einem Tag so unzufrieden machen?« fragte sich Sven Elversson und schaute sich nach allen Seiten um.

Plötzlich verstand er, nichts anderes konnte sie meinen als die Hügel ringsum.

Ja, eigentlich war es eine sonderbare Landschaft, durch die der Wagen fuhr.

Ein Bergland konnte man die Gegend nicht nennen, denn es waren weder Bergrücken noch Berggipfel vorhanden, und doch war es auch keine Ebene, denn das ganze Land war mit größeren und kleineren Hügeln wie übersät. Zuweilen standen sie ganz dicht beieinander, und der Wagen konnte sich nur mit Mühe dazwischen durchwinden, zuweilen waren sie nur vereinzelt, und Äcker und Höfe hatten reichlich dazwischen Platz. Rechts und links, vorne und hinten standen sie, und Sven Elversson mußte der jungen Frau recht geben, sie wollten kein Ende nehmen. Der Weg schlängelte sich unten zwischen den Hügeln hin und ging niemals so weit bergauf, daß man einen Überblick hätte bekommen können. Wie weit man auch fuhr, immer wieder kamen Hügel, die einen hinter den anderen. Einige davon waren mit magerem Gras bedeckt, andere standen kahl, und auf einigen wuchsen Heidekraut und Gestrüpp, das war die ganze Abwechslung.

Zuweilen wurde es zwischen ein paar Hügeln etwas heller, daß man meinen konnte, jetzt komme man in offenes Land. Aber kaum hatte man das gedacht, so erhob sich auch schon ein neuer Hügel und schob sich in die Öffnung.

»In Norrland sieht es natürlich nicht so aus wie hier,« dachte Sven Elversson. »Ach, wenn doch diese Hügel hier, die wirklich einen düsteren und häßlichen Eindruck machen, nicht das erste gewesen wären, was die schöne junge Frau von Bohuslän gesehen hat!«

In diesem Augenblick hörte er, wie sie zu ihrem Manne sagte, sie komme sich zwischen diesen Hügeln so verirrt vor wie im finstersten Walde.

An einer Stelle weidete eine Schafherde, an einer anderen grasten ein paar Kühe und an einer dritten pflückte ein Kind Beeren. Und nun erklärte die junge Frau, es sei gut, daß diese da seien, denn wenn sie keine Tiere und Kinder gesehen hätte, würde sie nicht geglaubt haben, sie sei in einem christlichen Lande.

»Aber Sigrun!« rief da der Mann. »Denkst du denn nicht daran, daß dies mein Bohuslän ist, wo ich jeden Stein und jeden Heidehügel liebe! Was hättest du gesagt, wenn ich mich über die Fichtenwälder und Kiefernheiden droben in Norrland hätte beklagen wollen?«

Diese Worte hatten natürlich eine sehr starke Wirkung. Die neuverheiratete Frau schwieg zuerst eine lange Weile, dann flüsterte sie etwas mit Tränen in den Augen, und Sven Elversson verstand, daß sie ihren Mann um Verzeihung bat, weil sie so absprechend über Bohuslän gesprochen hatte.

»Sonst bin ich doch nicht so,« sagte sie. »Ich weiß nicht, was heute über mich gekommen ist.«

Jedes Wort, das sie sagte, wurde ganz entzückend aufrichtig und ernsthaft gesprochen mit leiser, leicht lispelnder Stimme. – »Lieber Gott, ich wenigstens möchte sie nicht anders haben!« dachte Sven Elversson. »Es ist doch schön von ihr, daß sie sich vor allem Häßlichen fürchtet.«

Nun blieb es eine Weile still; aber bald fing die junge Frau von neuem mit sonderbar bebender Stimme zu sprechen an.

»Ach, ich quäle dich, Eduard, das sehe ich wohl ein, aber ich kann mir nicht helfen, ich fürchte mich. Ich habe nun versucht, in der Stille gegen dieses Gefühl anzukämpfen, aber ich kann es nicht verjagen. Nun aber ist mir etwas eingefallen, von jetzt an muß ich ja nicht mehr allein kämpfen, jetzt hab' ich ja dich, der mir in meiner Schwäche beistehen wird.«

Es lag soviel zärtliche Hingebung in ihrer Stimme, daß Sven Elversson auf seinem Lauscherplatz vor Scham errötete. Er fühlte sich nicht würdig, an den Gedanken und Gefühlen der jungen Frau Anteil zu haben.

Die junge Frau versuchte jetzt, ihrem Manne klar zu machen, daß sie sich tatsächlich fürchte. Es sei ihr, als habe sie diese Hügel schon früher einmal gesehen. Da sei sie von einem mordgierigen Verfolger hier gehetzt worden und sei vor ihm geflohen. Oder vielleicht werde sie in Zukunft einmal hier verfolgt werden und müsse entsetzt versuchen, zwischen diesem Wirrwarr von Hügeln ein Versteck zu finden. Oder vielleicht liege jetzt gerade jemand hinter einem der Hügel auf der Lauer und wolle sie überfallen. Irgend etwas Entsetzliches sei in der Nähe. Am liebsten möchte sie aus dem Wagen springen und auf und davon gehen.

Ihrer Stimme war anzuhören, daß sie sich mehr fürchtete, als sie mit Worten gestehen wollte, und daß ihr das alles tiefster Ernst war. Sven Elversson auf seinem Kutschbock konnte nicht umhin, ein wenig zu lächeln, und auch der Ehemann konnte nicht recht begreifen, wie sie sich um nichts und wieder nichts selbst so in Angst jagen konnte, und er versuchte, etwas Scherzhaftes und Lustiges zur Antwort zu geben.

Aber dieser Versuch wurde nicht gut aufgenommen. Sie behauptete mit unerwarteter Heftigkeit, wenn es in Applum ebenso kalt und eingeschlossen sei, könne sie nicht dort bleiben.

»Es ist verrückt und abscheulich, daß ich dir das heute sage,« erklärte sie. »Aber seit ich zwischen diesen Hügeln hier hinfahre, muß ich immerfort denken: wenn sich nicht irgend etwas Schönes in Applum findet, das mir hilft, so werde ich dort sicher von demselben Entsetzen erfaßt werden. Ich würde jeden Tag von neuem das Gefühl haben, es werde mir irgend etwas Schlimmes zustoßen.«

Sven Elversson dachte an Applum, dessen Pfarrhaus hinter der Kirche in einer Bodensenkung lag, und dieser Platz war als geschützt und windstill mit der größten Sorgfalt ausgesucht worden. Er überlegte, ob ihr wohl die gleich großen Ackerstücke, die das Licht abschließende Bergwand, die mangelnde Aussicht, die roten, weißen und blauen Häuser und das baumlose, ebene Land gefallen könnten?

»Der da drinnen im Wagen hat es jetzt nicht gerade leicht,« dachte Sven Elversson. »Ich wüßte durchaus nicht, wie ich sie beruhigen sollte. Aber er kennt sie und liebt sie. Das ist etwas anderes.«

Der Pfarrer mußte derselben Meinung sein. Er schwieg eine Weile und dachte nach.

»Ich will dir einen Traum erzählen, den ich im vergangenen Winter gehabt habe,« fing er dann an. »Dieser Traum machte mich, als ich ihn träumte, sehr vergnügt, und ich will sehen, ob er nicht auch denselben Eindruck auf dich macht.

Nun, mir träumte also, ich fahre auf der Straße dahin, die zu deiner Heimat nach Stenbroträsk hinführt; es war noch recht winterlich, obgleich es dem Frühling zuging, ringsum nur ödes Feld und kahle Bäume, und der Weg schlecht und aufgeweicht. Die Brücken hatten überall Löcher, und das Pferd war eine elende Mähre, die kaum noch ein Bein vors andere setzen konnte.

Von Norden her wehte ein kalter, eisiger Wind, alles war grau und häßlich, die wenigen Höfe am Wege kamen mir arm und unansehnlich vor, und über der ganzen Gegend lag eine ungastliche und niederschlagende Stimmung.

Aber dann erreichte ich endlich eine Anhöhe, und da erblickte ich das Flußufer und die Kirche von Stenbroträsk und den Propsthof, und mit einem Male war alles wie verwandelt. Die Luft wurde warm, die Felder wurden grün, die Birken bekamen einen zarten Schleier, der Weg wurde gut und fest, alles wurde schön und freundlich und einladend, selbst in das Pferd kam neues Leben, und es fing an zu traben.

Aber eins war höchst sonderbar; ich fühlte deutlich, Lenz und Wärme gingen von mir aus. Vorher waren sie nicht dagewesen, jetzt aber wurden sie dadurch hervorgezaubert, daß mein Herz warm wurde, als ich deine Heimat erschaute. Und in meinem Traum kam mir das gar nicht verwunderlich vor, es war nur, wie es sein sollte.«

Als der Pfarrer so weit gekommen war, hielt er inne, und Sven Elversson hörte, wie ihn seine Frau mit einer Stimme, die jetzt völlig verändert war, fragte, wie es weitergegangen sei.

»Es ging gar nicht weiter,« erwiderte er. »Diese Wärme im Herzen empfand ich als so köstlich, daß ich darüber erwachte.« Und als er das gesagt hatte, schwieg er von neuem.

Aber nun hatten diese Worte über die Liebe, dieser kleine Funken Schönheit, die junge Frau ganz mit Begeisterung erfüllt, und der Lauscher auf dem Bock hörte, wie sie dem Manne mit einer vor Rührung fast erstickten Stimme zuflüsterte:

»Und nun meinst du, wenn ich dieselbe Wärme im Herzen fühlte wie du, so würde ich auch die Schönheit dieses Landes und deiner Heimat erkennen, sogar die dieser schrecklichen Hügel.«

Und ein wahrer Jubel klang aus der Stimme, als sie fortfuhr:

»Mache dir um mich keine Sorgen! Jetzt seh' ich nichts mehr, was mich erschreckt, und ich fühle dasselbe, was du in deinem Traum empfunden hast.«

»Ei sieh da, wie wenig kann man doch nach dem ersten Eindruck urteilen!« dachte Sven Elversson. »Sie hätte wirklich keinen besseren Mann bekommen können, als den Pfarrer Rhånge. Er hat Herz und Verstand. Wer hätte ihr wohl eine schönere Antwort geben können?«


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