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Im Arbeitszimmer von Will Meßter stand Chick Langwool vor ihm. In einer langen Rede, die wohl die längste und lebhafteste in Chicks bisherigem Leben war, zählte er Will Meßter seine ganzen schlechten Eigenschaften auf, die er bei sich finden konnte oder vermutete.
Amüsiert, äußerlich aber sehr ernst, hörte Will Meßter zu. Einige Male nickte er bei Chicks Aufzählungen lebhaft bejahend mit dem Kopf, worauf ihn Chick betroffen ansah. Aber Will Meßter tat ihm nicht den Gefallen, zu widersprechen. Auch wußte er nicht, was Chicks freimütige Selbstanklage bedeuten sollte. Geduldig und aufmerksam hörte er ihn an. Er wußte ganz allein, was er von Chick Langwool zu halten hatte, wie er ihn schätzte und in sein Herz eingeschlossen hatte. Aber er verriet nichts davon.
Aufatmend hielt Chick endlich ein. Nun fiel ihm wirklich nichts mehr ein. Erwartungsvoll sah er Will Meßter an; als der aber keine Anstalten machte, sich zu dem eben Gehörten zu äußern, fuhr Chick seufzend fort:
»Nun kann ich keine verdammenswürdige Eigenschaft mehr an mir entdecken, Will Meßter. Ich selbst bin erschrocken, wie viel ich entdeckt habe.« Ganz kleinlaut klang Chicks sonst so herausfordernde Stimme.
»Ja, Chick, es ist doch gut, wenn man sich einmal über sich selbst klar wird.«
Doch Chick grinste schon wieder.
»Na, Will Meßter, die guten Seiten von mir will ich erst gar nicht aufzählen, sonst würde ich heute kein Ende damit finden,« lachte er. »Meiner langen Rede kurzer Sinn ist: Wollt Ihr mich, so wie ich bin, auf Eurer Ranch anstellen und mir Euer Vertrauen schenken?«
Langsam erhob sich Will Meßter. Die Augen des älteren und des jüngeren Mannes fanden sich. In ihnen las Will Meßter das, was Chick nicht aussprach und auch nach seiner Art nie aussprechen würde: die stille Bitte, ihm zu helfen und den Willen, ihn niemals zu enttäuschen, falls er ihm sein Vertrauen schenkte.
»Mein Junge!« unwillkürlich fand Meßter die väterliche Anrede und das väterliche Du für Chick. Er legte seine Hand schwer auf Chicks Schulter. »Ich weiß, was Deine Bitte bedeutet, und will Dir offen sagen, daß ich sie erwartet habe und sehr enttäuscht gewesen wäre, sie nicht von Dir zu hören. Gern gebe ich Dir Arbeit, es wird Dir auch nicht schwer fallen, Dich hier einzuarbeiten, aber auf die Dauer ist das nichts für Dich.«
Betroffen sah ihn Chick an. Was hieß das? Wies ihn Will Meßter ab? Will Meßter las in Chicks Augen, herzlich sah er ihn an.
»Chick, Du weißt, ich kannte Deinen Vater gut. Du bist aus demselben Holz geschnitzt wie er. Ich glaube Dir, daß Du heute den besten Willen hast, ansässig zu werden und ein ruhiges Leben zu führen, Aber, Chick, Dir würde es genau so ergehen wie Deinem Vater. Er tat denselben Schritt zu einem regelmäßigen Dasein und zwar für Deine Mutter. Er wurde ein unzufriedener, nicht glücklicher Rancher. Was er anfaßte, gelang ihm nicht; ihm fehlte die Geduld und die Ausdauer, die unsereins haben muß. Sein abenteuerliches Blut, das er mit Gewalt unterdrücken wollte, ließ ihm keine Ruhe, und so wurde er ein unzufriedener Mann. Dadurch war Deine Mutter auch nicht glücklich.
Vor dieser Zukunft will ich Dich, mein Junge – und auch meine Helen bewahren,« setzte er leise, aber bestimmt hinzu.
Jedes Wort von Will Meßter schnitt Chick tief ins Herz. Das Furchtbarste war ihm, daß er wußte: Will Meßter hatte recht. Fühlte er doch selbst sein unruhiges Blut, das ihn hin und her trieb und nirgends ständig Fuß fassen ließ. Er war ganz anders als Majorie, die mehr ihrer Mutter glich.
Erwartungsvoll sah ihn Will Meßter an. Chick war tief erregt; denn nun wußte er, was für ihn von dieser Unterhaltung abhing. Sein und Helens ganzes späteres Leben entschied sich in dieser Stunde.
Will Meßter las in seinen Augen das unbedingte Vertrauen, das ihm Chick entgegenbrachte. Er nickte ihm herzlich zu. Durch Chicks Körper ging ein Beben. In diesem Augenblick fühlte er, daß er Helen niemals aufgeben und selbst gegen Will Meßter, den er achtete und gern hatte, um ihren Besitz kämpfen würde.
»Chick, da ich diese Stunde erwartete, hab ich ohne Dein Wissen Verbindungen von früher aufgenommen und ausgenutzt.«
Er ging zu einem Schrank und holte aus einer geschlossenen Schublade einige Papiere heraus. Aufmerksam folgten ihm Chicks Augen in Spannung und Erregung.
»Hier,« Meßter drehte sich wieder Chick zu, »diese Papiere, die ich in Denver besorgte, können über Dein Leben entscheiden. Sie enthalten ein Patent, welches einen gewissen Chick Langwool zum Grenzreiter ernennt.«
Will Meßter sah die heftige Bewegung, die Chick ergriff. Seine folgenden Worte hörte Chick kaum, so unfaßlich erschien ihm das Ganze.
»Du bist nicht mehr so jung, Chick,« sprach er weiter, »dafür bringst Du aber für diesen Beruf Eigenschaften mit, die Du mir ja eben selbst aufgezählt hast,« lächelte Will Meßter, »und die Dir in Deinem neuen Beruf nur zum Vorteil gereichen können. Ich habe Vertrauen zu Dir, arbeite Dich hoch, was Dir, mein Junge, nicht schwer fallen wird. In einem Jahr, Chick, komme wieder und hole Dir Helen.
Sie wird Dir als Dein verläßlichster Kamerad überall hin folgen, denn – Ihr seid gleiche Naturen, Du und Helen. Auch Helen hat einen Tropfen von dem Blut, aus dem man Männer schnitzt, die das Abenteuer des Lebens suchen. Wahr, treu und tapfer ist sie, und auf welchen Posten Dein Beruf Dich stellen wird, sie wird Dir stets als Dein treuester Lebenskamerad zur Seite stehen.«
Fast atemlos las Chick die letzten Worte Will Meßter von den Lippen ab. Ein tiefer, befreiender Atemzug kam aus seiner Brust; dann griff er nach den Papieren, die ihm Helens Vater aufmunternd hinhielt. Fest hielt er sie in seinen Händen; minutenlang starrte er auf sie, wie auf ein Wunder, an welches er noch nicht zu glauben wagte.
Als er endlich aufsah, blickte Will Meßter in Augen, die dunkel vor Erregung waren, und aus denen ihm tiefe Dankbarkeit entgegenstrahlte.
»Vater Meßter,« noch etwas unsicher kam diese Anrede, »ich danke Euch von Herzen. Was Ihr für mich tatet, sollt Ihr nie zu bereuen haben.
Aber ich darf nicht nur an mich denken. Ich weiß, was Euch Helen ist. Werdet Ihr es ertragen, ohne sie auszukommen, hier allein zurückzubleiben; und was wird aus Eurer Ranch?« Immer leidenschaftlicher hatte Chick zuletzt gesprochen.
Ein feines Lächeln lag um Will Meßters Mund, als er ihm antwortete: »Ich danke Dir, mein Junge, daß Du an mich denkst. Ich bleibe nicht allein, dafür ist gesorgt; denn, Chick, ich habe noch eine Tochter, und das ist Majorie. Sie bleibt bei mir, und Lew Forest übernimmt erst die Verwaltung meiner Ranch, um sie später einmal von Euch zu kaufen. Aber das hat noch lange Wege. Also sei meinetwegen unbesorgt, Chick. Mein Leben neigt sich dem Ende zu, und Ihr geht ins Leben. Der Eltern Los ist stets, zu verzichten; und ist mein Kind glücklich, dann kann es für mich nichts Schöneres geben.«
In diesem Augenblick hätte Chick unbedenklich sein Leben für Will Meßter hingegeben. Was in ihm vorging, mochte Will Meßter in seinem Gesicht lesen. Er zog ihn an sich, um ihn aus dieser ungewohnten Stimmung zu reißen.
»Nun, Chick, wirst Du später wohl einen guten Sheriff abgeben?«
Im Augenblick schaute Chick verdutzt drein; dann lachte er schallend auf. Der Gedanke daran, was sein Freund, Sheriff Landert, wohl dazu sagen würde, war so lustig für Chick, daß er nur unverhohlen grinsen konnte. Will Meßter erreichte, was er wollte, er brachte Chick auf andere Gedanken, und bald war dieser wieder der alte.
Die Tage und Wochen gingen dahin, Ruth wußte gar nicht, wo sie blieben. Es gab keine Stunde des Tages, wo sie sich, wie so oft in New York, langweilte und nicht wußte, was sie mit ihrer Zeit beginnen sollte.
Sie hatte inzwischen viel gelernt, vor allem, sich vor keiner Arbeit zu scheuen. In allem hatte es sich Ruth zur Lebensaufgabe gemacht, in ihres Onkels Jolivets Fußstapfen zu treten; überall, wo Hilfe nötig tat, half sie. Ihr Berater war Sheriff Landert, der sich oft und gern bei ihr zu einer Plauderstunde einfand. Nur eine kurze Unterredung ohne Zeugen hatte zwischen ihm und Jed Corner stattgefunden, in der sich wohl die beiden ganz einig geworden waren; denn seit der Zeit wurde die Angelegenheit in Winters Gaststube nicht mehr erwähnt, und sie verkehrten wie früher miteinander.
Es machte Sheriff Landert am meisten Spaß, Ruth immer wieder zu erzählen, wie sich eines Tages Chick Langwool zum Abschiednehmen bei ihm eingestellt hatte und ihn gönnerhaft als zukünftigen Kollegen begrüßte.
Er war darauf eingegangen und hatte scheinbar empört Chick zurückgewiesen, trotzdem er durch Will Meßter schon genau Bescheid wußte. Es machte ihm Vergnügen, zu erzählen, wie glücklich und triumphierend Chick gewesen war, als er ihm durch seine Papiere beweisen konnte, daß er ein gewisses Recht besäße, sich als zukünftigen Kollegen von Landert zu betrachten.
Ruth hörte ihm gern zu; freute sie sich doch für Helen, zu hören, wie nett und voll Vertrauen für Chick und seinem neuen Beruf Sheriff Landert von ihm sprach. Ruth war oft mit Helen zusammen. Auch Majorie hatte sie näher kennen gelernt. Lew Forest, der jetzt bei Meßters war, und Majorie wollten heiraten, wenn Chick auf Urlaub kam.
Aber die schönsten Stunden für Ruth waren, wenn sie mit Jed zusammen sein konnte. Oft machten sie weite Streifzüge, und Jed erschloß ihr das Land. Niemals kam er wieder auf den Wunsch zurück, den er andeutungsweise so leidenschaftlich hervorgebracht hatte. Er war ihr jetzt nur freundschaftlich zugetan. Nur manchmal, meinte sie, als er sich nicht beobachtet fühlte, daß leidenschaftliche Blicke sie streiften.
Als sie ihn dann ansah und anredete, schien es ihr, als ob er aus weiter Ferne käme, und hinterher war er noch ruhiger und zurückhaltender zu ihr als sonst.
Mitunter quälte es Ruth, sie meinte eine Schranke zu fühlen, die er künstlich zwischen ihnen aufbaute, und über die sie nicht hinwegkam.
Mit keinem einzigen Gedanken wünschte sich Ruth in ihr früheres Leben zurück, und die Briefe, die sie von ihren Freunden aus New York erhielt, zeigten ihr immer wieder, wie weit alles, was sie früher bewegte, und was ihr Interesse einst gewesen, von ihr fortgerückt war. Am fleißigsten schrieben ihr Corinne Blount und Desmond Grane, die seit kurzem verlobt waren. Ihre Briefe las Ruth auch am liebsten, klang aus ihnen doch Liebe und manchmal ein klein wenig Sehnsucht nach dem Stückchen Erde hindurch, wo sie sich gefunden hatten. –
Ruth ahnte nicht, wie sehr und oft Jeds Gedanken bei ihr weilten. Sie hatte recht, wenn es ihr erschien, daß er manchmal wie abwesend war. Aber sie wußte nicht, daß Jed einen Kampf mit sich kämpfte, aus dem er noch keinen gangbaren Weg für sich gefunden hatte.
Je länger er Ruth beobachtete, und je öfter er mit ihr zusammen war, umso mehr zog es ihn zu ihr hin. Er sah, wie sie sich hier einlebte und den besten Willen zeigte, alles zu erfassen und jedem gerecht zu werden. Nur ahnte er nicht, daß Ruth es zum großen Teil tat, um seine grauen Augen aufstrahlen zu sehen, dann fühlte sie sich voll und ganz belohnt.
Jed Corner wußte, daß er Ruth liebte, und da er zum ersten Male in seinem Leben liebte, tat er es mit seiner ganzen, unverbrauchten Seele.
Heute war er so weit, daß er sich wieder nicht klar darüber war, ob er die Ranch verlassen sollte oder nicht. Er wurde von seinen Gefühlen hin und her gerissen. Er mußte dann doch die Ranch, seine ihm liebgewordene Arbeit und die Boys verlassen und vor allem – Ruth. Andererseits wußte er, daß er nicht immer so an ihrer Seite leben konnte, ohne nicht den Wunsch zu haben, sie sein eigen zu nennen. Er fürchtete, daß eines Tages der Wunsch so groß werden würde, daß er … Bis hierher dachte Jed – aber niemals weiter, was konnte er Ruth bieten? Wohl war sie verändert, und es erinnerte nichts mehr an die verwöhnte, nur dem Luxus lebende junge Lady. Aber trotzdem fand er, daß zwischen ihm und Ruth schon durch ihren Reichtum Welten lagen, die sie trennten. Der Gedanke, ihr nichts bieten zu können, quälte seinen männlichen Stolz, sodaß er glaubte, ihn nicht ertragen zu können. Es hielt ihn von Ruth fern, trotzdem er fühlte, daß er ihr mehr bedeutete als jeder andere Mensch.
So gab es manches Quälende und Unausgesprochene zwischen ihnen, was sie wohl beide empfanden; aber noch hatte keiner von ihnen das rechte Wort gefunden, welches eine Verständigung bringen konnte.
Ruth hatte sich angewöhnt, jeden Abend, bevor sie zur Ruhe ging, draußen noch ein wenig zu Fuß umherzustreifen. Immer endigte ihr Weg bei Mary, mit der sie sich angefreundet und mit großer Geduld ihre Zuneigung errungen hatte. In der Tasche trug sie auch stets eine Näscherei bei sich, was die Stute mit dem Anstand einer wohlerzogenen jungen Lady gnädig entgegennahm. Ruth war sehr stolz an dem Tage gewesen, als Mary ihr zuerst diese Wohlgeneigtheit zeigte.
Auch heute abend ging sie zu der Stute hinaus, die jetzt in einem Pferch allein stand. Als sie zu ihr treten wollte, sah sie im Dunkel eine Gestalt an Mary lehnen. Sie wußte sofort, daß es Jed war, denn bei jemandem anders würde Mary nicht so still gehalten haben.
Sie gab ihrem ersten Impuls, sich umzudrehen und fortzugehen, nicht nach; sie wollte nicht, daß Jed bemerkte, daß sie vor ihm flüchtete. So ging sie tapfer auf ihn zu.
Jed hatte sie sogleich erkannt. Was für einen schönen, edlen Gang besah sie!
Mit Entzücken und Andacht, wie etwas Heiliges, sah er ihr entgegen, so harmonisch erschien ihm ihre Schönheit; er fühlte keine andere Begierde, als den Wunsch, sie immerfort anzusehen.
Ruth blieb vor ihm stehen. Ihre Hand fuhr der Stute schmeichelnd über die Nüstern. Diese Bewegung von ihr ließ ihn zusammenzucken.
»Mary liebt Sie, Miß Harries!« Noch dunkler und voller klang seine Stimme als gewöhnlich.
»Ich bin auch sehr stolz darauf. Ich treffe mich jeden Abend mit ihr.« Ruth gab Mary ihr abendliches Deputat, welches heute aus Zuckerstücken bestand.
Noch einmal fuhr sie mit ihrer kleinen, schmalen Hand der Stute durch die Mähne, die leise knisterte, als sprühten unsichtbare Funken aus ihr; dann drehte sie sich um und verließ den Pferch. Jed schritt an ihrer Seite, beide schwiegen, doch ihre Gedanken suchten sich. Ruth wählte den Weg zum Garten; auf der Veranda blieb sie stehen und zeigte auf den Mond, der alles in silbernen Glanz tauchte.
Ein Blick von Ruth streifte Jed; er sah hinauf zum Himmel, und er lächelte mit seinem unendlich sanften Lächeln, welches sie so sehr liebte …
Sie folgte seinem Blick.
Totenstille herrschte im Garten, der vom Mondlicht hell erleuchtet war. Um Himmel strahlte hier und da ein Stern zuckend auf. Noch war es zu früh, als daß die Stimmen der Nacht sprachen.
»Niemals wieder werde ich diesen Fleck Erde verlassen!« Fast wie ein Schwur klang es. Ihre Worte kamen wie aus weiter Ferne zu ihm heran.
»Es zieht Sie nichts nach New York?«
»Nein, nichts!«
Jed suchte Ruths Augen. Tief tauchte Blick in Blick.
Das alte Spiel des Sichfindens und Ausweichens, der bangen Erwartung und der quälenden Unsicherheit begann wieder.
Mit einem bezaubernd hellen Lächeln fragte sie:
»Und Sie, Jed, werden Sie die Ranch je verlassen können?«
»Auch heute weiß ich noch nicht, wo mein Weg enden wird.« Ruhig und klar antwortete er ihr. Seine vorhin gefühlte Erregung konnte bei seinem Charakter nicht lange anhalten, er war gewöhnt, seine Gefühle in abgekühlter Gestalt zum Ausdruck zu bringen.
Ruth fühlte ihr Herz klopfen.
»Nein,« stieß sie leise aus, als müsse sie gegen eine unsichtbare Macht ankämpfen, »das darf niemals sein! Sie gehören hierher, sowie die Ranch zu Ihnen und auch –« Ruth hielt ein. Beinahe hätte sie ausgesprochen, was sie sich selbst noch nicht einmal eingestanden hatte.
»Und auch –?« wiederholte Jed; plötzlich fühlte er wieder die leidenschaftliche Erregung über sich kommen, die ihn mit einemmal um so heftiger überfiel, da er sie stets gewaltsam zu unterdrücken versuchte.
Wie ein Hauch kam es von Ruths Lippen: »Und auch ich!«
Jed Corner hätte kein Mann sein müssen, wenn er Ruth jetzt nicht leidenschaftlich in seine Arme gerissen hätte.
Ihre Lippen fanden sich zu einem heißen Kuß. Kaum konnten sie ihr namenloses Glück fassen; so unerwartet erschien es ihnen.
Die nächsten Tage gingen ihnen in einem rauschenden Traum vorüber. Sie gehörten sich, und alles versank ihnen über dieses eine Gefühl.
Verwundert waren sie, daß niemand erstaunt schien, ja, daß ihre Freunde behaupteten, es schon lange geahnt zu haben. Es war Ruth beinahe, als ob Sheriff Landert am erfreutesten war. Er behauptete glücklich, die Jolivet-Ranch könne nun wieder ein Segen für den ganzen Distrikt werden.
Jed ließ sich von dem Strom des Glücks tragen. Alle zweifelnden Gedanken, die ihn überfallen wollten, wies er zurück. Wenn er allein war, dann tauchten vor ihm Bilder auf, die ihn als Schatzsucher in die Fremde fortgehen ließen, um Ruth den gefundenen Schatz zu Füßen zu legen.
Noch hatten sie nicht über ihre gemeinsame Zukunft gesprochen. Ruth dachte überhaupt nicht darüber nach, meinte sie doch, daß es für sie keine Hindernisse gäbe. Und Jed vermied es auch noch, wollte er doch Ruth nicht aus dem harmonischen Glück dieser Tage reißen. In dieser Zeit beobachtete er, daß sie zufrieden und ausgeglichener wurde in dem sicheren Gefühl, ein Glück zu besitzen, das ihr niemand mehr nehmen konnte.
Zehn Tage gingen darüber hin, als eines Nachmittags unvermutet Dr. Britton auftauchte.
Er begrüßte Ruth strahlend.
»Liebe Miß Harries,« er drückte ihr herzlich die Hand, »zufällig hörte ich von dem, was weit und breit besprochen wird. – Ich möchte Ihnen nur sagen, es gibt nur eine Stimme: alle begrüßen diese Verbindung.
Meine herzlichsten und aufrichtigsten Wünsche möchte ich Ihnen aussprechen, werden Sie nun immer hier wohnen bleiben?«
»Ja, Dr. Britton! Wenn mich die Sehnsucht nach dem Leben dort draußen packen sollte, dann können wir ja reisen. Aber ich weiß heute schon, daß es nicht oft sein wird; hier wird meine Heimat sein und bleiben.«
»Ich freue mich unendlich darüber, Miß Harries. Weiß ich doch,« setzte er ernst werdend hinzu »was für eine Freude dieser Entschluß für Oliver Jolivet gewesen wäre. Aber ich bin aus einem bestimmten Grunde gekommen, Miß Harries. – Hier,« er zeigte auf seine Aktenmappe »ist das Testament Oliver Jolivets darin. Heute, an diesem Tage, ist das halbe Jahr um. Im Beisein Will Meßters und Jed Corners möchte ich es heute nachmittag eröffnen.«
Am Nachmittag waren in dem alten Bibliothekszimmer Jolivets Ruth Harries, Jed Corner, Will Meßter und Dr. Britton versammelt.
Ein feierlicher Ernst lag über ihnen.
Dr. Britton öffnete das versiegelte Paket. Dann übergab er das eine Schreiben Ruth, während er ein anderes vor sich hinlegte.
Ruth las:
Meine liebe Ruth!
Jahre sind vorübergegangen, daß ich Dich nicht gesehen habe. Jetzt, wo ich an Dich schreibe, sehe ich Dich im Geiste vor mir, und Deine Gesichtszüge tragen die Deiner lieben Mutter.
Ein halbes Jahr bist Du jetzt auf meiner über alles geliebten Ranch. Ich hoffe, daß sie Dir wie die Menschen im Westen ans Herz gewachsen ist, sodaß Du hier eine zweite Heimat hast.
Du wirst manches Neue kennen gelernt haben, und manche ungewöhnlichen Eindrücke werden auf Dich eingestürzt sein, aber ich habe Dir einen Freund zur Seite gestellt, und dieser ist – Jed Corner. Einen zuverlässigeren und treueren Freund wirst Du niemals im Leben besitzen. Ich habe ihn geliebt wie einen Sohn. Wenn Du dieses weißt, wird Dir mein zweites, eigentliches Testament keine Überraschungen bringen. Daß ich Dich ein halbes Jahr als uneingeschränkte Herrin auf der Jolivet-Ranch einsetzte, geschah, um Dir Zeit zu lassen, Dir über manches klar zu werden. Es sollte ein Prüfstein für Dich und Jed Corner sein. Ich bete zu Gott, daß er meinen letzten Wunsch erfülle und Euch beiden einzigen Menschen, die ich liebe, zusammenfügen möge. Mein Segen geleite Euch.
Sollte es nicht der Fall sein, dann, meine Ruth, hoffe ich, daß Ihr Euch wenigstens in Freundschaft gefunden habt. Grüße ihn von mir, und solltet Ihr einander gehören, dann gebe ihm diesen Brief.
Ich hoffe, daß Du stets in Freundschaft an mich denken wirst.
Dein Onkel Oliver Jolivet.
Tränen standen in Ruths Augen, als sie aufsah. Jeds Blick hing an ihr; mit warmen Augen sah sie zu ihm auf und reichte ihm schweigend den Brief. Hart traten Jeds Gesichtsmuskeln aus seinem Gesicht, als er den Brief las. Sie sah, daß er die Zähne zusammenbiß, als er die geliebte Handschrift sah. Still faltete er den Brief zusammen und sah lange vor sich hin.
Endlich räusperte sich Dr. Britton. Er setzte sich offiziell zurecht.
»Sind Sie nun bereit, das zweite und endgültige Testament zu vernehmen?«
Schweigend nickten sie ihm zu. Ruths Hand tastete verstohlen nach Jed, der sie nahm und festhielt.
Dr. Britton begann mit erhobener Stimme zu lesen:
Mein letzter Wille.
Sollte meine Nichte Ruth Harries die Bedingungen, die ich in meinem letzten Testament bestimmt habe, erfüllen, dann sollen meine Nichte Ruth Harries und mein Verwalter Jed Corner zu gleichen Teilen meine Erben sein.
Dabei soll meine Nichte die sämtlichen Hauptgebäude mit dem Ranchhaus und mein Verwalter die Vorwerksgebäude erhalten. Die Ländereien sollen in der Weise geteilt werden, daß die Grenze der Silberbach ist.
Von allen übrigen Gegenständen, wie Vieh – Inventar usw., soll jeder die Hälfte erhalten.
Die Verteilung lege ich in die Hände meines Rechtsbeistandes Dr. Britton, den ich hiermit zum Testamentsvollstrecker ernenne.
Sollte dagegen meine Nichte, die in meinem früheren Testament ihr auferlegte Bedingung nicht erfüllt haben, erhält sie einen Betrag von $ 250 000. – durch den Testamentsvollstrecker als Vermächtnis ausgezahlt.
Mein alleiniger Erbe soll dann mein Verwalter Jed Corner sein.
Ich habe in meinem früheren Testament von einem möglichen Vorfall gesprochen, der meinen Testamentsvollstrecker verpflichtet, diesen, meinen letzten Willen sofort zu öffnen. Dr. Britton ist darüber von mir mündlich unterrichtet. Es handelt sich um den Fall, daß meine Nichte in Konflikt mit Jed Corner geriete und dieser aus diesem Grunde gezwungen würde, die Ranch zu verlassen. In diesem Falle soll Jed Corner mein alleiniger Erbe sein, während meine Nichte Ruth das Vermächtnis von $ 250 000. – durch Dr. Britton erhält; weil dann für mich feststeht, daß meine Nichte sich niemals im Westen einleben kann und dadurch auch die Leitung der Ranch nicht in guten Händen ist.
Oliver Jolivet.
Aufatmend hielt Dr. Britton ein.
Schon lange sahen Ruth und Jed Auge in Auge da. Nun sagte sie mit leuchtenden Augen:
»Ich freue mich, ich freue mich unendlich!«
Ein Druck von Jeds Hand dankte ihr, seine Augen strahlten in warmem Glanz. Beide erhoben sich plötzlich gleichzeitig und verließen in stummer, seelischer Erregtheit Hand in Hand das Zimmer.
Herzlich sahen ihnen die beiden im Zimmer zurückgebliebenen nach, stumm gaben sie sich die Hand, auch in ihnen war heute ein heller Sonnentag!
Ende.