Robert Kraft
Die Vestalinnen, Band 1
Robert Kraft

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19.

In Sabbulpore.

»Achtung, präsentiert das Gewehr!«

Klirrend flogen die Waffen von der Schulter in die hohle Hand, wurden gleichmäßig nach links geneigt und kehrten wieder auf die Schulter zurück – das Präsentieren der englischen Soldaten. Gleichzeitig erscholl ein Trommelwirbel.

Eben ritt der Colonel, das heißt der Oberst, und zugleich der Kommandeur der indischen Festung Sabbulpore in der Provinz Heiderabad in den Exerzierhof ein.

»Etwas Neues?« fragte er kurz den englischen Offizier, der die aus Sepoys, das heißt Eingeborenen, aber nach englischem Muster uniformierten Soldaten, bestehende Wache kommandierte.

»Nichts, Colonel. Einige Briefe.«

Der Oberst legte dankend die Hand an die Mütze und ritt, während die Wache wegtrat, durch den Hof nach einem kleinen, aber langgestreckten Wohnhaus, vor dem er abstieg und die Zügel einem hinzuspringenden Eingeborenen zuwarf.

»Reibe das Pferd gut ab und führe es auf und ab! Es schwitzt stark,« sagte er auf indisch zu dem Burschen.

Er schritt einige Stufen hinauf und betrat sein Arbeitszimmer. Sofort kam ein anderer Eingeborener, die Ordonnanz des Obersten, und brachte ihm auf einem Teller einige Briefe.

Der Oberst überflog die Adressen derselben und legte sie gleichgültig auf einen Tisch.

»Sekim,« rief er dem hinausgehenden Indier nach.

Dieser kam wieder zurück.

»Wenn die Damen mich sprechen wollen, so brauchst du sie nicht erst wie gestern anzumelden. Sie haben stets Zutritt zu meinem Arbeitszimmer.«

Die Ordonnanz verbeugte sich und ging in den für sie bestimmten Nebenraum, wo sie auf den Ruf ihres Herrn zu warten hatte.

Dieser trat an das geöffnete Fenster und blickte lange nachdenkend in die vor ihm ausgebreitete Gegend.

Goldig lagerte die Sonne auf der herrlichen Landschaft, von Feldern, Wiesen und Hainen gebildet; hier und da schlängelte sich gleich einem Silberfaden ein heller Bach zwischen ihnen durch, und direkt vor dem Fenster erhob sich auf hohem Felsen die Festung Sabbulpore. Die Entfernung war nicht zu groß, um die aus den Schießscharten lugenden Kanonen nicht mehr bemerken zu können, welche ringsum das Land mit ihren Feuerschlünden beherrschten. Jetzt waren ihre Mündungen mit Deckeln verschlossen, aber noch nicht viele Jahre waren verstrichen, seit den stählernen Rohren Feuerstrahlen entquollen, die Tod und Vernichtung in die Reihen der aufrührerischen Indier, geführt von den eigenen, eingeborenen Offizieren, spieen.

Dort um jenen schmalen Weg, der sich um den für uneinnehmbar geltenden Felsen wand, hatte der ungleiche Kampf am heißesten gewütet. Die Geschütze nutzten nichts mehr, die Rebellen waren schon zu nahe, da aber brachen über die Zugbrücke dort die englischen Soldaten, voran der Kommandeur der Festung, Colonel Walton, mit dem Degen in der Faust, gegen den zehnfach stärkeren Feind. Mann gegen Mann, Brust gegen Brust wurde gerungen, kein Schuß ward abgefeuert. Nur krampfhaftes Stöhnen verriet, daß hier Menschen ihre ganze Kraft aufboten, den Gegner von dem steilen Felsen in die furchtbare Tiefe zu schleudern. Es gelang, den Feind zurückzudrängen, und der Donner der Kanonen erschütterte bald wieder die Luft, bis wie eine Wetterwolke ein Kavallerieregiment dahergejagt kam und nicht eher die bluttriefenden Pallasche in die Scheiden steckte, als bis der letzte der Rebellen geflohen war.

Oberst Walton seufzte tief auf und trat vom Fenster zurück, den Schreibtisch aufschließend und sich vor denselben setzend, um nunmehr die Briefe zu lesen.

Der Oberst war ein noch nicht sehr alter Herr, aber sein kurzgehaltenes Haar war schon völlig ergraut, wie auch das mit tiefen Falten durchzogene Gesicht auf ein höheres Alter schließen ließ. Er war nicht in Uniform, sondern, wie alle englischen Offiziere der Kolonieen, wenn sie sich nicht im Dienst befinden, in einen leichten, grauen Anzug nach Civilschnitt gekleidet.

Die Hofmauer, innerhalb deren das Wohnhaus lag, war das sogenannte ›Quartier‹, der Aufenthaltsort derjenigen Soldaten, welche nicht direkt zur Festungsbesatzung gehörten.

Es waren fast nur Sepoys, Eingeborene, welche von der englischen Regierung als Soldaten angeworben, unter Aufsicht von europäischen Offizieren und Unteroffizieren einexerziert werden und ein Kontingent bilden. Außer den englischen Offizieren befinden sich aber bei der britisch-indischen Armee noch eingeborene Offiziere, meist aus den höchsten Kreisen der indischen Bevölkernng stammend, welche der Kaiserin von Indien, also der Königin von England, den Schwur der Treue geleistet haben.

Die englischen Offiziere wohnten nicht in der Festung, sondern in luftigen Gebäuden des Quartiers, da sie hier nicht von den ewigen Trompetensignalen und Kommandorufen belästigt wurden, die indischen Offiziere auf ihren Landgütern. Nur, wenn der Dienst sie in die Festung rief, betraten die Offiziere dieselbe.

Zur Sicherheit lag in der Festung Sabbulpore auch eine Abteilung englischer Soldaten, diese war aber, da an einen Aufstand der von ihren Häuptlingen, Rajahs genannt, gegen die Engländer aufgehetzten Eingeborenen nicht zu denken war, nur sehr schwach an Zahl.

Sinnend stützte Oberst Walton das Haupt auf die rechte Hand und dachte über den Inhalt eines Briefes nach, dessen Siegel das Wappen Englands trug. Es mochten keine freundlichen Gedanken sein, welche ihn beschäftigten, denn die hohe Stirn des Lesers legte sich in immer tiefere Falten.

Da fuhr ihm eine weiche, zarte Hand über dieselbe, als wollte sie die Furchen glätten, und eine helle Mädchenstimme fragte in zärtlichem Tone:

»Warum so finster, Onkelchen? Hast du schlechte Nachrichten erhalten?«

Neben dem Offizier stand Rosa, seine Nichte, welche er vor Jahren, als sie eine Waise wurde, aus England zu sich genommen hatte. Wie sie allein stand, so war auch er, ein Witwer und kinderlos, ohne jeden Anhang bis auf eine entfernte Verwandte, mit der er nicht harmonierte.

So hatte sich sein Herz vollständig an Rosa gehängt, sie war sein Kind, sein Schatz geworden, den er wie seinen Augapfel hütete; er konnte ohne sie nicht leben: früh sein erster Gedanke galt ihr, wie abends der letzte.

Aber das neben ihm stehende Mädchen hätte noch manch anderen mit eben solcher Macht bezaubert.

Sie war eine kleine, wunderbar zierliche Figur; die Händchen und Füßchen schienen einem Kinde zu gehören, die sanfte und doch vollendet schöne Rundung des Busens und der Schultern verriet, daß sie kaum dem Kindesalter entwachsen war.

Das weiche, blonde Haar war in einem Knoten aufgeschürzt, aber es konnte kaum dadurch gebändigt werden; bei jeder Bewegung fiel es immer wieder über den schneeigen Hals und spottete aller Anstrengungen und aller Bemühungen, es glatt zu streichen. Kindlich waren auch die großen, blauen Augen, welche jetzt so zärtlich besorgt in die des Obersten blickten. Von der ganzen Gestalt ging ein duftiger Hauch von Reinheit und Unschuld aus.

Der Oberst schüttelte den Kopf.

»Nein, Rosa, es sind keine schlimmen Nachrichten weiter, aber sie können unangenehme Folgen mit sich bringen. Horatio O'Naill ist als Kapitän nach Sabbulpore kommandiert worden.«

Das Mädchen fuhr erschrocken zusammen.

»Dann muß Evelyn fort,« rief sie.

Der Oberst zuckte die Achseln.

»Ich kann ihr nichts befehlen, sie hat ihren freien Willen und darf bleiben, wo sie will. Ein Unglück ist es, daß durch dieses Mädchens Adern das wilde, französische Blut fließt.«

»O'Naill ist verlobt?« fragte Rosa nach einer Weile.

»Mit einer Engländerin in Bombay; der Abschied wird ihm schwer werden. Seine Braut kann nicht mitkommen, weil ihres Vaters Gegenwart in Bombay geschäftlich notwendig ist.«

»Das giebt ein Unglück,« meinte Rosa betrübt. »Ich kenne Evelyns wilde Leidenschaft nur zu gut. Mich dauert die arme Braut.«

»Nun,« sagte der Oberst und streichelte sanft des Mädchens Hand, »sorge du dafür, daß die beiden nicht wieder zusammenkommen, deiner Klugheit wird es schon gelingen, ich zweifle nicht daran. Aber hier,« er nahm einen Brief vom Tisch, »habe ich eine andere Nachricht, welche dich sehr erfreuen wird. Du hast doch gelesen von jenen Amerikanerinnen, welche als Matrosen eine Reise um die Erde machen, und von jenen Engländern, welche sie dabei begleiten?«

»Gewiß, die englischen Zeitungen berichten ja ihren Lesern ganz genau, wo sich die Weltumsegler befinden, welchen Hafen sie angelaufen haben, und wie es mit ihrer Gesundheit steht. Auch das erste Abenteuer, wie jene Vestalinnen die geraubten Mädchen befreit haben, ist ausführlich beschrieben worden. Ich interessiere mich ganz besonders dafür, kenne ich doch sehr viele der englischen Herren persönlich.«

»Dann würdest du dich wohl auch freuen, wenn du die Besatzungen der beiden Schiffe einmal sehen könntest?« fragte der Oberst lächelnd.

»Ach, das wäre reizend!« rief Rosa.

»Nun, hier habe ich einen Brief von Lord Harrlington, mit dessen Vater ich eng befreundet war; er kündigt mir darin an, daß die Herren des ›Amor‹ sowohl, als auch die amerikanischen Damen eine Reise quer durch Indien machen und dabei in Sabbulpore vorsprechen wollen. Würde dir dies angenehm sein?«

»O,« rief Rosa und klatschte vor Entzücken in die Hände, »dann kommen sie alle, Lord Harrlington, Hendrick, Roberts, Courtney und auch der spaßige Charles, nicht wahr?«

»Wer ist das, der spaßige Charles?« fragte der Oberst erstaunt.

»Sir Charles Williams,« verbesserte sich Rosa, »wir nannten ihn nur immer den lustigen Charles, weil er niemals ernst sein konnte. Das war doch eine schöne Zeit, als du noch in Kalkutta standest. Hier ist es so einsam,« fügte sie traurig hinzu.

»Bin ich dir nicht genug?« sprach der Oberst in zärtlichem Tone.

»Verzeih' mir Onkel, ich wollte dich nicht kränken,« rief Rosa und schlang ihre Arme um des Onkels Hals. »Ich bin ein undankbares Mädchen. Nein, wo du bist, da ist es überall schön, und dann ist ja auch ...«

Rosa wurde unterbrochen, die eingeborene Ordonnanz trat ins Zimmer und meldete:

»Rajah Skindia – Jemedar (Leutnant) Abudahm.«

»Laß sie eintreten!«

»Wer ist noch da, Rosa?« fragte der Oberst, als der Bursche wieder hinaus war.

»Ich weiß nicht mehr, was ich sagen wollte. Wie bist du mit deinem Diener zufrieden, Onkelchen?«

»Er ist ein stiller, aufmerksamer Bursche, ich werde ihn behalten. Doch gehe jetzt ins Empfangszimmer, ich glaube, Leutnant Werden wollte sich heute morgen nach der Gesundheit der Damen erkundigen.«

»Das ist schön, aber nicht so ein böses Gesicht machen, Onkelchen!«

Sie verschwand durch die eine Thür, während durch die andere die beiden Angemeldeten eintraten.

Der Rajah Skindia, der Häuptling der umwohnenden, meist von Ackerbau lebenden Indier und zugleich der höchste Befehlshaber im Fort Sabbulpore, aber noch unter der Aufsicht Waltons stehend, war ein hochgewachsener, imposanter Mann mit langem Vollbart. Seine Kleidung war überaus reich. Das wallende Gewand ward durch einen Gürtel zusammengehalten, an dessen Schloß Diamanten blitzten, und gleich edle Steine zierten die Agraffe des Turbans. Er trug nur einen langen Dolch, während sein Begleiter mit einem krummen Säbel bewaffnet war.

Letzterer unterschied sich überhaupt vollkommen von dem Rajah. Obgleich einen indischen Namen und die Uniform eines indischen Kriegers tragend, zeigten doch seine Züge Spuren europäischer Abstammung. Schön waren sie unbedingt zu nennen; ihr Ausdruck war kühn und edel, aber die schwarzen funkelnden Augen verrieten nicht nur Mut, sondern auch eine nicht zu bändigende Leidenschaft.

Er trug Sandalen, deren Riemen kunstvoll bis über die Kniee gewickelt waren, den Oberkörper bedeckte ein leichtes Gewand, aber ein bei jeder Bewegung klirrendes Geräusch verriet, daß unter diesem ein Kettenhemd, wie sie in Indien von den einheimischen Waffenschmieden angefertigt werden, sich seinem Körper anschmiegte. Ein stählerner Helm mit einer sonderbaren Tierfigur vervollständigte den kriegerischen Eindruck, den er auf den Beobachter machte.

Wären diese beiden Offiziere nicht in dienstlichen Angelegenheiten zum Oberst gerufen worden, so hätte man Abudahm in europäischem Anzug erblicken können, denn er war zwar der Sohn eines Indiers, eines sehr reichen Mannes, aber seine Mutter war eine Französin, und er hatte in Paris seine Bildung erhalten. Dennoch hielt er sich vollständig zu den Eingeborenen, war Muhamedaner und hatte alle Sitten und Gewohnheiten derselben angenommen.

Die beiden Indier verneigten sich bei ihrem Eintritt schweigend mit gekreuzten Armen.

»Ich habe dich rufen lassen, Rajah Skindia,« begann der Oberst, sich des Idioms der Eingeborenen bedienend, »um den Grund zu erfahren, warum der Unterleutnant Majuba in Eisen gelegt worden ist. Habe ich den Befehl gegeben?«

Der Rajah deutete auf Abudahm.

»Dieser wird dir sagen, daß sich Majuba eines Vergehens schuldig gemacht hat, das gerade Ihr Engländer so streng bestraft.«

»So sprich, Abudahm,« forderte der Oberst den Indier auf.

»Der Unterleutnant hat sich geweigert, einen von mir gegebenen Befehl zu vollstrecken. Wir gerieten in Wortwechsel, ich mag etwas zu heftig gewesen sein, plötzlich riß Majuba den Dolch heraus und wollte ihn mir in die Brust stoßen. Nur diesem Panzerhemd habe ich es zu danken, daß ich noch vor dir stehe.«

»Was betraf der Befehl, den er auszuführen verweigerte?«

»Dienstliche Angelegenheiten, es war auf dem Burghof.«

»So habt Ihr kein Recht, ihn gefangen zu halten, er gehört unter meine Aufsicht, denn er hat sich nicht gegen Euch, sondern gegen England vergangen. In spätestens einer Stunde will ich ihn zum Verhör haben; nie glaube ich, daß Majuba sich wegen einer Kleinigkeit an einem Vorgesetzten vergreift.«

Der Oberst machte eine entlassende Handbewegung, doch die beiden standen unbeweglich an der Thür.

»Colonel Walton,« rief der Rajah und trat einen Schritt vor, »bedenke, was du thust! Ein Indier hat auf das Leben eines Offiziers einen Anschlag gemacht; wir haben ihn gefangen genommen, und nun kommt Ihr Engländer und gebt ihn wieder frei. Wo bleibt da unser Ansehen, welches nötig ist, die Eingeborenen in Schranken zu halten?«

Der Oberst wies mit der Hand auf die Felsenfestung und sagte mit erhobenem Tone:

»Als damals die aufrührerischen Indier bei Nacht heimlich den Eingang zur Burg erstiegen, waren sie es vielleicht gewesen, in denen der Plan zum Aufruhr gereift, oder waren es nicht gerade ihre Führer, welche das Feuer der Rebellion geschürt haben?«

Der Rajah fuhr hastig auf.

»Zweifelst du an meiner Treue? Habe ich damals nicht mit meinem Leben Euch Engländer geschützt?«

Der Oberst zuckte die Achseln.

»In einer Stunde will ich Majuba vor mir haben,« wiederholte er.

»Es geht nicht, Colonel, nimm den Befehl zurück!« rief aber Abudahm.

»Er hat mein Leben bedroht, das seinige ist verwirkt; in einer Stunde wirst du die Gewehre knallen hören, die den Mörder ins Jenseits befördern.«

»Thor!« zischte der Rajah.

Langsam kam der Oberst auf den indischen Krieger zu und maß ihn von unten bis oben.

»Abudahm,« sagte er, jedes Wort betonend, »nimm dich in acht. Du hast französisches Blut in deinen Adern, du hast eine französische Erziehung genossen und hältst nun auch uns nach den Ansichten der Franzosen für Usurpatoren in einem Reiche, das eigentlich Frankreich gehören soll. Ich rate dir, zähme deine Leidenschaften, Rajah,« fuhr er, zu diesem gewandt, fort, »wie kommt es, daß fortwährend Zwistigkeiten zwischen meinen Leuten und den deinen entstehen? Wie kommt es, daß unseren Befehlen nur widerwillig, oft auch gar nicht gehorcht wird?«

»Ich weiß es nicht,« antwortete der Häuptling, »es mögen Leute unter ihnen aus den Bergen aufrührerische Reden halten. Ich werde ein scharfes Auge auf sie richten.«

»Thue das! Also nochmals, in einer Stunde steht Majuba vor mir!«

»Kapitän O'Naill,« meldete die Ordonnanz.

»Eintreten!« Der Oberst machte den beiden Indiern eine entlassende Handbewegung.

Bei Nennung des Namens war dem jüngeren Offizier ein zischender Laut über die Lippen geschlüpft; unwillkürlich fuhr er mit der Hand nach dem Dolche. Als er sich umdrehte, begegnete sein Blick dem des Kapitäns. Beide Männer maßen sich mit langem Blick. Das Auge des Indiers zeigte einen furchtbar drohenden Ausdruck, das des englischen Offiziers mehr einen unangenehm überraschten. Ohne sich zu begrüßen, gingen sie beide aneinander vorbei.

»Mein lieber O'Naill,« sagte der Oberst herzlich, »eine angenehmere Nachricht konnte ich nicht bekommen, als daß Sie es sind, der die freigewordene Stelle des Kapitäns in Sabbulpore besetzen soll. Ich brauche jetzt gerade tüchtige Leute, denn es ist hier nicht alles so, wie es sein sollte.«

Die beiden Herren schüttelten sich die Hände, und Horatio erkundigte sich nach dem Befinden der Damen.

»Sie befinden sich alle wohl. Meine Nichte freut sich ungemein auf den Besuch jener Herren und Damen, deren Schiffe, der ›Amor‹ und die ›Vesta‹, jetzt in Bombay liegen. Haben Sie dieselben dort gesehen?«

»Ich habe die Herren sogar gesprochen und ihre Absicht erfahren, Sabbulpore einen Besuch abzustatten. Nur einer von ihnen schließt sich aus; Sie kennen ihn auch noch von früherher; es ist Sir Williams, der einen seiner Freunde besuchen will.«

»O, das ist schade! Gerade auf diesen hat sich Rosa so gefreut! Haben Sie Ihre Burschen selbst mitgebracht, Kapitän, oder wollen Sie sich von meinen Leuten welche aussuchen?«

»Ich habe meine zwei Diener bei mir,« antwortete Horatio, »einen Hindu und einen Engländer. Er ist neu zur indischen Armee angeworben worden, etwas dumm, scheint aber treu zu sein. Ich werde ihn behalten.«

»Majuba,« meldete wieder der indische Diener.

»Kommt er allein oder unter Bedeckung?«

»Allein! Er wünscht Sie unverzüglich zu sprechen.«

»Laßt ihn im Vorzimmer warten.«

»Ich weiß nicht, was die beiden indischen Offiziere, der Rajah und Abudahm, den Sie auch kennen, gegen Majuba haben. Fast scheint es mir, als wollten sie ihn aus dem Wege räumen; denn sie haben schon unzählige Versuche gemacht, ihn wenigstens von Sabbulpore zu entfernen. Und gerade er ist derjenige der indischen Offiziere, auf dessen Treue ich mich unbedingt verlasse, während ich den anderen nur so weit traue, wie ich sie sehen kaun.«

»Warum haben Sie ihn zu sich beordert, Colonel?«

»Gestern hat Abudahm die Leute instruiert, und Majuba mußte mit etwas nicht einverstanden sein; beide gerieten in Wortwechsel, entfernten sich außer Hörweite der anderen Indier und stritten heftig miteinander, bis schließlich Majuba seinen Dolch zog und Abudahm zu töten suchte. Er wurde daran gehindert, festgenommen und in Ketten gelegt, ohne daß man mir davon Mitteilung machte. Zufällig erfuhr ich davon, ließ den Rajah und Abudahm zu mir kommen und verlangte, daß Majuba vorgefühlt werde. Sonderbarerweise weigerten sich beide, dies zu thun. Nun, wir werden gleich sehen, was zu der Sache ist.«

Er klingelte und hieß dem Burschen, Majuba eintreten zu lassen. Dieser ging in das Vorzimmer, stürzte aber gleich darauf mit allen Zeichen des Entsetzens zum Oberst zurück, unfähig, ein Wort zu sprechen.

»Was ist geschehen?« riefen die beiden Herren und eilten selbst in den Nebenraum.

Da lag der indische Offizier, das Gesicht zur Erde gekehrt, in einer großen Blutlache. Sein Rücken zeigte eine tiefe Stichwunde, die im Herzen zu enden schien.

Als die beiden indischen Offiziere das Zimmer des Obersten verlassen hatten, bestiegen sie ihre auf dem Hofe harrenden Pferde und verließen das Quartier, um sich nach ihren in der Umgegend liegenden Landhäusern zu begeben.

»Du warst unvorsichtig,« sagte unterwegs der Rajah zu seinem Begleiter, »dem Obersten den Tod des Verräters zu verkünden.«

»Die Wut gab mir die Worte ein,« entgegnete Abudahm, »ich hasse diesen Oberst, der unsere Absichten zu durchschauen scheint; ich hasse ihn wie alle Engländer, überhaupt alle Faringis, welche unser Land betreten. Was haben sie darin zu suchen? Brauchen wir sie etwa, sind es nicht nur Schmarotzer, welche sich an dem, was uns gehört, bereichern?«

»Du hast recht,« sagte der Rajah finster. »Doch bald wird der Tag kommen, da ihrer Herrschaft ein Ende gemacht wird. Ganz Heiderabad wartet nur auf den Moment, daß ich das Zeichen zum Aufstand gebe. Schlägt die Flamme des Aufruhrs in Sabbulpore zum Himmel, so bricht derselbe in ganz Indien los.«

»Doch wann geschieht dies endlich?« unterbrach ihn der behelmte Krieger ungeduldig, »du ziehst diese Stunde von Tag zu Tag hin. Was fehlt uns noch, loszuschlagen? Unsere Offiziere haben ihre Instruktionen; die Eingeborenen hoffen sehnsüchtig den Tag herbei, wo sie das Joch ihrer Unterdrücker, für die sie arbeiten, abschütteln und ihre Dolche mit deren Herzblut färben können, und unsere Sepoys sind vorzügliche Soldaten geworden, dank der Bemühungen englischer Offiziere.« schloß der junge Indier höhnisch lächelnd.

»Es ist noch nicht die Zeit da. Noch muß die Felsenburg Parahimbro vollständig befestigt werden. Wie sollen die Engländer, diese Thoren, staunen, wenn diese halb verfallene Festung plötzlich von Kanonen starrt und dem Feuer von Sabbulpore antwortet. Von dort aus beherrschen wir den Eingang zu diesem Thal; keine feindliche Truppe kann in dasselbe eindringen ohne unsere Erlaubnis.«

Parahimbro war eine kleine ehemalige Festung der Indier, wie ein Adlerhorst hoch am Felsen hängend. Sie gehörte dem Rajah Skindia, und er verweigerte die Herausgabe dieses wichtigen Punktes an die Engländer unter der Vorgabe, er wolle sich später an dieser Stelle ein Sommerschloß bauen. Die alte Burg war schon halb verfallen, jetzt aber arbeiteten viele Handwerker, unter der Leitung des Rajahs daran, welcher, allem Anschein nach, jetzt wirklich mit der Absicht umging, die Mauern wegzureißen und an deren Stelle ein Schloß erbauen zu lassen.

»Was gedenkst du in Betreff Majubas zu thun?« fraqte der junge Indier. »Der Bursche kann uns verderblich werden. Wir haben diesem Verräter am Vaterland glücklicherweise nicht in unsere Pläne eingeweiht, aber er hat natürlich eine Ahnung von unserem Vorhaben und wird dem Obersten Enthüllungen machen. Als er mir gestern vorwarf, daß ich durch Aufwiegeln der Sepoys zum Meineidigen würde, reizte ich ihn durch meinen Hohn zum Zorn, Ich ließ ihn festnehmen, in der Hoffnung, du würdest ihn auf der Stelle erschießen lassen. Wie willst du nun verhindern, daß er plaudert?«

»Wir dürfen dem Befehl des Obersten nicht ungehorsam sein, sonst schöpft er Verdacht. Ich werde ihn hinschicken und zwar als freien Mann.«

»Bist dn wahnsinnig?« rief Abudahm. »Weißt du nicht, welche Anklagen der Bursche gegen dich wegen der Tochter des Obersten –«

»Schweig',« herrschte ihn der Rajah drohend an, »diese Dinge sind begraben. Nein, ich werde ihn hinschicken, aber dafür sorgen, daß er nicht sprechen kann. Hast du neue Nachrichten von Evelyn bekommen?« – »Nein.«

»In nächster Zeit werden neue Kommandierungen erfolgen. Forsche sofort Evelyn darüber ans, damit ich meine Maßregeln treffen kann. Wann werde ich den Inhalt der Briefe erfahren, die der Oberst heute erhielt?«

»Morgen spreche ich mit Evelyn.«

»Das Mädchen ist uns unersetzlich. Es ist für unsere Sache eifriger bemüht, als wir alle zusammen. Wie steht Ihr beide miteinander?«

Der Indier knirschte mit den Zähnen.

»Dieser Sohn einer Hündin, der Kapitän O'Naill, ist hier eingetroffen, und ich habe weniger Aussicht denn je, mir ihre Neigung zu gewinnen. Dieser Bursche ist der erste, der von meiner Hand fallen muß. Mein Weg führt hier ab, Rajah, auf Wiedersehen!«

Er bog in einen Weg zur Rechten ein und sprengte im Galopp davon.

Finster blickte der ältere Mann ihm nach, dann umspielte ein teuflisches Lächeln seine Züge.

»Und der zweite bist du, der ihm nachfolgt, du und Evelyn. Ihr beide waret meine Helfershelfer. Evelyn hat noch die Beweise in den Händen, daß ich es war, welcher Lucilla verschwinden ließ. Haha, es ging dem Oberst ans Herz, aber das genügt mir nicht, meine Rache kennt keine Grenzen. Er war es, der mir das Liebste auf Erden stahl, so habe ich nur recht gehandelt, wenn ich ihm das Teuerste nahm. Erst du, Abudahm, dann Evelyn, und ich habe keine Mitwisser mehr.«

Er wendete sein Pferd und ritt nach dem Quartier zurück, um Majuba auf freien Fuß zu setzen.


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