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An dem östlichen Ufer des Nils, südlich der Stadt, hielt ein Beduine auf edlem Roß.
Ein langer Weg und unsägliche Strapazen mußten hinter beiden liegen; denn das Aussehen des Reiters, wie seines Tieres verriet die größte Erschöpfung. Der weiße Burnus des Mannes war stark abgenutzt, ja an verschiedenen Stellen zerfetzt, als hätte er nie daran denken können, sein Gewand zu wechseln, als hätte er seit Wochen Tag und Nacht im Sattel gesessen. Aber, obgleich das Pferd den Kopf etwas gebeugt trug, wieherte es doch hell auf, als sein Herr ihm den edelgeformten Hals klopfte, und schritt ungesäumt dem Wasser zu, um dem jenseitigen Ufer des Nils zuzuschwimmen, während der Reiter die einläufige, lange Flinte, sowie zwei Pistolen, hoch emporhielt, um das Pulver nicht naß werden zu lassen.
Drückte auch das schöne, stolze Gesicht des jungen Beduinen eine tiefe Niedergeschlagenheit, eine geheime Sorge aus, so vermochte diese doch nicht das glänzende Auge zu trüben, mit dem er scharf nach dem anderen Rande des Stromes spähte. Die Züge des Reiters zeigten zwar ein orientalisches Gepräge, man hätte ihn aber ebensogut für einen Südeuropäer halten können, besonders die langen, schwarzen Locken stempelten ihn zu einem solchen, ebenso wie der gekräuselte Schnurrbart.
Das Roß hatte das Ufer gewonnen.
Wieder streichelte der Reiter den Hals des Tieres.
»Noch einige Stunden greife gut aus, Morgenröte,« sagte er zärtlich, »und wir sind im Lager. Deine wackeren Dienste sollen dann belohnt werden. Eile, eile, daß meine Rache den Schuldigen treffe!«
Er stieß dem Pferde die spornlosen Hacken in die Weichen, sodaß dieses in flüchtigen Sätzen durch das hier nur einen Kilometer breite Nilthal flog, an welches die Wüste grenzt.
Weiter sprengte der Reiter in Karriere dem Westen zu, die sengenden Strahlen der Sonne nicht achtend, welche auf sein mit einem Turban bedecktes Haupt herniederglühten, dicht auf den Hals seines Tieres gebeugt, um durch den Widerstand der Luft die Schnelligkeit des Rosses nicht zu vermindern.
Plötzlich weiteten sich seine Augen; scharf spähte er nach dem Horizonte, an dem er dunkle Gestalten wahrnahm.
»Es können nur Beni-Suef sein,« murmelte er, »ich treffe hier auf keinen anderen Stamm. Aber warum halten sie sich nicht zusammen, sondern in Entfernung, als wollten sie eine Linie bilden?«
Er lenkte das Pferd etwas weiter nach rechts, um den Begegnenden ausweichen zu können. Rasch näherte er sich den Gestalten. Wie er jetzt erkennen konnte, waren es Reiter, und zwar mochten es ein Dutzend sein.
Als die neuen Reisenden den einsamen Menschen erblickten und sahen, daß er eine andere Richtung einschlug, änderten auch sie sofort die ihrige, wie wenn sie eine direkte Begegnung mit ihm wünschten.
»Haben sie Böses gegen mich im Sinne, oder wollen sie nur den Weg nach dem Nilthal erfragen? Nun, mögen sie kommen, sie werden Salim friedfertig oder kampfbereit finden, je nachdem,« murmelte der Reiter wieder, zog, ohne den Lauf seines Rosses zu mäßigen, die Pistolen aus dem Gürtel und prüfte sie, ebenso wie die Flinte. Auch überzeugte er sich, daß der zweischneidige Dolch handbereit steckte.
Der kühne Reiter war kein anderer als jener Salim, dem vor einem halben Jahre seine Braut Sulima am Tage der Hochzeit durch fremde Räuber entführt wurde. Noch an demselben Tage war er, von der Jagd nach den losgekoppelten Pferden kaum ins Lager zurückgekehrt, aufgebrochen, um der Spur des geraubten Mädchens zu folgen. Der alte Scheich, Sulimas Vater, hatte ihn reichlich mit Geldmitteln ausgestattet und ihm geheißen,
keine Kosten zu scheuen, um die Entführte wieder zu erlangen.
Sonderbarerweise wollte sich ihm Hassan durchaus als Begleiter anschließen, aber Salim, der dem Burschen niemals recht getraut hatte, schlug ihm die Bitte rundweg ab; er nahm überhaupt niemanden mit, einmal, weil er seinen eigenen Scharfsinn und seine Geschicklichkeit im Verfolgen einer Spur für vollkommen genügend hielt, und dann auch, weil er nicht durch andere Personen in der Schnelligkeit seiner Bewegungen gehemmt sein wollte.
Aber im Nilthal schon verlor er die Fährte der Räuber, denn diese hatten den bebauten und bewohnten Teil ihres Weges dazu benutzt, etwaige Verfolger irrezuleiten, und es gelang Salim trotz aller Mühe nicht, sie wiederzufinden.
Nach einigen Tagen vergeblichen Suchens setzte er kurz entschlossen seinen Weg nach der Küste des Meeres fort, denn eine Ahnung sagte ihm, daß die beiden geraubten Mädchen an Sklavenhändler verkauft werden sollten. Wenn er auch zu spät kam, um dies zu verhindern, so konnte er sich doch wenigstens Gewißheit darüber verschaffen und eventuell die Entführer zur Bestrafung ziehen, das heißt, sie nach den Gesetzen der Wüste töten.
Aber vergebens ritt er die ganze Küste ab und fragte in dem kleinsten arabischen Fischerdorfe wie in der großen Hafenstadt jeden, ob zwei Mädchen mit dem von ihm beschriebenen Aeußeren gesehen worden wären – niemand wollte etwas von ihnen wissen.
Da hatte er eine wundersame Begegnung.
Eines Tages traf er auf dem Wege nach einer anderen Stadt zwei Reisende, einen zu Kamel, den anderen zu Pferde, und wie groß war sein Erstaunen, als er in ihnen Hassan und Seddah erkannte, welche sich auf der Reise nach der Heimat befanden.
Hassan brüstete sich ungemein mit seinem angeblichen Erfolge, daß er die Spur der Mädchen gefunden und Seddah gerettet habe. Auch das Mädchen floß über von Bewunderung für den buckligen Hassan und pries ihn als ihren Befreier.
»Und Sulima?« fragte Salim kurz.
Seddah erzählte das, was der Leser bereits weiß, und fügte noch hinzu, daß sie nach Wegführung der Sulima selbst wieder in ein anderes Städtchen geschleppt wurde, bis eines Nachts der tapfere Hassan ihren Aufenthaltsort erkundet, die Räuber mit Hilfe einiger bezahlter Männer überrumpelt und sie befreit habe.
Salim bezweifelte diese Erzählung von vornherein, besonders als Hassan erklärte, den Namen jenes Städtchens, in dem er Seddah gefunden, vergessen zu haben. Ohne Abschied ritt er davon, um seine Nachforschungen fortzusetzen, aber sie blieben erfolglos.
Fast gingen ihm die Geldmittel und damit die Möglichkeit aus, weiterzureisen, da bekam er sichere Mitteilungen, daß Sulima als Sklavin an einen türkischen Sklavenhändler verkauft und sofort auf ein Schiff geschleppt worden sei. Jetzt gab der Jüngling mit blutendem Herzen die weitere Verfolgung auf, denn niemand wußte, wohin sich das Schiff gewandt habe; aber er hatte doch wenigstens den Namen des Verkäufers erfahren, und um diesen zur Verantwortung zu ziehen, befand er sich jetzt auf dem Ritt nach den Zelten der Beni-Suef.
Es war kein Zweifel, die Reiter suchten mit Salim zusammenzutreffen, und ihr Aussehen war durchaus kein friedfertiges.
Sie ritten vorzügliche Pferde; die Spitzen der Lanzen funkelten im Glanze der Sonne, auf den Rücken hingen die langen Beduinenflinten, und so nahe war Salim schon herangekommen, daß er die Gesichtszüge der Fremden erkennen konnte. Er sah, daß sich in ihnen eine höhnische Freude widerspiegelte, die sie beim Anblick des einsamen Reiters nicht einmal verhehlten.
»Beni-Suef sind es nicht, auch keine Bauiti; die Art, wie sie den Turban geschlungen haben, ist mir völlig fremd. Sie scheinen nichts Gutes gegen mich im Schilde zu führen, und mein Leben ist zu kostbar, um es nutzlos aufs Spiel zu setzen; also werde ich ihnen aus Wege gehen, wenn dies auch einer Flucht ähnlich sieht,« so dachte Salim und lenkte sein Roß scharf rechts ab, so schnell, daß er im Nu an der Seite der Fremden vorübersauste. Da er seinen Ritt nicht im geringsten gemäßigt hatte, so sah es aus, als ob er keine Zeit zu verlieren habe, sondern so schnell als möglich einem Ziele zustrebe.
Er hatte richtig vermutet, denn kaum hatte er die vierzehn Mann hinter sich, denen anfangs sein Manöver überraschend kam, so knallten schon Flintenschüsse, und die Kugeln pfiffen um seinen Kopf.
Doch Roß und Reiter blieben unverletzt.
Salims Blut wallte bei diesem frechen Angriff auf einen harmlosen Wanderer; er riß die Pistole ans dem Leibgurt, wandte sich im Sattel und zielte nach dem ersten der Männer, welche sofort seine Verfolgung aufgenommen hatten.
Der Schuß krachte, und der Reiter stürzte vom Pferde.
Nochmals flogen Kugeln um Salims Ohren, doch abermals fiel ein Verfolger von dessen sicherer Kngel.
»Hussah, Morgenröte,« rief er in wilder Freude und gab der Stute die Fersen, »es ist das erste Mal, daß du vor einem Feinde fliehst, aber ich will deren Zahl nach und nach vermindern.«
Es konnte freilich nicht mehr lange währen, so mußten die Verfolger, wenn anch keine ihrer Kugeln traf, ihn doch erreichen, denn ihre Pferde waren ausgeruht, das seinige dagegen vollständig abgemattet. Mehr und mehr verringerte sich die Entfernung zwischen ihnen, die er durch das plötzliche Ablenken gewonnen hatte; immer näher erklangen hinter ihm die Flüche.
Salim hatte seine Pistolen wieder geladen, eben wandte er sich um, um abermals den nächsten aus dem Sattel zu werfen, als ein Schuß krachte; sein Pferd bäumte sich und stürzte zu Boden.
Doch Salim ward nicht abgeschleudert. Ehe das Roß noch fiel, stand er schon auf den Füßen, riß die Flinte von der Schulter und lag im nächsten Augenblicke hinter dem Pferde, dieses als Schutzwehr gegen die feindlichen Kugeln gebrauchend.
»Arme Morgenröte,« flüsterte er, »kann ich Sulima nicht mehr rächen, so will ich wenigstens Deinen Mörder bestrafen.«
Jetzt war sein Schicksal entschieden. Noch dreißig Meter trennten ihn von seinen Feinden, bald wurde er gewiß von deren Lanzen durchbohrt.
Aber was galt ihm das Leben, seit er Sulima verloren! Es hatte nur noch den Zweck für ihn gehabt, den Verrat an seiner Geliebten zu rächen. Drei der Verfolger müßten noch fallen, dann war er zum Sterben bereit. Er wollte schon dafür sorgen, daß er ihnen nicht lebendig in die Hände fiel.
Doch da zügelten die Beduinen plötzlich ihre Rosse, besprachen sich hastig und jagten in Carriere zurück, als wollten sie auf ihr Opfer verzichten.
Salim war ein in Kampfspielen viel zu erfahrener Mann, als daß er sich durch diese Handlungsweise in Sicherheit hätte wiegen lassen; sein Tod wurde nur etwas verzögert. Er wußte, daß sie jetzt außer Schußweite ritten, ihn umzingelten, von den Rossen stiegen und dann langsam, auf dem Bauche kriechend und jede Erhebung des Sandes benutzend, auf ihn zukamen und eine Gelegenheit für einen günstigen Schuß erspähten.
Wären sie direkt auf ihn zugeritten, so hätten wenigstens noch drei daran glaubeu müssen, denn Salims Kugeln trafen. So dagegen, war mehr Aussicht vorhanden, ihren Zweck zu erreichen, ohne dabei ihr Leben besonders aufs Spiel zu setzen.
Es geschah so, wie er vermutete.
Außer Schußweite gekommen, schwenkten sie nach rechts und links ab und ritten um Salim herum, doch immer einen weiten Abstand von dessen sicherer Flinte bewahrend. Dann, als sie eine bestimmte Entfernung untereinander eingenommen, sprangen sie aus den Sätteln, legten sich in den Sand und krochen langsam näher, während die darauf dressierten Pferde ruhig an ihren Plätzen stehen blieben.
Der Beni-Suef sah, daß jene, obgleich schlechte Schützen auf rennendem Pferde, doch im Einzelkampf geübte Krieger waren, sie verstanden es wenigstens ausgezeichnet, sich hinter der geringsten Erhebung des Bodens zu verstecken; kein Glied kam zum Vorschein, höchstens tauchte hier und da der oberste Rand des Weißen Turbans oder ein Stückchen Gewand auf. So krochen sie langsam näher, ohne ihm eine Gelegenheit zum Gebrauche seiner Büchse zu geben.
Salims Lage war eine schwierige, weil er nicht gleichzeitig alle die Feinde beobachten konnte, auch sich nicht immer wenden wollte, um sich ja nicht einmal eine Blöße zu geben. Die eine Seite war durch den Körper des toten Pferdes geschützt, auf der anderen erhob sich eine Unebenheit des Sandes, sodaß er ziemlich gedeckt lag und dabei zugleich selbst einen günstigen Platz zum Zielen hatte.
Plötzlich hörten die Feinde auf, ihre kriechenden Bewegungen fortzusetzen; er vernahm, daß sie sich etwas zuriefen, einen Satz, der sich von Mund zu Mund fortpflanzte und so den ganzen Kreis durchlief. Leider war die Entfernung noch zu weit, als daß er hätte die Worte verstehen können, aber es war ihm, als sei das Wort ›Franken‹ dazwischen gewesen. Er grübelte nicht weiter darüber nach, sondern betrachtete fortgesetzt einen Mann, der sich ihm am meisten genähert hatte, weil er sehr schnell, dabei auch am unvorsichtigsten gekrochen war.
Da sprang dieser mit einem Male auf, als wolle er auf Salim zulaufen; doch schon krachte dessen Büchse und jener stürzte zusammen.
Doch was war das? Die ganze Reihe hatte sich aufgerichtet und stürzte in wilder Hast nach den Pferden, sprangen auf und jagten davon, ohne sich weiter um ihr Opfer zu kümmern.
Verwundert blickte Salim sich um und sah nun den Grund zu dem schleunigen Rückzug.
Nicht weit von ihm sprengte eine stattliche Reiterschar im Galopp heran, etwa zehn nach europäischer Art, aber in Jagdanzüge gekleidete Männer, alle wohlbewaffnet.
»Es ist doch merkwürdig,« sagte eben der eine, »wohin wir kommen, da reißt alles aus. Wie geht das nur zu, Williams?«
»Das ist ganz natürlich, Hendricks,« spottete der Angeredete, »seit Sie sich einen Backenbart angeschafft haben, sehen Sie wie ein reisender Räuberhauptmann aus.«
»Allah sei gepriesen, ich bin gerettet!« rief Salim, stand aus und erwartete die Ankömmlinge.
»Wer bist Du? Wurdest Du allein von so vielen Feinden bedroht?« fragte ihn der Anführer der Schar – es war Harrlington – erst auf Englisch, und dann, als der Beduine mit dem Kopf schüttelte, auf Französisch. Zur Verwunderung der Herren antwortete derselbe sofort fließend in dieser Sprache.
»Ich bin ein Beni-Suef. Wüstenrauber haben mich überfallen, ich weiß nicht warum, jedenfalls weil sie Schätze bei mir vermuteten, und ohne Ihre Dazwischenkunft wäre ich verloren gewesen.«
»Du bist ein Beni-Suef, dessen Stamm nicht weit von hier seine Zelte aufgeschlagen hat?« rief ein Reiter. »Das ist ein seltsames Spiel des Schicksals, auch wir. ..«
»Ruhig, meine Herren,« unterbrach ihn Lord Harrligton, »vielleicht fügt es sich noch wundersamer!«
»Wie willst du nun deine Reise durch die Wüste fortsetzen, da dein Pferd getötet ist?« wandte er sich wieder an den Beduinen.
»Es ist nur eine halbe Tagesreise für mich; so lange kann ich mit Leichtigkeit ohne Wasser laufen,« entgegnete dieser mit bedauerndem Blicke auf sein totes Roß.
»Siehst Du dort die Karawane?«
Der Beduine folgte der angedeuteten Richtung und erblickte eine Menge Gestalten zu Pferde, welche sich inzwischen dem Schauplatze des Kampfes genähert hatten. Auch einige Kamele konnte er erkennen.
»Ich sehe sie.«
»So komme mit uns, du kannst dort ein Kamel als Reittier erhalten, und wir selbst werden dich nach dem Lager bringen.«
»Die Beni-Suef werden Eure Güte durch Gastfreundschaft zu vergelten wissen,« entgegnete Salim dankbar.
Die Herren ritten langsam, neben sich den Beduinen, der Karawane entgegen.
»Ein Glück war es,« sagte unterwegs Harrlington zu Lord Hastings, »daß Sie diesen Wettritt anregten. Einmal haben wir dadurch einen Menschen vor dem sicheren Tode gerettet, und dann vermute ich fast, haben wir einen Fang gemacht, über den sich Miß Petersen außerordentlich freuen wird, und wahrscheinlich noch viel mehr jemand anders.«
»Wieso?« fragte Hasting. »Nun ja, vielleicht Sulima, weil auch diese eine Beni-Suef ist.«
»Nicht allein darum. Geben Sie jetzt Achtung!«
Die beiden Reitergruppen waren zusammengetroffen. Ellen, in einem kurzen Reitkleid, ritt auf einem prächtigen Grauschimmel neben dem die Karawane führenden Beduinen und unterhielt sich mit Sulima, welche ihr zur anderen Seite ritt. Hinter ihnen verteilten sich die Vestalinnen und die übrigen Herren in Gruppen; den Schluß bildeten einige Kamele, unter Aufsicht Hannibals, welche die mitgenommenen Bedürfnisse trugen.
Alle waren zu Pferde.
Die Vestalinnen trugen, ebenso wie ihre Kapitänin helle, kurze Reitkleider, je nach Geschmack mit Schärpen oder Gürteln verziert, während Ellen um ihre Hüften nur eine Art Ledergewebe kunstvoll geschnürt hatte, über dessen Bedeutung sich verschiedene den Kopf zerbrachen. Die Herren hatten zu dieser Expedition lederne
Jagdkleider angelegt, mit Ausnahme Harrlingtons, der vergebens geraten hatte, in der heißen Wüste lieber leichtes, weißes Zeug zu tragen, wie die Damen und er selbst. Deshalb kam es, daß den Unvorsichtigen bereits mehrere Seufzer über die furchtbare Hitze entfahren waren, aber dennoch war bei einigen sofort, als Lord Harrlington den Vorschlag machte, die Schnelligkeit ihrer Pferde zu prüfen, die Sportlust erwacht, es wurde gewettet, und fort brausten die zehn Herren, die Hitze ganz vergessend.
Die zwischen Salim und seinen Verfolgern gewechselten Schüsse hatten das Rennen unterbrochen. Die Herren waren nach dem Kampfplatz geeilt und eben noch zurecht gekommen, den Beduinen vor dem sicheren Tode zu bewahren.
Neugierig erwarteten die Zurückgebliebenen, welche die Schüsse aus weiter Ferne gehört hatten, die Ankommenden, konnten aber den zwischen diesen gehenden Beduinen nicht sehen.
Da sprang plötzlich zwischen den zurückkehrenden Reitern eine weißgekleidete Gestalt hervor, direkt auf die erste Gruppe zu und rief in jauchzendem Tone:
»Sulima!«
»Salim!« rief ebenso entzückt das Mädchen und sprang ans dem Sattel.
Die beiden Liebenden lagen sich in den Armen.
»Salim! Ist es möglich?« staunte Ellen. »Wo haben Sie ihn getroffen, Lord?«
»Haben Sie die Braut gerettet, so haben wir dem Bräutigam den gleichen Dienst gethan,« entgegnete Harrlington und erzählte nun mit kurzen Worten, aus welch' kritischer Lage sie den Beduinen befreit hätten, während Salim und Sulima das Glück des Wiedersehens auskosteten.
Endlich ermahnte das Mädchen selbst ihren Geliebten, ihrer Schützern Rede zu stehen, denn diese, das hatte sie ihm bereits erzählt, wäre es, der alles zu danken sei. Ohne sie wäre sie jetzt Sklavin an irgend einem Fleck der Erde, und nie wäre dieses Wiedersehen möglich gewesen.
Nun teilte Salim in gedrängten Worten seine Bemühungen mit, etwas über das Schicksal seiner geraubten Braut zu erforschen, und schilderte dann die Verfolgung durch die Wüstenräuber bis zur Dazwischenkunft der englischen Herren.
»Kanntest Du den Stamm, zu dem Deine Verfolger gehörten?« fragte ihn Johanna.
»Nein, es waren Räuber, wie sie sich zum Schrecken der Karawanen überall in der Wüste umhertreiben.«
»Was mag sie veranlaßt haben, dir nachzustellen?«
»Ich weiß es nicht. Wahrscheinlich vermuteten sie Wertsachen bei mir, oder vielleicht reizten schon meine Waffen ihre Habgier.«
Johanna schüttelte nachdenklich den Kopf.
»Ich glaube eher, Du solltest für immer stumm gemacht werden.«
»Ich?« fragte Salim verwundert.
»Hast du nicht schon daran gedacht, daß Dahab oder Hassan die Räuber gedungen haben kann?«
»Wirklich, das könnte sein. Ich weiß jetzt ziemlich bestimmt, wer den Plan zu Sulimas Entführung ausgesonnen hat; sie selbst bestätigt es, und dieses mich hassende Paar wußte, daß ich eines Tages Rechenschaft fordern würde; es hat jene Wüstenräuber bestochen, mich auf diese oder jene Weise aus der Welt zu schaffen.«
Auch Ellen bestätigte diese Annahme.
»Wie weit ist es noch bis zum Sitze der Beni-Suef?« fragte sie.
Salim warf einen prüfenden Blick über die Karawane.
»Ein flüchtiges Pferd hat zwei Stunden zu laufen, ehe es unser Gebiet erreicht; doch Ihr habt beladene Kamele mit, also werden wir in sechs Stunden dort sein. Wo die Zelte stehen, kann ich noch nicht sagen, denn wir sind ein wandernder Stamm; aber wir können sichere Auskunft von dem ersten Beduinen erhalten, den wir treffen.«
Salim nahm einen Platz auf dem am leichtesten bepackten Kamel ein.
Johanna lenkte ihr Pferd an Ellens Seite.
»Miß Petersen, unsere Vermutung, daß Hassan bei dem Raube Sulimas beteiligt war, hat sich also bestätigt,« sagte sie, »aber aller Wahrscheinlichkeit nach ging dieser Plan von Dahab, dem Scheich der Bauitis, aus. Hassan wird in dem Lager der Suef zu finden sein, aber nicht Dahab. Haben Sie die Absicht, als Richter aufzutreten?«
»Nein,« entgegnete Ellen, »ich will nur, daß Hassan des Verrats gegen seinen Stamm überführt wird, und ich glaube, unser Zeugnis, schon unsere Autorität als Europäer wird dies leicht ermöglichen. Salim selbst kann Dahab nichts beweisen, ebensowenig Sulima, und ich weiß nicht, wie wir diesen Burschen zu einem Geständnis zwingen können.«
»Durch Hassan.«
»Dessen Verschwiegenheit wird Dahab wohl erkauft haben.«
»Aber Stockhiebe werden seine Zunge lösen.«
»Wenn auf Antrag Salims dieses Mittel angewendet werden soll, dann bin ich natürlich damit einverstanden; ich aber werde es nicht vorschlagen,« erklärte Ellen entschieden.
»Es giebt noch etwas anderes, was Hassan vielleicht zum Sprechen zwingen kann,« sagte Johanna nachdenkend.
»Und das wäre?«
»Die Ueberraschung. Wir müssen Sulima nicht sofort als Befreite zurückbringen, sondern erst Salim als Ankläger auftreten lassen, und, wenn Hassan leugnet, muß Sulima auftreten und ihn direkt als Schuldigen bezeichnen. Auch ist es notwendig, daß sie dann ihre Begegnung mit Dahab erzählt.«
»Dies wird das beste sein,« erklärte Ellen befriedigt, »die Trage auf dem Kamel bietet ein gutes Versteck.«
Die sechs Stunden waren noch nicht verflogen, die Sonne stand noch hoch über dem Horizont, als die Karawane in der Ferne die weiße Leinwand von Zelten schimmern sah. Salim erklärte sofort, es wären solche der Beni-Suef, ob gerade die des Scheichs Mustapha-ben-Hammed, könne er noch nicht behaupten. Bald waren sie erreicht, und Salim erfuhr, daß sein Stamm etwa eine Stunde weiter südlich lagere, und daß gerade der alte Scheich der Bauitis und sein Sohn bei ihnen weilten.
Nachdem die Karawane die Zelte hinter sich hatte, hielten sie eine Beratung ab, und es ward mit Salims und Sulimas Einwilligung beschlossen, daß kurz vor Einritt in das Lager beide sich in der Trage verbergen sollten, um vorläufig unentdeckt zu bleiben, denn für diesen Abend war es doch zu spät, mit der Beschuldigung gegen Hassan und Dahab hervorzutreten; erst morgen früh sollte der Gerichtstag abgehalten werden.
»Der Zufall ist uns günstig,« sagte Salim, »daß Dahab sich in unserem Lager befindet, aber wir können ihn nicht bestrafen.«
»Warum nicht?«
»Die Gastfreundschaft ist den Beni-Suef heilig. Doch es genügt, wenn er für schuldig erklärt wird.«
»Was würdest du dann machen?«
»Ich würde ihn in seinem Lager oder außerhalb unserer Zelte aufsuchen und töten,« antwortete Salim mit Nachdruck.
»Es kommen Reiter auf uns zugesprengt,« rief jetzt Johanna, »schnell Salim und Sulima, in die Trage!«
Wirklich kamen der Karawane mehrere berittene Beduinen entgegen; an ihrer Spitze ein würdiger alter Mann, der Scheich Mustapha-ben-Hammed.
Hannibal wurde gerufen, um als Dolmetscher zu dienen.
»Allah sei mit Euch,« rief schon von weitem der Greis und legte wiederholt seine Hand auf Herz und Stirn. »Sucht Ihr Gastfreundschaft bei den Beni-Suef? Unsere Zelte stehen den Reisenden offen.«
Zeremonielle Redensarten wechselten, dann wurde die Gesellschaft ins Lager geführt, wo ihnen Zelte und alle Bequemlichkeit, wie sie die einfachen Beduinen bieten können, angewiesen wurden.
Ellen sah, während sie das Abladen der schweren Trage beaufsichtigte und diese in das Zelt schaffen ließ, welches sie mit Johanna und noch einigen anderen Damen gemeinschaftlich bewohnen sollte, wie ein junger Mann, anders und reicher als die Beni-Suefs gekleidet, sich mit einem kleinen, buckligen Menschen eifrig unterhielt und dabei den Herren finstere Blicke zuwarf.
Ehe die Feuer im Lager erloschen, wurde der Scheich gebeten, in das Zelt der Kapitänin zu kommen, und zwischen den beiden fand eine lange Unterredung statt.