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Zweites Kapitel.

Helen Meßter trat in Majorie Langwools Zimmer.

»Majorie, wie gefall' ich Dir in meinem neuen Staat?«

Sie drehte sich wie ein Wiesel um ihre eigene Achse. Majorie lachte laut auf.

»Wenn Du nicht still hältst, kann ich Dich nicht bewundern.«

»Pah, bewundern! Ich benehme mich in diesem aufgeputzten Kleid wie ein kleiner Affe! Mir steht nur mein Alltagskleid, die Reithose; darin kann ich mich benehmen.«

»Nein, Helen, das stimmt nicht. Du siehst entzückend aus. Paß auf, Du wirst Dich heute abend gut amüsieren und viel tanzen.«

Majorie trat auf Helen zu, die bei den anerkennenden Worten errötet war. Sie legte ihren Arm um die kleinere Helen und küßte sie. Einen Augenblick blieben sie so vereint stehen. Einen größeren Gegensatz als diese beiden jungen Mädchen gab es nicht.

Helen war klein und kräftig, flink und geschickt in ihren Bewegungen. Sie hatte große, braune Augen, in denen helle Pünktchen tanzten; und jetzt schmiegte sich ihr dunkles Köpfchen im hübschen Kontrast gegen Majories rotblondes, lockiges Haar. Majorie war schlanker und größer als Helen und gemessener in ihren Bewegungen.

»Ob Jed Corner wohl heute abend zu Tom Winter kommt?« fragte Helen plötzlich.

Majorie sah Helen fragend an.

»Nein, Majorie,« sie schüttelte den Kopf »was Du jetzt denkst, ist wirklich nicht. Aber – ich erhoffe mir noch irgendetwas Außergewöhnliches von ihm.«

Majorie ließ Helen los.

»Du bist und bleibst eine kleine Wilde, Helen. Es ist gut, daß Du kein Junge geworden bist.

Im übrigen glaube ich nicht, daß er kommen wird. Er hält die Trauer um den alten Jolivet, als ob dieser sein Vater gewesen wäre.«

Helen ließ sich in einem Stuhl nieder und sah Majorie zu, wie sie ihren Anzug vervollständigte. Sie bewunderte dabei Majories geschickte Hände.

»Majorie,« unterbrach sie das Schweigen, »verstehst Du eigentlich, daß Jolivet Jed nicht zu seinem Erben gemacht hat? Ich wette, daß Jed früher ein Revolvermann war! Jolivet hat ihn gewiß aus seinem früheren Leben gerissen und ihm das Arbeiten erst beigebracht. Meiner Meinung wäre es die Pflicht des Alten gewesen, für Jed zu sorgen. Und dann, er liebte Jed doch wie seinen eigenen Sohn. Majorie, glaubst Du nicht auch, daß Jed berechtigte Hoffnungen hatte, sich als zukünftigen Herrn von der Jolivetfarm zu halten?«

Es dauerte eine Zeit, bis Majorie antwortete: »Helen, was die Pflicht oder Nichtpflicht von Mr. Jolivet war, können wir wohl beide nicht beurteilen. Vielleicht war es eine Enttäuschung für Jed. Er spricht nicht darüber, und es wird auch niemand von ihm etwas erfahren.«

»Du, Majorie, seitdem ich das weiß, grolle ich eigentlich dem Alten nach,« stieß Helen aus. Ihr Temperament gebot ihr, nach ihrem Gefühl Stellung zu nehmen, ohne nach Gründen zu fragen.

Majorie schüttelte den Kopf: »Das ist nicht recht, Helen. Mr. Jolivet tat doch schon sehr viel für Jed, indem er sich seiner annahm und ihn zur regelmäßigen Arbeit anhielt, um aus ihm ein nützliches Mitglied der menschlichen Gesellschaft zu machen. Was wäre er sonst? Ein Revolvermann, ein Desperado oder Held der Straße, wie …«

Majorie warf verächtlich die Lippen auf. – Helen sprang auf.

»Du,« rief sie aus »was Du mit dem ›wie‹ sagen wolltest, weiß ich ganz genau. Das ist nicht recht von Dir!«

Einen Augenblick sah Majorie Helen betroffen an, deren Worte so leidenschaftlich herausgekommen waren. Dann lachte sie leise auf.

»Helen, wir wollen uns doch nicht streiten! Ich habe doch Chick lieb – aber gerade darum« setzte sie ernst werdend hinzu »möchte ich stolz auf ihn sein und später einmal eine Stütze an ihm haben.«

»Was den Stolz betrifft, Majorie, das kannst Du heute schon. Und Stütze – na, das wird Dir hoffentlich Dein zukünftiger Mann sein, dazu brauchst Du doch nicht Chick!« Majorie schüttelte den Kopf.

»Ach, was, unverheiratet, Majorie, das gibt es ja gar nicht. Wenn ich das sagen wollte! Wer nimmt mich denn, so einen halben Jungen?«

Gerade wollte Majorie antworten, als sie beide erschrocken zusammenfuhren. Ein Stein war an Majories Fenster geworfen worden. Beide sahen sich einen Augenblick erstaunt an, um dann an das Fenster zu eilen. Majorie stieß es auf, und beide beugten sich heraus.

Unten aus dem Dunkel hörten sie eine Stimme.

»Pst? – Miß Majorie?«

»Ja?« antwortete Majorie.

»Hier ist Harry Elster. Ich habe Euch etwas mitzuteilen.«

Einen Augenblick herrschte Stille, dann entgegnete Majorie: »Wartet, ich komme gleich.«

Sie trat ins Zimmer und sah Helen an, deren Blick fragend auf ihr ruhte.

Plötzlich kicherte Helen auf: »Ein Verehrer, Majorie, der sich alle Tänze bei Dir sichern will.«

Ein Lächeln huschte über Majories Gesicht: »Glaube ich nicht, Helen. Komm mit, wir wollen hören, was er will.«

Beide huschten aus dem Zimmer; einen Augenblick blieben sie auf dem Treppenabsatz stehen, sie horchten und hörten Helens Vater noch in seiner Stube rumoren. Dann glitten sie die Treppe hinunter und standen gleich darauf im Garten, der um das Ranchhaus angelegt war.

Ein Mann trat ihnen aus dem Dunkel entgegen, in dem sie Harry Elster erkannten.

»Miß Majorie?« Er sprach immer noch flüsternd.

»Was wollt Ihr, Elster?«

Er trat zu den beiden Mädchen.

»Ja,« er zögerte, dann sprach er geheimnisvoll weiter, »ich glaube, daß Ihr wissen müßt, was ich Euch erzählen will. – Chick ist wieder da!«

Majorie trat einen Schritt zurück, Helen unterdrückte nur mit Mühe einen kleinen, erstaunten Ausruf.

»Wo ist er?« stieß Majorie hervor.

»Bei Tom Winter, Miß Majorie. Aber – und darum bin ich hier – total betrunken!«

Im gleichen Augenblick wandte sich Majorie ab. – Schweigen herrschte, Helen unterbrach es.

»Wir danken Euch, Elster, daß Ihr Majorie Bescheid sagtet. Es bleibt unter uns, nicht wahr?«

Elster nickte, er sah Helen nicht an, sein besorgter Blick ruhte auf Majorie.

Helen hakte Majorie ein und schritt wieder auf das Haus zu. Oben in ihrem Zimmer angelangt, drehte sich Majorie plötzlich Helen zu: »Da hast Du Deinen ›Stolz‹, Helen!« stieß sie aus.

»Ach was,« erwiderte diese schnell »nimm es doch nicht so tragisch! Das Unglück ist ihm vor Wiedersehensfreude passiert.«

»So, vor Wiedersehensfreude?« Majories Stimme klang höhnisch. »Mit wem denn? Mit Tom Winter vielleicht?«

Hilflos zuckte Helen mit den Achseln; sie kannte Majorie zu gut, um zu wissen, daß diese niemals dafür Verständnis haben würde.

Nach einem Augenblick sprach sie Majorie wieder an; dabei tat sie, als ob sie alles vergessen hätte.

»Nun komm Majorie, es wird Zeit; Vater wird auch fertig sein.«

Ein erstaunter Blick Majories traf sie.

»Du glaubst doch nicht, daß ich jetzt noch dahingehen werde!« Majories Stimme klang so ruhig und entschlossen, daß Helen wußte: sprach Majorie so, war ihr Vorhaben nicht zu ändern.

So entgegnete sie einfach: »Es ist gut, Majorie! Ich werde Dich bei Vater entschuldigen.«

Sie trat auf sie zu und küßte sie.

Mit einem sinnenden Zug in ihrem kleinen, pikanten Gesicht trat sie aus dem Zimmer, um mit ihrem Vater den Ball in Winters Gaststube zu besuchen.

Majorie ließ sich auf ihr Bett niedersinken; mit gefalteten Händen blieb sie so sitzen. Ihre Augen hafteten am Boden, und langsam fielen Tränen aus ihren grauen Augensternen.



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