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Achtes Kapitel

»Uff!« stöhnte Mister Kelbin und räkelte sich von seinem Sitz auf. »Diese Hitze ist nicht gut für uns vollschlanke Leute.« Grinsend strich er sich über sein behäbiges Bäuchlein. »Ja doch, Dickerchen«, sagte er besänftigend, »du sollst ja ein Schluckchen haben.« Gemütlich schlurfte er zu dem eingebauten Wandschränkchen und entnahm ihm einige Gläser und Flaschen, die er sich unter den Arm klemmte, um damit zu dem Tischchen und seinem bequemen Ruhesessel zurückzukehren. Sorgsam stellte er die Gläser hin, ließ sich in einen Sessel fallen und betrachtete mit Kennermiene die Etiketten seiner Flaschen. »Whisky!« murmelte er befriedigt und goß sich ein halbes Glas voll ein. Noch einen Schuß Soda hinein, und der erste Schluck fand den Weg alles Vergänglichen.

Mitten hinein in dieses Junggesellenstilleben ertönte ein scharfes Klopfen an der Tür.

»Herein!« sagte Mister Kelbin seelenruhig. »Ah, Sie sind es, Herr Kapitän! Kommen Sie herein und trinken Sie einen Whisky mit mir! Er schenkte ihm ein Glas ein, das der Kapitän mit einem Zug hinuntergoß.

»Brrrr!« sagte er und schüttelte sich. »Das nächste Mal bitte etwas mehr Soda!«

Mister Kelbin lachte: »Nehmen Sie Platz, Herr Ehlers, damit Sie nicht umfallen! Hätte nicht gedacht, daß so ein Landrattennachmittagsschnäpschen einem alten Seebären etwas anhaben könnte.«

Der Kapitän lachte und lehnte sich behaglich in seinen Sessel zurück: »Erstens, Mister Kelbin, bin ich kein alter Seebär, sondern ein junger; zweitens ist Ihr harmloses Landrattennachmittagsschnäpschen ein Gesöff, das selbst einen alten Seebärenmagen zur hellen Rotglut bringen könnte, und drittens habe ich für das Trinken noch nie viel übrig gehabt; es gibt edlere Leidenschaften.«

»Ich weiß, ich weiß«, schmunzelte der Dicke, »wie geht es denn überhaupt Ihrer Kranken?«

Ehlers fühlte sehr wohl die leise Anspielung auf die ›edlen Leidenschaften‹, er war aber zu vergnügt, um sich hierdurch kränken zu lassen.

»Gottlob«, sagte er fröhlich, »das Fieber hat nachgelassen; in acht Tagen, denk' ich, wird sie wohl wieder aufstehen können. Übrigens, deswegen kam ich gerade zu Ihnen, wir müssen unsern Kurs ändern. Fräulein Peters erzählte mir eben, daß sich ihre Gefährten auf der Johnston-Insel befinden. Sie hatten nur für etwa 14 Tage Wasser und Lebensmittel bei sich. Es wird bald so weit sein, daß sie ihre Lebensmittel aufgebraucht haben. In zwei Tagen können wir dort sein. Da es wohl ein großer Zufall wäre, wenn man die Schiffbrüchigen bereits gerettet hätte, müssen wir so schnell wie möglich zur Insel und die Leute abholen.«

Mister Kelbin machte ein finsteres Gesicht, »Damned!« knurrte er. »Das paßt mir gar nicht!« Ärgerlich stand er auf und begann, die Hände auf dem Rücken verschränkt, in der Kajüte herumzuwandern.

Kapitän Ehlers blickte ihm mit wachsender Empörung nach. »Soll das vielleicht heißen«, fragte er in scharfem Ton, »daß Sie die Schiffbrüchigen nicht bergen wollen? In diesem Falle wüßte ich, was ich zu tun habe!«

Mister Kelbin antwortete nicht. Grübelnd schritt er auf und ab. Endlich blieb er vor dem Kapitän stehen: »Unsinn!« sagte er. »Die Leute holen wir ab; aber angenehm ist es nicht, ein Dutzend Menschen mehr an Bord zu haben. Haben Sie denn ganz unsere Aufgabe vergessen? Wir können unmöglich einen Hafen anlaufen und die Leute absetzen, das kostet zuviel Zeit. Im übrigen«, murmelt er halblaut vor sich hin, »die Sache kommt mir verdammt merkwürdig vor. Mit diesem Fräulein Peters stimmt etwas nicht!«

»Was wollen Sie damit sagen?« fragte Kapitän Ehlers erbost und stand von seinem Sitz auf.

Mister Kelbin blieb stehen; wie zwei Kampfhähne standen sich die beiden gegenüber. Dann sagte der Dicke plötzlich: »Welche Haarfarbe hat Fräulein Peters?«

»Braun«, sagte der Kapitän verblüfft.

»Stimmt! und was für Augen hat sie?«

»Blau«, sagte jener kurz, »aber schöner als Ihre Whiskyschweinsritzen«, setzte er grimmig hinzu.

Mister Kelbin nickte gleichgültig. »Stimmt auch«, sagte er gemütlich. »Was wissen Sie sonst noch von ihr?«

»Nichts!« rief Kapitän Ehlers heftig, dem diese Fragerei zu bunt wurde.

»Sehen Sie«, klang es zurück, »so ungefähr habe ich es mir vorgestellt. Nun, ich habe mehr gesehen … Kommen Sie!«

Er ging voraus und begab sich an Deck. Der Kapitän folgte ihm neugierig. Sie gingen an den Booten die in den Davits hingen, vorüber. Vor einem derselben blieb Mister Kelbin stehen und klopfte an die Planken: »Kennen Sie dieses Boot, Kapitän?«

»Gewiß«, erwiderte dieser erstaunt, »es ist das Motorboot, in dem wir Fräulein Peters fanden.«

»Richtig! Und welchen Namen hat das Boot?«

»Christel.«

»Stimmt auch. Und nun treten Sie, bitte, fünf Schritt zurück! Wenn Sie jetzt genau hinsehen, können Sie erkennen, daß unter dem jetzigen Namen früher ein anderer gestanden hat. Er ist zwar überpinselt worden; aber mit der Zeit ist die Schrift wieder etwas hervorgetreten. Versuchen Sie, ob Sie diesen Namen wieder lesen können!«

Eine kleine Weile verging, ehe es Ehlers gelang, den Namen zu entziffern; nun machte er doch ein etwas erstauntes Gesicht.

»Merken Sie was?« fragte Mister Kelbin.

»Ich weiß nicht, worauf Sie hinauswollen«, sagte der Kapitän. »Vor allen Dingen ist der überpinselte Name für mich noch lange kein Beweis, daß mit Fräulein Peters etwas nicht stimmen sollte.«

»Ja, wer nichts merken will, der merkt auch nichts!«

»Guten Tag!« sagte der Kapitän und ging auf die Brücke.

»Hallo, Kapitän!« rief ihm der Dicke noch nach. »Was meine Whiskyschweinsritzen anbetrifft, vergessen Sie nicht, daß Sie diesen die Rettung einer Ihnen sehr lieb gewordenen Person verdanken; schon aus diesem Grunde sollten Sie mehr Respekt vor ihnen haben!«

»Den Kerl knüpf ich noch mal eigenhändig an den Wanten auf«, knurrte der Kapitän böse und beugte sich über das Sprachrohr:

»Maschine große Fahrt voraus! … Leg' das Ruder auf Kurs Süd-Süd-West, Kenny; das faule Leben hat jetzt ein Ende, es geht wieder vorwärts!«

»Kurs Süd-Süd-West«, wiederholte Kenny und drehte das Steuerrad, dabei mit scharfen Augen den Kompaß beobachtend. Die »Stella« machte einen sanften Bogen und schoß mit zunehmender Geschwindigkeit dahin. Ihr scharfer Bug zerschnitt die Wogen und erzeugte eine hohe Bugwelle, die rauschend und gurgelnd an der Schiffswand entlangströmte.

Der Kapitän, der gespannt den Geschwindigkeitsmesser beobachtete, nickte zufrieden mit dem Kopf: »22 Seemeilen«, sagte er anerkennend, »die ›Stella‹ läuft wie ein Windhund; in knapp 40 Stunden werden wir da sein.«

»Wo?« fragte Kenny mit lakonischer Kürze, die plötzliche Eile hatte ihn neugierig gemacht.

»Wir müssen so schnell wie möglich zur Johnston-Insel; die Freunde von Fräulein Peters haben sich dorthin gerettet. Sie haben nicht mehr genug Wasser und Lebensmittel. Also, Eile tut not!«

Die Hände auf dem Rücken verschränkt, lief Kapitän Ehlers unruhig auf und ab. Kenny schwieg eine Weile, wie es seine Gewohnheit war, ehe er fragte: »Wieviel Mann sind es denn, Hannes?«

Der zuckte mit den Achseln: »Ich weiß es nicht, Fräulein Peters war noch zu schwach, um uns ausführlich zu berichten.« Er blieb stehen und sah seinen Freund mit hellen Augen an: »Ich bin mächtig froh, alter Junge, daß die Krisis vorüber ist. Hab' nie gewußt, wie ein Alpdruck ist; aber schlimmer, als mir zumute war, kann er auch nicht sein.«

»Was hattest du vorhin mit Kelbin?«

Hannes machte ein finsteres Gesicht. »Der Kerl ist mir zuwider wie eine Beutelratte«, sagte er. »Stelle dir vor, behauptet er doch dreist und gottesfürchtig, mit Fräulein Peters stimme etwas nicht … und warum? …«

»… weil er den überpinselten Namen auf dem Boot entdeckt hat«, unterbrach ihn Kenny ruhig.

»So, das hast du auch schon entdeckt! … Und was denkst du darüber?«

Kenny zuckte mit den Achseln. »Nichts!« sagte er kurz; »aber«, setzte er nach einer Weile nachdenklich hinzu, »merkwürdig ist es doch.«

»Nun sehen Sie selbst, daß ich nicht der einzige bin, der diese Meinung hat«, sagte eine überlegene, etwas spöttische Stimme hinter ihnen.

Kenny fuhr herum: »Hören Sie, Kelbin«, sagte er grob, »wenn ich behaupte, daß die Geschichte mit dem Boot etwas merkwürdig ist, so will ich damit nur sagen, daß dieses seltsame Zusammentreffen unter diesen Umständen gewiß unsere Beachtung verdient. Ich bin aber vollkommen davon überzeugt, daß Fräulein Peters uns eine genügende Erklärung darüber geben kann. Die Person von Fräulein Peters ist uns in jeder Beziehung unantastbar.«

»Nun«, erwiderte der Dicke kurz, »wir werden ja sehen, was sie uns zu erzählen hat.«

»Ja, das werden wir sehen!« sagte der Kapitän heftig; »aber diese Unterredung wird erst stattfinden, wenn Fräulein Peters vollkommen wiederhergestellt ist. Das bestimme ich!«

»Schön«, lächelte Mister Kelbin, »damit bin ich durchaus einverstanden. Kranken Menschen soll man jede Aufregung ersparen. Im übrigen läuft sie uns ja nicht weg; in dieser Beziehung ist ein Schiff geradezu ideal.« Er griente breit über das ganze Gesicht, drehte sich um und schlenderte pfeifend, die Hände in den Hosentaschen vergraben, zum Achterdeck.

»Kenny!« sagte der Kapitän wutschnaubend, »wenn der Kerl mal versehentlich über Bord gespült wird, kann ich wahrhaftig nichts dafür!«

»Laß nur gut sein, Hannes!« beschwichtigte ihn der Freund. »Der kann Fräulein Peters doch nichts anhaben; am Ende ist er doch der Dumme!«

Eine lange Pause entstand. Der Kapitän lehnte auf dem Geländer der Brücke und schaute träumerisch ins Weite. Unter seinen Füßen zitterte und vibrierte der Boden unter dem rasenden Lauf der schweren Dieselmaschine, die den schlanken Schiffsleib mit höchster Geschwindigkeit seinem Ziele zutrieb.


»Guten Morgen, Christkindchen, – gut geschlafen?« Fröhlich lachte Marion ihre eben erwachte Patientin an.

Einen Augenblick mußte diese sich besinnen, wo sie eigentlich war, dann erkannte sie die kleine braune Frau und streckte ihr lächelnd ihre Hand entgegen:

»Danke schön, Fräulein Marion«, sagte sie mit klarer Stimme. »Ich habe sehr schön geschlafen. Ich fühle mich schon ganz kräftig; aber … wo sind wir jetzt«, fuhr sie hastig fort, »haben wir die Insel schon erreicht?«

»Doch, wir sind schon da«, erwiderte Marion freundlich. »Wir haben vor einer Stunde Anker geworfen und haben sofort ein Boot hinübergeschickt, um Ihre Gefährten abzuholen, sie sind aber noch nicht zurück.«

Christel richtete sich, von Marion sorgsam gestützt, in ihrem Bett auf und blickte durch das geöffnete Bullauge hinaus. Die »Stella« hatte in der kleinen Bucht Anker geworfen, die schon damals den Schiffbrüchigen der »Arkansas« als Anlegeplatz gedient hatte. Sie lag ungefähr 100 Meter vom Strande entfernt, das Wasser war zu flach für die tiefgehende Jacht. Von ihrem Platz aus konnte Christel den flachen, sandigen Strand und die hohen, steilen Felsen sehen, die sie vor zwei Wochen mit Lebensgefahr erklommen hatte. Unten am Strande war an der felsigen Platte das Boot von der »Stella« festgemacht; es war ihr eigenes Boot, wie sie deutlich zu unterscheiden vermochte. Schon wollte sie sich wieder in die Kissen zurücklehnen, da erblickte sie plötzlich einige Männer, die am Strande entlanggingen und das Boot bestiegen.

»Dort kommen sie!« rief sie erregt, »aber …« setzte sie enttäuscht hinzu, »das können sie ja gar nicht sein; das sind ja nur drei, und unsere Leute sind schon allein elf Mann?!«

Marion kramte aus einem Schränkchen einen Feldstecher hervor und richtete ihn auf das Boot. »Es sind die Leute von der ›Stella‹«, sagte sie nach einer Weile, »dann müssen Ihre Gefährten wohl doch schon geborgen sein und die Insel verlassen haben.«

»Hoffentlich!« sagte Christel leise. Als sie Marions erstaunten Blick gewahrte, fügte sie hinzu: »… dann haben sie wenigstens nicht zu hungern brauchen!« Sie dachte an ihre eigenen Leiden, die sie im Boot erdulden mußte, und blickte still, mit großen, traurigen Augen zur Decke empor.

Marion setzte sich zu ihr auf das Bett, legte ihren Arm um ihre Schultern und zog sie sanft an sich. »Nicht daran denken«, tröstete sie, »das ist ja nun alles vorbei! Bald werden Sie ganz gesund sein, und dann ist alles nur noch wie ein schwerer, böser Traum.«

Christel nickte traurig mit dem Kopf. »Ja«, sagte sie leise, »das ist alles wie ein schwerer Traum; aber dieser Traum ist wahr, und … mein Vati kommt nie wieder!« Ein krampfhaftes Schluchzen durchschüttelte ihren Körper; bitterlich weinend, barg sie ihren Kopf an Marions Schulter.

Der kleinen braunen Frau wurde es seltsam weich um das Herz. Zärtlich drückte sie die Weinende an sich und streichelte ihr die blassen, tränenfeuchten Wangen: »Weinen Sie sich ruhig aus, dann wird es Ihnen leichter ums Herz!«

Unter Tränen lächelnd, sah Christel sie an. »Es ist schon wieder vorbei«, stammelte sie. »›Stramm gestanden und nicht gemuckst!‹ hat mein Vater immer gesagt, und das will ich auch weiter so tun, gerade, … als wenn er noch bei mir wäre«, setzte sie leiser hinzu.

Sanft strich ihr Marion über das dunkle, wellige Haar. »Sie haben gewiß viel durchgemacht«, sagte sie mitleidig, »aber Sie dürfen nicht soviel daran denken. Wie wollen Sie denn gesund werden, wenn Sie dauernd in der dunklen Vergangenheit leben? Sie sind ja gar nicht so einsam und verlassen, wie Sie sich fühlen. Sehen Sie, da ist erst mal der Kapitän Ehlers, ein goldiger Kerl! Nacht für Nacht hat er an ihrem Bett gesessen, hat Essen, Trinken und Schlafen vergessen, hat Ihnen den Eisbeutel auf die heiße Stirn gelegt, das Fieber gemessen und eine Fieberkurve gemalt, wie sie gewissenhafter keine Krankenschwester hätte machen können. Und wehe, wenn die Kurve anstieg! Dann hat er sich den blonden Haarschopf gerauft und ist herumgelaufen wie eine Löwenmutter, der man ihre Jungen weggenommen hat. Und nun freut sich der gute Junge wie ein Schneekönig, daß die blauen Augen wieder klar und blank geworden sind, und zerbricht sich den Kopf darüber, welche Nahrung am besten und bekömmlichsten für Sie ist, damit Sie recht bald wieder zu Kräften kommen.

Und ich selbst freue mich schrecklich, daß ich einen Menschen gefunden habe, den ich ein bißchen bemuttern kann, denn als einzige Frau zwischen so vielen Männern fühle ich mich doch recht einsam. Und, wer weiß, wie lange wir noch auf der ›Stella‹ aushalten müssen, ehe wir wieder in zivilisierte Gegenden zurückkehren werden; denn das Schiff hat eine Sonderaufgabe zu erledigen, und es kann Wochen dauern, ehe wir in einen Hafen einlaufen. Und nun macht uns die kleine Christel einen Strich durch die Rechnung, denn sie denkt nur immer an sich und ihren Kummer, und uns sieht sie gar nicht; dabei haben wir sie doch so gern. Ist das richtig von meiner kleinen Patientin, ja?«

Lächelnd beugte sie sich herab und blickte ihr fragend in die Augen. Christel wurde ein wenig rot; unsicher sah sie Marion an. »Nicht böse sein«, bat sie. »Es ist doch alles noch so neu für mich; aber ich werde ihren Rat beherzigen und mich zusammenreißen. Sie sind so lieb und nett zu mir, daß ich schon deshalb ein Sonntagsgesicht zeigen müßte; und wenn ich es mal vergessen sollte, dann schimpfen Sie nur tüchtig mit mir!«

Lachend küßte Marion sie auf die Stirn. »Liebes, kleines Hascherl«, sagte sie zärtlich, »vom Schimpfen kann doch gar keine Rede sein, aber ich freue mich, daß Sie so tapfer sind.«

Es klopfte leise. Der Kapitän öffnete vorsichtig die Tür und trat ein: »Guten Morgen, Fräulein Peters.« Forschend sah er sie an. Er bemerkte die Tränenspuren auf ihren Wangen, aber er fragte nicht.

»Guten Morgen, Käpt'n Ehlers«, sagte Christel freundlich, »nicht wahr, meine Gefährten haben die Insel bereits wieder verlassen?«

»Ja, das stimmt«, sagte der Kapitän, »sie sind schon vor drei Tagen von dem Dampfer ›Kap Finisterre‹ abgeborgen worden. Meine Leute haben eine Flaschenpost gefunden, die Ihre Freunde zurückgelassen haben. Wollen Sie, bitte, selbst lesen?« Er zog ein Blatt Papier aus der Tasche und reichte es Christel.

Schon auf den ersten Blick erkannte sie die steile, kantige Handschrift von Steuermann Smith. Sie faltete den Zettel auseinander und las:

 

»Auf der Johnston-Insel, am 12. 8. 37.

Nach der Strandung der ›Minnesota‹ retteten wir uns in einem Motorboot auf diese Insel. Schon am nächsten Tage verloren wir durch einen unglücklichen Zufall unser Boot und mit ihm die Tochter unseres Kapitäns, Christel Peters, die sich bei uns befand. Wir wissen nicht, was aus beiden geworden ist. Zehn Tage hausten wir hier; unsere Vorräte gingen bereits zur Neige, als wir endlich heute, am 12. 8., einen Dampfer sichteten, der unser Notsignal sah und die Insel anlief. Es ist der Dampfer ›Kap Finisterre‹ auf der Fahrt nach Sidney. Wir werden von Sidney aus mit dem nächsten Dampfer nach San Franzisko zurückkehren.

Steuermann John Smith,
Heimathafen San Franzisko,
Reederei Thomson & Walker.«

 

»Nun sind wir doch zu spät gekommen!« sagte Christel und ließ das Blatt Papier sinken. »Vor zwei Tagen haben sie schon die Insel verlassen. Jetzt werden sie denken, daß auch ich tot bin.«

Der Kapitän wollte eine Frage stellen; doch erinnerte er sich noch rechtzeitig an die wirren Reden, die die Kranke in ihren Fieberträumen geführt hatte. Aus diesen mußte er entnehmen, daß ihr Vater bei dem Schiffbruch den Tod gefunden hatte.

Christel bemerkte sein Zögern; sie lächelte wehmütig: »Sie wollen gewiß wissen, was aus dem anderen Boot geworden ist, dem ich entgegengefahren bin. In diesem Boot befand sich auch mein Vater. Durch einen Zufall wurden wir bei der Abfahrt von der gestrandeten ›Minnesota‹ getrennt. Als ich das Boot fand, war es leer … es trieb gekentert auf den Wellen. Auch meinem Boot war der Betriebsstoff ausgegangen, so konnte ich nicht mehr zur Insel zurückkehren. Sie haben mich dann wohl aufgefunden.« Sie schwieg und blickte mit traurigen Augen ins Leere.

»Haben Sie keine Verwandten mehr?« fragte der Kapitän voll Mitgefühl.

»Doch«, erwiderte Christel, »in Deutschland wohnt eine Tante von mir; zu ihr werde ich wohl zurückkehren.«

»Ah! Sie sind Deutsche?« fragte Ehlers lebhaft.

»Ich bin Deutsch-Amerikanerin«, sagte sie, »und wenn ich nach Ihrem Namen urteilen kann, sind Sie wohl ein Landsmann von mir?«

»Gewiß«, rief Ehlers auf deutsch, »ist das aber eine freudige Überraschung!« Impulsiv streckte er ihr beide Hände entgegen, die sie lachend ergriff und herzhaft schüttelte.

»Auf daß das Kleeblatt vollständig werde!« rief Marion lächelnd, »ich sei, gewährt mir die Bitte, in eurem Bunde die Dritte!«

Überrascht sahen die beiden auf: »Marion!« sagte Christel erstaunt, »Sie sprechen auch deutsch?«

»Nun schlägt es dreizehn!« lachte der Kapitän belustigt auf.

Marion freute sich diebisch über ihre verdutzten Gesichter. »Ich war mehrere Male in Deutschland«, erklärte sie. »Oh, es ist sehr schön dort!«

»Wenn Sie jetzt schon ganz gesund wären, würden wir eine Flasche Rheinwein trinken und auf unser schönes Deutschland anstoßen«, rief der Kapitän begeistert.

»Damit werden wir warten, bis unser Christkind wieder all right ist«, sagte Marion; »vorläufig wird ihr die Hühnchenbrühe besser bekommen. Möchte bloß wissen, warum die Krankenschwester noch nicht mit dem Frühstück erschienen ist.« Schelmisch zwinkerte sie mit den Augen den Kapitän an. Erschrocken sprang er auf:

»Donnerwetter! Da quatsche ich nun stundenlang und vergesse ganz, daß Sie noch nicht gefrühstückt haben … nun aber dalli, Hannes!« Mit langen Schritten eilte er aus dem Zimmer.

Erstaunt sah ihm Christel nach. Marion lachte: »Die Krankenschwester ist er nämlich selbst. Wir haben nur sehr wenig Leute an Bord; mit dem Kapitän und dem Steuermann sind es gerade acht Mann. Das ist sehr wenig für so einen großen Kahn. Ich glaube auch nicht, daß er einem andern Ihre Bedienung überlassen würde. Er ist wie ein großer Junge.«

»O ja«, sagte Christel sinnend, »er ist sehr gut!« –


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