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Drittes Kapitel

»Smith!«

»Ja, Käpt'n?«

»Stellen Sie mal genau unseren Standpunkt fest!«.

Der Alte machte verwunderte Augen: »Wozu? Ist das nicht egal, wo die ›Arkansas‹ ihr Grab findet?«

»Nein, Smith! Das ist nicht egal … alles andere hören Sie später.«

Kopfschüttelnd ging der Alte ab. Komischer Kauz, der Käpt'n. Anstatt von seinen Sachen zu retten, was noch zu retten ist, interessiert er sich dafür, wo sein Kahn absackt. –

»Frank!« Der Kapitän wandte sich an den Funker. »Rufen Sie die Mannschaft herauf! Die Leute sollen ihre Sachen mitbringen. Wir nehmen das Motorboot. Lassen Sie Proviant und Wasser in das Boot bringen, und sagen Sie den Jungs, sie sollen sich beeilen; in zehn Minuten fahren wir ab.«

»Alle Mann an Deck!« Durch alle Räume pflanzte sich der Ruf fort. Matrosen und Heizer eilten nach oben. Jeder trug seine wenigen Habseligkeiten, die er schon vorher heimlich gepackt« hatte.

Mit schweren, festen Schritten verließ der Kapitän die Brücke und begab sich in das Kartenhaus.

»Na, Smith, haben Sie es schon raus?«

»Gleich, Käpt'n! … so, hier sind wir!«

Der Kapitän beugte sich über die Karte; ein zufriedenes Lächeln spielte um seinen Mund.

»Sehr schön! Also hat's doch noch geklappt. Kommen Sie, Smith, es geht bald los; packen Sie Ihre Sachen!«

Als der Steuermann mit seinem Packen an Deck erschien, war die Mannschaft bereits vollzählig auf dem Hinterschiff versammelt. Die Sachen wurden im Motorboot verstaut, Wasser und Proviant untergebracht und das Boot herabgelassen. Der Steuermann sah sich nach dem Kapitän um. Der verschwand eben in Begleitung des Ersten Maschinisten im Maschinenraum.

»Das Boot ist klar«, meldete einer der Matrosen. »Können wir uns einbooten?«

Der Steuermann warf einen Blick auf seine Uhr und nickte: »Ja, es ist Zeit; in fünf Minuten stoßen wir ab.«

Die Mannschaft kletterte in das Boot hinunter. Von zwei Matrosen gestützt, schleppte sich der Erste Offizier, der schon seit Tagen an einem Malariaanfall litt, das Fallreep hinunter. Dann folgten die andern. Nur der Steuermann blieb noch oben an der Reling stehen und erwartete den Kapitän. Es war alles so still und unheimlich ruhig. Das dumpfe Pochen der Maschine, das wochenlang Tag für Tag den klobigen Schiffsleib durchzittert hatte, war verstummt. Auch die Leute unten im Boot saßen still und gedrückt auf ihren Plätzen und sahen nach dem Piratenschiff hinüber, dessen schlanker, weißer Leib sich in der sanften Dünung wiegte.

Schwere Tritte auf der eisernen Stiege, die zum Maschinenraum führte, deuteten die Ankunft der Erwarteten an. Noch einen Blick warf der Steuermann auf die Jacht, dann ging er dem Kapitän entgegen, der eben in Begleitung des Ersten Maschinisten in der Luke auftauchte.

»Alles fertig, Smith?«

»Jawohl, Käpt'n!«

»Na, dann steigen Sie man schon mit Cougan ein; ich komme gleich nach.«

Mit langsamen Schritten wandte er sich der Kajüte zu. Behutsam machte er die Tür auf und trat ein. In eine Ecke des Sofas gepreßt, saß Christel und sah ihm mit angstvollen, verstörten Augen entgegen. Zärtlich nahm er sie in seine Arme und streichelte ihr mit seiner schweren, harten Hand über ihr weiches, braunes Haar.

»Sei ruhig, mein Junge! Die ›Arkansas‹, unsere Heimat, haben wir nun verloren; aber man muß auch im Unglück den Kopf immer hoch tragen. ›Strammgestanden und nicht gemuckst!‹, das muß jetzt unser Wahlspruch sein. Du bist doch auch ein Seemann, und ein Seemann flennt nicht!«

Christel biß die Zähne zusammen und richtete sich stramm auf: »Zu Befehl, Herr Kapitän!« Es sollte wohl ulkig klingen, aber trotz aller Selbstbeherrschung kam es etwas weinerlich heraus; darum drehte sie sich schnell herum, wischte sich hastig die Tränen vom Gesicht und fing an, die notwendigsten Sachen in ihr kleines Köfferchen zu packen. ›Dumme Gans!‹ dachte sie bei sich, ›der Vati hat es jetzt doch so schwer, und du flennst ihm dazu noch etwas vor. Nun aber zusammengerissen, sonst gibts Keile!‹ Flink verstaute sie ihre Sachen; ganz obenauf legte sie behutsam ihr kostbarstes Kleinod, das Bild der Mutter, und dann klappte sie, nachdem sie noch schnell einen Kuß auf das Bild gehaucht hatte, mit hörbarem Ruck den Koffer zu.

»So, Vati, ich bin fertig; hast du alles?«

»Ja, Kindchen, es wird höchste Zeit, daß wir gehen.« Er nahm sie bei der Hand und führte sie zur Tür hinaus. Hier drehte sie sich noch einmal um. Es war wie ein stilles, heimliches Abschiednehmen. Sie wußte, daß sie diese Stätte, dieses Schiff, das ihr eine zweite Heimat geworden war, niemals wiedersehen würde. Einen Augenblick wurde sie nun doch wieder weich; aber tapfer schluckte sie die aufsteigenden Tränen hinunter und eilte nach oben. Beklommen blickte sie auf das Bild der Zerstörung. »James Frank?« fragte sie entsetzt, »ist er tot?«

»Nein«, sagte der Vater ernst, »er ist nur leicht verletzt. Wir haben glücklicherweise keine Verluste.«

Christel sah über das stille Wasser zu der schlanken, weißen Jacht hinüber. Zorn und Abscheu wallten in ihr empor. Stumm wandte sie sich um und kletterte behende, gefolgt von ihrem Vater, in das Boot.

»Paßt mal auf, Jungs!« wandte sich Kapitän Peters an seine Leute. »Jetzt gibt es noch einige gefährliche Minuten, dann winkt uns die Freiheit. Ich habe gar nicht die Absicht, mich gefangennehmen zu lassen, und ihr werdet wohl derselben Meinung sein. Die Sache ist ganz einfach: Wir stoßen ab, fahren um das Heck unserer ›Arkansas« herum und sind dann, durch unser Schiff gedeckt, vor den Kugeln der Banditen sicher. Dann laufen wir in höchstem Tempo davon. Ehe sich die Kerls von ihrer Überraschung erholt haben, die Maschinen anwerfen und um die ›Arkansas‹ herumfahren, sind wir bereits ein tüchtiges Stück weg, und ihr Geschieße wird uns nicht mehr viel anhaben können. Verfolgen können sie uns nicht, sie müssen sich um die ›Arkansas‹ kümmern, damit sie ihnen nicht unterdessen wegsackt. – Also los!«

Der Steuermann warf den Motor an und gab Vollgas. Mit rasch zunehmender Fahrt glitt das Boot an der Bordwand entlang, umrundete in engster Kurve das Heck und schoß in südöstlicher Richtung davon.

Ein vielstimmiges Wutgebrüll schallte hinter ihnen her. Einige Gewehrschüsse knallten, aber die Kugeln prallten an dem eisernen Leib des Frachters ab. Gespannt blickten die Flüchtenden rückwärts. Mit höchster Geschwindigkeit jagte das Boot über das Wasser; kleiner und kleiner wurde die »Arkansas«. Von dem Piratenschiff war nichts zu sehen, der Rumpf des Frachters verdeckte es. Wenig später kam es hinter dem Frachter hervor; doch schon lag eine tüchtige Strecke zwischen ihm und dem Motorboot. Einige Gewehrkugeln tanzten über das Wasser.

»Zickzackkurs!« befahl der Kapitän, »wir wollen den Kerls das Zielen ein wenig erschweren.«

»Rums!« … Drüben fuhr eine glührote Feuerzunge aus dem Geschützrohr. Unwillkürlich duckten sich alle. Heulend sauste die Granate über ihre Köpfe dahin, schlug weit vor ihnen in das Wasser ein. Der Steuermann lachte: »Ihr habt ja alle mit einem Male so ein kurzes Genick bekommen, Jungs! Die Kerls haben um 500 Meter vorbeigeschossen. Paßt auf, der nächste sitzt ein Stück hinter uns!«

»Rums!« … 200 Meter rechts hinter ihnen steilte eine hohe Wassersäule empor.

»Schade um die Granaten«, meinte der Erste Maschinist, »jetzt haben wir fast eine Seemeile zwischen uns. Wenn er nicht besser schießt, soll er sie lieber im Rohr behalten; er vergeudet nur nutzlos seine Munition.«

»Das haben die Banditen anscheinend schon selbst eingesehen«, meinte der Kapitän, der die Jacht durch sein Fernglas beobachtete. »Er stellt sein Feuer ein. Er dreht auf die ›Arkansas‹ zu, will wohl längsseits gehen.«

»Jetzt wird er unseren Kahn plündern!« sagte ein Heizer.

»Ja«, lachte der Erste Maschinist ingrimmig, wenn wir ihm nicht die Suppe versalzen hätten!«

»Wieso?« Fragend sah der Steuermann den Kapitän an.

Der nickte mit dem Kopf. »Drosseln Sie mal die Maschine, Smith! Das Drama müssen wir mit ansehen … Ja«, erklärte er dann unter allgemeiner Spannung, »dem haben wir die Suppe gründlich versalzen! Die ›Arkansas‹ ist sowieso verloren, so wollte ich wenigstens die Ladung retten. Ich mußte zu verhindern suchen, daß die Banditen die Ladung auf ihr Schiff umladen. Um das zu erreichen, habe ich mich entschlossen, die ›Arkansas‹ eigenhändig zu versenken. Ich habe zusammen mit Cougan im Kesselraum die Pumpen abgestellt, die Sicherheitsventile festgekeilt und unter jedem Kessel ein paar Kannen Öl verfeuert. In wenigen Minuten muß infolge des Überdrucks eine Kesselexplosion stattfinden, die das Schiff zum Sinken bringt. Hoffentlich«, fügte er hinzu, »fliegen die Piraten gleich mit in die Luft!«

Er zog seine Uhr und sah nach der Zeit: »Jetzt muß der Druck bald erreicht sein.«

»Aber ich verstehe nicht«, wandte der Steuermann sein, »wenn die ›Arkansas‹ mit der Ladung sinkt, dann ist sie doch mit aller Bestimmtheit verloren, während man sonst noch Hoffnung haben könnte, sie irgendwo und -wann den Piraten wieder abzujagen.«

Der Kapitän lächelte: »Smith, jetzt sollen Sie auch erfahren, warum ich genau wissen wollte, wo die ›Arkansas‹ ihr Grab findet. An dieser Stelle nämlich befinden sich weit ausgedehnte, unterseeische Riffe in einer Tiefe von nur 80 Fuß. Aus dieser Tiefe können die Taucher die Flaschen mit leichter Mühe bergen.«

»Damned!« sagte der Alte bewundernd. »Dann haben wir uns doch eigentlich noch ganz gut aus der Affäre gezogen! Die alte ›Arkansas‹ war sowieso reif für den Schiffsfriedhof; die Ladung ist so gut wie gerettet, wir sind auch noch alle am Leben … jetzt fehlt uns nur noch ein Schiff, das uns bald aufnimmt.« Er zeigte zu der Jacht hinüber: »Da, jetzt steigen die Banditen über!«

Gespannt blickte alles zurück. Die Jacht lag Bord an Bord mit dem Frachter. Wie Katzen kletterten die Banditen auf den Frachter über. Der Steuermann zählte halblaut mit: »drei … fünf … neun … vierzehn … achtzehn Mann! Da bleiben nicht viel auf der Jacht zurück. Ich wünschte, es steigen alle über und fliegen mit dem Kasten in die Luft! dann könnten wir unser Boot mit der Jacht eintauschen. Aber ich sehe immer noch einige Leute an Deck, die keine Lust haben, mit …«

Ein allgemeiner Aufschrei unterbricht ihn. Urplötzlich war der ganze Frachter in riesige, weiße Dampfwolken gehüllt, die auch das Piratenschiff den Blicken der Bootsinsassen entzogen. Einige Sekunden später tönte ein dumpfer, grollender Donner herüber; die Kessel der ›Arkansas‹ waren explodiert!

Erregt waren alle von ihren Sitzen aufgesprungen und starrten zu der Dampfwolke hinüber, die sich langsam verzog. Die ›Arkansas‹ sank. Tief lag ihr Bug im Wasser, während sich das Schiff allmählich nach Backbord überlegte. Plötzlich, wie von einer Riesenfaust gepackt, hob sich das Heck hoch empor, so daß die Schrauben in die Luft ragten. Ein Schreckensruf folgte; in Dampf- und Wasserwolken gehüllt, glitt das Schiff wie ein Stein senkrecht in die Tiefe. Die »Arkansas« war nicht mehr.

»Da geht sie nun hin«, sagte der alte Smith traurig. Verstohlen sah er zu dem Kapitän hinüber. Wie ein Träumender starrte Hein Peters auf die Stelle, wo eben noch sein lieber, alter Kahn gelegen hatte. Zusammengesunken, wie ein müder, alter Mann saß er da, den Blick in's Leere gerichtet. Waren das nicht Tränen, die dort in seinen Augen glänzten? … Wenige Augenblicke ließ er sich gehen, dann hatte er sich wieder in seiner Gewalt.

Seine Gestalt straffte sich. »Vollgas voraus!« kommandierte er mit fester Stimme. »Wir wollen nicht warten, bis die Kerls uns aus Rache mit ihren Granaten auf den Pelz rücken.«

Das Boot nahm seine Fahrt wieder auf und entfernte sich schnell von der Stelle, wo eben das Wasser sich über der »Arkansas« geschlossen hatte.


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