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Achtes Kapitel.
Die Riesenburg.

. Während mehrerer Tagereisen ritt also Hugo mit seinen Genossen durch das Land. Eines Abends spät machten sie auf einer schönen Wiese Halt, ließen ihre Rosse das saftige Gras abweiden und hielten dort ihre Nachtrast. Als am nächsten Morgen die Sonne sich erhob, da sahen sie zu ihrem Erstaunen nicht gar weit vor sich die Mauern einer großen Burg mit einem ungeheuer hohen, glänzenden Turme.

Meiner Treu! rief Hugo, das war dumm von uns, daß wir die Nacht auf der feuchten Wiese zugebracht haben; in dem Schlosse, das ich dort vor uns sehe, würden wir wohl ein besseres Nachtlager gefunden haben.

Gerhelm blickte bin, es überlief ihn eiskalt vor Schrecken und er rief aus:

Heiliger Gott, unser letzter Tag ist gekommen; unser böses Geschick hat uns gerade zur Burg Dunoster geführt mit dem Turm, davor uns Oberon so sehr gewarnt bat.

Er zog Hugo bei seinem Mantel zurück und sprach flehentlich zu ihm:

Ach bester Herr, schlagen wir einen anderen Weg ein; handle doch nicht immer so kindisch! Dieser Turm dort, den wir sehen, das ist der Turm von Dunoster; dort wohnt der Riese Orgelus, und wisse, wenn der einmal seine Rüstung angelegt hat, so fürchtet er nicht alle Krieger der Welt, wenn sie ihn auch alle zugleich angreifen mögen. Erinnere Dich doch dessen, was Oberon, unser bester Freund, gesagt hat; er hat uns verboten hinzugehen. Komm, ich werde Dich auf den rechten Weg bringen.

Aber Gerhelm, sprach Hugo, ich bin doch hierher gekommen um Abenteuer aufzusuchen, und dieses da werde ich mir nicht entgehen lassen. Ich will den Riesen sehen; er müßte härter sein als Diamant, wenn mein Schwert ihn nicht zerhauen könnte. Was aber Euch betrifft, so bleibet meinetwegen hier und wartet, bis ich zurückkomme.

.

Hugo vor dem Riesenschloß.

Ach, wir werden Dich leider niemals wieder sehen, jammerte Gerhelm.

Der mutige Held nahm seine Waffen, legte das Panzerhemd an, setzte den blinkenden Helm auf, gürtete das Schwert um die Lende, hängte das Elfenbeinhorn um den Hals; nur den guten Humpen ließ er zurück. All seine Mannen umarmten ihn und weinten heftig, als er sie verließ. Hugo ging geradeswegs auf die Burg zu, und zwar zu Fuß, über die grüne Wiese. Gott möge ihn geleiten! Denn, das mögt Ihr alle wissen, er hat es wahrlich Not.

Jung Hugo fand, als er sich der Burg genähert hatte, die beiden ehernen Männer, von denen Oberon ihm gesprochen hatte: jeder hielt in der Hand einen eisernen Flegel, und sie schlugen wechselweise, ohne jemals auszusetzen, darauf los. Eine Schwalbe hätte in der That nicht hindurch fliegen können, ohne zermalmt zu werden. Höchlich erstaunt betrachtete sie Hugo; er beschwor sie im Namen Gottes einzuhalten; aber sie prügelten rücksichtslos und unausgesetzt darauf los.

Ei! dachte Hugo, wie komme ich da in die Burg hinein?

Vor diesen ehernen Wächtern war, wie er bemerkte, ein goldenes Becken an einem Pfeiler aufgehängt; da kam ihm der Gedanke, mit seinem Schwert drei mächtige Schläge auf dies Becken zu thun; das gab einen Schall, daß die ganze Burg davon wiederhallte. Alsobald öffnete sich auch ein Fensterchen, und das Köpfchen eines jungen Mädchens wurde sichtbar. Als sie sah, wie da draußen ein Ritter in die Burg kommen wolle, da fing sie, obwohl sie ihn noch gar nicht kannte, vor Schrecken oder Mitleid zu weinen an; ganz verwirrt zog sie sich vom Fenster zurück und sprach zu sich selber:

Wehe mir! wieder ein Unglückseliger, den der Riese töten wird, und wären es ihrer tausend, es würde ihnen nichts helfen. Ach Gott, ich habe ihn nicht deutlich gesehen: es ist vielleicht gar ein Christ, ein Franke! Ich muß ihn doch näher betrachten.

Damit öffnete sie ein anderes näher gelegenes Fenster und spähte nach dem Wappen des Ritters; sie sah drei goldene Kreuze auf seinem Schild erglänzen.

Fürwahr! seufzte sie, er stammt aus meinem süßen, herzgeliebten Heimatland! Ich muß ihn retten.

Sie lief voll der Furcht zur Kammer des Riesen Orgelus und überzeugte sich, daß er noch fest schlief; das beruhigte sie ein wenig, sie stieg hinab und öffnete das Einlaßpförtlein des großen Thores. Jene Erzmänner waren so künstlich eingerichtet, daß im Augenblick, wo man dies Pförtlein öffnete, ihre Arme innehielten und schlaff zur Seite herabhingen.

Als Hugo dies sah, stürmte er, das Schwert in der Hand, durch das offene Pförtlein, das sich sogleich hinter ihm wieder schloß. Das junge Mädchen aber entfloh scheu und ganz bestürzt bei seinem Anblick.

Hugo irrte nun in der ungeheuren Burg umher und wußte nicht, wohin sich wenden. Es waren so viele Säle, Kammern und Treppen dort, daß er ganz die Richtung verlor. In einer Kammer sah er zu seinem Entsetzen vierzehn Männerleiber, deren abgeschnittene Köpfe ihnen zur Seite lagen.

Meiner Treu, sagte Hugo zu sich selber, wenn dies alle Einwohner dieser verwünschten Burg sind, so hat mich der Teufel verführt herein zu kommen. Mir bleibt nichts anderes übrig als wieder davonzugehen.

Endlich fand er auch die Pforte wieder, aber ganz vergebens mühte er sich daran ab, er konnte kein Mittel finden, sie zu öffnen.

Bei Gott! dachte er, ich bin in der Falle gefangen; ich wußte nicht hereinzukommen, und sehe nun auch keinen Ausgang.

Er begann wieder durch die Burg zu wandern, und es schien ihm, als ob er weinen und schluchzen höre. Er wandte sich nach der Seite, von woher es zu kommen schien, und gelangte endlich in eine Kammer, wo jenes Fräulein sich befand.

Edles Fräulein, redete er sie an, Gott zum Gruße! Warum weinet Ihr so?

Sie antwortete darauf: Es ist, weil ich großes Mitleid mit Euch habe. Wenn der Herr der Burg vom Schlaf erwacht und Euch hier antrifft, so seid Ihr des Todes.

Was nicht gar! rief Hugo, Ihr sprecht deutsch?

Ja, Herr; ich bin in Frankenland geboren, und darum habe ich auch so großes Mitleid mit Euch. Denn ich sah an Eurem Wappen, daß Ihr mein Landsmann seid.

Wie, fragte Hugo, Ihr seid auch in Franken geboren? Und wie heißet Ihr?

Ich heiße Sibylle und bin die Tochter des Grafen Winemar und die Nichte des Herzogs Siegwin von Aquitanien.

Als Hugo dies vernahm, faßte er sie in seine Arme und küßte sie dreimal auf die Wange. Dann sprach er:

Da bist Du ja meine leibliche Base, denn ich bin der Sohn des Siegwin von Aquitanien; aber sage mir, wie kommst Du hierher?

Vetter, sprach sie, meine Geschichte ist sehr kurz. Mein Vater hat eine Wallfahrt zum Heiligen Grabe gemacht; er liebte mich nun so sehr, daß er sich nicht von mir trennen wollte, sondern mich mitnahm. Als wir aber auf hoher See waren, ergriff ein großer Sturm unser Schiff und führte es viele Tage hindurch durch unbekannte Meere. Endlich zerschellte es am Fuße dieses Turmes; wir konnten das Ufer erreichen; aber der Riese, der Herr dieses Landes, stieg von seiner Burg herab, tötete meinen Vater und all die Seinen und führte mich mit sich. Nun sind es schon sieben Jahre her, daß ich hier lebe und keine Messe gehört habe. Aber Du, bei Gott, was suchst Du hier?

Schöne Base, ich will ans andere Ufer des Roten Meeres, um dem Emir Galdis eine Botschaft von Kaiser Karl dem Großen zu bringen. Mein Gefolge habe ich dort unten auf einer Wiese zurückgelassen und bin allein hergekommen, um diese Burg zu besehen, von der man mir viel erzählt hat, und auch um die Bekanntschaft dieses Riesen zu machen.

Welcher Wahnsinn, mein Vetter! Und wenn Du mit Tausenden kämest gleich Dir, so würde er Euch alle nicht mehr als eine Fliege fürchten, wenn er gerüstet ist. Darum entfliehe schleunig, ich bitte Dich, ich will Dir die Pforte öffnen.

Nein, schöne Base, sagte Hugo, bei der Seele meines Vaters, des guten Herzogs Siegwin von Aquitanien, ich will diese Burg nicht verlassen, bevor ich den Hausherrn gesehen habe.

Wohlan! sagte sie, wenn Du es mit aller Gewalt willst, vielleicht hast Du mehr Glück als Verstand. So gehe denn dahin durch diese große Halle; Du wirst zuerst eine Kammer finden, wo er seinen alten Wein aufbewahrt; in einer zweiten wirst Du seine reichen Vorräte an Pelzwerk sehen; in einer dritten stehen die vier Götzen, zu denen er betet, und in der vierten schläft er, der Riese Orgelus, der gar nicht vom Geschlecht der Menschen stammt. Wenn es Gott fügt, daß Du ihn noch schlafend findest, so hau' ihm das Haupt herunter, denn wenn er aufwacht, bist Du des Todes. Wisse: er ist eben von einer seiner Fahrten zurückgekommen und hat die vierzehn Männer heimgebracht, die Du gesehen haben wirst: er wird heute abends drei davon aufessen.

Schöne Base, sprach Hugo, Gott verhüte, daß man mir jemals vor meinen Standesgenossen vorwerfe, einen Menschen getötet zu haben, ohne ihm Fehde angesagt zu haben!

Hugo stürzte, das Schwert in der Hand, den Schild am Hals, davon; er fand die erste Kammer, wo die großen Fässer mit altem Wein aufgestapelt waren; in der zweiten fand er das reiche Pelzwerk; in der dritten sah er die vier Götzen und in der vierten fand er den Riesen Orgelus in tiefem Schlafe.

Die Steppdecke seines Bettes war von reichem saphirnen Stoff, die Tücher waren von Seide und prächtig gestickt, der Flaum seines Kopfkissens stammte von Vögeln aus dem Paradiese her und duftete süßer als Balsam; die Füße des Bettgestells waren von feinem Golde, die Seiten von geschnitztem Elfenbein. An den vier Ecken der Bettlade waren vier Vögel, die so süß Winter und Sommer hindurch sangen, daß keine Harfe oder Fiedel einen zaubervolleren Ton haben kann. Dort also schlief er, der ungeheure, unbesiegbare Riese. Wollt Ihr wissen, wie beschaffen er war? Er maß wohl siebzehn Fuß in der Länge; er hatte ungeheure Arme und vierschrötige Fäuste; zwischen seinen beiden Augen war ein Abstand von einem Fuß, und wenn seine Augen offen waren, brannten sie so rot, wie glühende Kohlen. Ihr habt sicher niemals ein so häßliches Geschöpf gesehen.

Als Hugo ihn so schlafen sah, sprach er zu sich selbst:

Bei meiner Treu! Ich wollte, daß Karl der Große hier wäre: ich möchte sehen, was er dazu sagte. Ich glaube, wenn ich ihm vorschlüge, von hier wegzugehen, so wären wir bald eines Sinnes. Aber großer Gott! was soll ich thun? Soll ich ihn wecken, soll ich mich entfernen, ohne ihn angeredet zu haben? Ich weiß wahrhaftig nicht, wozu ich mich entschließen soll. Aber niemals soll man mir vorwerfen, daß ich ohne Absage einen Schlag geführt habe. Ich bin hier vor Gott, Gott sieht meine Gedanken, ich kann unter seinen Augen keine Verräterei planen. – Endlich rief er laut: Auf, Du Teufelsbrut, willst Du bald erwachen?

Bei diesem Ruf schoß der Riese so gewaltig in die Höhe, daß die Bettlade zu brechen drohte. Er sprang auf seine Füße und reckte sich vor Hugo in seiner ganzen Größe empor.

Schurke, schrie er, welcher Teufel hat Dich hergebracht?

Meiner Treu, sagte Hugo, das will ich Dir auf gut deutsch sagen! Es war meine große Dummheit und mein Uebermut.

Du hättest Recht, sprach der Riese, wenn ich gewappnet und gerüstet wäre; dann würde ich fünfhundert deinesgleichen für nichts achten; aber ich bin nackt und Du bist wohl bewaffnet.

Als Hugo dies hörte, stieg die Röte der Scham ihm ins Gesicht und er sprach: So geh, Du großer Unhold, und nimm schnell Deine Waffen; denn man soll mir niemals vorwerfen können, daß ich in vollen Waffen einen Ungewaffneten berührt habe.

Mit diesen Worten kehrte Hugo in die große Halle zurück. Riese Orgelus legte ein Panzerhemd an von vierzehn Fuß Länge: es hätte für drei Männer ausgereicht. Dann nahm er ein großes Sichelschwert zur Hand und stapfte mit großen Schritten zur Halle hin, wo Hugo seiner harrte.

Hier bin ich, Bruder, rief er, und wohl bewaffnet. Aber sage mir bei Deiner Tugend und bei dem Gotte, an den Du glaubst, wer ist Dein Vater? Er muß sicherlich ein braver Mann sein. Sag' mir auch, von welchem Lande Du bist, zu welchem Zweck Du herkamst und wohin Du willst. Wenn ich Dir den Kopf abgehauen und ihn auf meinen goldenen Turmknopf gesteckt haben werde, so will ich mich rühmen können, daß ich den getötet habe, der so kühn war, mich Unbewaffneten nicht bekämpfen zu wollen. Ein solcher muß gewiß nicht von niederem Geschlechte sein.

Warte damit noch ein wenig, sagte Hugo: bis jetzt bin ich noch, Gott sei Dank, frisch und gesund. Aber wenn ich fallen sollte, so magst Du Dich rühmen, einen armen Unglücklichen getötet zu haben, den Kaiser Karl der Große seines Erbes beraubt hat. Ich gehe jenseits des Roten Meeres, dem Emir Galdis eine kaiserliche Botschaft zu überbringen. Geboren bin ich zu Aquitanien, mein Vater war der Herzog Siegwin, und ich heiße Hugo. Nun hab' ich Dir die ganze Wahrheit gesagt. So sag' mir denn auch Du, ich beschwöre Dich, weß Landes und weß Stammes Du bist. Meine Mannen erwarten mich dort unten: wen soll ich mich rühmen getötet zu haben, wenn ich sie wiedersehe.

Wenn Du mich tötest, Knabe, magst Du Dich rühmen, den Orgelus besiegt zu haben, den großen Riesen des Roten Meeres. Ich habe fünfzehn Brüder und bin der jüngste unter ihnen. Es giebt keinen Heiden von hier bis zum Dürren Baum am Ende der Welt, der mir nicht jährlich vier Goldpfennige zollen muß. Auch den Emir Galdis, den Du besuchen willst, hab' ich mir unterworfen, vierzehn Städte hab' ich ihm entrissen, deren ärmste zehntausend Mannen stellen kann. Er ist mein Knecht geworden, und um sich loszukaufen, hat er mir einen guten Goldring geben müssen. Kennst Du Oberon, den Albenkönig? All seine Zaubereien und Listen haben ihm nichts geholfen wider mich: ich hab' ihm diese Burg geraubt und dazu ein wunderbares Panzerhemd: der Mann, der es anlegt, kann niemals in einem Kampf besiegt werden; wenn er damit ins Wasser fällt, wird er nicht ertrinken; fiele er ins Feuer, würde er sich nicht verbrennen. Es schmiegt sich dem Wuchse eines jeden an, der es anzulegen vermag, aber das ist eben nicht eines jeden Sache: denn nur der vermag es anzulegen, der vollkommen rechtschaffen und rein von schwerer Sünde ist wie ein neugeborenes Kind; dazu darf auch seine Mutter ihr ganzes Leben an keinen anderen Mann als an ihren Gatten gedacht haben. Aber ein solcher Mensch ist noch nicht geboren. Ich selber habe es noch nicht einmal versucht. Aber höre, Du Knabe: da Du mir die Großmut erwiesen hast, daß Du mir erlaubtest, mich zu bewaffnen, wohlan, so gestatte ich Dir auch, es zu versuchen.

Sogleich lief er fort, das Panzerhemd zu holen; er brachte es alsbald und sprach:

Da nimm; es ist weißer als eine Sternblume und leichter als ein Pergamentblatt. Versuche es anzulegen und fürchte nichts unterdessen; ich werde Dir solange kein Arges anthun.

Hugo griff in Hast nach dem Panzerhemd; er richtete ein glühendes Gebet zu Gott, er möge ihn des Kleinods würdig halten. Darauf schnallte er den Helm ab, löste sein Stahlschwert von der Seite, legte sein Panzerhemd ab und warf darauf den kostbaren Ringpanzer über die Schultern, er setzte den Brustteil und den Rückenteil zurecht: alles stand ihm wie angemessen. Darauf band er sich seinen goldenen Helm wieder fest und faßte sein gutes, stählernes Schwert in die Rechte.

Bei Mahomed, rief der Heide, niemals hätte ich geglaubt, daß Du damit zurecht kämest! Aber nun gieb es wieder zurück.

Schweig, sagte Hugo, und Gott zerschmettere Dich! Aber noch hast Du mir nicht gesagt, Du Mißgestalt, wer Dein Vater war: Du scheinst mir nicht eines Menschen Sohn!

Das ist wahr, sagte der Riese: Beelzebub ist mein Vater, und es giebt keinen Teufel in der Hölle, der mir nicht verwandt ist. Höre Hugo: wenn Du mir sogleich mein gutes Panzerhemd zurückgiebst, so will ich Dich ungefährdet ziehen lassen, und Du sollst auch noch den guten Goldring haben, den mir der Emir Galdis hat geben müssen. Hier, betrachte ihn, Bruder: ich hab' ihn an meinen kleinen Finger gesteckt; er sitzt dort gerade recht, Dir aber würde er einen guten Armring abgeben. Es wird Dir für Deine Botschaft von Nutzen sein, denn Du weißt nicht alles, was Dich in Babylon erwartet. Wenn Du über das Rote Meer hinüber gekommen bist, wirst Du zur Stadt Babylon gelangen; in den Palast jedoch einzudringen, das ist eine gar andere Sache: Du hättest über vier große, aufgezogene Zugbrücken zu kommen; bei jeder Brücke ist ein gar schrecklicher Thorwart und wenn man gar erfährt, daß Du aus Franken bist, so wird man Dir bei der ersten Brücke die linke Faust, bei der anderen die rechte Faust abschneiden, bei der dritten Brücke wirst Du den einen Fuß, und den anderen bei der vierten Brücke lassen müssen; und wenn Du so zugerichtet sein wirst, so werden Dich die vier Thorwärtel bei den vier Stumpfen nehmen und Dich vor den Emir tragen, und der wird Dir den Kopf abschneiden lassen. Giebst Du mir aber meinen Ringpanzer wieder, so wirst Du nichts von dem allen zu fürchten haben. Du brauchst dann nur diesen Ring vorzuzeigen, so werden sich alle vier Zugbrücken vor Dir senken und alle Pforten vor Dir öffnen; Du wirst im Palaste alles thun können, was Dir beliebt; hättest Du fünfhundert seiner Ritter getötet und den Emir selber mit der Faust vor die Nase geschlagen, so daß ihm das helle Blut hervorspritzt, so brauchst Du ihm nur diesen Ring zu zeigen und er wird sich vor Dir verbeugen. Denn er fürchtet mich so sehr, daß er um nichts in der Welt in irgend einer Sache mein Mißfallen erregen wollte; wenn ich etwa Silber, oder Gold, oder Kriegsleute bedarf, so brauche ich ihm nur diesen Ring durch einen meiner Leute zu schicken, und ich habe alsobald was mir not ist. Hier, nimm ihn: sei vernünftig und gieb mir den Panzer zurück.

Du verlierst Deine Worte, erwiderte Hugo. Diese Rüstung will ich nicht eher ablegen, als bis ich Dich in die Hölle zurückgeschickt habe, und was den Ring betrifft, so werde ich ihn haben, ob Du nun willst oder nicht. Wohl bist Du riesengroß, aber ich bin nun wohl gerüstet und vertraue auf das Schwert meines Vaters. Wohlan: hüte Dich, ich künde Dir Fehde an.

Nun, wenn Du sterben willst, so soll es mir recht sein, sprach der Riese.

Er faßte seine Sichel und schleuderte sie mit aller Gewalt auf Hugo. Dieser wich zur Seite und der Wurf traf nur eine Säule, aber mit solcher Gewalt, daß das Eisen vier Fuß tief eindrang. Der Riese beugte sich nieder, um es wieder heraus zu reißen; aber bevor es ihm gelang, hatte Hugo mit zwei Schwerthieben ihm beide Fäuste abgeschlagen, so daß sie an der Sichel festgeklammert blieben, während der Riese zurückprallte und einen schrecklichen Schmerzensschrei ausstieß. Er wollte entfliehen, um sein Leben zu retten, aber Sibylle hatte seinen Schrei wohl vernommen; sie eilte herbei, ergriff einen großen Stab und schleuderte ihn zwischen die Füße des Riesen; dieser stolperte und fiel auf den Rücken. Hugo sprang auf seinen Wanst und führte wiederholte Streiche gegen seinen Nacken; aber erst auf den fünfzehnten Hieb gelang es ihm, den Kopf abzutrennen.

Darauf wischte Hugo sein gutes Schwert ab und verwahrte es wieder in der Scheide; er wollte das Haupt des Ungeheuers nehmen, um es auf den Goldknopf des hohen Turmes zu spießen, aber er konnte es nicht einmal aufheben.

O Gott! seufzte er, wenn ich es nur nach Paris schaffen könnte, damit Karl der Große es sähe!

Durch ein großes Fenster des Palastes erblickte er draußen seine Mannen, die, zu ungeduldig ihn zu erwarten, selber herzugekommen waren.

Er rief ihnen zu: Kommt herein! Die Burg ist mein; ich habe den Hausherrn getötet und zum Teufel geschickt.

Sibylle stieg hinab und öffnete die Pforte, so daß die beiden ehernen Männer sogleich aufhörten zu schlagen. Die Ritter traten voller Freude ein und umarmten alle den Hugo.

Nun kommt aber, ihn zu beschauen! sprach er.

Er führte sie hin und zeigte ihnen den ausgestreckten Leib. Alle betrachteten ihn mit sprachlosem Staunen.

Gerhelm aber sprach: Lieber Herr, wer ist dieses Fräulein hier?

Das ist die Tochter des Grafen Winemar, also meine Base, antwortete Hugo. Ein Seesturm hat sie mit ihrem Vater hierher verschlagen, als sie zum Heiligen Grabe wallten. Der Riese da hat ihren Vater getötet und sie hier gefangen gehalten; dafür hat er jetzt seine Strafe.

Als die Ritter dies hörten, traten alle herzu, um Sibylle zu umarmen. Große Freude herrschte diesen Abend auf der Burg; man fand reichlich zu trinken und zu essen und speiste hohen Mutes. Aber die Freude sollte nur kurz dauern; am nächsten Morgen, eben als die Sonne aufging, versammelte Hugo seine Mannen und sprach zu ihnen:

Ihr Herren, wir müssen nun scheiden: ich gehe nach Babylon; bleibet allhier etwa vierzehn Tage. Wenn ich nach Verlauf dieser Frist mich nicht zeige, so kehret nach Hause zurück, grüßet mir den Kaiser Karl den Großen und meldet ihm, daß ich nicht zurückgekommen bin.

Nur vierzehn Tage? fragte Gerhelm. Nein, ein ganzes Jahr wollen wir hier warten.

Wohlan, so lohn' Euch das der liebe Gott! sprach Hugo.

Er nahm darauf wieder seine Rüstung, gürtete das Schwert um, hängte das Elfenbeinhorn um den Hals, befestigte den guten Humpen am Gurt und legte den Ring des Orgelus an seinen Arm. Darauf nahm er Abschied von seinen Mannen, umarmte sie alle, einen nach dem andern und empfahl ihnen seine Base. Dabei wurden wohl viele Thränen vergossen.

Darauf verließ Hugo die Burg und wandte sich dem Meere zu; Sibylle und alle Ritter standen an den Fenstern des Schlosses und folgten ihm noch lange mit den Augen.



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