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Im langgestreckten Gebirge, auf einem kleinen Plateau, das von Kiefern und steil aufragenden Felsen umgeben war, stand eine kleine, primitive Blockhütte, vor der Jed Corner und Chick saßen.
Eine Lichtung durch die Kiefer zeigte dem Auge wild zerklüftete Cañons.
Jed war gerade damit beschäftigt, Kartoffeln zu schälen.
Einen kleinen Vorrat von allem, was Jed seit seinem letzten Hiersein dagelassen hatte, fand er unversehrt wieder vor.
Unter seinen Augenlidern hervor beobachtete er schon eine Zeitlang Chick, der wohl zum zehnten Male in diesen Tagen seine Colts putzte, trotzdem er sie hier noch nicht ein einziges Mal gebraucht hatte. Zur Jagd, auf der er gewesen war, hatte er Jeds Gewehr mitgenommen, welches dieser in der Hütte versteckt hielt.
Das Leben hier in der Einsamkeit war nichts für Chick, stellte Jed fest. Er selbst fühlte sich wohl; wenn nur nicht die Sorge gewesen wäre, was sich inzwischen in Wilhelmstone ergeben würde. Er mußte mit sich ins Reine kommen und einen Abschluß finden von seinem bisherigen Leben. Dafür war für ihn diese Stille hier gerade recht. Immer wieder kamen seine Gedanken auf den letzten, flehenden Blick zurück, der ihn aus Ruths blauen Augen getroffen hatte. Jed wollte das Gedenken an sie zurückweisen. Mochte sie doch zusehen, wie sie und ihr New Yorker Freund fertig würden!
Jed redete sich ein, daß nur die Besorgnis um seine Leute und die Pflicht, die er gegen sie zu haben meinte, ihn nicht ruhen ließen!
»Chick,« redete er diesen plötzlich an, »Ihr könntet mir einen Gefallen tun!«
»Aber gern!« Chick sprang bereitwilligst hoch und reckte sich.
»Reitet nach Wilhelmstone, aber ich brauche Euch wohl nicht zu sagen, daß Ihr Euch nicht sehen lassen dürft. Hört, was man sich dort erzählt, und was dort unten passiert ist.«
Stumm nahm Chick sein Pferd und sattelte es. Noch einen kurzen Zuruf an Jed, und er entschwand seinen Blicken. Jetzt ging Jed daran, seine Abendmahlzeit zu bereiten. Er ließ den gebratenen Speck kalt werden und stellte ihn für Chick zurück.
Dann setzte er sich wieder vor seine Blockhütte und sah in den nahenden Abend.
Chick begrüßte den Auftrag. Verflucht, diese Einsamkeit und Untätigkeit war nichts für ihn. Er verstand Jed ganz und gar nicht mehr. Vorauf wartete dieser noch. Chick träumte davon, wie weit sie schon hätten sein können, und was man mit einem Kameraden, wie Jed Corner es war, alles erleben konnte? Er fühlte durch die Ruhetage Kräfte in sich, die er wünschte, betätigen zu können.
Am Rande eines Plateaus, das in eine Hochebene führte, angekommen, sprang er vom Pferde. Er hätte ja gar nicht gleich fortreiten brauchen, aber der Wunsch, wieder andere Menschen sehen zu können, hatte ihn sofort aufbrechen lassen.
Nun streckte er sich auf dem Waldboden aus und steckte sich eine seiner unvermeidlichen Zigaretten in Brand. Dann sah er in die weite Hochebene, die sich meilenweit hinzog.
Seine Gedanken suchten Lew und Majorie. Er schätzte Lew; hatte ihn stets geschätzt. Nur rot hatte er gesehen, als er in Lew den Mann zu erkennen glaubte, der Schuld daran war, daß seine kleine Schwester traurig wurde. Dann blieben seine Gedanken bei Helen Meßter stehen. Ganz warm wurde ihm, als er an ihre jungfräuliche Schönheit dachte. Nervös atmete er den Rauch seiner Zigarette ein.
Eine unerklärliche Unruhe reizte ihn seit Tagen und machte ihn verdrießlich. Das Gefühl der Unzufriedenheit mit sich selbst kam bei ihm nur selten auf, und wenn es da war, dann quälte es ihn nicht zu sehr und lange – er verstand es, dasselbe schnell von sich abzuschütteln.
Wenn je in seiner Gegenwart von der geheimnisvollen Kompliziertheit des menschlichen Seelenlebens gesprochen wurde, dann lächelte er ironisch. Um so seltsamer war es für ihn, sich in ein Netz unverständlicher Erregungen hineingeraten zu sehen.
Ob Helen wohl sehr böse auf ihn war, daß er so sang- und klanglos plötzlich wieder verschwand, grübelte Chick; Mädchen konnten je im allgemeinen Männerkameradschaften nicht begreifen, denen ging die Liebe über alles. Und was war die Liebe zu einer Frau gegen eine feste, durch Dick und Dünn haltende Männerfreundschaft, meinte Chick. Daß es auch eine Kameradschaft zwischen Mann und Frau gab, wußte er nicht, hatte er sie doch niemals kennen gelernt.
Wie gern hätte er Helen noch einmal wiedergesehen; was er sich davon erhoffte, wußte er selbst nicht. In der tagelangen Entfernung und immer mit seinen Gedanken bei ihr, schien sie ihm näher gerückt. Doch er wußte nicht, wie er es beginnen sollte. Sicher würde es schon Nacht sein, wenn er es wagen durfte, nach Wilhelmstone zu reiten; dann würde Helen sich schon schlafen gelegt haben.
In einem Punkte war er sich noch im Zweifel: sollte er Lew Forest oder Tom Winter aufsuchen.
Plötzlich horchte er auf. Von weitem hörte er den Gesang nach Hause reitender Cowboys zu ihm heraufklingen. Sein Herz ging ihm auf. »Heimat!« sagte er leise. Seine Hände griffen in den Boden, als könne er die Heimat damit fassen und ihr dadurch näher sein. Mit weitgeöffneten Augen lag er und sah in den Himmel über sich. Ruhe breitete sich über ihn aus.
Es war schon dunkel, und ein Sternlein war nach dem anderen am Himmel erschienen, als sich Chick erhob. Zehn Sternschnuppen hatte er gezählt, aber leider vergessen und auch nicht gewußt, was er sich wünschen sollte.
Langsam und vorsichtig ritt er die Hochebene hinunter. Er hatte sich nun entschlossen, Tom Winter aufzusuchen; der wußte meistens mit allem am besten Bescheid.
Unangefochten kam er in Wilhelmstone an. Sein Pferd ließ er in einem leeren Pferch stehen, dessen Besitzer er nicht kannte, wie ein Indianer auf dem Kriegspfad schlich er sich an die hintere Tür von Winters Gasthaus.
Aus einem Fenster sah er Licht; vorsichtig spähte er hinein. Es war die Küche des Gasthauses, und Tom Winters Frau war noch auf und hier beschäftigt. Leise klopfte Chick ans Fenster. Er bemerkte, wie sie zusammenschrak, sich aber gleich wieder faßte und sich dem Fenster zögernd näherte.
Vorsichtig öffnete sie einen Spalt desselben.
»Frau Anny,« flüsterte Chick, »erschrecken Sie nicht, hier ist Chick Langwool. Ich muß Euren Mann sprechen.«
Schnell gefaßt nickte ihm Anny Winter zu. Sie ging aus der Küche, und es dauerte nicht lange, da kam Tom Winter. Er trat ans Fenster mit allen Zeichen freudigen Erstaunens.
Als er Chick gewahr wurde, flüsterte er: »Chick, Ihr Teufelskerl! So ist es wirklich wahr, Ihr seid noch hier? Jed Corner am Ende auch?«
»Seid nicht so neugierig, Tom Winter. Erzählt mir lieber, was es Neues gibt.«
»Sheriff Landert war hier und steckte mächtig seine Nase in die Sache. Aber alle Jungen haben fein und klar ausgesagt. Ich glaube nicht, daß Jed Corner etwas zu befürchten hat.«
»Ja –« Winter überlegte, was Chick wohl interessieren könnte. »Du, Chick,« ihm war ein Gedanke gekommen, »die Jungen auf der Jolivet-Ranch gefallen mir nicht mehr. Einige von ihnen waren gestern hier bei mir und verhielten sich verdammt schweigsam. Sie schimpften nicht einmal auf den Mister, der sich dort so breit macht, und das hat mir an den Jungen nicht gefallen. Sie stecken mir viel zu viel die Köpfe zusammen. Es können da noch höllisch unangenehme Überraschungen kommen.«
Als Winter von Chick keine Antwort erhielt, lehnte er sich aus dem Fenster und sah in Chicks grübelndes Gesicht. Chick glaubte plötzlich zu wissen, was Jed noch in der Gegend festhielt. Donnerwetter, die Jungen! Alles feine Kerle, auf die sich schon ein Mann verlassen konnte. In Gedanken schmunzelte er. Da eröffneten sich ja noch Perspektiven, die im Augenblick noch gar nicht zu überblicken waren.
Das Schweigen dauerte Winter zu lange.
»Chick!« rief er ihn leise an.
»Es ist gut!« antwortete ihm dieser. »Ich danke Euch für die Nachricht. Aber schweigt über mein Hiersein.«
»Darauf könnt Ihr Euch verlassen, Chick Langwool. – Wartet einen Augenblick!«
Er verschwand aus der Küche, um gleich darauf wiederzukommen. Er hielt ein Paket in der Hand.
»Hier Chick!« er drückte es ihm in die Hand; es war eine Whiskyflasche.
»Nett von Euch, altes Haus!« schmunzelte Chick. »Wißt doch, was einem gut tut!«
Begeistert nahm es Chick entgegen. Dann verabschiedete er sich von Tom Winter, nachdem er das Versprechen gegeben hatte, bald einmal wiederzukommen.
Ohne Mühe erreichte er sein Pferd. Noch langsamer, als er gekommen, ritt Chick davon, tief in Gedanken versunken.
Plötzlich, Chick hatte nichts gesehen und gehört, tönte ihm eine leise Stimme entgegen. »Hands up!«
Blitzschnell fuhren Chicks Hände in die Höhe; dabei entfiel ihm seine Whiskyflasche.
Man hörte ein Klirren. Chick stieß einen Fluch aus. Leises Lachen antwortete ihm, er horchte auf.
»Chick Langwool, reitet Ihr immer so unbekümmert nachts durch die Gegend?«
Chick lauschte auf die Stimme, die ihm verdammt bekannt vorkam. Plötzlich sprang er vom Pferde. Mit einem Ausruf, der Ähnlichkeit mit einem Jubellaut hatte, eilte er auf die Gestalt zu, die er nun deutlich in der Dunkelheit sah.
Fast hatte Helen das Gefühl, daß Chick sie im ersten Augenblick in seine Arme reißen wollte.
Sie hatte nicht unrichtig gefühlt, nur mit Gewalt hielt sich Chick im letzten Augenblick zurück.
»Helen,« stieß er aus, »Ihr Teufelsmädel, was macht Ihr nachts hier allein?«
»Männer, wie Chick Langwool, vom Whisky abhalten!«
»Ach ja, mein schöner Whisky!« ein bedauernder Blick streifte die zerbrochene Flasche. »Aber woher wißt Ihr, daß die Flasche Whisky enthielt?«
»Was sollte sie wohl sonst enthalten haben, Chick?« kam die ein klein wenig spöttisch klingende Antwort zurück.
Darauf wußte Chick keine Antwort. Er schmunzelte; Helen war doch ein kleiner Satanskerl!
»Wart Ihr sehr böse, daß ich so plötzlich ohne Abschied verschwand, Helen?« fragte er.
»Böse, Chick? Ihr hattet doch Freundschaftspflichten. Ich hätte Euch nicht verstanden, wenn Ihr anders gehandelt hättet.«
Ungläubig sah Chick sie an. Was, Helen verstand ihn? Nicht nur das, sie hatte sogar nichts anderes von ihm erwartet?
Hoch reckte er sich auf, und Achtung sprach aus seinen folgenden Worten.
»Ihr seid ein feiner Kerl, Helen!« Er hörte nicht den leisen Seufzer Helens, bei seiner burschikosen Anrede. »Aber nun sagt mir, was bedeutet Euer Hiersein mitten in der Nacht? Weiß Euer Vater darum?«
»Nein, weder Vater noch Majorie. Ich mache Entdeckungsfahrten auf eigene Faust. Chick, Ihr dürft mich nicht verraten. Seit Jahren treibt es mich manchmal nachts hinaus; dann ist es mir, so in der nächtlichen Einsamkeit weit und breit, als wäre ich ganz allein auf der Welt, und alles gehörte mir.«
Eine kleine Pause entstand.
»Heute, Chick, spielte mein Glücksstern Euch mir über den Weg.« Sie trat ganz dicht an ihn heran und sagte geheimnisvoll: »Heute Nacht tut sich etwas. Ich stand hier in der Nähe und überlegte gerade, was ich mit meiner Entdeckung beginnen sollte, als ich den Aufschlag Eures Pferdes vernahm. Ich erkannte Euch und war herzlichst froh darüber.«
»Wart Ihr denn nicht erstaunt, Helen, mich noch hier in dieser Gegend zu sehen?« konnte Chick nicht unterlassen zu fragen.
»Nein, Chick!« Helen schüttelte den Kopf, sie vermochte mit männlicher Logik zu denken. »Ich wußte, daß Jed die Jolivet-Ranch nicht ohne weiteres verlassen konnte. Er hängt viel zu sehr an allem und hat Pflichtbewußtsein.«
Maßlos erstaunt sah Chick Helen an, er bekam grenzenlosen Respekt vor ihr.
»Aber wir vertrödeln hier die Zeit,« unterbrach Helen seine Betrachtungen. »Chick, aufwärts am Silberbach sah ich, daß sich Leute versammelten. Sie gingen geheimnisvoll und leise dabei zu Werke. Es waren – die Boys von der Jolivet-Ranch.«
»Ist's möglich, Helen!« stieß Chick überrascht aus. Er überlegte, was da zu tun sei, denn daß er wissen mußte, was dort vor sich ging, war selbstverständlich.
»Helen,« meinte er, »ich muß versuchen, mich an sie heranzuschlängeln, ohne daß sie mich bemerken. Wo habt Ihr Euer Pferd?«
»Kommt!«
Helen schritt ihm voran, er nahm sein Pferd am Zügel und folgte ihr.
Es war ein sicheres, kleines Versteck, in das ihn Helen führte; dicht am Ufer, wo viel Gestrüpp stand, hielt sie ihr Pferd versteckt. Er stellte sein Pferd zu dem ihren.
»Bleibt hier, Helen!« wies er sie an.
Widerspruchslos ließ sich Helen bei den Pferden nieder. Ein Blick von Chick dankte ihr, dann huschte er davon.
Geräuschlos und so gewandt, wie es ihm wohl keiner zugetraut hätte, eilte er vorwärts.
Schon von weitem sah er die Silhouetten der Männer aus dem Dunkel der Nacht sich abheben. Einer stand etwas erhöht und sprach zu den anderen.
Chick mußte sich entschließen, in den Bach zu steigen; da er hier nicht tief und auch nicht reißend war, konnte er sein Vorhaben gut ausführen. Er schnallte erst seine Stiefelschäfte hoch, dann ging er, jedes Geräusch vermeidend, vorsichtig durch den Bach bis zum anderen Ufer. Dort stieg er nicht heraus, sondern ging im Bach noch aufwärts. Da das Ufer abschüssig war, gelang es ihm, im Schutze desselben so nahe an die Männer heranzukommen, daß er genau die Stimme des Sprechers verstehen konnte.
Was Chick hörte, ließ ihn mächtig seine Ohren spitzen. Eine so zündende Rede meinte Chick noch nie vernommen zu haben. Er erkannte in dem Sprecher den Vorarbeiter Travell. Dieser führte im allgemeinen dasselbe aus, was der Sprecher in der Cowboy-Unterkunft zu den Boys gesprochen hatte. Nur hetzender brachte er es zum Ausdruck. Der Name Ruth Harries fiel aber auch in seiner Rede nicht; als geborener Gent einer Frau gegenüber, vermied er es, sie anzugreifen. Nun kam er gerade zum Schluß seiner Rede.
»Jungen,« er sprach mit gedämpfter Stimme, »wir sind uns also alle darüber klar: wir machen nicht mehr mit!« Leiser Beifall ertönte.
»Also – wir sind uns einig, wir werfen die Arbeit nieder. Laß sie sehen, wie sie fertig werden! Wir verzichten auf unseren Wochenlohn! Dafür werden wir uns anderweitig schadlos halten. – Wir wollen ja gar nicht so sein,« fuhr er ironisch fort, »wir wollen ihnen sogar behilflich sein.«
Der Sprecher machte eine Kunstpause; alle schauten ihn erstaunt und erwartungsvoll an. Mit erhobener Stimme fuhr er dann fort: »Damit ihnen die Bewirtschaftung der Ranch nicht so schwer wird, erleichtern wir sie um einen Teil des Viehes!« Es dauerte einen kurzen Augenblick, bis die Leute begriffen hatten. Dann tauchte hier und da vereinzeltes Gelächter auf, und Bravorufe erklangen.
»Verteufelter Kerl!« murmelte Chick, doch er grinste dabei.
Travell gebot Schweigen, er sprach weiter:
»Das ist kein Diebstahl, Jungen! Wir berechnen nur unseren Lohn, und wie wir ihn berechnen, muß man uns schon überlassen; denn schließlich verlieren wir unsere Arbeit und müssen einen Schadenersatz erhalten.«
Alles lachte.
»Jungen,« er erhob seine Stimme, »jetzt fängt ein freies Leben an, denn ist es Euch schon aufgegangen: wir sind eine Macht! Und diese Macht wollen wir gebrauchen!
Wir müssen nur einen Führer haben, und den wollen wir hier gleich wählen, und dann Jungen, Ordre pariert, sonst zersplittern wir uns und mit unserer Macht hat's ein Ende!«
Wieder ertönte Beifall.
»Du, Travell!« riefen einige.
»Coster!« schlugen andere vor.
»Losen!« forderten einige Stimmen.
»Ich wüßte einen Führer für Euch.«
Alle fuhren bei diesen Worten herum. Ihre Hände fuhren zu ihren Revolvern. Sie sahen einen Mann aus dem Bach steigen und langsam auf sie zukommen.
Travell sprang von seinem erhöhten Standpunkt herab und ging dem Näherkommenden mit entschlossenen Schritten entgegen.
»Chick Langwool!« rief er aus.
Eine Welle des Erstaunens ging durch die Leute, der Name ging von Mund zu Mund. Beruhigt steckten sie ihre Revolver wieder ein. Chick schritt zu der kleinen Erhöhung und blickte befriedigt über die Männer hin, die ihn alle mit erwartungsvollen Gesichtern ansahen.
»Langwool,« nahm Travell das Wort, und ihm hörte man den Respekt an, den sie alle für Chick Langwool fühlten, »wollt Ihr unser Führer sein?«
»Euer Antrag ehrt mich, Jungen, aber ich muß ihn ablehnen.« Chick sah ihre enttäuschten Gesichter und kicherte leise. »Ihr seid mir zu gefährlich, Boys!« rief er ihnen zu. Eine gedämpfte Lachsalve klang auf. Er erhob seine Stimme: »Aber – ich sagte Euch schon, ich weiß einen Führer für Euch – Jed Corner!« schmetterte Chick ihnen den Namen entgegen.
Es hätte wohl nicht viel gefehlt, und die Boys wären in laute Bravorufe ausgebrochen. Eine warnende Handbewegung seitens Chicks hinderte sie noch rechtzeitig daran. Alles drängte sich näher zu ihm hin.
»Mensch, Langwool, sprecht!« rief ihm Travell zu.
»Corner und ich hausen seit Tagen dort oben im Gebirge in einer Blockhütte. Glaubt Ihr, Euer Jed Corner könnte Euch so einfach verlassen? Er wartete ab, was Ihr machen würdet! Jungen, Eure Idee mit dem Vieh ist gar nicht so übel. Wir müßten es nur gut über die Grenze schaffen; das bringt einen tüchtigen Batzen Geld für Euch. Ich weiß, daß Jed einen guten Paß über das Gebirge kennt.« Der alte Schmuggler erwachte in Chick, darüber vergaß er ganz, wie freundschaftlich er mit Ruth Harries gestanden hatte. Im Augenblick waren Ruth und ihre Freunde auch für ihn die lästigen Fremden, und ganz und gar fühlte er sich solidarisch mit den Boys.
»Ich schlage Euch also folgendes vor: heute nacht noch packt Ihr Euern Kram. Ein Teil der Leute geht gleich hinaus zu dem Vieh. Teilt Euch davon ab, wieviel Ihr meint gut und ohne Gefahr ins Gebirge mit hinübernehmen zu können. Unterwegs stoßen die anderen auf uns. Später teilen wir uns, einige bleiben beim Vieh, die anderen kommen mit mir zu Jed Corner, um ihn zu holen. Einverstanden?«
Ein einstimmiges Ja antwortete ihm.
»Nun gut, Jungen!« Er sprang von seiner Erhöhung und reichte ihnen reihumgehend seine Hand. Helle Begeisterung leuchtete ihm aus allen Augen entgegen.
»Macht jetzt fort, Leute! Erwartet mich beim Vieh!« wandte sich Chick an Travell.
Gehorsam bestiegen sie ihre Pferde, die sie nicht weit von der Versammlungsstelle entfernt hatten stehen lassen.
Indessen eilte Chick, von Begeisterung erfüllt, zu Helen zurück. Sie erwartete ihn genau an der Stelle, wo er sie verlassen hatte.
»Helen,« platzte er los, »wenn Ihr wüßtet!«
Mit einem eigenartigen Blick sah ihn Helen an. Chick bemerkte ihn. Nur zögernd fragte er: »Soll ich Euch erzählen?«
»Nein, Chick, ich habe alles gehört.«
»Ihr seid mir gefolgt?« verwirrt sah Chick sie an; sie brachte immer neue Überraschungen für ihn.
»Ja, und ich konnte Euch in Eurer neuen Rolle als Bandenführer bewundern!«
Jetzt war Chick doch betroffen; er wußte nur nicht, worüber mehr: über die Tatsache, daß sie ihm heimlich, unbemerkt von ihm, gefolgt war, oder über ihren Ton jetzt ihm gegenüber.
»Helen …«
Mit einer Handbewegung unterbrach sie ihn.
»Chick,« ihre Stimme hatte wieder den freundschaftlichen Ton angenommen, in dem sie stets mit ihm verkehrte, »glaubt Ihr, Jed Corner einen Gefallen getan zu haben?«
Eifrig nickte Chick mit dem Kopf.
»Oh Chick, was seid Ihr für ein Mann!« Helen schlug nun doch wirklich ihre Hände zusammen. »Ihr meint, Jed zu kennen? Gar nicht kennt Ihr ihn!« stieß sie hervor.
»Aber Chick, ich will Euch einmal eine Aufgabe stellen;« sie trat näher an ihn heran. »Zergrübelt Euch einmal den Rotkopf darüber: Was würde Chick Langwool tun, wenn er Dankbarkeit für einen Verstorbenen fühlte und sähe, daß das mühsam schöne Werk seines Lebens in Verfall gerät? Und nun Gott befohlen, Chick Langwool; auf dem Weg, den Ihr jetzt reiten wollt, kann ich Euch nicht folgen.«
Sprach's und schwang sich auf ihr Pferd. Mit offenem Munde sah ihr Chick nach.
»So eine Kratzbürste!« entfuhr es ihm. Wütend sprang er auf sein Pferd. Alles brannte in ihm.
Was versteht so ein dummes Mädel davon! versuchte er sein aufkommendes Gewissen zu beruhigen. Unwillkürlich mußte er daran denken, wie sie zuletzt vor ihm gestanden hatte, an ihre vor Empörung blitzenden Augen und geballten Fäuste. Eigentlich hatte sie ihm großartig gefallen. Man hätte sie einfach in die Arme reißen und den Mund mit Küssen schließen sollen, dachte er ingrimmig, doch hatte er das Gefühl, daß ihm das sehr schlecht bekommen wäre.
Was hatte sie zuletzt gesagt, eine Aufgabe wollte sie ihm stellen? Chick rief sich ihre letzten Worte ins Gedächtnis zurück.
Als er schließlich zu den Leuten der Jolivet-Ranch stieß, sah er gar nicht mehr so begeistert drein, aber ein Zurück gab es für ihn nicht mehr.