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XI.

Das Weib ist die Flut und die Ebbe unseres Lebens, der Traum unseres Daseins, die Sehnsucht, die Lust und der Schmerz. Alles Gute stammt vom Weibe, alles Schlechte kommt von ihm, denn seinem Schoße entspringen wir alle. Die einen sehen in dem Weibe die eigene Mutter, die durch Leiden Geheiligte, und beten das ganze Geschlecht an, und die andern sehen in ihm die Verderberin, die darauf ausgehe, den Mann herabzuziehen, und die deswegen verdorben werden müsse.

Das ewige Rätsel blickt aus dem Weibe, aus dem guten und aus dem schlechten. Die Schwäche ihres Geschlechts ist die Siegelbewahrerin ihres Geheimnisses, die innere Wehrkraft gegen die Stärke des Mannes, mit der sie sich schützt und tausend Siege erringt gegen jenen. Das weiß sie, deshalb weicht sie so gern der Herrschaft des Mannes, weil all seine Brutalität nicht ausreichen würde, ihr dasjenige Geheimnis zu entlocken, das sie selbst ist und das sie verschlossen wie ein Grab mit sich herumträgt.

Ein Weib kann hundert Geheimnisse eines anderen an einem Tage erzählen, sie wird ihr eigenes aber nicht in hundert Jahren enthüllen. Und deshalb ist sie für uns das große Rätsel, zu dessen Lösung wir immer wieder zurückkehren, so oft wir auch schon daran gescheitert sind, wir suchen nach dem Schlüssel, wir zerbrechen uns den Kopf, wir ergründen und forschen und vergessen ganz, daß wir uns mit gebundenen Händen überliefern, sobald wir zu fragen beginnen und dadurch dem Weibe alles verraten, was es gerade wissen muß, um sich gegen unseren Ansturm zu wappnen.

Diese Betrachtungen stellte ich an, in den Anblick einer bronzenen Sphinx versunken, die ein Geschenk des Sanitätsrats war und das Wandbrett meines Arbeitszimmers schmückte.

Die griechische Sage erzählt, daß die Sphinx eine Tochter des Typhaon und der Schlange Echidna war, daß sie zu Geschwistern eine Menge berühmter Untiere hatte, und daß sie in der Nähe von Theben jeden tötete, der das aufgegebene Rätsel nicht zu lösen vermochte. Halb Mensch, halb Löwe vereinigte sie die dämonische Natur ihres ganzen Geschlechts in sich.

Ich aber sagte mir, daß die Götter wohl gewußt haben mußten, weshalb sie dem Löwen den Kopf des Weibes mit der schönheitstrunkenen Brust gaben. So lockte sie durch Weichheit, so berauschte sie mit ihren Küssen, trank gierig die Kraft, bis in den streichelnden Pfoten sich die Krallen zeigten, mit denen sie die Unglücklichen erdrosselte, die das Sinnbild nicht verstanden. Nur einer kam und gab auf die ewige Frage: »Was ist am Morgen vierfüßig, am Mittag zweifüßig, am Abend aber dreifüßig?« die richtige Antwort. Es war Ödipus, der auf den Menschen riet, der als Kind auf Händen und Füßen krieche und als Greis den Stock zur Hilfe nehme. Die Sphinx stürzte sich vom Felsen, und Theben war erlöst.

Ich fragte mich, ob ich das Rätsel ebenso lösen würde, das als sorgsame Hausfrau in meiner Nähe wandelte, mich anzog und wieder abstieß, mich durch ihren Anblick zu hellem Kampfe herausforderte und durch ihre sorglose Ruhe jedesmal entwaffnete.

Im geheimen hatte ich meine Nachforschungen fortgesetzt. Alles war vergeblich. Außer den beiden Ärzten hatte man keinen Herrn die Wohnung betreten sehen. Ich begann meine Frau zu beobachten, ohne daß sie es merkte. Ich ging ihr auf ihren Ausgängen heimlich nach, ich durchstöberte ihren Schreibtisch nach Briefen – es war alles erfolglos. Einmal, als sie vorgab, während meiner Nachmittagssprechstunde notwendig Einkäufe machen zu müssen, erfand ich, als sie gerade zur Türe hinaus war, einen schleunigen Krankenbesuch. Ich ließ die Stunde ausfallen und eilte hinter Irma her. Sie ging von Geschäft zu Geschäft, und ich stellte mich in den Torweg irgendeines Hauses und wartete auf sie. Sie kam mit Paketen beladen heraus, stets allein und schlug auch so den Weg nach Hause ein. Beschämt setzte ich mich in eine Droschke, um vor ihr anzulangen.

Bis sich das einige Male wiederholt hatte, kam mir mein Gebaren lächerlich vor. Ich ärgerte mich über den Zeitverlust und erklärte mich selbst für einen Narren, der sich mit Wahnvorstellungen foltere.

Es dauerte aber nicht lange, so war die Selbstbetäubung wieder vorüber. Ein altes Sprichwort fiel mir ein: »Den Weg zur Sünde findet auch die Blinde.« Konnte sie mich nicht einlullen wollen, in der richtigen Voraussetzung, ich würde die Augen offenhalten? Sie wußte gewiß, daß jeder Verdacht langweilig wird, wenn die Beweise ausbleiben, und daß ich sie nicht an der Kette halten konnte. Sie mußte gesellschaftliche Verpflichtungen erfüllen, hatte Besuche zu erwidern, die ich nicht verhindern durfte. Konnte ich sie auf Schritt und Tritt begleiten, sie mit mir in der Tasche herumführen? Und wenn ich fort war, meiner Pflicht nachging, konnte sie da nicht schreiben, tun und lassen, was sie wollte?

Ja, es war so: den Weg zur Sünde fand auch die Blinde.

Bei alledem mußte ich mir den Zwang auferlegen, die Dienstboten nichts merken zu lassen, denn sonst war das Heiligtum erst ganz zerstört. Ich wußte, daß es in Berlin eine Menge Detektivbureaux gab, wo man für Geld zu allem bereit war, wo man Subjekte erstehen konnte, die das Liebste verfolgten und bewachten, die unreinen Augen an die Fersen hefteten und schmutzige Zeugnisse zusammentrugen, die auch den Reinsten vernichten konnten, was findet sich nicht alles im Kehrichthaufen einer Weltstadt!

Ich schreckte davor zurück wie vor der Besudelung meines Namens. Hieß sie nicht wie ich, war sie nicht die Mutter meines Kindes, warf ich nicht mein Glück hin, wenn ich sie preisgab? Und noch war sie mein Glück, mein Besitz, das Liebste, was ich hatte. Ich fühlte es jetzt heißer denn je, daß ihr Versinken in die Sünde den Verlust von Jahren meines Lebens bedeuten würde, daß sie dann meinen ganzen Glauben an das Bessere zertrümmert hätte, daß die Scham mich dann verzehren würde und ich zum Lügner an meinem Sohne werden müßte.

Und deshalb zitterte ich, deshalb zauderte ich, und deshalb schloß ich die Augen, um das Schwanken des Grundes nicht zu sehen.

Eines Nachmittags machte ich es so, daß Sophie längere Zeit an meinem Schreibtisch stand, um auf einige Briefe zu warten, die ich zur Absendung bereit machte und die sie zur Post mitnehmen sollte. Es war ein Geldbrief dabei, und während ich ihn versiegelte, reiften wieder bestimmte Gedanken in mir. Er war der vierte Tag nach meinem Mißgeschick.

»Sagen Sie,« begann ich, »Sie hatten am Sonntag einen Brief von meiner Frau an ihren Cousin zu besorgen. War der Herr zu Hause?«

Ich wollte sie in Verblüffung versetzen, deshalb erfand ich den »Cousin«. Sie schwieg, und ich vermied es mit Willen, sie anzublicken, um möglichst den Gleichgültigen zu spielen. »Nun?« ermunterte ich sie dann wieder.

»Ja, Herr Doktor, ich überlege soeben, wo ich am Sonntag überall war.«

Ich ließ ihr auch ruhig Zeit zur Überlegung, vielleicht verrannte sie sich dadurch umso mehr.

»Ich habe keinen Brief für Frau Doktor besorgt,« erwiderte sie dann nach einer Weile, durchaus nicht zögernd.

»Aber meine Frau hat es mir doch gesagt,« log ich tapfer, hingerissen von dem Augenblick.

»Das kann doch wohl nicht gut möglich sein, Herr Doktor,« fiel sie rasch ein.

Als ich jetzt erst aufblickte, sah ich die letzte Spur eines Lächelns. Um meine Ungeschicklichkeit wieder gut zu machen, verbesserte ich mich sofort: »Nein, nein, ich irre mich auch. Meine Frau sagte es auch nicht. Ich hörte es aber, als ich hinten lag.«

Sie war einen Augenblick verlegen. »Ja, denn müssen der Herr Doktor wohl geträumt haben. Bitte sehr um Entschuldigung dafür, aber ich habe keine andere Erklärung.«

Es hörte sich so an, als plapperte sie etwas nach. Das brachte mich schon auf, und so sagte ich ohne Verhüllung meines Ärgers nochmals: »Das muß ich besser wissen als Sie. Ich habe nicht geträumt, sondern wirklich gehört.«

»Dann tut es mir sehr leid, aber Frau Doktor haben ja gar keinen Cousin, also kann ich auch keinen Brief zu ihm hingetragen haben.« Rechthaberei sprach aus ihren Worten, aber doch vermischt mit jener Unterwürfigkeit, der man nicht gut beikommen kann.

Ich wollte auffahren, den »Cousin« plötzlich fallen lassen, sie der Lüge zeihen, aber das Gefühl, der Reingefallene bei diesem Examen zu sein, überwog so stark, daß ich nur ein kurzes »Ach so« einwarf und sie entließ. Sie konnte sich darunter denken, was sie wollte.

An einem der nächsten Tage hatte ich meinen früheren Kutscher zu mir bestellt. Ich hatte für Karl noch einen passenden Ersatz gefunden, wollte ihn aber so schnell als möglich aus dem Hause haben, und so mußte ich dafür Sorge tragen, daß ich für meinen Braunen eine Aushilfe fände. Auf kurze Zeit war der Alte für den Stalldienst gewiß noch zu verwenden.

»Na, wird's denn noch gehen mit den Gebrüder Beenekens?« redete ich ihn wohlwollend an, nachdem ich ihn durch einen Händedruck ausgezeichnet hatte.

»Und ob, Herr Doktor! Wir fühlen uns noch mächtig gesund. Gewissermaßen.« Und dabei salutierte er mit geknickten Knien.

Ich mußte lachen, denn seine ganze Erscheinung hatte immer etwas Humoristisches für mich gehabt. Anton war ein Original, das sich im invaliden Zustande noch weiter ausgebildet zu haben schien. Mit kindlicher Frömmigkeit begabt, war er mir immer wie einer der zwölf Apostel vorgekommen, dessen Geist in einen Rosselenker gefahren zu sein schien. Schon der Sanitätsrat hatte ihn mit Vorliebe Petrus genannt, mit dem er auch eine gewisse Ähnlichkeit hatte, nur moderner, ins Berlinische übertragen. Das Modell mehr eines Modernen als das eines Raphaeliten.

Und als ich jetzt die treue Seele vor mir sah, in dem alten Gehrock, den ich ihm vor einiger Zeit geschenkt hatte, der seine dürre Gestalt wie ein weiter, schwarzer Sack bis über die Knie umschlenkerte, fühlte ich mich gedrungen, ihm einen Stuhl anzubieten, auf dessen äußerste Ecke er sich vorsichtig niederließ.

Trotzdem es Sommer war, trug er Pulswärmer, die er sich selbst gestrickt hatte, da er auch in dieser Kunst erfahren war. Auch ein Tuch hatte er um den Hals geschlungen, weil er in seinem hohen Alter an der steten Furcht vor Erkältung litt. Die langen Greisenfinger umklammerten vorsichtig die Krämpe des alten, stumpfen Zylinderhutes, dem er vergeblich an einigen Stellen den früheren Glanz zu verleihen versucht hatte. Es war noch immer der Ableger von mir, den er vier Jahre lang in Ehren auf dem Bock getragen hatte und den er noch immer mit Hochachtung behandelte.

»Wir sehen ja gerade aus, als wollten wir zum Begräbnis gehen. Doch nicht etwa noch nachträglich zu meinem,« sagte ich, auf seine Sprechweise eingehend, in Heiterkeit erhalten durch seine Erscheinung. Ich wußte, daß er sich stets geehrt fühlte, wenn ich in seinen »l'empereur-Ton« verfiel.

Er zeigte vergnügt seine Zahnlücken und strich vorsichtig den Hut, obgleich mir diese Sorgfalt nicht recht einleuchtend war. Dann aber wackelte er mit dem Kopfe und erwiderte listig: »Der Herr Doktor haben ja gewissermaßen dem Gevatter Tod ein Schnippchen geschlagen. Wir möchten uns gern auch einmal auf seine Sense setzen und ihn weitermähen lassen. Gewissermaßen. Wenn er uns schon zu haben glaubt. Aber mit dem Hopsen ist's bei uns nichts mehr, und so wird er wohl bald kommen.«

Es zog ihn in den Beinen, als hätte er durch die Erinnerung an sein Ende die Schmerzen mit Gewalt heraufbeschworen. Ich tröstete ihn und gab ihm meine ärztlichen Ratschläge. Er sagte, daß er am kommenden Sonntage ganz von selbst gekommen wäre, um mir seine Freude über meine »Rückkehr zu den Lebenden« auszusprechen. Er sei darüber so vergnügt gewesen, daß ihn beinahe der Schlag getroffen hätte. In der Woche sei er jetzt wieder beschäftigt; bei einem Fuhrherrn leiste er in den Ställen Handlangerdienste. Durch meine Güte brauche er nicht zu hungern, aber die vertrackte Untätigkeit könne er noch nicht ertragen, wenigstens nicht an Tagen, wo das Zipperlein auf Besuch ausgegangen sei.

»Ich danke Ihnen auch noch für Ihre gute Meinung, die Sie von mir an meinem Sterbebette hatten. Daran habe ich meinen alten Anton erkannt,« unterbrach ich ihn und machte mir den Spaß, ihm »gewissermaßen« alles das zu wiederholen, was er Schönes gesagt hatte. Sein fortwährendes Nicken bestätigte mir, daß mir sein Selbstgespräch so ziemlich im Gedächtnis geblieben war. Ich ließ ihn im unklaren darüber, ob ich es selbst gehört hatte oder den Mitteilungen anderer folgte.

Wie in Ergriffenheit fuhr er sich mit den Fingern über die Augen und sagte dabei: »So war es, so war es. Wenn wir Andacht halten, tun wir's immer allein, gewissermaßen nur den lieben Gott als Hörer. Wir haben uns immer in uns selbst verkrochen, wie der Herr Doktor ja wohl wissen werden. Und wenn wir eines Tages in die Grube fahren, na – dann werden der Herr Doktor auch nicht schlecht vom alten Anton Puhl sprechen.«

Er war in Rührung zerflossen und erhob sich, weil ich nicht mehr Zeit hatte. Ich machte ihm ein Geldgeschenk und versprach ihm, von nun an mich seiner noch mehr anzunehmen als bis jetzt. Er solle sich nun den Braunen mal ansehen und dann am andern Morgen seinen Aushilfedienst antreten. Zu fahren brauche er nicht. Es machte mir Mühe, ihm diese alte Tätigkeit auszureden, denn er beteuerte mir hoch und heilig, wenn er einmal oben »festsitze«, manchen jungen Kerl noch zu beschämen.

Ich hielt ihn noch einen Augenblick zurück. »Sagen Sie 'mal, Anton,« begann ich wieder, »können Sie sich entsinnen, den Cousin meiner Frau vorigen Sonntag hier im Hause gesehen zu haben? Sie wissen doch, den jungen Mann, an den Sie früher öfters Bestellungen von meiner Frau machten. Er behauptet, es sei am Sonntag niemand hiergewesen. Wo wohnt er doch gleich – warten Sie 'mal.«

Während ich so tat, als sänne ich nach, betrachtete ich den Alten lauernd. Auf diese Unverfänglichkeit mußte er eingehen, wenn er mit seiner Ahnungslosigkeit in irgendeiner Weise dienen konnte. Er senkte ebenfalls das graue Haupt, dann schüttelte er es bedächtig. Eher hätte ich einem Felsen Leben geben können, als seinem Gedächtnis.

»Wir sind keinem jungen Herrn begegnet,« krähte er dann mit seiner altersschwachen Stimme. »Das ganze wird wahrscheinlich unser Herr Nachfolger besorgt haben.«

Er ging. Die Beschwörung des Cousins wollte mir nicht gelingen. Alle meine Gewitztheit scheiterte an dem Unbegreiflichen.


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