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Jed Corner saß in der Blockhütte. Heute war er selbst damit beschäftigt, was er neulich bei Chick belächelt hatte: er putzte seine Colts.
Er dachte an die Nacht, in der die Boys von der Jolivet-Ranch vor ihm gestanden hatten. Nur er selbst wußte, was für einen Kampf es ihm kostete, bis er sich selbst und seine zweite Natur überwunden hatte.
Als er die Jungen mit vor Abenteuerlust blitzenden Augen vor sich sah, da wollte er in einen Schrei ausbrechen, der alles mit fortgerissen hätte.
Mit eiserner Energie aber bezwang er sich. Er sah den Abgrund, der sich öffnete und sie alle verschlingen würde. Wie in einem Film sah er die Bilder ihres zukünftigen Lebens vor sich abrollen: Ausgestoßen von allen, gehetzt wie die wilden Tiere würden sie sein!
Nein, dazu hatte ihm Oliver Jolivet nicht sein Vertrauen geschenkt. Als er zu den Leuten zu sprechen begann, merkte ihm niemand den soeben ausgekämpften Kampf an. Jed fand so viel überzeugende Worte, so viel Energie und Leidenschaft, da er seinen größten Gegner besiegen mußte, den er selbst in der eigenen Brust trug.
Der Mann, dem Oliver Jolivet vertraut hatte – siegte.
Seit dieser Stunde fühlte Jed doppelte Verantwortung. Er hatte den Leuten versprochen, sie zu führen und ihnen Arbeit zu geben. Fest entschlossen, dieses Versprechen zu halten, war es ihm jedoch jetzt noch nicht klar, wie er es beginnen sollte.
Warum er die unnötige Arbeit verrichtete, die Colts zu putzen, wußte er selbst nicht, irgendwie mußte er sich beschäftigen, sich abreagieren, und wenn es auch mit überflüssiger Arbeit war.
Auch bei Ruth Harries weilten heute seine Gedanken. Sie hatte ihm gefallen, trotzdem ihr Hochmut seine Nerven reizte.
Plötzlich stutzte er; er hörte Schritte sich nähern. Langsam setzte Jed die Colts in seine Halfter.
Die Schritte blieben zögernd stehen – nun näherten sie sich wieder langsam und vorsichtig.
Er erhob sich und glitt zur Tür. Nun waren die Schritte bis zur Tür gelangt.
Eine Sekunde lang fuhr ihm der Gedanke durch den Kopf: sollte es am Ende Chick sein, sollte es ein Unglück gegeben haben?
Er sah, wie langsam die Türklinke heruntergedrückt wurde, da packte er sie und riß sie auf.
Etwas flog ins Zimmer – und direkt in seine Arme.
Minutenlang sah er in Ruths blaue Augensterne, die ihn erschreckt anstarrten. Sie lehnte sich an ihn, halb erschrocken und halb noch außer Atem von dem Ritt, dessen Tempo Helen vorgeschrieben hatte.
Nun schien sie sich zu besinnen; errötend machte sie sich von Jed frei. Sie sah ihn nicht mehr an, der sie noch fassungslos wie ein Wunder anstarrte, sondern schaute sich in der Hütte um.
»Gemütlich haben Sie es hier!« eröffnete sie das Gespräch, so tuend, als ob ihr Hiersein nichts verwunderliches an sich hätte. Es dünkte ihr auf einmal unsagbar schwer, durchzuführen, was sie sich vorgenommen hatte.
»Es läßt sich aushalten.«
Jed ging auf ihren Ton ein. Er lehnte an der offenen Tür und sah sie abwartend an. Nun schob er ihr einen der roh zusammengehauenen Stühle zu. Aufatmend ließ sie sich darauf nieder und sah auf die Berge vor sich.
»Schön ist es hier!«
»Ja, und einen schönen Nachmittag haben wir heute, und heiß ist es auch.«
Ruth sah ihn an, machte er sich über sie lustig? Aber keine Muskel verzog sich in seinem Gesicht; genau so interessiert wie sie sah er auf die Zacken der Berge.
Ihn quälte ihr Hiersein. Sicher hatte Chick oder einer der Boys nicht dicht gehalten, und sie war nun zu ihm gekommen, um ihm zu danken.
Er wollte keinen Dank von ihr. Ihretwegen, redete er sich ein, hätte er keinen Finger gerührt. Außerdem was sollte er mit einem Dank, wo ihm selbst der Sieg so viel gekostet hatte. Sein Gesicht verfinsterte sich immer mehr. Ruth, die ihn beobachtete, klopfte plötzlich das Herz.
Sie nahm allen ihren Mut zusammen, um ihn anzureden.
»Mr. Corner, ich komme mit einer Bitte zu Ihnen.«
Seine Augen sahen sie an, sie wußte selbst nicht, in welchem flehenden Ton sie zu ihm gesprochen hatte, plötzlich erfaßte Jed eine Rührung, als er sie auf einmal so hilflos vor sich sah; er nickte ihr freundlicher zu, als er beabsichtigte. Das gab Ruth den Mut, weiter zu sprechen.
»Mr. Corner würden Sie die Verwaltung der Ranch wieder übernehmen?« Leise und flehend kam es von ihren Lippen.
Jed erstarrte, – sie sah es. – Schnell sprach sie weiter. Es kam ihr vor, als hätte sie sich in ein Unternehmen gestürzt, dem sie nicht gewachsen war. Aber sie mußte es so oder so zum Abschluß bringen, und es lag jetzt etwas Furchtloses und Sicheres in ihrer Haltung.
»Ich bin allein, meine Freunde sind heute morgen abgereist. Viele Fehler habe ich gemacht, Mr. Corner, und sehe sie ein. Ich habe den besten Willen, einst vor Oliver Jolivet bestehen zu können!« Ruth hatte, ohne zu wissen, den richtigen Ton angeschlagen. Als er nicht gleich antwortete, bat sie leise: »Bitte, Mr. Corner! Wenn nicht meinetwegen, so um der Ranch und der Cowboys willen. Venn nur bei Ihnen bleiben sie!« fügte sie hinzu.
Kein Laut unterbrach jetzt die Stille, die nach Ruths Worten zwischen ihnen lag.
Jed lehnte noch unverändert an der Tür. Alles, was er bis jetzt zurückgedrängt hatte, überfiel ihn jäh. Der Schmerz, den er fühlte, diesen Flecken Erde verlassen zu müssen, der ihm zur Heimat geworden war, erfüllte sein Herz. Ein Schleier legte sich über seine Augen; alles verschwamm vor seinen Blicken.
Doch plötzlich vernahm er wieder Ruths Bitte. Er sah ihre bittenden, flehenden Augen auf sich gerichtet, und sein Blick wurde wieder klar; er horchte in sich hinein.
Ruth wartete. Als sie keine Antwort erhielt, ließ sie ihren Kopf sinken; plötzlich, unendlich müde, stand sie auf. Am liebsten hätte sie wie ein Kind geweint. Alle Möglichkeiten, ihn umzustimmen, sah sie erschöpft. Beinahe wollte sie trotzend mit dem Schicksal hadern; da stand ihre eigene Schuld vor ihren Augen.
Langsam ging sie Schritt für Schritt aus der Hütte, nicht wissend wohin, als eine Stimme sie zurückrief.
»Einen Augenblick, Miß Harries!«
Ruth riß es herum. Jed Corner war aber nicht zu sehen; er mußte in die Blockhütte gegangen sein.
Es dauerte nur wenige Minuten, und er trat zu ihr hinaus. Lachend sahen sie seine grauen Augen an. Das war etwas so Neues für Ruth, daß sie ihm unwillkürlich atemlos anblickte.
Ein ihr neues, unbekanntes Gesicht vermeinte sie zu sehen.
»Hier, das mußte ich doch mitnehmen!« lachend hielt er ihr seinen Sattel entgegen. »Nun bin ich aber fertig, bis auf Mary.«
»Mary?« fragte sie mißtrauisch.
»Ja, Mary,« nickte er. Ein Schelm sprang in seinen Augen auf, ernsthaft sagte er: »Mary ist die einzige Frau, die ich liebe, und die mir, seitdem ich sie erzogen habe, nicht mehr widerspricht. Die muß natürlich mit, Miß Harries, ohne sie reite ich nicht auf die Ranch.«
Ungläubig sah ihn Ruth an.
»Bitte!« sagte sie kurz.
Er lachte hell auf; trotzdem es hübsch klang, ärgerte sich Ruth. Sie erschrak, denn er stieß plötzlich einen gellenden Pfiff aus. Gleich darauf hörte sie Hufgetrappel, und die Rotfuchsstute, welche Ruth so gern geritten hätte, kam auf die kleine Lichtung zu.
»Miß Harries, darf ich vorstellen: Miß Mary.«
Auf einmal, sich irgendwie erlöst fühlend, stimmte Ruth in sein Lachen ein.
»Wo steht Ihr Pferd, Miß Harries?« fragte Jed, während er Mary spielend den schweren Sattel überwarf.
»Dort!« Ruth wies mit der Hand in eine unbestimmte Richtung. Dann schritt sie ihm voran.
Unterwegs überlegte Ruth, daß sie ihn wohl nun von Helens Anwesenheit unterrichten müsse. Eher, als sie gedacht, sah sie ihr Pferd; von Helen aber war keine Spur zu sehen; sie war sicher sofort wieder heimwärts geritten. Dankbar lächelte Ruth. Wer würde dem burschikosen Mädel so viel Zartgefühl zutrauen. Ruth fühlte, wie Helen ihr immer mehr ans Herz wuchs.
Jed zog den Sattel von Ruths Pferd nach.
»Kein besonders guter Gaul, den Sie reiten, Miß Harries! Er schlägt!« meinte er. »Kommen Sie, reiten Sie Mary.«
»Nein,« wehrte Ruth lachend ab, »das habe ich einmal probiert, sie mag mich nicht.«
»Wenn ich dabei bin, ist es etwas anderes.« Er klopfte Marys Hals, dann hielt er Ruth seine Hand hin, die sich, ihm vertrauend, auf Mary heben ließ. Mary stand mucksmäuschenstill, nicht ein einzigesmal revoltierte sie heute.
Der leichte, fast schwebende Gang der Stute war für Ruth eine große Erleichterung nach dem langen Ritt.
Nie hätte Ruth geglaubt, daß Jed Corner so lebhaft sein konnte. Er erzählte ihr die Geschichte der hiesigen Gegend und erklärte ihr vieles, was ihr noch fremd erschien, und wonach sie, angeregt durch ihn, fragte. Die Zeit entflog ihnen. Es dunkelte schon, als Ruth plötzlich ihr Pferd anhielt.
»Um Gottes willen,« rief sie, »ich vergaß ja ganz den Sheriff!«
»Was ist mit ihm?« forschte Jed.
Nur stockend brachte Ruth heraus: »Sheriff Landert sucht Sie doch, Mr. Corner.«
»Fürchten Sie für mich?«
Fest sah Ruth in seine grauen Augen; er hatte sich vornüber seinen Sattel zu ihr gebeugt und sah sie forschend an.
»Ja!« antwortete sie einfach der Wahrheit gemäß.
Sie hörte sein schweres Atmen neben sich.
»Ich danke Ihnen, Miß Harries! – Sie sind die erste Frau nach meiner Mutter, die für mich fürchtet.« Nach einer kleinen Pause fuhr er fort: »Aber Sie brauchen sich um mich kaum Sorgen zu machen. Ich werde mich Sheriff Landert sofort stellen.«
Ruth wagte nicht, ihm zu widersprechen. Sie fühlte ein unbegrenztes Zutrauen zu ihm. Er würde stets das tun, was richtig war.
»Halt!« Er griff in die Zügel ihres Pferdes.
»Verspüren Sie gar nichts, Miß Harries?«
»Doch!« Ruth sah ihn lachend an. »Hunger!«
»Sehen Sie!« Jed lachte auf, was Ruth so hübsch fand, daß sie gewünscht hätte, es recht oft zu vernehmen. »Es wird spät werden, ehe wir nach Hause kommen,« überlegte er.
»Nach Hause!« Ruth klang das Wort auf einmal vertraut. Es kam so selbstverständlich über seine Lippen, daß Ruth fühlte, was ihm dieses ›Nach Hause‹ bedeutete.
Tränen traten in ihre Augen, als sie daran dachte, daß er beinahe ihretwegen die Heimat verloren hätte. Sie wünschte ihm ein gutes, liebes Wort zu sagen, aber sie getraute sich nicht.
In diesen Stunden mit Jed war sie nicht die weltkundige und gewandte Lady; sie war ein junges Mädchen, wie alle, die sich gern der Führung und dem Willen des Mannes unterwarf. Sogar mit einem selten empfundenen Genuß tat es Ruth, sie fühlte sich glücklich, nicht für sich denken und sorgen zu brauchen.
»Wir sind am Quellfluß des Silberbaches, Miß Harries. – Wollen wir hier Rast machen? Es wird vielleicht doch sonst zu viel für Euch,« meinte er besorgt.
Seine Fürsorge tat ihr wohl.
»Wie Sie wollen, Jed Corner!« antwortete Ruth.
Es klang leise und sanft von ihr, daß er ihr einen verstohlenen Blick zuwarf.
›Jed Corner‹! wie hübsch das aus ihrem Munde klang, dachte er sinnend.
Als er vom Pferde sprang, lächelte er ein wenig ironisch über sich selbst. Er war in eine merkwürdige Stimmung hineingerissen worden.
Das versuchte er auch Ruth zu erklären, während sie ihr einfaches Essen einnahmen, welches er zubereitete. In seiner Satteltasche hatte er stets ein wenig Proviant bei sich.
Ruth hatte sich in einer wohltuenden Müdigkeit zurückgelehnt, sie hielt ihre Augen geschlossen und genoß den Augenblick, hier fremd in einer ihr unbekannten Gegend, von zerklüftetem Gebirge umgeben, an einem murmelnden Bach zu liegen. Nichts vernahm sie als das Grasen der Pferde und das Wehen des Windes. Sie öffnete auch nicht die Augen, als Jed zu sprechen begann. Seine Stimme störte sie nicht, sie paßte in diesen Rahmen hinein.
»Miß Harries, Sie können nie ermessen, was mir die Ranch bedeutet, weil Sie Ihren Onkel nicht gekannt haben.
Menschen wie Oliver Jolivet trifft man nur einmal im Leben. Er verstand es, jeden auf seine Art zu nehmen, und alle hingen an ihm und waren durch ihn zufrieden. Wenn man täglich ein Vorbild wie Oliver Jolivet vor Augen hat, konnte man nicht anders sein als gut und willig. Ich verdanke ihm viel, sehr viel, denn ich weiß nicht, was ohne Oliver Jolivet aus mir geworden wäre. Er lehrte mich die Welt und die Menschen mit anderen Augen ansehen.
So erging es auch den Jungen, und Ihnen habe ich es zu verdanken, wenn mir die Jungen nicht aus der Hand gehen und sie weiter solide und tüchtige Menschen bleiben.
Ich versprach den Jungen, mich ihrer anzunehmen, aber ich zergrübelte mir noch vergeblich den Kopf, wie ich mein Versprechen halten sollte. Nun bin ich froh und glücklich, denn ich glaube, die Boys werden bei mir bleiben.
Hätte ich sie verpflanzen müssen, wer weiß, ob es mir gelungen wäre. Keiner ist schlecht von ihnen, und es wäre für jeden einzelnen von ihnen schade gewesen, wenn er nicht den richtigen Weg mehr gefunden hätte.
Ich kenne die Ranch und weiß, was ihr nottut. Ich liebe die Ranch, und nur, was man liebt, kann gelingen.
Wenn Ihr mir Euer Vertrauen schenkt, will ich für Euch arbeiten, als wäret Ihr Oliver Jolivet.«
Schon lange nicht mehr wußte Jed, ob ihm Ruth zuhörte; sie hielt noch immer die Augen geschlossen und verharrte regungslos. Er hatte zuletzt auch mehr zu sich als für sie gesprochen. So zuckte er zusammen, als Ruth plötzlich antwortete: »Ich habe unbegrenztes Vertrauen zu Euch. Bedingungslos würde ich heute alles, was ich besitze, Euch anvertrauen.«
Ruth wußte nicht, was sie zwang, so zu sprechen; nur das eine wußte sie: so und nicht anders war es.
Schweigen herrschte darauf zwischen ihnen; nur ab und zu streifte Ruth ein Blick von Jed, der ihre ganze Gestalt umfaßte.
Viel später erhob er sich, um den Pferden die Sättel aufzulegen, die er ihnen vorhin abgenommen hatte. Es war dunkel, als Ruth die Augen aufschlug, sie wußte nicht, ob sie geschlafen oder nur mit geschlossenen Augen geträumt hatte.
Sie fühlte sich völlig ausgeruht und freute sich auf den nächtlichen Ritt, der für sie etwas Neues war.
Als sie aufsaßen, erfaßte Jed Marys Zügel. Es war Ruth kaum möglich, etwas zu erkennen, ihre Augen waren nicht gewohnt, in der Dunkelheit zu sehen.
Plötzlich, sie waren schon eine Strecke geritten, unterbrach Ruth das Schweigen und begann, von sich zu erzählen. Sie konnte nur Jeds Schatten sehen; so war es ihr, als spräche sie in die Nacht hinein und gäbe sich selbst Rechenschaft über ihr Leben.
So hörte er von ihr, wie sie bisher gelebt, und was sie gefühlt hatte, seitdem sie hier weilte. Erst stockend, dann immer flüssiger, sprach sie. Sie machte auch keinen Hehl daraus, daß sie eine große Voreingenommenheit gegen ihn gehabt hatte, daß sie sich jetzt aber die größten Vorwürfe über ihr Handeln mache.
Mit keinem Wort unterbrach Jed sie; er fühlte, sie müßte sich einmal alles vom Herzen herunterreden, um dann von neuem beginnen zu können. Ruth schwieg, als sie auf der Hochebene anlangten und Jed ihr die Zügel zurückgab. Sie warf einen Blick zurück zu dem Felsengebirge, das sie hinter sich gelassen hatten, und hinter welchem der Mond mit rötlichem Schein auftauchte. Nie mehr würde sie diese Schluchten und Cañons vergessen, durch die sie der nächtliche Ritt geführt hatte. Jede Stelle des Weges, den sie geritten waren, liebte sie.
Mit keiner Bewegung störte sie Jed. Als sie sich wieder ihm zuwandte, nickte er ihr kameradschaftlich zu. Fast bedauerte Ruth, daß sich der Ritt seinem Ende näherte; sie hätte ewig mit Jed reiten mögen, eine größere Geborgenheit meinte sie nie gefühlt zu haben.
Auch in Jed stieg ein Bedauern auf, daß die Zweisamkeit gleich ein Ende nehmen würde.
Er hatte sich dabei ertappt, daß er zuhörte, wie sie von ihrem früheren Leben sprach, als wolle er etwas von ihr lernen, um sie verstehen zu können.
Er fühlte, daß Ruth die Notwendigkeit einsah, ihr Denken von manchen entstellenden Fesseln und Begriffen zu befreien, um hier leben zu können. Eine andere Welt eröffnete sich ihm. Noch nie hatte er sich näher mit einer Frau und deren Einstellung und Gefühlen dem Leben gegenüber beschäftigt. Respekt und angeborene Höflichkeit hatte er für Frauen übrig, aber weiter nichts.
Mit Schrecken ertappte er sich bei dem Gedanken, daß er am liebsten Ruth auf sein Pferd gerissen hätte, und mit ihr davongaloppiert wäre bis ans Ende der Welt.
Dieses ihm unbekannte aber so stark empfundene Gefühl war so neu für ihn, daß er erschrak. Dann wollte er es mit einem Lachen abtun.
Jed wußte nicht, daß er laut gelacht hatte, er merkte es erst, als Ruth mit einem Ruck den Kopf zu ihm hin drehte und ihn erstaunt ansah.
»Lachte ich?« fragte er, verlegen werdend.
Sie antwortete mit einem Kopfnicken.
»Wissen Sie, was ich eben wollte?« Tollheit überkam ihn. »Ich hatte Lust, Sie zu entführen, zu glauben und Sie fühlen zu lassen, wir wären allein auf der Welt – nur Sie und ich.«
Eine Glutwelle schoß in Ruths Herz. Sie erstarrte bei seinen leidenschaftlich herausgestoßenen Worten. Sie staunte, daß sie ihm nicht böse sein konnte.
»Dort sehe ich schon die Ranch!« sagte sie schnell und deutete auf Gebäude, die jetzt aus dem Dunkel der Nacht auftauchten. Ruth war dankbar, ein unterbrechendes Thema gefunden zu haben; ihre Blicke mieden ihn. Als sie der Ranch näher kamen, sahen sie, daß noch alles hell erleuchtet war.
Bei ihrem Eintritt in den Hof traten ihnen Menschen entgegen. Es waren die Cowboys, von denen sich noch keiner zur Ruhe begeben hatte.
»Miß Harries?« rief ihnen Travell fragend entgegen.
Ruth antwortete sogleich.
»Wir hatten Sorge um Euch, aber Miß Helen Meßter war hier und sagte uns, wir brauchten uns nicht um Euch zu bangen. Ihr würdet gut nach Hause kommen.«
Dankbarkeit erfüllte Ruths Herz bei seinen Worten, heute sorgten sich schon ihre Leute um sie; jetzt vielleicht noch aus Pflicht, eines Tages hoffte sie, daß es aus gegenseitigem Vertrauen und Liebe geschehen würde.
In diesem Augenblick erkannte Travell Jed Corner. Ein Jubellaut rang sich von seinen Lippen.
»Jungen!« rief er überlaut, »unser Boß ist wieder da!«
Er drängte sich zu Jed. Wie der Blitz waren Ruth und Jed von den Boys umzingelt.
»Guten Abend, Jungen,« rief Jed lachend. »Ich bin, wie Ihr seht, reumütig zurückgekehrt. Miß Harries braucht uns, wollt ihr bleiben und Miß Harries in Treue dienen?«
Keiner der Boys besann sich; ein einmütiges »Ja« war die Antwort.
»Na, dann ist ja alles wieder in schönster Ordnung!« meinte Jed trocken. Man hörte ihm aber an, wie erleichtert er war. Als sie von ihren Pferden sprangen, streckten sich ihnen alle Hände entgegen. Ruth mußte ihre kleine, zarte Hand von den harten, kräftigen Fäusten der Männer drücken lassen. Ohne mit der Wimper zu zucken, tat sie es, und nur lachende und freundliche Gesichter umgaben sie. Im Augenblick wäre jeder der Boys für sie unbedenklich durchs Feuer gegangen, das sprach auch aus ihren Augen. Mit einem erhobenen und dankbaren Gefühl ging Ruth an Jeds Seite dem Ranch-Hause zu.
Angelockt von dem lauten Treiben standen Lew Forest und Dr. Britton, den Ruth über alles, was sie in den letzten Stunden erlebt, vergessen hatte, vor dem Hause.
Der kurzsichtige Dr. Britton musterte Jed erst einen Augenblick, ehe er ihn kannte. Mit strahlendem Gesicht wandte er sich darauf an Ruth: »Nun kann ich ja morgen beruhigt wieder abfahren!«
»Wieso? Hatte Euer Besuch denn mit Jed Corner zu tun?« fragte Ruth erstaunt.
»Ja, Miß Harries!« erwiderte Dr. Britton ernst. »Mit Jed Corner und Jolivets Testament,« setzte er so leise hinzu, daß es nur Ruth vernahm. »Ich nehme doch an, daß Jed Corner nun hier bleibt?« fragte er.
»Ja, Dr. Britton!« antwortete ihm Ruth, dabei überlegte sie seine Worte.
Was mochte das Testament ihres Onkels mit Jed Corner zu tun haben? Sie grübelte noch darüber nach, als sie den Männern in das Haus folgte. Sie rief sich ihre erste Unterredung mit Dr. Britton ins Gedächtnis zurück.
Da hatte er wohl Andeutungen gemacht über einen unvorhergesehenen Fall, der ihm gebot, das zweite Testament sofort und nicht erst in einem halben Jahr zu öffnen. Sollte dieser Anlaß durch Jeds Verlassen der Ranch gegeben worden sein? Umsonst wartete Ruth, daß sich Dr. Britton darüber äußern würde. Aber er schwieg; da sah auch sie keine Veranlassung, in ihn zu dringen.
Immer wieder suchte ihr Blick heimlich Jed Corner. Heute saß er bei ihr, neben Dr. Britton und Lew Forest, dessen Gesicht Ruth zum ersten Male in einen Schein von Freude getaucht sah, was ihn unendlich verschönte.
In einer wohligen Trägheit hörte Ruth dem Gespräch der Männer zu. Errötend wandte sie stets ihre Augen fort, wenn Jeds suchender Blick sie traf. Sie hatte seine leidenschaftlichen Worte nicht vergessen; und noch jetzt fühlte sie ein Beben, wenn sie sich den Klang seiner Stimme ins Gedächtnis zurückrief. Heimlich forschte sie in seinem ernsten, ruhigen Gesicht nach dem Mann, der ihr mit größter Offenheit so Ungeheures, wie ihr schien, gesagt hatte. –
Es war spät in der Nacht, als sie sich trennten.
In dem Wohnhaus der Cowboys fand Jed Corner, den Lew Forest begleitete, noch alle auf. Sie setzten sich zu den Männern, und heute fühlte Jed, daß er seine letzten Jahre nicht umsonst gelebt hatte. So viel aufrichtige Freude und Zutrauen strahlte ihm aus den Augen seiner Jungen entgegen, die froh waren und es auch zeigten, daß sie ihren alten Boß wieder in ihrer Mitte hatten. Besonders, da einige ältere und besonnenere Leute unter ihnen nicht genug Corners Tat, sie von Unbesonnenheit abgehalten zu haben, rühmen konnten. Keiner fand heute seine Schlafstelle, und als der Morgen anbrach, da ging alles wie früher einmütig an die Arbeit, als wären nicht Tage stürmischer Ereignisse über die Ranch hinweggegangen.