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Am nächsten Morgen, als alle aufgestanden waren, sprach Hugo zu seinen Genossen: Was soll nun weiter aus uns werden? Euer Schiff, das Euch hergebracht hat, ist wieder fort; wir sind hier eingeschlossen und werden über kurz oder lang überwältigt werden.
Man muß immer auf Gott vertrauen, sprach der alte Gerhelm.
Während sie also sprachen und sich am Hafen ergingen, sah Hugo aus der Ferne ein großes Schiff sich nahen. An seinem Vorderteil war ein goldenes Kreuz zu erblicken.
Da rief Hugo aus: Seht hin, ein Schiff zeigt sich dort auf dem Meere; das sind gewiß Christen!
Ja, sagte Gerhelm, ich sehe ein Kreuz. Diese Hilfe schickt uns Gott.
Bald landete das Schiff am Fuß des Turmes und man hörte die Seeleute unten sprechen:
Wehe uns! da sind wir übel hergeraten! Dies ist die Stadt des Emirs Galafer; er wird uns töten lassen.
Hugo und Gerhelm stiegen hinab und fragten die Schiffer: Ihr Männer, aus welchem Lande seid Ihr?
Wie? antworteten jene, Ihr sprecht deutsch? Gebt uns Sicherheit, so wollen wir Euch Rede stehen.
Fürchtet nichts; wir sind alle Franken.
Vortrefflich, Herr, auch wir sind aus Franken und aus anderen Ländern des römischen Kaisers.
Da sprach Hugo: Ihr Freunde ist nicht jemand unter Euch aus Aquitanien?
Ja, da ist einer mit einem großen weißen Bart; er mag über hundert Jahre alt sein und nennt sich Wilrat; wir haben ihm um Gottes willen versprechen müssen, ihn heimzubringen; aber wir haben unsern Weg verloren.
Wo ist er? Ich will ihn sehen, sagte Hugo.
Da rief der Schiffsherr: Wo ist der Alte aus Aquitanien?
Wilrat erhob sich, trat an den Bord des Schiffes und sprach: Hier bin ich.
Hugo betrachtete den Greis und erkannte ihn gar wohl.
Woher bist Du, Freund? fragte er ihn.
Aus der Stadt Burdigal, Herr.
Und wie heißest Du?
Man nennt mich Wilrat.
Und was hat Dich hierhergeführt? Woher kommst Du und wohin gehst Du?
Herr, ich will die ganze Wahrheit sagen. Ich hatte einen Herrn, der hieß Hugo, Gott erbarme sich seiner! Kaiser Karl der Große hat ihm sein Lehen abgenommen, weil er ihm seinen jungen Sohn, den Prinzen Karl, getötet hatte, und hat ihn mit einer gefährlichen Botschaft zum Emir von Babylon geschickt. Seine Mutter ist indessen vor etwa zwei Jahren gestorben, sein Bruder Gerhard hat sich in den Besitz des ganzen Erbes gesetzt. Er thut nichts als Uebles; er unterdrückt alle Lehensmannen, er beraubt die Waisen. Er hat die Tochter des Verräters Gebwart geheiratet, und alle drei wetteifern in Uebelthaten. Ich selber bin von meinem Haus vertrieben worden, weil ich die Rechte meines echten Herrn verteidigen wollte. Nun haben eines Tages alle Ritter des Herzogtums den Entschluß gefaßt, mich auf die Suche nach dem verschollenen Herrn auszusenden: Seit zwei Jahren schon durchkreuze ich alle Meere; in allen Ländern und Reichen bis zum Dürren Baum am Ende der Welt habe ich nach ihm geforscht, aber nirgends konnte man mir Kunde geben. Ich habe bereits mein ganzes Reisegut aufgezehrt und kehre nun zurück, ratlos und mit schwerem Herzen. Diese guten Kaufleute haben mich um Gottes willen in ihr Schiff aufgenommen; aber nun haben sie den rechten Weg verloren.
Als Hugo dies alles angehört hatte, rief er, zu den Seinen gewandt:
Komm her, Gerhelm, wenn Du Deinen Bruder umarmen willst.
Gerhelm lief herzu, erblickte den Wilrat und sagte:
Bist Du es wirklich, Bruder? Dann sei mir hochwillkommen!
Die beiden Brüder umarmten sich und auch Hugo begrüßte seinen guten alten Vogt.
Wilrat, erkennst Du mich denn gar nicht mehr?
Ach ja, Herr: Du bist Hugo, mein Lehensherr.
Ach, sagte Hugo, ist das wirklich wahr, was Du erzählt hast? Ist meine Mutter tot und handelt mein Bruder so übel?
Leider ist es nur zu wahr. man verlangt Dein im ganzen Herzogtum; wirst Du bald kommen, oder willst Du hier bleiben?
Ich sehne mich nur nach Hause, antwortete Hugo.
Er kehrte sich ab und weinte, indem er an seine Mutter dachte, die er nicht mehr wiedersehen sollte.
Indessen erzählten sich Gerhelm und Wilrat ihre Abenteuer und Geschichten; sie hatten sich ja seit sechzig Jahren nicht mehr gesehen.
Hugo wandte sich nunmehr an die Schiffsleute und sprach:
Ihr Männer, wir sind hier dreizehn Franken und eine Frau. Die Sarazenen belagern uns; nehmt uns in euer Fahrzeug auf und bringt uns in unsere Heimat. Ich will Euch dafür so viel Gold und Silber, reiche Stoffe und Pelzwerk geben, daß Ihr Euer ganzes Leben lang genug haben sollt.
Herr, antworteten jene, wir nehmen nichts von Euch; das Schiff steht zu Euren Befehlen, gebt hinein, was Euch beliebt!
Das möge Euch Gott lohnen! sagte Hugo.
Sie brachten nun die ganze Nacht damit zu, aus dem Palaste Gold und Silber, reiche Stoffe und Pelzwerk, Brot und Wein und Fleisch und andere Reisekost ins Schiff zu schaffen. Am Morgen stiegen sie dann selber ein mit der schönen Klarmunde, und sie vergaßen auch nicht den guten alten Spielmann Traugemund. Gar oft und herrlich hat er später seine Harfe in der herzoglichen Halle zu Burdigal wiederhallen lassen! Gott gab ihnen guten Fahrwind und bald war das Land ihren Blicken entschwunden.
Als am nächsten Tag mit dem frühesten Morgen die Heiden sich zum Angriff auf die Stadt rüsteten, da hatten sie gut schreien, ihre Lanzen zu werfen und Pfeile hineinzuschießen; es zeigte sich ihnen kein Feind. Ganz verblüfft ließen sie vom Angriff ab, kamen zu Ivorin und meldeten ihm:
O Herr, weißt Du schon das neueste Abenteuer? Es ist niemand mehr in der Stadt.
Der Emir befahl, als er dies hörte, daß dreißig Leute zu Schiff sich nach dem Ausfallsthor begeben sollten, das nach dem Meere zu gelegen war. Sie gelangten dahin, fanden das Thor offen und traten in die Stadt ein: niemand war darin; sie öffneten nun die Thore und beide heidnischen Heere zogen in die Stadt ein. Die beiden Emire stiegen zur Burg hinauf, alle beide voll Wut, daß ihre Feinde ihnen also entkommen waren. Darauf trennten sie sich. Ivorin kehrte nach Monbrank zurück und Galafer blieb in Alfalerne.
Unsere Freunde waren indessen schon längst auf hoher See und kamen bei anhaltend günstigem Wind bald im Hafen von Brindisi an. Sie schifften sich aus und nahmen Herberge in der Stadt. Hugo begab sich sogleich zum Hause des getöteten Garin, fand dort dessen Gemahlin und sagte ihr unter Thränen:
Edle Frau, betet für die Seele Eures Gatten! Ihr werdet ihn niemals auf dieser Welt sehen.
Wie? rief die Dame, ist er tot?
Ja, edle Frau, und mein Herz ist darob voll Trauer.
Die arme Frau fiel bei dieser Nachricht ohnmächtig zu Boden. Hugo hob sie auf, nahm sie in seine Arme und sprach:
Verzweifelt nicht, edle Frau; all das kann ihn Euch nicht mehr zurückgeben. Betet vielmehr zu Gott um das Heil seiner Seele!
Sie ruhten dort acht Tage lang aus und ließen sich reiche Kleider von Seide und Pelzmäntel machen; dann kauften sie Pferde und Maultiere, um ihre Reichtümer darauf fortzuschaffen.
Vor seiner Abreise belohnte Hugo noch reichlich die Schiffer, die ihn hergebracht hatten; dann machten sich alle, Hugo, Gerhelm, der Vogt Wilrat, der gute Spielmann und Klarmunde auf den Weg nach Rom. Sie durchzogen Apulien und Kalabrien und gelangten eines schönen Morgens vor die Thore Roms, von wo sie geradeswegs zum päpstlichen Palaste sich begaben. Sie traten in die große Halle ein, und Hugo führte Klarmunden an der Hand dem Papste vor. Dieser erkannte sogleich seinen Neffen, erhob sich vom Thron und sagte:
Du bist es, Hugo? Sei mir willkommen! Da bist Du ja wieder heil und gesund!
Ja, heiliger Vater, antwortete Hugo, aber ich habe viel erduldet und manche bösen Augenblicke durchgemacht; aber, Gott sei Dank, mein Zweck ist erreicht, denn ich habe den Schnurrbart des Emirs Galdis und seine vier Backenzähne, und als Zugabe stelle ich Euch noch seine Tochter vor, die, wie Ihr seht, gar schön ist. Ich bitte Euch also, ihr die Taufe zu spenden und uns darauf zu verheiraten.
Von ganzem Herzen, sagte der Papst; diese Nacht aber sollst Du bei mir zubringen.
Am nächsten Morgen führte man die Prinzessin in die Peterskirche; dort wurde sie getauft, aber sie erhielt keinen neuen Namen: man nannte sie immer Klarmunde. Dann beichtete Hugo dem Papste all seine Sünden und empfing die Lossprechung. Der Papst las selber die Messe und segnete ihre Ehe. Dann kehrte man in den Palast zurück und es gab ein großes Fest. Die Spielleute thaten ihr Bestes; über alle aber wurde Meister Traugemund, Hugos ehemaliger Herr, gelobt und gepriesen. Es kam die Nacht und man geleitete die Vermählten in ihre Gemächer; sie hatten nun nicht mehr den Unwillen Oberons zu fürchten.
Am nächsten Morgen mit dem frühesten ließ Hugo seine Mannen sich zur Reise rüsten und verlangte Urlaub vom Papst; er hatte große Eile, heimzukommen. Ich will Euch mit der Erzählung seiner Reise nicht lange aufhalten. Eines schönen Tages waren sie soweit gekommen, daß sie in der Ferne schon die Mauern und Türme von Burdigal erblickten. Da hatte Hugo große Freude; er zeigte die Stadt seiner Gattin und sagte:
Siehe dort, liebes Weib, unseren Herrensitz und die Stadt, die ich einst zu Deinem Witwensitz machen will; heute ist es wohl nur ein Herzogtum, aber mit Gottes Hilfe will ich eines Tages ein Königreich daraus machen.
Prahle nicht so, sagte Gerhelm: Du weißt nicht, wie diese Sache ausgehen wird. Erinnere Dich vielmehr, daß Du noch garnicht das Recht hast, Deine Stadt zu betreten. Du sollst darum für heute in der Abtei des heiligen Mauritius auf der Wiese einkehren; es ist ein kaiserliches Lehen, darum kannst Du dort kühnlich bleiben.
Hugo war es zufrieden, rief einen seiner Mannen herbei und sprach zu ihm:
Geh dahin zum Abt von St. Moritz und bring ihm freundschaftliche Grüße von Hugo, dem Herzog von Aquitanien, der Von jenseits des Roten Meeres zurückkommt; bitte ihn, eine gute Mahlzeit herzurichten, und er möge nicht die Kosten scheuen, denn ich werde ihm keine Auslagen schuldig bleiben.
Als der Abt diese Botschaft empfing, da war seine Freude groß. Er rief all seine Mönche herbei und sagte zu ihnen:
Nehmt Eure Feierkleider und folget mir!
Alle schmückten sich aufs beste, nahmen ihre Kreuze, ihre Chorbücher, ihre Weihrauchfässer und gingen so singend dem Herzog entgegen.
Als Hugo sie kommen sah, stieg er vom Roß, und also thaten auch alle seine Ritter und sogar Klarmunde. Weinend umarmte der Abt den jungen Herzog sowie den guten Vogt Wilrat; freilich den alten Gerhelm erkannte er nicht mehr. Nach dem reichlichen Mahle sagte der Abt:
Wohlan, Hugo, wie hast Du Deine Botschaft ausgeführt?
Ei, sehr gut, antwortete Hugo. Ich habe den Schnurrbart und die Zähne und dazu noch die Tochter des Emirs Galdis, die mir zu Rom vermählt ward. Morgen mit dem frühesten will ich gegen Aachen ziehen und dies alles dem Kaiser berichten.
Da sagte der Abt: Herr, wenn Du willst, so werde ich Deinen Bruder Gerhard benachrichtigen, daß er Dich hier treffen kann.
Gerne, sagte Hugo.
Der Abt rief nun seinen Stallmeister und sprach zu ihm:
Geh nach Burdigal und sage dort dem Herzog Gerhard, er möge hierher kommen; er wird da seinen Bruder Hugo finden, der über Meer zurückgekommen ist.
Der Stallmeister machte sich sogleich auf den Sieg. Ach! das war leider ein unglückseliger Gang!