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Sohn und Eltern

Je besser die beiden alten Leute auf der Grimö allmählich ihren Sohn Sven kennen lernten, desto mehr verwunderten sie sich über ihn.

»Ich will dir etwas sagen, Joel,« sagte die Frau zu ihrem Manne, »wenn ich wie er zu einem Herrn erzogen und dann gezwungen worden wäre, alle meine vornehmen Gewohnheiten ganz plötzlich abzulegen, und wenn ich solches Essen verzehren müßte, wie das, was ihm hier bei uns geboten wird, nachdem ich doch an Besseres gewöhnt war, wenn ich jeden Tag mit dir hinaus müßte, um dir auf dem Acker zu helfen, und niemals ein Buch lesen und mich nie mit besseren Leuten aussprechen könnte, sondern nur mit so ein paar dummen alten Brummbären wie du und ich, dann wäre ich sauertöpfisch und bösartig vom Morgen bis zum Abend, und ich glaube, dir würde es geradeso gehen.«

Joel gab das willig zu. Jawohl, auch für ihn würde das eine schwere Prüfung sein.

»Aber da sieh nun Sven!« fuhr Thala fort. »Es ist, als berühre ihn das alles ganz und gar nicht. Auch grämt er sich nicht um das Geld oder die Freunde und dergleichen, die er verloren hat. Hier kann er mit mir scherzen und lachen und sich mit dir unterhalten, ohne nach anderer Gesellschaft zu verlangen, in der er sich zerstreuen könnte. Einen Tag wie den anderen ist er freundlich und demütig und zufrieden wie ein Gotteslamm. Eigentlich gibt es nur ein Einziges, was ihn in schlechte Laune versetzt.«

»Was mich anbelangt, so kann ich ihn deshalb nicht weniger hoch stellen, wenn er in diesem Punkt empfindlich ist. Die Ehre verlieren, das ist das Schwerste, was einem widerfahren kann.«

»Ja natürlich,« versetzte die Frau, »und es ist auch schändlich, daß die Leute sich nicht an ihn gewöhnen können. Er kann nicht auf die Post oder in einen Laden gehen, ohne jemand zu treffen, der die Nase über ihn rümpft oder ihm ein Schimpfwort an den Kopf wirft. Ich aber, das weiß ich, ich bin nur dankbar dafür, daß er den Bissen damals gegessen hat. Sven übertrifft unsere anderen Kinder so weit wie die Sonne den Mond, und ohne jenen Bissen hätte ich ihn nie wieder zu sehen bekommen.«

In dieser Weise sprach sich Mutter Elversson jeden Tag aus. So oft sie mit ihrem Manne allein war, sofort begann sie sich in Lobeserhebungen über den Sohn zu ergehen.

»Du hast wohl gar keinen Begriff davon, Joel, wie merkwürdig Sven ist,« pflegte sie zu sagen. »Aber eigentlich müßtest du es schon an mir merken. Siehst du nicht, wie gut ich mich wasche und kämme und wie ich fege und bürste und schrubbe? Ja, du meinst vielleicht gar, das geschehe deinetwegen?«

»O, du bist immer darauf ausgewesen, alles um dich her sauber zu haben,« sagte Joel, der gerne den Leuten Artigkeiten sagte, sobald sich die Gelegenheit dazu bot.

»Es ist nicht nur das,« fuhr seine Frau fort. »Aber ich bin jetzt nie mehr zornig. Nein, sanft wie ein Flaumflöckchen bin ich. Hast du je so ein Lächeln gesehen, wie Sven eines hat? Wenn mich andere Leute freundlich ansehen, werde ich vergnügt, wenn mich aber Sven anlächelt, ist mir, als könnte ich mich nackt ins Meer stürzen, sobald er es verlangte.«

Ihr Mann lachte sie aus.

»Ich weiß wirklich nicht, warum er so etwas von dir verlangen sollte,« versetzte er. »Aber es ist etwas an dem, was du sagst. Am liebsten würde ich sagen, ich glaube, unser Sohn ist wie einer von den Steinen, die am Strande liegen, und von jeder Woge hin und her gerollt werden. Er wird von all den Stößen, die er bekommt, so schön und so abgeschliffen, daß er bald gar keine Ecken und Kanten mehr haben wird.«

Tatsächlich machte sich der Mann ebensoviel aus seinem Sohne wie die Frau. Aber er war nicht nur glücklich über ihn, sondern seinetwegen auch beunruhigt. Es schien ihm, als ob der Sohn dazu neigte, sich dem Zwang, der gegen ihn ausgeübt wurde, zu beugen und sich von den Menschen zurückzuziehen. Sven wollte die Grimö kaum noch verlassen. Aber auch hier auf der Insel hätte es ihm nicht an Gelegenheit gefehlt, mit Menschen zusammenzutreffen, falls er es gewünscht hätte. Joel war dreißig Jahre lang Schöffe gewesen, und während der vielen Gerichtsverhandlungen in allen diesen Jahren hatte er sich eine Menge Gesetze und Verordnungen eingeprägt. Unaufhörlich kamen die Leute zu ihm auf die Insel herüber und baten ihn um Hilfe beim Aussetzen eines Kaufvertrages oder eines Testamentes, bei Vermögensaufnahmen und Erbteilungen.

»Was soll er tun?« fragte die Frau, als ihr der Mann seine Besorgnisse mitteilte. »Erstens kann er noch nicht ordentlich Schwedisch, und zweitens meiden ihn die Leute, wie wenn er ein menschenfressender Haifisch wäre.«

Joel warf den Kopf zurück, zog die Luft hörbar ein und sprach Worte, deren ganze Tiefe zu fassen der Frau schwer wurde.

»Wenn nun jemand von mir verlangte, ich sollte Spielmann werden, dann müßte er mir wohl etwas verschaffen, worauf ich spielen könnte.«

»Ja natürlich,« erwiderte Mutter Thala, »aber was willst du damit sagen?«

»Wenn Sven, wie ich glaube, zu einem Augenspiegel und Vorbild und Beispiel für die Menschen bestimmt ist, so darf er nicht hier auf der Schäre bleiben und ein Eigenbrödler werden.«

Die Frau sah ihren Mann an, und aus ihren Augen leuchtete ein zärtlicher Glanz.

»Du selbst hast dein ganzes Leben lang auf der Grimö gewohnt, und es ist den Leuten doch nicht schwer gefallen, dich ausfindig zu machen und dir mit allem möglichen zur Last zu fallen.«

Der Mann machte eine abwehrende Handbewegung.

»Was bin ich, verglichen mit Sven? Ich habe nichts gelernt in meiner Jugend. Sven aber hat beizeiten mit dem Lernen angefangen. Ihm steht nichts im Wege.«

»Außer dem einen.«

»Ja, natürlich.«

»Und das ist überall, auch wo man es am wenigsten erwartet. Das ist eine Katze, die da, wo er geht und steht, auf der Lauer liegt, und ehe er sich's versieht, springt sie ihm an die Kehle.«

»Jawohl, gerade das ist das größte Unglück,« stimmte Joel bei. »Und geschehen ist geschehen. Und kein noch so großes Wunder könnte diese Katze hindern, ihn anzuspringen.«

»Aber eins darfst du nicht vergessen, Joel: wenn dieses Unglück nicht auf ihm läge, wäre er nie mehr zu uns zurückgekommen.«

Immer wieder kam sie auf diese Tatsache zurück. Es machte sie überaus glücklich, den Sohn zu Hause zu haben, und sie konnte kaum begreifen, warum er und Joel dem Widerwillen der Menschen so großes Gewicht beimaßen. – »Kümmere dich doch nicht darum!« sagte sie zu ihrem Sohne. »Du bist viel besser als sie. Der Kerl, der dir heute auf der Post ins Gesicht gegrinst hat, ist ein Wechselfälscher. Der hat keine Ehre, mit der er sich brüsten könnte.«

Aber wie die Zeit verging, konnte sie doch nicht umhin zu merken, daß Joel recht hatte und der Sohn nahe daran war, menschenscheu zu werden. Und damit nicht genug. Er gewöhnte sich ein übermäßig, fast lächerlich unterwürfiges Betragen an. Am liebsten hätte er sich selbst von der Erde vertilgt, so zerknirscht war er.

»Nein, das geht nicht so weiter,« dachte sie. »Es muß anders werden. Der liebe Gott kann uns doch nicht vollständig verlassen.«

Das Kirchspiel Applum, zu dem die Grimö gehörte, umfaßte nicht nur das auf dem Festlande liegende Kirchdorf, sowie einige Dutzend rundum im Meere verstreute Holme und Schären, sondern auch das Fischerdorf Knapefjord, das sich mit seinen Speichern und Bootshäusern, seinen langen Landungsstegen, seinen Hafenbauten, seinem großen Badehaus und den Schwimmbehältern nebst Booten und Bojen, ebensosehr im Wasser wie auf dem Lande auszubreiten schien.

Mutter Elversson pflegte mit Eiern und Butter hier herüber zu rudern, und sie machte allerlei Versuche bei den Hausfrauen, die ihre langjährigen Kunden waren und alle ihre Verhältnisse genau kannten, den heimgekehrten Sohn zu rühmen.

Aber sie fand bald, daß das vergebliche Liebesmühe war. Man sagte ihr zwar kein unhöfliches Wort, sondern tat nur, als ob man nichts höre, etwa so, wie wenn ein sonst vernünftiger Mensch plötzlich mit irgendeinem ungereimten Einfall daherkommt.

»Ach, diese gottseligen Weiber!« legte Mutter Thala los, als sie nach Hause kam. »Ihre Herzen sind so erfüllt von Glauben und Gerechtigkeit, daß für Barmherzigkeit kein Platz mehr darin ist.«

Und auch Joel hatte nicht mehr Glück.

Er pflegte nunmehr, wenn die Leute zu ihm kamen und Hilfe suchten, hinzuwerfen, er werde für Derartiges zu alt und sein Sohn Sven könne jetzt bald an seine Stelle treten. Aber er traf nur auf völlige Verständnislosigkeit. Die Fischer und die Bauern, mit denen er sprach, zeigten sich ebenso taub, wie die gestrengen Frauen der Schiffskapitäne in Knapefjord.

Am Weihnachtsabend saßen Joel und Thala mit ihrem Sohne in der niederen Stube auf der Grimö und sprachen von der Zukunft.

»Hör', Mutter,« sagte Sven Elversson, der an diesem Abend außergewöhnlich froh und leichten Herzens zu sein schien, »findest du es nicht auch kalt und finster hier in der alten Küche? Wie wär's, wenn wir in das große Haus übersiedelten?«

»Bewahr' uns Gott!« rief sie. »Es hat ja weder Fußböden noch ein Dach.«

»Das kann alles gemacht werden,« sagte der Sohn. »Ich habe mir die Wände angesehen, die sind völlig unbeschädigt. Dort sind helle und freundliche Zimmer mit der Aussicht aufs Meer. Es ist doch schade, wenn wir das alte Kapitänshaus völlig verfallen lassen.«

Natürlich waren Vater und Mutter mit ihm ganz gleicher Meinung, aber es fehlte an Geld.

Nun erklärte ihnen der Sohn, daß er Geld habe. Es sei kein Geld, das er von seinen Pflegeeltern erhalten habe, sondern es sei von ihm selbst redlich verdient. Als er auf seine Nordpolreise ausreiste, waren ihm bei der Heimkunft tausend Pfund versprochen gewesen, und die waren ihm jetzt ausbezahlt worden.

Da sah der Vater, der alte Joel, der selbst keinen Augenblick Ekel empfunden hatte, wie sich die alten verabschiedeten Seekapitäne, die früher diese Insel bewohnt hatten, mit Abscheu im Grabe umdrehten.

»Nicht mit dem Geld!« stieß er hervor. »Ich möchte gerne das alte Haus wieder hergerichtet haben, aber nicht für dieses Geld.«

Erstaunt sahen Mutter und Sohn den Alten an. Aber beide begriffen rasch, was ihn anfocht, und es wurde von etwas anderem gesprochen.

Der Vater dachte an die alten Seekapitäne mit ihren wettergebräunten Gesichtern, ihren teerigen Fäusten und ihren durstigen Gurgeln, an die gutmütigen, lustigen Männer, die in der Wahl ihrer Worte durchaus nicht wählerisch und auch in der Wahl ihres Umganges keineswegs engherzig gewesen waren. Seine Vorfahren waren wohl von derselben Art gewesen, und nun hatte er seinem Sohne gesagt, er sei nicht gut genug, in ihre Wohnung zu ziehen. Er hatte ihm gesagt, sein Geld, das er mit Einsatz seines Lebens auf demselben Meer verdient hatte, auf dem die alten Seebären umhergefahren waren, um ihren Lebensunterhalt zu verdienen, sei nicht gut genug, ihr verfallenes Haus wieder damit aufzurichten.

An diesem Abend legte sich ein mildes, geduldiges und verzeihendes Lächeln auf Sven Elverssons Gesicht und blieb auch dauernd darauf haften. Dasselbe Lächeln war schon früher darüber hingeflogen, wenn er durch den Ekel, den er anderen einflößte, gequält wurde, es war gekommen und war wieder verflogen. Jetzt, wo der Vater gezeigt hatte, daß er ihm gegenüber ebenso zu empfinden imstande war, wie die anderen, fing es an, seinen dauernden Wohnsitz da aufzuschlagen.

Als der Vater dieses Lächeln sah, das auf des Sohnes Antlitz ruhte und nicht mehr weichen wollte, stand er auf und sprach einige Worte, die das wieder gutmachen sollten, was er gesagt hatte. Der Sohn gab freundliche Worte zur Antwort, aber das Lächeln blieb.

Der Vater wurde böse auf sich selbst, darum, daß er die Wunde wieder aufgerissen hatte. Er begriff wohl, daß der Sohn seither von dem Gelde geschwiegen hatte, weil er gerade am heutigen Abend davon hatte reden wollen. Bald fühlte sich der Vater so beschämt, daß er nicht mehr in der Stube bleiben mochte; er setzte den Hut auf und ging in die dunkle Nacht hinaus. Nun konnte die Mutter vielleicht dem Sohne auseinandersetzen, was der Vater wirklich im Herzen für ihn empfand.

Aber kaum war Joel in der Nacht draußen verschwunden, als sieben wilde betrunkene Gesellen in die Küche hereinstürzten.

Sie erklärten, sie wollten Sven Elversson mitnehmen zu einer kleinen Lustbarkeit. Nur um ihn abzuholen, seien sie herübergefahren.

Als Mutter Elversson sich die Schar näher betrachtete, erkannte sie, daß es eine zusammengehörige Bootsbesatzung von Fischern war, die aus den wildesten, rohesten und versoffensten Kerlen in der ganzen Gegend bestand. Hinter den anderen, gerade als wolle er sich versteckt halten, erkannte sie einen von ihren eigenen Söhnen, der bei einem Kaufmann in Knapefjord in Stellung war.

Von den betrunkenen, taumelnden und blödsinnig lachenden Gesellen wendete sie den Blick auf ihren Sohn, den zu beleidigen und zu strafen diese gekommen waren. Er war schlank und fein gebaut, die Augen waren schmal mit einem beinahe zärtlichen Ausdruck, die Hände weiß und rein. Dabei war er sauber gebürstet und rasiert und trug gut sitzende Kleider. Er rauchte nicht, trank nicht, spuckte nicht und brachte kein unschönes Wort über die Lippen.

Diese anderen, die hergekommen waren, um den Gequälten noch mehr zu quälen, sie ahnten nicht, daß er eine bessere Erziehung genossen hatte als sie, daß er ein genußreicheres Leben geführt und einen schärferen Verstand hatte, als alle diese hier zusammen. Sie kamen her um ihres Ekels willen, weil sie Sven für einen Wurm ansahen, den sie zertreten wollten, für eine häßliche Kröte, die kein Recht hat, sich innerhalb eines christlichen Hauses aufzuhalten.

Als die fremden Gesellen in die Stube hereinkamen, legte sich eine sonderbare Art von Ohnmacht über Sven Elversson. Nicht, als ob ihm schwindlig geworden wäre oder er das Bewußtsein verloren hätte, o nein, aber er fühlte sich außerstande, sich zu rühren. Er hatte ein starkes Vorgefühl, daß dieses das Ende seines Lebens bedeute. Diese Menschen waren gesandt, ihn totzuquälen, und es hatte keinen Wert, Widerstand zu leisten. Das Leben, so wie es sich für ihn gestaltet hatte, war es nicht wert, daß er irgendeine Anstrengung machte, es sich zu erhalten.

An diesem selben Morgen hatte einer von den Gesellen eine steifgefrorene Ringelnatter am Wege gefunden; er hatte sie mitgenommen und den Kameraden gezeigt.

»Die sieht richtig appetitlich aus,« hatte der eine bemerkt.

»Ja, nur schade, daß niemand da ist, der sie verzehren möchte.«

»Wollen wir nicht Sven Elversson, der Menschenfleisch ißt, fragen, ob er sie mag?«

»Dem wird sie sicher schmecken!«

So waren sie auf den Gedanken gekommen, nach der Grimö zu fahren. Sie wurden von einem dunkeln Gefühl geleitet, daß ein so strafwürdiger Mensch wie Sven Elversson nicht im Frieden Weihnachten feiern dürfe, sondern just an diesem Tage aufgestört und gequält werden müsse.

Seinen Bruder hatten sie mitgenommen, damit dieser ihnen in der finstern Nacht das Fahrwasser zeige, und der Bruder war gar nicht so sehr ungern mitgegangen. Er war zwar lange nicht so betrunken wie die anderen, aber für den Heimgekehrten hegte er ungefähr dieselben Gefühle wie die Kameraden. Man zog ihn auf mit dem Bruder, gab ihm um seinetwillen häßliche Reden, und er fragte sich, welches Recht dieser Bruder habe, herzukommen und seinen Geschwistern Widerwärtigkeiten zu bereiten. Er hielt sich hinter dem breiten Rücken der anderen verborgen und grinste im voraus beim Gedanken an das, was jetzt kommen werde.

»Joel, Jung-Joel!« rief ihn seine Mutter an. »Was haben sie mit Sven im Sinn?«

Und ohne Zaudern gab Jung-Joel Antwort, so gewöhnt war er nun einmal, die Fragen, die diese Stimme an ihn stellte, zu beantworten.

»Sie wollen ihm eine Schlange zu essen geben.«

Die Unfähigkeit, sich zu rühren, unter deren Bann Sven Elversson stand, wurde immer größer, deutlich sah er den kommenden Auftritt vor sich. Die Gesellen würden ihm befehlen zu essen, und er würde sich weigern. Sie würden ihn schlagen und mit Füßen treten, und er würde immer wieder nein sagen. Jetzt gab es keine Macht mehr, die ihn zwingen konnte, etwas Widriges zu essen, und dann würden sie ihn zu Tode quälen.

Aber er hatte noch einige Augenblicke vor sich; der Augenblick, wo er mit ihnen hinausgehen sollte, war noch nicht gekommen.

Der eine, der am Morgen die Schlange gefunden hatte, zog das lange glänzende Tier aus der Tasche. Er taumelte auf einem Bein und hielt zugleich Mutter Thala die Schlange unter die Nase.

»Die wird ihm schmecken!« sagte er.

»Seid ihr denn Unmenschen, alle miteinander!« rief die Mutter. »Und ihr meint, ich werde meinen Sohn Sven, der soviel besser ist als ihr alle, mit euch gehen lassen?«

Nun brach die Schar in lautes Gelächter aus.

»Er braucht nicht weiter mit uns zu gehen, als bis zum Boot hinunter,« sagte der mit der Schlange in der Hand. »Dort wollen wir sie ihm braten.«

Die Ohnmacht, die Sven Elversson gefangen hielt, fing an zu weichen. »Jetzt ist es bald Zeit,« sagte er zu sich. »Heut abend geht alles zu Ende. Das ist nichts, um darüber zu trauern.«

Die Mutter warf einen Blick auf ihn und sah ihn mit dem kummervollen, verzeihenden Lächeln auf den Lippen dasitzen. Von Zorn oder Lust zum Widerstand war nichts in seinen Zügen zu bemerken, nur Demut und stiller, unterwürfiger Kummer.

»Aber du wirst doch wirklich nicht daran denken, mit ihnen zu gehen!« rief sie ihm zu. »Weißt du, wer der mit der Schlange dort ist? Es ist Olaus von der Fårö, er ist mitschuldig an einem Kindesmord. Er hat seine Braut verlassen, als sie ihn gerade am nötigsten gehabt hätte.«

Die Gesellen krümmten sich vor Lachen.

»Nur keine Angst für das Söhnchen, Mutter Thala!« sagte Olaus von der Fårö. »Er darf salzen und pfeffern, soviel er will. Und er wird nicht schlechter als vorher, wenn er eine Schlange ißt.«

»Und der da!« rief die Mutter und deutete auf den längsten und häßlichsten von den Gesellen. »Der da ist Corfitzson von Fiskebäck. Er hat in seinem Leben viel Böses getan, und unter anderem hat er, nur um die Versicherungssumme einzustreichen, auch Feuer an einen mit Vieh gefüllten Stall gelegt.«

»Eil dich, mein Junge! Setz' die Mütze auf und komm!« sagte Corfitzson und legte Sven Elversson die Hand auf die Schulter.

Aber Mutter Thala fuhr in schwindelnder Eile fort:

»Und der dort, das ist Bertil vom Strömsund. Wenn du wissen willst, was das schlimmste ist, was er getan hat, so war es wohl das, daß er seine Großmutter zu Tode gefüttert hat. Sie lebte keine zwei Monate mehr, nachdem sie ihm ihr Haus abgetreten hatte. Und der dort hinten in der Ecke ist Torsson von Iggenäs, der immer nur die Fische aus dem Garn der anderen gestohlen hat, und die beiden dort hinten, die am ärgsten betrunken sind, das sind Rasmussen und Hjelmfelt. Sie versaufen ihren ganzen Verdienst und lassen Frau und Kinder hungern.«

Sie hatte die Stimme beinahe zum Schreien erhoben und bebte vor Angst und Zorn. Die Männer waren einige Augenblicke so unter dem Bann ihrer Worte, daß sie schwiegen und zu lachen aufhörten.

»Und weißt du, wer das ist, der dort ganz hinter den anderen steht?« fuhr die Mutter mit noch gellenderer Stimme fort. »Das ist dein Bruder Jung-Joel Er hat weiter nichts getan, als daß er seine alten Eltern auf ihrer Schäreninsel hilflos verkommen lassen wollte. Was hab' ich ihn angefleht, zu uns herauszuziehen, aber er wollte nicht hören.

Und nun Sven, jetzt, wo du weißt, was das für Leute sind, wirst du doch nicht mit ihnen gehen wollen?«

Gerade als sie dies sagte, sah sie ihren Sven aufstehen, immer noch ebenso sanft und verzeihend wie vorher, nur vollkommen bereit, sich zu unterwerfen und zu leiden.

Von neuem brach die Schar in lautes Gelächter aus.

»So ist's recht, mein Junge, daß du gutwillig mitgehst!« rief Olaus, der augenscheinlich der Anführer war. »Du kannst dich doch auch sechs starken Männern allein nicht widersetzen.«

Aber Mutter Thala war nicht die Frau, die die Absicht hatte, ihren Sohn gehen zu lassen, ohne vorher allen Widerstand zu leisten, den sie zu leisten vermochte. Mit einem raschen Griff riß sie Olaus die Schlange aus der Hand, warf sie in den Nebenraum und stellte sich vor die Tür.

Im selben Augenblick ging die äußere Tür auf, und Joel stürzte herein.

»Was geht denn hier vor?« rief er. »Was macht ihr hier für einen Lärm? Und wohin wollt ihr mit Sven?«

Er sah, daß ein paar von den Gesellen auf Mutter Thala zugesprungen waren, um sie von der Tür wegzureißen, und daß ein paar andere Sven Elversson die Hände auf die Achsel gelegt hatten und ihn vor sich herstießen.

Ohne einen Augenblick zu zaudern, warf sich der alte Mann unter die Kämpfenden.

»Laßt los! Rührt Sven nicht an!« rief er.

Da fühlte Sven Elversson plötzlich, wie die Starrheit von ihm wich. »Jetzt ist es Zeit, jetzt kämpfe für Vater und Mutter und für dich selbst,« sagte eine Stimme in ihm.

»Jung-Joel!« rief er seinem Bruder zu, der sich hinter der Schar der berauschten Eindringlinge hielt. »Mach' die Tür zum Flur auf!«

Und als der Bruder, der gewohnt war, allen Befehlen, die in diesem Haus gegeben wurden, zu gehorchen, die Tür weit aufgemacht hatte, faßte Sven den Olaus um den Leib, hob ihn vom Boden auf und warf ihn hinaus. Corfitzson von Fiskebäck stürzte herzu, um Sven mit sich fortzureißen, fühlte sich aber gleich darauf von starken Armen umfaßt, aufgehoben und seinem Kameraden nach in den Flur hinausgeworfen.

Als dies geschehen war, sprang Jung-Joel vor und stellte sich neben seinen Bruder.

Es folgte noch einige Augenblicke lang ein wilder Tumult; aber dann war auch die alte Küche von allen Feinden gesäubert.

Jung-Joel schloß die Tür hinter ihnen zu. Dann trat er mit einer gewissen Feierlichkeit auf den Bruder zu und reichte ihm die Hand.

»Wie in aller Welt hast du das gemacht?« fragte er mit der aufrichtigsten Bewunderung. »Den Griff mußt du mir zeigen.«

Das Gesicht des älteren Bruders hatte von dem Kampf Farbe bekommen, und das duldende Lächeln war von seinen Lippen verschwunden.

»Verlaß dich darauf, jetzt kommen die anderen auch zu der Erkenntnis, daß mit dir nicht zu spaßen ist,« sagte Jung-Joel. »Aber wenn Du so ein Ringkämpfer bist, warum hast du denn dann bisher alle die Schimpfworte ertragen, ohne zu mucksen?«

Da verlor Sven Elversson ein einziges Mal die Selbstbeherrschung. Er warf sich auf einen Stuhl und verbarg das Gesicht in den Händen.

»Warum sollte ich mich wehren!« brach er in Verzweiflung los. »Wenn ich mich selbst doch mehr verachte, als du oder einer der anderen mich verachten können? Wenn ich größeren Ekel vor mir selbst empfinde, als ich euch je einflößen kann? Mehr Ekel, mehr Abscheu. Niemand von euch weiß so gut wie ich, was ich getan und wogegen ich gesündigt habe. Ich hasse mich selbst. Mir ekelt vor mir selbst. Was hilft es mir da, wenn ich ein paar Betrunkenen den Mund stopfe?«


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