Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

 << zurück weiter >> 

Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++

38.

Die Verfolgung des Piraten.

Fünf Tage waren vergangen, die ›Evangeline‹ war allerdings in den Monsun, das heißt in einen gleichmäßigen Wind gekommen, aber er wehte direkt aus Osten, und so mußte Kapitän Broker beständig hin- und herkreuzen, um sich seinem Ziele, Australien, zu nähern; das gab natürlich eine sehr langsame Fahrt. Am Tage segelte er Hunderte von Meilen nach Norden, während der Nacht denselben Weg wieder nach Süden, und berechnete er dann am Morgen, um wieviel er sich dem Ziel genähert hatte, so fand er immer nur wenige Meilen.

Der Kapitän fluchte, die Mannschaft fluchte, aber dies alles brachte das Schiff weder schneller vorwärts, noch änderte es die Richtung des Windes.

»Ein Segler im Norden,« rief am Morgen des fünften Tages ein Matrose, und ehe der Kapitän das entgegenkommende Schiff durch das Fernrohr gemustert hatte, wurden schon zwei andere gemeldet.

»Sie segeln gerade, als ob sie zusammengehörten,« murrte der Kapitän, »und halten voneinander gleichen Abstand. Wenn ich jetzt nicht wenden lasse, muß ich in einer halben Stunde zwischen ihnen durch, und das ist mein Wunsch nicht.«

Er gab den Befehl, das Schiff zu wenden, was er eigentlich erst des Abends hatte thun wollen.

Indes hatten sich die drei Schiffe schon so genähert, daß er sie unterscheiden konnte.

Das mittelste war ein schlankes Vollschiff, ebenso das rechte, vollständig schwarz gemalt, aber bedeutend größer als das erste, und das westliche war eine kleine Brigg, auf welcher er auch einen Schornstein erkannte.

Mit einem furchtbaren Fluch ließ Kapitän Blutfinger das Fernrohr sinken.

»Sie sind es,« schrie er seinen Leuten zu, die noch in den Raaen arbeiteten, »die ›Vesta‹ und der ›Amor‹, das dritte kenne ich nicht. Weiß der Teufel, was sie hier zu suchen haben!«

Er glaubte noch nicht, daß die Schiffe seinetwegen hierherkamen, sondern hielt die Begegnung nur für eine zufällige. Die ›Evangeline‹ war als ein gewerbsmäßiges Handelsschiff gesetzlich eingetragen, sie fuhr wie jedes andere Schiff nach Häfen, nahm Ladung, die allerdings oftmals nur aus wertlosen Kisten mit Sand bestand, und steuerte dann nach einem anderen Land, alles auf Geheiß des Meisters. Als Kapitän Blutfinger den Ueberfall in Pantura ausführte, hatte er sein Schiff weit draußen in der See ankern lassen, war bei Nacht mit seiner Mannschaft in Booten nach einer versteckten Bucht gefahren und von hier aus nach der Ansiedlung vorgegangen, daß also die ›Evangeline‹ dabei erkannt worden wäre, fürchtete er nicht, er selbst ebensowenig, wie seine Besatzung, denn es war vorher der strenge Befehl gegeben worden, keinen Namen zu nennen.

Aber daß er dennoch gerade jetzt mit diesen Schiffen zusammentreffen sollte, deren Besatzungen schon verschiedene Male mit der unter dem Meister stehenden Bande in Berührung gekommen war, beunruhigte ihn mehr, als er sich selbst gestehen wollte.

»Ich werde ihnen aus dem Wege gehen,« dachte er, »indem ich mit dem Winde nach Westen segele. Schlagen sie dieselbe Richtung ein, so haben sie es auf mich abgesehen, und ich kann daran denken, die Geschütze an Deck in Bereitschaft zu bringen.«

Fünf Minuten später flog die ›Evangeline‹ pfeilschnell mit aufgeblähten Segeln dem Westen zu, direkt vor dem Wind.

»Sie signalisieren, Kapitän,« sagte ein Matrose, »alle drei Schiffe. Könnt Ihr lesen, was es heißt?«

Der Kapitän beobachtete die Signale, welche wirklich an den Masten der Schiffe erschienen und schlug im Signalbuche nach.

»Uns gilt es nicht,« sagte er, »aber ich kann es überhaupt nicht ablesen, es ist ganz ungereimtes Zeug, was sie da zusammengesetzt haben.«

»Na, Kapitän,« meinte neben ihm ein alter Kerl, die zweite Hand des Kapitäns, »ich dächte doch, wir wissen, was das zu bedeuten hat. Wenn wir uns mit einem Schiffe unseres Schlages unterreden wollen, signalisieren wir doch auch nicht so, daß jeder den Sinn ausspionieren kann. Seht nur da, Kapitän, wie schön sich die Schiffe verständigt haben!«

Fluchend wandte sich Broker ab; es war wirklich so. Als die ›Evangeline‹ ihr Manöver ausgeführt hatte, waren an den Masten der fremden Schiffe Signale hochgegangen und sofort das Manöver nachgeahmt worden, das heißt, die Verfolger schlugen dieselbe Richtung wie die ›Evangeline‹ ein.

Als dies von allen Matrosen bemerkt worden war, brach ein allgemeines Hohngelächter aus, in welches zuletzt anch der Kapitän mit einstimmen mußte.

»Sie wollen uns wirklich jagen,« lachte er aus vollem Halse, »diese Sportleute! Wir wollen ihnen einmal zeigen, was für ein Unterschied zwischen uns und ihnen ist. Seht nur, die Brigg macht Dampf auf, um wenigstens den beiden Vollschiffen zur Seite bleiben zu können. Lustig, Jungens, wir haben so etwa hunderttausend Meilen freies Wasser vor uns, das wird eine heitere Jagd abgeben!«

»Sie verteilen sich richtig, als wollten sie uns den Weg abschneiden,« meinte wieder der alte Kerl, der der einzige war, dem die Sache nicht lächerlich vorkam. »Das schwarze Schiff scheint ein flotter Segler zu sein, es fährt vielmehr nach Norden, die Brigg dampft etwas nach Süden, und die ›Vesta‹ folgt uns.«

»Wißt Ihr auch, Jungens,« fragte der Kapitän, »was dort auf der ›Vesta‹ für eine Besatzung ist? Ihr habt die Ehre, von Frauenzimmern verfolgt zu werden!«

Wieder brachen die Leute in ein jubelndes Gelächter aus. Sie alle schon hatten von diesen Damen gehört, welche als Matrosen auf einem Segelschiffe eine Reise um die Erde machen wollten und dabei von englischen Sportsleuten begleitet wurden. Allerdings war ihnen auch bekannt, wie die Vestalinnen damals den Demetri, einen ihrer Kollegen überlistet und ihm die Sklavinnen abgenommen hatten, aber das war etwas ganz anderes. Davon waren sie fest überzeugt, daß es mit der ›Evangeline‹, einer schnellsegelnden Bark, kein anderes Schiff aufnehmen konnte, denn sie, denen das Meer zur Heimat geworden, kannten Kniffe, von denen diese da keine Ahnung hatten.

Das einzige der drei Fahrzeuge, welches sie vielleicht hätte einholen können, war die kleine Brigg mit der Hilfsmaschine, aber sie wußten, daß der ›Amor‹ ebenso, wie die ›Vesta‹ nur Revolverkanonen an Bord hatte, während ihr Schiff schwere Geschütze führte. Ehe die Brigg sich auf fünfhundert Schritte genähert hatte, war sie schon in den Grund geschossen. Außerdem flog die ›Evangeline‹ jetzt bei dem starken Winde mit sechzehn Knoten Fahrt die Stunde dahin, und mehr konnte der ›Amor‹ mit Segel und Schraube zugleich auch nicht machen.

Es war Mittag, bis zum Abend wollte Kapitän Blutfinger noch dem Treiben der Verfolger zusehen, in der Nacht schlug er dann einfach eine andere Richtung ein und war, weil er natürlich keine Lichter aussteckte, am anderen Morgen verschwunden. Bevor er wieder einen Hafen anlief, änderte er in etwas die Takelage – in solchen Arbeiten hatten seine Leute genug Erfahrung – der Name des Schiffes wurde gewechselt, falsche Papiere waren immer in Masse vorrätig, und die Sache war wieder in Ordnung.

Jetzt beobachteten sie, wie sich die drei Schiffe verhielten.

Die ›Vesta‹ blieb also hinter der ›Evangeline‹, aber die Entfernung war so groß, daß man selbst mit dem besten Fernrohre die Menschen an Deck nur undeutlich erkannte, und von einem Näherkommen war nichts zu bemerken.

Gar nicht erklären konnte sich der Kapitän das Verhalten des schwarzen Vollschiffes ›Blitz‹. Dieses fuhr fast direkt nach Norden, als wollte es sich von den beiden anderen trennen. Warum war es denn mit hierhergekommen und hatte das Manöver der ›Evangeline‹ nachgemacht? Fast glaubte er schon, es beabsichtige wirklich, nach Norden zurückzufahren, woher es gekommen, als es plötzlich wieder wendete und dieselbe Richtung wie die ›Vesta‹ einschlug, aber weit von dieser getrennt.

Das schwarze Schiff segelte gut, darüber waren sich alle einig, aber mehr Fahrt, als die verfolgte Bark machte es auch nicht.

Die Brigg dagegen machte einen Umweg nach Süden, dampfte mit voller Kraft, und es war nicht zu verkennen, daß sie doch nach und nach aufkam, aber so langsam, daß Tage darüber vergehen konnten, ehe der ›Amor‹ die Bark erreicht haben würde. Jedenfalls wollte der Engländer der ›Evangeline‹ den Weg abschneiden, bog sie dann zur Rechten aus, so war das schwarze Schiff da, wich sie nach links aus, so nahm die ›Vesta‹ dieselbe Richtung an, und die Seeräuber wären gefangen gewesen.

»Haha,« lachte Kapitän Blutfinger vor sich hin, »auf die Gesichter der Engländer freue ich mich, wenn ich die erste Breitseite in den Bauch ihres verfluchten Schiffes sende. Ich wollte mit ihnen spielen, wie die Katze mit der Maus, erst schösse ich einen Mast nach dem anderen ab, und dann ging es an die Maschine. Wenn es nur erst in Schußweite wäre, aber vor morgen früh ist nicht daran zu denken, und daß sie mich morgen nicht mehr sehen, dafür will ich sorgen.«

Der Abend brach an, die Sonne sank am Horizont, und kaum war der blutige Saum in der Ferne verblichen, so legte die Nacht ihre schwarzen Schleier auf das Meer.

Der Kapitän des Piratenschiffes unterließ es, durch die jedem Schiffe vorgeschriebenen bunten Laternen, rechts eine grüne, links eine rote, den Ort zu bezeichnen, an dem sich die ›Evangeline‹ befand, dagegen zündeten die drei Schiffe solche an.

Als vollständige Finsternis herrschte, gab Broker einen noch mehr nördlichen Kurs an, und mit Jubel sahen die Matrosen, wie die drei Schiffe, die durch ihre Lichter gekennzeichnet waren, ruhig weiterfuhren. Gegen zwei Uhr, berechnete der Kapitän, mußte er bei dem schwarzen Schiffe vorbeischlüpfen, dann ging es direkt nach Norden, später wieder noch Osten, und wenn der Tag anbrach, hatten die Verfolger das Nachsehen.

Kapitän Blutfinger ging ins Zwischendeck, um einige Stunden zu schlafen.

Es mochte gegen Mitternacht sein, als heftig an die Thür seiner Kabine gepocht wurde. Schnell ermunterte er sich und fragte fluchend den Störenfried seines Schlafes nach der Ursache.

»Kapitän,« meldete der Mann hastig, »die Lichter des schwarzen Schiffes sind nicht mehr zu sehen.«

»So, seit wann nicht mehr?«

»Das können wir nicht genau sagen, es mag eine halbe Stunde her sein.«

Schimpfend eilte der Kapitän an Deck, um den Matrosen, der auf dem Ausguck gestanden und geschlafen hatte, zur Verantwortung zu ziehen.

Es waren nur noch der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ zu erblicken, in weiter, weiter Ferne, aber so, wie es der Kapitän erwartet hatte, gerade links von der ›Evangeline‹ ab. Von den Lichtern des schwarzen Schiffes dagegen war nichts mehr zu sehen.

»Meinetwegen,« brummte der Kapitän, »wer weiß, was die Kerls dazu veranlaßt hat, ihre Lampen zu löschen; uus schadet das jedenfalls nichts.«

Da seine Ruhe nun einmal gestört war, blieb er an Deck und ging auf und ab, während die Hälfte der Mannschaft, welche gerade die Wache hatte, müßig herumlag, schwatzte oder durch Rauchen sich die Zeit vertrieb. Die Nacht war sehr dunkel, nur die Sterne sandten ihr unsicheres Licht herab, welches kaum ausreichte, auf einige Meter Entfernung einen Gegenstand erkennen zu können.

»Da sind die Lichter wieder,« rief plötzlich ein Matrose.

In der That, da, wo sich das schwarze Schiff jetzt befinden mußte, tauchten wieder das rote und das grüne Licht auf. Der ›Evangeline‹ war es gelungen, den Verfolgern zu entschlüpfen, denn der ›Amor‹ und die ›Vesta‹ waren ihr schon voraus und der ›Blitz‹ war hinter ihr. Ehe der Morgen tagte, vergingen noch einige Stunden, und bis dahin waren die Piraten längst aus dem Gesichtskreis der Verfolger.

»Was ist denn das? Haben die dort einen elektrischen Signalapparat?« rief der Kapitän.

In der Ferne, etwa da, wo sich das schwarze Schiff jetzt befinden mußte, konnte man bald blaue, bald rote und weiße Lichter aufblitzen sehen, immer Zwischenpausen einhaltend, und die Farben in den verschiedensten Zusammenstellungen folgen lassend.

»Sie signalisieren,« rief wieder der Kapitän, »aber der Teufel mag wissen, was es heißt, ich werde daraus nicht klug. Sie werden eine Geheimsprache untereinander ausgemacht haben. Die Hauptsache ist für uns, daß sie nicht wissen, wo wir sind – und das werden sie auch nicht erfahren.«

Vergnügt rieb sich der Kapitän die Hände und sah ebenso, wie seine an Deck befindlichen Matrosen, nach dem Horizont, wo fortwährend farbige Lichter auftauchten und wieder verschwanden.

Die Piraten waren so in dieses seltsame Farbenspiel vertieft, welches sie höchstens einmal bei einem Kriegsschiff gesehen hatten, das im Hafen zur Uebung signalisierte, daß sie gar nicht darauf achteten, daß das Schiff plötzlich einen leichten Stoß erhielt, als würde es etwa von einem Boot berührt. Es kommt übrigens öfters vor, daß man auf hoher See plötzlich eine Erschütterung des Schiffes verspürt, ohne sich die Ursache davon erklären zu können; es mögen große Fische sein, welche an das Fahrzeug stoßen, ein gesunkenes Schiff mag seine Masten bis dicht unter die Oberfläche des Wassers recken, oder aber, wie sich abergläubische Seeleute nachts im Logis erzählen, Wassergeister mögen zornig an dem Kiel des Ungetüms rütteln, welches wagt, ihr Gebiet ohne ihre Einwilligung zu durchfurchen.

Die Matrosen achteten nicht darauf, sie bemerkten auch nicht, wie sich vorn am Bug dunkle Gestalten über die Bordwand schwangen, im Gürtel den Revolver, zwischen den Zähnen das blitzende Messer, und als die Ahnungslosen plötzlich von hinten ergriffen und zu Boden gerissen wurden, da dachten sie nicht einmal an Gegenwehr. Die Haare sträubten sich ihnen vor Entsetzen, willenlos ließen sie es geschehen, daß die finsteren Gestalten ihnen Hände und Füße banden, daß sie dann unter Deck schlichen, um dieselbe unheimlich schnelle Arbeit an den noch Schlafenden zu vollziehen. – Sie meinten nichts anderes, als daß das Meer die Toten, welche sie im Laufe vieler Jahre diesem überliefert hatten, wiedergegeben habe, damit sie Rache für die an ihnen verübten Greuelthaten nehmen könnten.

Auch auf der ›Vesta‹ hatte das plötzliche Verschwinden der Lichter des ›Blitz‹ erst Bestürzung und dann, als sie nicht wieder erschienen, Sorge erregt. Allerhand Vermutungen wurden laut, was der Grund hierzu sein könnte.

»Es wird dem Schiff doch kein Unglück zugestoßen sein?« meinte Ellen. »Wenn wir nicht vorher ausgemacht hätten, immer mit Laternen zu fahren, um uns nicht zu verlieren, so würde es mir keine Sorge machen, aber es ist nun bereits eine halbe Stunde her, seit wir das Schiff aus den Augen verloren.«

»Ich glaube, wir brauchen um Herrn Hoffmann keine Sorge zu haben,« antwortete Johanna, »er hat uns bis jetzt mit einer solchen Sicherheit geleitet, daß es fast übernatürlich erscheint.«

»Es ist wirklich sonderbar, daß einige Stunden, nachdem der Direktor abgefahren war, unsere Schiffe mit der Besatzung des ›Blitz‹ angesegelt kamen, woher diese überhaupt erfahren hatte, daß wir sie gebrauchten –«

»Georg war der Metzelei entflohen und mit dem Boot sofort nach Colombo zurückgesegelt,« unterbrach Johanna die Sprecherin.

»Nun gut, angenommen, die Verhältnisse wären wirklich so günstige gewesen, daß alles so schnell vor sich ging, wie aber erklären Sie, daß Hoffmann nach fünf Tagen den Seeräuber richtig auf dem unendlichen Ozean wiederfand?«

»Sie müssen doch zugeben, daß Hoffmann mit seinem Schiff so ausgezeichnet zu segeln weiß, wie wir uns dessen nicht rühmen können,« entgegnete Johanna.

»Allerdings,« bestätigte die Kapitänin, »nie hatte ich dem stillen Menschen so etwas zugetraut. Jetzt glaube ich auch, daß er damals bei dem Wettsegeln im Boot absichtlich zurückblieb.«

»Also ist er auch ein sehr guter Seemann,« fuhr Johanna fort. »Und warum soll er, wenn er Kenntnis von den jeweiligen Windströmungen hat, nicht berechnen können, wo er ein Segelschiff ungefähr zu suchen hat?«

»Die Behauptung ist etwas kühn, aber es mag sein, daß er so etwas fertig bringt – ich wüßte nicht, wie ich es anfangen sollte; dann ist er hoffentlich auch morgen in der Lage, das Schiff jenes Schurken wiederzufinden, denn ich wette, wir werden es bei Tagesanbruch nicht mehr sehen.«

»Machen Sie sich darum keine Sorge,« entgegnete Johanna bestimmt. »Hat uns Herr Hoffmann so weit geführt, so wird er uns auch zum Ziel bringen.«

»Sie halten ja ungeheuer viel auf den Herrn,« lächelte Ellen.

»Warum sollte ich auch nicht? Ich dachte doch, er hätte uns schon so viele Zeugnisse seiner Fähigkeiten gegeben, daß wir nicht mehr an diesen zweifeln sollten. Sehen Sie, da sind die Lichter wieder,« unterbrach sich Johanna. »Jetzt signalisiert er uns etwas.«

Ellen nahm sofort eine Schreibtafel und einen Bleistift in die Hand und notierte die Reihenfolge der farbigen Flammen, ebenso wie es jedenfalls auf dem ›Amor‹ geschah. Die Vestalinnen warteten gespannt, bis die Kapitänin ihnen das Signal erklären würde, denn Kapitän Hoffmann hatte mit ihr und Lord Harrlington zuvor verabredet, daß er, wenn er mittelst eines elektrischen Apparates zu ihnen sprechen würde, sich nicht der gewöhnlichen, sondern geheimer Zeichen bedienen wolle. Wenn der Kapitän des verfolgten Schiffes dieselbe verstehen sollte, so würde er doch keinen Sinn in den Signalen finden, ebensowenig wie am Tage in den mit den Flaggen gegebenen.

Als das Schlußzeichen, dreimal hintereinander ein rotes Licht, erschienen war, fing Ellen an, statt der sonstigen Bedeutungen, die verabredeten unterzuschieben.

»Rot, weiß, blau,« erklärte sie nun, »das würde bei uns Kurs heißen – er giebt uns also einen neuen Kurs an; weiß, blau, blau – Nord, weiß, blau, grün – Nord-Ost.«

So fuhr sie fort, bis sie das ganze Signal übersetzt hatte, und es lautete nun:

»Kurs Nord zu Nord-Ost, dreiviertel Ost.«

Jetzt ließ sie das verabredete Verstandenzeichen geben, das heißt, für eine halbe Minute die grüne Laterne auf der Steuerbordseite verlöschen, und diejenigen Mädchen, welche dabei den ›Amor‹ beobachteten, bemerkten, daß dort dasselbe Zeichen erschien; also auch die Brigg der Engländer hatte das Signal abgelesen.

»Natürlich muß ich diesen Rat Kapitän Hoffmanns befolgen,« sagte Ellen, »obgleich ich nicht glauben kann, daß wir dadurch der ›Evangeline‹ auf der Spur bleiben werden. Wie will er denn nur bei dieser Finsternis eine Ahnung haben, wo sich der Pirat gerade aufhält, oder wohin er sich wendet.«

»Und ich glaube, er weiß es doch,« stimmte Miß Murray ihrer Freundin Johanna bei. »Sonst hätte er uns nicht mit solcher Bestimmtheit den Kurs angegeben.«

Einige Minuten später segelte die ›Vesta‹ den neuen, vorgeschriebenen Weg, und an der gegenseitigen Verschiebung der Seitenlichter des ›Amor‹ sahen die Mädchen, daß auch die Brigg das Gleiche that.

»Es ist jetzt zwei Uhr,« sagte Ellen eine halbe Stunde später, »in zwei Stunden bricht die Morgendämmerung an, und dann werden wir ja sehen, ob Kapitän Hoffmann recht gehabt hat oder nicht, uns von der alten Richtung abzulenken. Es ist allerdings zu vermuten, daß der Pirat uns bei Nacht zu entschlüpfen sucht, aber meiner Meinung nach können wir ihn auch daran nicht verhindern, weil keines unserer Schiffe einen Scheinwerfer an Bord hat, mittels dessen man das verfolgte Fahrzeug immer mit einem Strahl beleuchten kann.«

»Wenn nun die ›Evangeline‹ früh wirklich noch in Sicht ist, wie wollen wir sie dann nehmen?« fragte eine andere Vestalin.

»Der Pirat wird gute Geschütze an Bord haben,« warf Jessy dazwischen.

»Wir müssen eben versuchen, alle drei gleichzeitig an ihn heranzukommen, und zwar möglichst schnell, ehe er Gebrauch von seinen Kanonen machen kann. Wir beide, der ›Blitz‹ und die ›Vesta‹, segeln mit dem Wind auf ihn zu, und der ›Amor‹ dampft gegen den Wind an ihn heran,« entgegnete Ellen.

»Da kann Blut fließen.«

»Ja. Haben wir die Verfolgung aber einmal angefangen, so können wir sie auch jetzt nicht mehr aufgeben, diese Blamage wäre zu groß. Ich fühle mich von jeder Verantwortung frei, denn die Verfolgung ist nach einstimmigem Beschluß aller Damen aufgenommen worden, überdies ist es nicht das erste Mal und wird wohl auch nicht das letzte Mal sein, daß wir dem Tode entgegengehen. Sind aber alle Damen damit einverstanden, von einem eventuellen Kampf abzusehen, das heißt also, die Jagd hinter dem Piraten aufzugeben, so muß ich mich diesem Beschlusse fügen, ich lasse sofort wenden.«

Ein unwilliges Gemurmel wurde unter den Mädchen hörbar, daß die Kapitänin so von ihnen dachte, als ob sie nicht auch schon verschiedene Male gezeigt hätten, daß sie ihr Leben ebensowenig wie Miß Petersen schonten, wenn es die Ehre der ›Vesta‹ galt.

»Wohlan denn!« rief Ellen. »Machen Sie die Kanonen klar. Im Osten zeigt sich schon ein roter Streifen. In einigen Minuten müssen wir sehen, ob uns Kapitän Hoffmann richtig hinter dem Piraten hergeführt hat.«

Es wurden alle Vorbereitungen getroffen, um einen Kampf mit dem Piratenschiff bestehen zu können, die Revolverkanonen wurden an die Bordwand gerollt, die Waffen in Bereitschaft gesetzt und noch einmal jedes Tau in der Takelage gemustert, damit es nicht etwa bei einem schnellen Segelmanöver reiße und der ›Vesta‹ verderblich würde, denn nun galt es, die ganze Geschicklichkeit im Segeln zu zeigen, nämlich immer so zu kreuzen, daß es dem Piratenschiff nie gelang, der ›Vesta‹ die Breitseite zuzuwenden, und ihr eine volle Ladung der Kanonen zu geben, sondern daß es höchstens mit einem am Heck aufgestellten Geschütz operieren konnte. Bei einem Seegang wie jetzt, ist es auf dem Meere äußerst schwer, ein Ziel sicher zu treffen, von einer Kanone hat man daher nicht viel zu befürchten, während von den Kugeln einer Batterie, deren Geschütze verschieden gerichtet sind, immer wenigstens eine trifft.

Eine wilde Freudigkeit bemächtigte sich der Mädchen. Es war dasselbe Gefühl, welches die Herzen unserer Matrosen beseelt, wenn an der Ost- oder Westküste Afrikas Patronen an sie verteilt werden, wenn hinter ihnen die berauschenden Klänge der Schiffskastelle ertönen und vor ihnen in dem Unterholz die Waffen der feindlichen Neger blitzen oder über dem Palissadenbau, den sie stürmen sollen, wollhaarige Köpfe zum Vorschein kommen. Fällt auch neben ihnen, von einer Kugel getroffen, manch' lieber Kamerad, sie können das Kommando des führenden Offiziers: »Zum Sturm, Marsch, Marsch!« nicht erwarten. Kaum vernehmen sie die feurigen Worte, mit denen sie noch einmal entflammt werden; dieselben wären nicht nötig, eine unnennbare Begeisterung reißt auch den sonst Mutlosesten mit fort, bis die deutsche Flage hoch über den Palissaden weht. Noch einmal ertönt ein dreifaches Hurrah für Kaiser und Reich, das Kommando erschallt, die verstummte Musik setzt wieder ein, und im Sturmschritt geht es vorwärts, mit unwiderstehlicher Gewalt alles niederwerfend.

So brachen auch jetzt die Mädchen in ein »Hip, hip, hurra!« aus, als die Morgenröte die Finsternis erhellte, und sie, nur einige Meilen von ihnen entfernt, das Piratenschiff segeln sahen.

»Es hat in der Nacht Havarie erlitten,« rief Ellen, »einige Segel sind eingezogen, sie fahren langsam. Hoch die amerikanische Flagge! Wir entern das Schiff!«

Das Sternenbanner der Vereinigten Staaten stieg am Heck auf, die Enterhaken wurden an Deck bereitgelegt, und dicht gedrängt standen die Mädchen an der Bordwand, das feindliche Schiff betrachtend.

Kapitän Hoffmann hatte zwar Miß Petersen ausdrücklich gebeten, unter keinen Umständen zu entern, wenn ihr Schiff den Piraten zuerst erreichen sollte, sondern entweder erst auf die anderen zu warten und dann gleichzeitig zu einem Angriff überzugehen, oder aber dem ›Blitz‹ die Enterung zu überlassen, weil er die grötzte Besatzung an Bord habe, die sich überhaupt aus Leuten zusammensetze, welche in dergleichen Unternehmungen bewandert wären. Der ›Blitz‹ sei es auch, der sich zuerst an dem Kapitän zu rächen habe, denn durch diesen hatten fünf Matrosen Hoffmanns den Tod gefunden.

Aber die Gelegenheit war eine zu günstige, wieder einmal als erste sich zu zeigen, als daß sich die Mädchen dieselbe hätten entgehen lassen.

Der ›Blitz‹ war viel zu weit nördlich, und der ›Amor‹ hatte wirklich die ›Evangeline‹ umgangen und dampfte jetzt gegen den Wind an. Aber er brauchte wenigstens zwei Stunden, ehe er sie erreicht hatte, und die ›Vesta‹ konnte den Piraten in einer halben Stunde bequem einholen, denn das verfolgte Schiff segelte merkwürdig schwerfällig.

»Es muß etwas mit dem Schiff nicht in Ordnung sein,« meinte Ellen, »die meisten Segel sind festgemacht, nur wenige stehen noch, und in der Takelage sind auch keine Matrosen zu sehen.«

Die Bordwand der ›Evangeline‹ war, wie auf vielen Segelschiffen, über zwei Meter hoch, sodaß man an Deck keine Leute sehen konnte. Nur auf der Back, dem vordersten Teil des Schiffes, und am Heck war sie niedriger, aber dort hält sich gewöhnlich niemand auf.

Ellen schickte einige Mädchen in die Takelage, damit sie sich überzeugten, was die Matrosen eigentlich trieben, aber wie groß war aller Erstaunen, als diese herunterriefen, an Deck wäre überhaupt niemand zu sehen.

»Dann sind sie unter Deck und beschäftigen sich mit den Kanonen,« sagte Ellen.

Die Kanonenpforten waren aber noch geschlossen, und ob am Steuerrad ein Matrose stände, konnte man nicht erkennen, weil dasselbe in einem Häuschen untergebracht war.

Schnell hatte sich die ›Vesta‹ dem Piratenschiff genähert.

»Wir wollen sie aus ihren Träumen wecken,« rief die Kapitänin. »Zeigen Sie einmal Ihre Kunst an den Revolverkanonen. Schießen Sie die Segel weg.«

Schuß krachte auf Schuß, die Taue zerrissen, die Holzsplitter der Raaen flogen in die Luft, aber an Bord zeigte sich kein Mensch.

Erstaunt sahen sich die Mädchen an.

Jetzt lag die ›Vesta‹ neben der ›Evangeline‹. Die Enterhaken fielen über die Bordwand, die eine Hälfte der Mädchen zogen das Schiff heran, die andere stand mit dem Revolver in der Hand bereit, um einer List der Piraten zu begegnen, aber es war nicht nötig – sie trafen auf keinen Widerstand.

Ellen sprang auf die ›Evangeline‹ hinüber, gefolgt von einigen anderen, vorsichtig begaben sie sich ins Zwischendeck – niemand war darin, das Ruder war festgebunden. Das Schiff war wie ausgestorben.

Da deutete Johanna auf den Platz, wo sonst gewöhnlich die Boote hängen.

»Wie konnten wir das nur übersehen! Die Boote sind ja fort.«

»So sollten sich uns die Piraten also in den Booten durch Flucht entzogen haben?«

Diese Frage kam sehr zweifelnd aus Ellens Munde.

Sie begab sich wieder unter Deck und öffnete alle Thüren. Als sie an eine kam, welche verschlossen war, sprengte sie das Schloß durch einen Revolverschuß.

Es war so, wie sie vermutet hatte: sie befanden sich im Kartenzimmer des Kapitäns, wo alles Wertvolle, wie Geld, Papier und so weiter aufgehoben wurde, und sofort sprang Johanna nach einem Winkel der Kammer und schob mit dem Fuß zwei eiserne Kisten hervor.

»Hier sind die Perlen,« sagte sie einfach, »ich kenne die Kisten genau aus der Beschreibung des Direktors. Wir brauchen die Deckel nicht erst aufzumachen, die kunstvollen Schlösser sind vollkommen unbeschädigt, der Inhalt ist also noch darin.«

Es war eine Thatsache, die nicht zu bezweifeln war. Die Piraten hatten ihr Schiff in den Booten verlassen, aber den geraubten Schatz nicht mitgenommen. Hatte ihnen irgendetwas einen so furchtbaren Schreck eingejagt, daß sie Hals über Kopf in die Boote gestürzt und davongefahren waren, ohne an die Perlen zu denken? Wer konnte es sagen? Die Vestalinnen gaben sich gar nicht mehr die Mühe, über solche Rätsel zu grübeln, auf ihrer Reise waren ihnen schon merkwürdige Dinge genug begegnet.

Als sie mit den eisernen Kisten an Deck zurückkamen, legte eben der ›Amor‹ zur Seite des verlassenen Schiffes an, und die Engländer wollten zuerst nicht glauben, was ihnen die Damen erzählten, bis sie sich selbst überzeugt hatten.

Als sie ihre Aufmerksamkeit dem ›Blitz‹ zuwenden wollten, bemerkten sie zu ihrem Erstaunen, daß dieser gar nicht mehr zu sehen war. Charles wollte zwar noch seine Mastspitzen am Horizont bemerken, aber er mußte diesmal zugeben, daß es ebensogut ein anderes Schiff gewesen sein konnte.

»Er ist nach Norden gefahren, ohne sich weiter um uns zu kümmern, als er sah, daß wir die ›Evangeline‹ genommen hatten, und zwar ohne Blutvergießen,« murmelte Ellen. »Seltsam, sollte Kapitän Hoffmann vielleicht mehr davon wissen, als er sagen will, wo die verschwundene Mannschaft geblieben ist?« – – –

Noch an demselben Abend geschah etwas, was Licht in die Sache zu bringen schien.

Die ›Vesta‹ und der ›Amor‹ fuhren einträchtiglich nebeneinander den Weg zurück, sie wollten beide nach Colombo, um dort die Perlen abzugeben, als in der Ferne ein Boot mit einem einzelnen Menschen darin erkannt wurde.

Als das Boot neben dem ›Amor‹ lag, fand man, daß der vermeintliche Matrose tot war, und Charles kletterte an einem Tau hinunter, um die Leiche an Deck hissen zu können. Aber ein entsetzlicher Gestank wehte ihm entgegen, er hatte nur noch Zeit, den auf dem Gesicht liegenden Körper umzuwenden, dann kehrte er eiligst an Bord zurück.

Er wollte seine Gefährten mit einer großen Neuigkeit überraschen, aber dieselben hatten ebenfalls schon in dem halb verwesten Leichnam, dessen Gesicht und Hände bereits von Seevögeln zerhackt worden waren, Henrico erkannt, weniger an seinen Zügen, denn diese waren völlig entstellt, als vielmehr an seiner Kleidung.

Der Verbrecher mußte schon tagelang im Boote auf See herumtreiben und war auf alle Fälle aus Mangel an Nahrung und Wasser gestorben; daß er ursprünglich auf der ›Evangeline‹ gewesen war, daran zweifelte niemand, was ihn aber dazu veranlaßt hatte, das Schiff in einem Boot zu verlassen, ohne Segel, ohne Riemen und ohne Nahrung, das blieb in tiefes Dunkel gehüllt. Charles überwand den aufsteigenden Ekel und untersuchte den Leichnam, aber nichts wurde gefunden, was den Schleier des Geheimnisses gelüftet hätte.


 << zurück weiter >>