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Als man sich der Stadt Burdigal näherte, sprach Gerhard zu Kaiser Karl:
Herr Kaiser, erlaube mir, daß ich voraus in die Stadt gehe, um alles vorzubereiten.
Aber Naims entgegnete: Gestatte ihm das nicht, Herr; er beginnt sonst einen neuen Verrat.
Da sagte der Kaiser:
Gerhard, bleibe bei mir.
Bald ritten sie in die Stadt ein. Die Bürger verwunderten sich gewaltig darüber, was denn auf einmal Kaiser Karl den Großen in ihre Stadt gebracht habe. Dieser aber stieg zur großen Halle der Herzogsburg empor, und alsobald ließ Gerhard eine große Mahlzeit anrichten. Der Kaiser setzte sich an die Haupttafel auf einen großen, goldenen Faltstuhl, Naims und die anderen Fürsten um ihn. An den übrigen Tischen nahmen alle Ritter Platz. Die Schenken, die Bäcker, die Köche liefen in aller Eile durch die Straßen, um die Speisen herbeizuschaffen. Hugo hörte all diesen Lärm über seinem Kopf, rief seinen Kerkermeister und fragte ihn: Freund, was bedeutet dieser Aufruhr?
Meiner Treu, antwortete der Schurke, das bedeutet nichts andres, als daß Karl der Große und seine Fürsten gekommen sind, Dir das Urteil zu sprechen. Du wirst noch vor Nacht aufgehängt werden.
In der großen Halle der Herrenburg wurden endlich die Speisen und die Weine aufgetragen, und das Mahl sollte beginnen; da erhob sich plötzlich der Herzog Naims so ungestüm von seinem Sitz, daß er den Humpen des Kaisers umstürzte.
Was soll das bedeuten, Naims, rief Kaiser Karl, Du thatest sehr unrecht daran, also meinen Wein zu verschütten.
O nein, Herr, ich that recht. Ich bin empört über Dein Vorgehen. Bei Gottes Leichnam! Woran denkst Du denn? Bist Du denn hierher gekommen zu essen und zu trinken? Es handelt sich um ganz andre Dinge; es handelt sich um einen der zwölf Reichsfürsten, den wir zu richten haben. Wenn wir aber diese ganze Mahlzeit aufgespeist haben werden und uns all der Wein zu Kopfe gestiegen ist, da werden wir kaum in der Lage sein, ein gerechtes Urteil über Leben und Tod zu fällen! Bei Gott! Jeder hier Anwesende, ohne Ausnahme, den ich seinen Wein oder seinen Teller berühren sehe, hat meine Freundschaft verscherzt.
Nun gut, sagte der Kaiser, ich will nach Deinem Rate thun; man räume die Tische weg!
Es geschah, und der Kaiser ließ Hugo aus dem Kerker holen.
Man führte ihn vor mit seiner Gemahlin und dem alten Gerhelm. Alle drei waren an den Füßen mit schweren Eisenringen gefesselt.
Als Hugo den Kaiser erblickte, schoß ihm das Blut ins Gesicht. Die zwölf Herren, die die Bürgschaft für ihn geleistet hatten, traten vor den Kaiser und sprachen:
Wohlan, Herr, hier ist Hugo. Sind wir unserer Bürgschaft ledig?
Ja, sagte Kaiser Karl, da er einmal in meinen Händen ist, soll er mir nicht entkommen.
Hugo trat nun vor, verbeugte sich vor dem Kaiser und sprach:
Herr, höre mich und verweigere mir nicht mein Recht. Ich klage vor Gott und Dir und allen anwesenden Fürsten und Herren diesen Verräter hier an, diesen Gerhard, den ich nicht mehr meinen Bruder nennen mag, denn seit dem Tage, da Kain den Abel tötete, hat man nicht mehr von einem ebenso bösen und treulosen Bruder sprechen hören.
Bei dieser Klage weinten alle, die es hörten, voll Mitleid und betrachteten Hugo mit Rührung. Mancher sagte zum andern:
Ach, dieser Arme ist nicht hergekommen, den Damen den Hof zu machen! Wie schön war er einst, und wie abgezehrt und bleich ist er jetzt! Wie ist die Blume seiner Jugend verwelkt!
Sie betrachteten auch Klarmunden mit Erstaunen; den alten Gerhelm aber konnte keiner wiedererkennen.
Hugo fuhr fort: Herr, ich will Dir die ganze Wahrheit sagen. Ich habe all' Deine Aufträge ausgeführt; ich war jenseits des Roten Meeres beim Emir Galdis, und ich habe ihm Punkt für Punkt Deine Botschaft ausgerichtet; er hat sie hochmütig aufgenommen; und als ich seinen weißen Schnurrbart und vier seiner Backenzähne forderte, ließ er mich in den Kerker werfen. Mit Hilfe Oberons, des Elfenkönigs, kam ich heraus und tötete den Emir: ich hieb ihm das Haupt herunter, ich nahm ihm seinen Schnurrbart und seine Zähne. Ich gab dies alles auf den weisen Rat des Oberon dem treuen und klugen Gerhelm zur Aufbewahrung. Nach vielen Abenteuern kam ich endlich in meine Heimat mit der schönen Klarmunde, der Tochter des Emirs, die ihr dort an jenen Pfeiler gelehnt seht. Wenn ich Euch alles erzählen wollte, was wir durchmachten, so müßte ich lange reden; aber dazu ist hier nicht der Ort. Was nützt es auch! Genug, daß ich Unsägliches zu erleiden hatte. Nach Rom zurückgekehrt, taufte der Papst meine Gattin und segnete selber unsere Ehe ein. Wenn Du mir nicht glaubst, so schicke nach Rom hin, und wenn Dir vom Papst nicht alles bestätigt wird, was ich sagte, so bin ich bereit, am Galgen zu sterben. Auch im übrigen kann ich alle meine Worte beweisen. Ich kam also mit einem reichen Schatz von Gold und Silber aus der Heidenschaft zurück, in Begleitung meiner zwölf Genossen, die mir Deine Gnade gewährte. Ich wollte nicht diese Stadt hier betreten, bevor ich mich nach meiner Pflicht Dir vorgestellt hätte. Darum nahm ich Herberge in der Abtei zu St. Moritz, die Dir gehört. Der gute Abt ließ meinen Bruder in bester Absicht davon benachrichtigen. Er kam auch, der Verräter, aber nur mit einem einzigen Knappen: ich hätte schon daraus Argwohn schöpfen müssen.
Meiner Treue, da hast Du Recht, rief Naims dazwischen. Er zeigte Dir wenig Liebe: er hätte mit großem Gefolge kommen sollen.
Hugo fuhr fort: Ihr Herren, hört, wie er sich nun betrug. Unter dem Anschein der besten Freundschaft horchte er mich aus, wie ich die Botschaft ausgerichtet habe und ob ich die vier Zähne und den weißen Schnurrbart des Galdis mitbringe. Ich erzählte ihm alles offen. Ich sagte ihm leider sogar auf sein weiteres Forschen, wo all' dies aufbewahrt sei, denn ich mißtraute ihm nicht. Er richtete es nun so ein, daß wir noch in der Morgendämmerung an einen Kreuzweg in der Nähe eines Gehölzes kamen. Dort wollte er mit mir Streit anfangen. In dem Walde war nämlich sein Schwiegervater Gebwart mit sechzig Bewaffneten versteckt. Sie sprengten plötzlich hervor, umzingelten und töteten meine zwölf Begleiter und warfen sie dann in den Fluß; mich selber rissen sie vom Roß, verbanden mir die Augen und fesselten mir die Hände auf dem Rücken; dasselbe thaten sie mit meiner Gemahlin. Gerhard stürzte sich auf Gerhelm, warf ihn zu Boden und entriß ihm Schnurrbart und Backenzähne des Emirs, die er an seinem Leibe verborgen trug: dabei schlug er ihm eine große Wunde.
Gerhelm erhob sich bei diesen Worten und zeigte allen, wie er zugerichtet worden.
Darauf fuhr Hugo fort: Nun hat uns der Verräter selber nach dieser Stadt gebracht und in diesen Kerker geworfen. Ich bin also ganz gegen meinen Willen hier, und wenn er das Gegenteil zu sagen wagt, so möge er sich bewaffnen, er und Gebwart: ich will sie alle beide bekämpfen; wenn ich sie sodann vor Abend nicht zum Geständnis ihrer Verräterei gezwungen habe, so möge man mich an den höchsten Galgen henken; wenn ich aber liege, so möge man mir mein Land zurückgeben und mich mein Erbe in Frieden besitzen lassen.
Da sagte Gerhard: Herr Kaiser, er redet, wie es ihm gut dünkt. Aber ich möchte um nichts in der Welt meinen Bruder bekämpfen. Ich bestreite alles, was er sagt. Es ist an Euch, hier das Urteil zu sprechen.
O Gott, rief Naims, merkt Ihr wohl, wie dieser Verräter seine Bosheit gut zu verdecken weiß?
Kaiser Karl aber sprach: Hugo, all dies hilft Dir nichts. Ich weiß nicht, was alles vorgefallen ist: ich fordere von Dir nur die vier Backenzähne und den Schnurrbart des Emirs Galdis.
Herr, sagte Hugo, so sei doch gerecht: man hat mir ja alles geraubt.
Die Sache liegt noch anders, erwiderte der Kaiser. Bei Deiner Abreise hab' ich Dir bei Todesstrafe verboten, wenn Du jemals von jenseits des Roten Meeres zurückkehren solltest, Dein Land zu betreten, bevor Du Dich mir vorgestellt. Und nun muß ich Dich sogar in Deinem eigenen Hause antreffen! Ich habe also das Recht, Dich ohne weiteres Urteil henken zu lassen, denn das waren unsere Bedingungen, und, bei Gott! das will ich auch ausführen. Bei meinem weißen Barte schwöre ich es, ich will nur eine einzige Mahlzeit halten, ehe ich Dich und Deinen Mitschuldigen Gerhelm hängen sehe.
Da fiel der Herzog Naims ein: Aber bedenke doch, Herr Kaiser, daß über Leben und Tod eines Reichsfürsten nur die Gesamtheit seiner Standesgenossen richten darf.
O nein, sagte Kaiser Karl; er selbst hat ja vor seiner Abreise jene Bedingung angenommen. Stellt die Tische wieder auf: sobald wir gespeist haben werden, will ich den Galgen aufrichten lassen.
Bei diesem Wort hob sich Gerhards Herz vor Freude, aber er durfte es vor dem ganzen Hofe nicht sehen lassen. Die Fürsten weinten alle vor Mitleid. Klarmunde umarmte ihren Gemahl und sprach: Ach, Hugo, wenn ich ein Messer hätte, ich wollte mir das Herz durchbohren.
O weh, seufzte Gerhelm, das nenne ich mir ein trauriges Geschick! Nachdem ich mein Leben in so vielen Leiden verbracht habe, soll ich nun gar ein solches Ende nehmen!
Alle drei weinten, denn es schien ihnen nicht die geringste Hoffnung; hatte doch Kaiser Karl seinen großen Schwur geschworen. Er wird indessen doch meineidig werden müssen, wie Ihr bald hören werdet, denn es lebt noch Gott und der liebliche Elfenkönig Oberon.