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Siebzehntes Kapitel

Allan kniete neben dem Toten nieder und begann, seine Taschen zu durchsuchen. Ein Bund Schlüssel war alles, was zum Vorschein kam. Interessiert nahm Dr. Burges die Schlüssel in die Hand. »Ohne Zweifel passen die Schlüssel zu den Handschellen, mit denen die beiden gefesselt sind«, konstatierte er. »Demnach hat Walker die beiden Banditen gefesselt. In welchem Verhältnis mag Walker zu den Banditen gestanden haben?«

Kapitän Allan zuckte mit den Achseln: »Das können wir gewiß von diesem dunklen Ehrenmann erfahren.« Er wandte sich zu Mister Kelbin, der noch immer gefesselt und geknebelt in seinem Sessel saß. Seit der Bemerkung Dr. Burges', daß niemand weiter verletzt worden sei, hatte er seine alte phlegmatische Gelassenheit wiedergewonnen.

»Nun, mein Junge«, sagte Kapitän Allan, »jetzt werden wir uns beide mal unterhalten. Aber …« drohend hielt er ihm den Revolverknauf unter die Nase, »wage nicht, mich anzuschwindeln, sonst helfe ich deinem Gedächtnis nach!« Er zog dem Dicken den Knebel aus dem Mund und nahm ihm gegenüber Platz.

»Danke verbindlichst!« sagte der Dicke und holte tief Atem. »Ich bin einen Lutschproppen gar nicht mehr gewöhnt. Hätten Sie mir diesen Liebesdienst eher erwiesen, wäre Ihnen und uns viel erspart geblieben. Immerhin, es ist auch so noch alles glimpflich abgelaufen.«

»Lassen Sie sich nicht täuschen, Kapitän!« sagte Dr. Burges. »Er will sich nur rausreden … nützt nichts, mein Junge«, wandte er sich an den Dicken, »du wirst genau so gehängt wie alle andern auch.«

»Ich bin durchaus damit einverstanden, daß ich genau so gehängt werde, wie alle andern auch«, lächelte der Dicke; »aber vorher hoffe ich Ihnen noch ein wenig nützlich zu sein. Sie werden gewiß viel zu fragen haben; bevor wir aber mit unserer Unterhaltung beginnen, halte ich es doch für angebracht, mich Ihnen vorzustellen. Wollen Sie, bitte, meinen linken Rockaufschlag zurückklappen? Dort werden Sie etwas finden, was Sie sehr interessieren wird.«

Verwundert folgte Kapitän Allan der Aufforderung. »Donnerwetter!« rief er erstaunt. »Die Polizeimarke!« Mißtrauisch musterte er ihn vom Kopf bis zu den Füßen. »Wenn Sie Kriminalbeamter sind, müssen Sie auch einen Ausweis mit Lichtbild bei sich tragen«, sagte er.

»Bitte sehr! In meiner linken Brusttasche werden Sie einen Ausweis finden, ausgestellt auf den Kriminalkommissar Charles Kelbin, Leiter der Polizeidienststelle im Marineamt San Franzisko.«

Prüfend sah Kapitän Allan das Papier durch. Kein Zweifel! Das Papier war echt. Kopfschüttelnd nahm er dem Dicken die Handschellen ab. »Sie müssen die harte Behandlung, die ich Ihnen angedeihen ließ, schon entschuldigen«, sagte er trocken. »Wenn Sie ein Schweinebraten gewesen wären, hätte ich es ja gerochen. Als Kriminalbeamter müssen Sie sich schon selbst vorstellen.«

Der Kommissar schnitt eine komische Grimasse und befühlte die dicke. Beule auf seiner Glatze. »In diesem Falle«, seufzte er, »hätte ich gewünscht, ich wäre ein Schweinebraten gewesen; ich glaube nicht, daß Sie mit Ihrem Revolverkolben auf einen solchen losgeschlagen hätten. Nun, Spaß beiseite!

Sie wünschen von mir Aufklärung über all diese Dinge, die so plötzlich und unerwartet in Ihr Leben eingegriffen haben. Noch vor wenigen Minuten hätte ich Ihnen diese Aufklärung versagen müssen, wenn Sie nicht selbst durch die Identifizierung dieses Toten mir völlige Klarheit gegeben hätten. Es ist nunmehr leicht für mich, diesen Fall zu rekonstruieren. Doch vorher muß ich mir eine Zigarre anstecken, dann geht es leichter.«

Er zog sein Zigarrenetui und reichte es Kapitän Allan und Dr. Burges hin, die dankend annahmen. Nachdem er sich selbst eine Havanna in Brand gesetzt hatte, tat er genießerisch einige tiefe Züge und begann:

»Die Reederei Walker & Thomson hatte in den letzten Jahren mit großen Schwierigkeiten zu kämpfen. Durch die wirtschaftlichen Umstände und durch die Fehlspekulationen Harry Walkers geriet die Firma in Zahlungsschwierigkeiten, die einen offenen Konkurs der Firma zur Folge gehabt hätten. In dieser Notlage beschloß Walker, durch eine gewaltsame Aktion sich vor dem Ruin zu retten. Der alte, reparaturbedürftige Frachter ›Arkansas‹ wurde hoch überversichert. Als Hauptladung bekam er 2000 Flaschen Helium an Bord, die natürlich einen gewaltigen Wert repräsentieren. Auch diese Ladung wurde in voller Höhe versichert. Auf hoher See sollte der Dampfer mitsamt seiner kostbaren Ladung untergehen. Harry Walker fand auch bald die verbrecherischen Elemente, die ihm bei der Ausführung seines dunklen Planes behilflich sein sollten. In Kapitän Brown – zu Zeiten der Prohibition ein berüchtigter Rumschmuggler und der Polizei wohlbekannt – fand er ein williges Werkzeug. Dieser stellte sich ihm mitsamt seiner Jacht und seinen Leuten zur Verfügung. Sein zweiter Gehilfe wurde der Zweite Maschinist der ›Arkansas' Hotchkins. Diesem fiel die Aufgabe zu, die ›Arkansas‹ auf hoher See zu versenken. Es selbst sollte von der Jacht, die in der Nähe kreuzte, aufgenommen werden. Es muß angenommen werden, daß Walker bedenkenlos die ganze Mannschaft der ›Arkansas‹ opfern wollte, um jeden Zeugen des Unterganges des Frachters zu vernichten. Die zwei, die ihn persönlich kannten, waren also Hotchkins und Kapitän Brown.

Die Versicherungssumme, die für das verlorengegangene Schiff ausgezahlt worden wäre, genügte bei weitem nicht, um das Defizit zu decken. Sein Haupttrick war nun, die kostbare Ladung gar nicht auf die ›Arkansas‹ zu bringen; in unglaublich raffinierter Weise verstand er es, an Stelle der Heliumflaschen gefälschte Flaschen mit billiger Kohlensäure zu verladen. Durch die Versicherungssumme des augenscheinlich verlorengegangenen Heliums hätte er einen ungeheuren Gewinn erzielt. Die Fälschung der Ladung verschwieg er seinen beiden Kumpanen, und das war sein großer Fehler, der seinen Plan zunichte machte. Hätte er damals seinen Helfern davon Mitteilung gemacht, so wäre das für ihn kaum ein Risiko gewesen, zumal er gar nicht daran dachte, seinen Raub mit ihnen zu teilen. Walker war ebenso vorsichtig wie gewissenlos. Er wußte, daß er nach der Tat seinen Helfern auf Gnade oder Ungnade ausgeliefert war. Um sich absolute Sicherheit zu verschaffen, beschloß er, sich auch seiner Helfer zu entledigen. Er versteckte in der Jacht, die er anscheinend genau kannte, eine Höllenmaschine, die einige Tage nach dem Untergang der ›Arkansas‹ explodieren und die Jacht mit Mann und Maus in die Tiefe reißen sollte. Soweit war nun alles ausgezeichnet geregelt. Der schlaue Kapitän Brown aber, der nicht wußte, daß die Ladung vertauscht war, kam auf den Gedanken, sich der wertvollen Heliumnaschen zu bemächtigen. Es war wieder mal das alte Spiel: Ein Gauner betrügt den andern. Er veränderte mit Hotchkins den Plan so, daß die ›Arkansas‹ nicht gesprengt, sondern nach alter Flibustierweise gekapert werden sollte. Die Einzelheiten der nun folgenden Kaperung entziehen sich meiner Kenntnis. Am fünften dieses Monats empfing der amerikanische Zerstörer ›Oregon‹ einen teilweise verstümmelten drahtlosen Hilferuf der ›Arkansas‹, aus dem hervorging, daß sie von einer fremden Jacht überfallen worden sei. Glücklicherweise vermochte der Funker noch den Standort des Schiffes mitzuteilen, ehe seine Station durch einen Granatvolltreffer zerstört wurde. Mit Volldampf raste der Zerstörer dem Orte des Verbrechens zu, aber er kam zu spät. Einige Kisten, Bretter und ein Rettungsring mit dem Namen des Schiffes waren die einzigen Überbleibsel der ›Arkansas‹. Von der Mannschaft keine Spur. Dagegen trieben einige Leichen herum, die ihrer Kleidung und ihrer Bewaffnung nach nicht zu der Besatzung des Frachters gehören konnten. Sogleich begab sich die ›Oregon‹ auf die Verfolgung der Jacht. Sie hatte Glück. Schon am nächsten Tage wurde eine verdächtige Jacht gesichtet, die, ohne auf die Signale des Zerstörers zu achten, mit höchster Fahrt zu entkommen versuchte. Der Zerstörer feuerte einen scharfen Schuß auf die Jacht ab, der das Deck durchschlug und im Maschinenraum explodierte. Die beiden Männer, die sich im Maschinenraum aufhielten, wurden durch die Granatsplitter getötet, die Maschine außer Betrieb gesetzt. Die Jacht kam außer Fahrt und wurde von den Marinesoldaten des Zerstörers besetzt.

Bei der nun folgenden Untersuchung machte man eine eigenartige Entdeckung. Auf der Jacht befanden sich nur drei Männer: die beiden Toten im Maschinenraum und der Kapitän in seiner Kajüte. Auch er war tot. In seiner Rechten hielt er noch die Pistole, mit der er sich eine Kugel in den Kopf gejagt hatte.

Die ›Arkansas‹ war gesunken, von der Mannschaft keine Spur. Auf der Piratenjacht die tote Besatzung. Niemand war da, der Aufschluß über die rätselhaften Dinge, die sich hier abgespielt hatten, geben konnte. Die ›Oregon‹ funkte ein chiffriertes Telegramm an die Marinebehörde in San Franzisko und bat um weitere Verhaltungsmaßregeln.

Ich wurde vom Marineamt mit der Klärung des Falles beauftragt. Zunächst sorgte ich dafür, daß die Angelegenheit streng geheim gehalten wurde. Aus diesem Grunde ließ ich nicht die Jacht in San Franzisko einlaufen, sondern begab mich in einem Schnellboot an Ort und Stelle, um die Untersuchungen einzuleiten.

Dabei stellte ich an Hand der Seekarten fest, daß dort, wo die ›Arkansas‹ gesunken war, eine Anzahl Riffe vorhanden war, die in geringer Tiefe unter der Wasseroberfläche lagen. Da die Möglichkeit bestand, daß das Wrack auf einem dieser Riffe liegen konnte, forderte ich zwei unserer besten Marinetaucher an, die mit der erforderlichen Ausrüstung versehen wurden. Am Tatort angekommen, stellten wir tatsächlich fest, daß die ›Arkansas‹ in der geringen Tiefe von dreißig Metern auf einem Riff lag. Die folgenden Tauchversuche brachten nun wirklich Licht in die Angelegenheit.

Es wurde festgestellt, daß die ›Arkansas‹ nicht durch Granatfeuer, sondern durch eine Kesselexplosion gesunken war. Anscheinend hatte die Besatzung der ›Arkansas‹, als sie keinen Ausweg mehr fand, das Schiff gesprengt, um es nicht in die Hände der Piraten fallen zu lassen. Gleichzeitig löste sich auch das Rätsel, warum nur drei Mann auf der ›Stella‹ gefunden wurden: In den Räumen des gesunkenen Schiffes nämlich wurden vierzehn Leichen gefunden, die alle in der gleichen Weise gekleidet und bewaffnet waren, wie man es von den Matrosen eines Frachters nicht erwarten kann. Offensichtlich waren die Banditen bei der Untersuchung des Schiffes von der Explosion überrascht worden. Aber noch eine dritte und überraschende Feststellung machten die Taucher. Hierdurch wurde unzweideutig das Motiv der Tat erkannt. Als sie einige Flaschen Helium an Bord brachten und wir den Inhalt untersuchten, entdeckten wir zu unserem Erstaunen, daß an Stelle von Helium gewöhnliche Kohlensäure in den Flaschen war. Nachdem uns das Motiv der Tat bekannt war, schien es nicht mehr schwierig zu sein, die Hintermänner dieser Tat ausfindig zu machen.

Bei jedem Verbrechen muß man sich darüber klar werden, wer hierdurch Vorteile erhält. In diesem Falle war es die Reederei, die die Versicherungssumme für das verlorengegangene Schiff und vor allen Dingen für die angebliche Heliumladung einstrich. Meine Kollegen in San Franzisko konnten jedoch nicht feststellen, wann die Vertauschung der Ladung vor sich gegangen war, so daß eine einwandfreie Schuld der Firma nicht nachzuweisen war. Diese Ermittlungen waren natürlich sehr schwierig, da sie, meiner Weisung entsprechend, in aller Heimlichkeit durchgeführt wurden, so daß die Reederei keine Nachricht von dem Verlust des Schiffes, noch weniger Kenntnis davon hatte, daß sie bereits von der Polizei überwacht wurde.

Bei der Durchsuchung der Jacht fand ich einige Telegramme, aus denen ich entnehmen konnte, daß die Jacht von einer bestimmten Zentrale aus ihre Befehle erhielt. Darauf nun baute ich meinen Plan, auf die Spur des geheimnisvollen Unbekannten zu kommen, der das ganze scheußliche Verbrechen inszeniert hatte. Da jener noch keine Ahnung von der Aufbringung der Jacht haben konnte, beschloß ich, die Rolle des toten Kapitäns Brown weiterzuspielen. Der Kommandant der ›Oregon‹ stellte mir den Kapitänleutnant Ehlers und acht Mann seiner Besatzung zur Verfügung, und so kreuzte die ›Stella‹ mit ihrer verkappten Piratenmannschaft weiter auf der See herum, begierig auf das erste Zeichen ihres unbekannten Befehlshabers wartend, das sie ihrem Ziele näherbringen sollte.«

»Was?!« Entsetzt sprang Kapitän Allan auf und packte den Kommissar bei den Schultern. »Die Piraten, gegen die wir gekämpft haben, sind gar keine Piraten, sondern …«

»… sondern Marinesoldaten der Vereinigten Staaten«, beendete Kommissar Kelbin den Satz. »Ja«, fügte er ernst hinzu, »das Schicksal hat es gewollt, daß wir, die wir doch ein und dasselbe Ziel verfolgen, wie von Blindheit geschlagen, uns als Feinde gegenüberstanden. Glücklicherweise ist auf beiden Seiten kein Blut geflossen. Der arme Kapitänleutnant Ehlers hat seine Rechnung mit dem Verbrecher selbst quitt gemacht. Leider habe ich erst in letzter Minute von Walker selbst erfahren, wer unsere Gegner sind. Wir müssen unsere Rolle als Piraten ganz gut gespielt haben«, fügte er lächelnd hinzu, »zumal wir die Vorsicht gebrauchten, die Uniformen abzulegen und dafür die Kleidung gewöhnlicher Jachtmatrosen, die wir an Bord vorfanden, anzulegen. Selbst Walker hat uns für die Leute seines Kumpanen Brown gehalten. Glauben Sie mir: Es war die schwerste Stunde meines Lebens, als ich, gefesselt und geknebelt, nicht imstande, den verhängnisvollen Irrtum aufzuklären, miterleben mußte, wie Ihre Leute gegen unsere Marinesoldaten zum Kampfe vorgingen. Daß dieser Kampf blutlos abging, ist eine Gnade des Himmels. Außerdem«, lächelnd befühlte er seine Beule auf der Glatze, »haben Sie mir diese Stunde der Angst durch den Hieb mit dem Revolverkolben wesentlich abgekürzt.

Aber kehren wir zum Thema zurück: Wie ich schon sagte, gondelten wir in der Rolle der Piraten kreuz und quer auf der See herum. Um einige Ausrüstungsgegenstände zu ergänzen, legten wir in Hawai an, und hier nahmen wir Fräulein Marion, die dort ohne Schuld in Not geraten war, an Bord, um sie, wenn wir wieder in Frisko eintreffen sollten, dort wieder abzusetzen. Selbstverständlich, daß wir ihr gegenüber strengstes Stillschweigen über unsere Aufgabe wahrten. Einige Tage später retteten wir Fräulein Peters aus Seenot. Hier entstand leider ein zweiter, verhängnisvoller Irrtum. Um ihre Gefühle zu schonen, vermieden wir es, sie nach ihrem Schicksal auszufragen, sondern überließen es ihr, uns das Wesentlichste mitzuteilen. So erfuhren wir nur, daß sie mit der ›Minnesota‹ gestrandet sei und dabei ihren Vater verloren habe. Die übrige Mannschaft habe auf der Johnston-Insel Zuflucht gefunden. Leider hatte ich bei der früheren Untersuchung verabsäumt, mir den Namen des Kapitäns der ›Arkansas‹ einzuprägen, da es mir unwesentlich erschien. Daher fiel mir der Name ›Peters‹ nicht weiter auf, und ich glaubte, daß Kapitän Peters der Kommandant der ›Minnesota‹ sei. Ich gab sofort Befehl, die Insel anzulaufen und die Schiffbrüchigen abzubergen. Doch fanden wir bei unserer Ankunft eine Flaschenpost vor, daß sie bereits von einem Dampfer geborgen seien.«

»Ja«, unterbrach Kapitän Allan den Kommissar, »wir beobachteten Ihr anlaufendes Schiff und erkannten in ihm die Piratenjacht wieder. Da wir keine Lust hatten, uns gefangennehmen zu lassen, ohne Waffen auch an einen Widerstand nicht denken konnten, die aufgebauten Wohnbaracken uns aber verraten hätten, kam Steuermann Smith auf den Gedanken, so zu tun, als seien wir bereits geborgen worden. Wir schrieben also die Flaschenpost und zogen mit unserer Habe in die schwer zugänglichen Klippen, wo wir vor der Entdeckung leidlich sicher waren. Erst als wir die ›Stella‹ längere Zeit im Hafen liegen sahen und wir die geringe Anzahl Ihrer Leute erkannten, kamen wir auf den Einfall, uns der ›Stella‹ zu bemächtigen. Einen wesentlichen Einfluß auf diesen Entschluß hatte auch die Feststellung, daß wir in einem Ihrer Boote das Motorboot der ›Arkansas‹ wiedererkannten und die Hoffnung hegten, daß sich Fräulein Peters an Bord befinde. Nachdem sich diese Annahme zu unserer großen Freude bestätigt hatte, zögerten wir nicht länger, unsern Plan auszuführen.«

»Mein Kompliment!« sagte Kommissar Kelbin, »ich muß Ihren Schneid anerkennen. Immerhin wäre die Sache für Sie nicht so glatt abgelaufen, wenn Sie nicht unerwartete Hilfe von den beiden Damen erhalten hätten. Wir sind ihnen aber ebensoviel Dank schuldig; denn ohne das tapfere Eingreifen von Fräulein Peters wäre uns Walker wahrscheinlich entschlüpft, und zwar auf Nimmerwiedersehen.

Nun, wir wollen aber nicht vorgreifen und die Geschehnisse weiter verfolgen: Genau so, wie Sie von der Insel aus die Piratenjacht wiedererkannt haben, muß auch Fräulein Peters bei einem Ausflug auf die Insel dieselbe Feststellung gemacht haben. Die Wirkung auf das arme Mädchen muß schrecklich gewesen sein. Es ist erstaunlich, wie schnell das kaum von seiner schweren Krankheit genesene Mädchen sich in die neue Lage gefunden hat. Bei ihrer Freundin Marion fand sie natürlich vollstes Verständnis. Wir hatten, wenn man so sagen will, über Nacht zwei Feinde an Bord bekommen. Obgleich beide mit keinem Wort ihre Erkenntnis verrieten, fiel mir ihr verändertes Wesen doch auf; aber ich grübelte vergebens nach der Ursache. Doch bald bekam ich die Aufklärung. Ich muß gestehen, daß ich Fräulein Peters immer ein gewisses Mißtrauen entgegengebracht habe. Ich hatte so das Gefühl, als ob da etwas nicht stimme. Deswegen hatte ich schon vorher funkentelegrafische Erkundigungen über sie eingezogen. Ich erfuhr nun, daß Kapitän Peters Kommandant der ›Arkansas‹ war. Damit war mir die Veränderung in dem Wesen der beiden Mädchen völlig klar. Hätte ich gleich die Damen über das Mißverständnis aufgeklärt, wäre uns vieles erspart geblieben; aber jetzt begannen die Ereignisse sich zu überstürzen. Zunächst erfolgte Ihre Überrumplung, durch die Sie sich in den Besitz von Waffen und Munition setzten; gleichzeitig versperrten Sie uns den Zugang zum Hafen. Tags darauf entdeckten die beiden Damen zufällig ein geheimnisvolles Paket, das sich zu unserm nicht geringen Entsetzen als Höllenmaschine entpuppte. Damit hatten wir auch die Erklärung, warum unser geheimnisvoller Unbekannter nichts mehr von sich hören ließ. Er wähnte die ›Stella‹ mitsamt ihrer Besatzung längst auf dem Grunde des Meeres. Wir beschlossen, den Sprengstoff zur Sprengung der Barriere am Hafeneingang zu verwenden. Doch ehe wir dazu kamen, war er schon verschwunden und mit ihm die beiden Damen. Alles Suchen war vergeblich. Hatten doch die beiden den geheimen Gang entdeckt, der uns völlig unbekannt war! Wie sich die Mädchen dann mit Ihnen in Verbindung setzten und woher sie überhaupt wußten, wer unsere Gegner sind, entzieht sich unserer Kenntnis.«

Kapitän Allan lachte. »Darüber will ich Sie gern aufklären, Herr Kommissar: Steuermann Smith hatte bei der Überrumplung, bei der Ihre Wache gefesselt und geknebelt wurde, sein Taschentuch als Knebel benutzt, und dieses Tuch ist von Fräulein Peters als Eigentum des Steuermanns wiedererkannt worden.«

Der Kommissar schüttelte verwundert den Kopf: »Wie einfach doch manche Erklärung ist, über die man sich umsonst den Kopf zerbricht. Und wie ist die Benachrichtigung vor sich gegangen, sie müssen doch ein Boot gehabt haben?«

»Stimmt«, gab Kapitän Allan zu, »dieses Boot war ein Schlauchboot und befand sich im geheimen Gang. Fräulein Marion ist in der Nacht zu uns herübergepaddelt.«

»Und damit sie ungesehen vom Schiffe abstoßen kann, zerknallt uns unterdessen das andere Mädel unsere Dynamomaschine!« unterbricht ihn der Kommissar sehr belustigt. »Unglaublich! So was hätte ich einer Frau nie zugetraut.

Nun kommt der Endkampf«, fuhr er ernst werdend fort. »Unser geheimnisvoller Unbekannter muß doch irgendwie Verdacht geschöpft haben. Aus Furcht, seine Komplicen, die ihn persönlich kennen, könnten ihn verraten, beschließt er, dieselben zu erledigen. Er hatte es nicht mehr nötig. Brown und Hotchkins waren tot. Wie verabredet, findet er die ›Stella‹ bei dieser Insel und stattet ihr mit Hilfe des Geheimganges bei Nacht und Nebel einen Besuch ab. Er überrascht uns auch glücklich und wäre wahrscheinlich unerkannt entkommen, wenn nicht Fräulein Peters mit Mut und Geistesgegenwart die Situation gerettet hätte. Beinahe hätte das tapfere Mädel seine kühne Tat mit dem Leben bezahlen müssen, wenn nicht unser Kapitänleutnant Ehlers im letzten Moment sich dazwischengeworfen und die Kugel, die für sie bestimmt war, mit seinem Körper aufgefangen hätte. Das war die letzte Schandtat Walkers. Im nächsten Augenblick schleuderte ihn Ehlers mit letzter Kraft in die Ecke, daß ihm der Schädel zerschmettert wurde.«

Langsam erhob sich Kommissar Kelbin von seinem Sessel und trat zum Fenster. Drüben im Osten begann sich der Himmel zu röten.

»Ja«, sagte der alte Smith andächtig, »die Sonne geht wieder auf, es wird nun wieder Tag!«


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