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Einunddreißigstes Kapitel: Fräulein!

Lotte ging ruhig ihren Weg weiter und tat ihre Arbeit in einer anspruchslosen Art, die sich nie mit etwas zeigen wollte, oder nach Lob geizte. Sie hatte es bald heraus: die Hauptsache war, daß sie immer und für jedermann da war, daß sie nie sagte: »Ich habe keine Zeit« oder »ich kann das nicht«. Sie sagte vielmehr gewöhnlich: »Ich will es versuchen,« bei allem, was auch oft unerwartet an sie herantrat. Und es gab recht viele kleine Überraschungen dieser Art; das war nicht zu leugnen.

Einmal hatte sie Gudrun zur Tanzstunde frisiert, als diese zu spät von der Eisbahn gekommen war und nun daran verzagte, noch rechtzeitig mit dem Anzug fertig zu werden. Fräulein hatte alles gemacht, und die junge Tanzstundendame sah an diesem Abend besonders gut aus; sie gestand auch selber gnädig zu: »Es war eine wahre Wohltat, daß beim Tanzen das Haar so fest saß; alle meine Freundinnen hatten wieder ihre Not damit. Erst soll es immer recht locker gesteckt sein, weil es sonst unkleidsam ist – aber wenn es sich dann so schnell löst, ist es zum Verzweifeln, und die Tanzmütter schelten!«

»Sie scheinen Talent zum Frisieren zu haben,« sagte auch Frau Konsul. »Es wäre sehr freundlich, wenn Sie sich auch meiner einmal annehmen wollten. Mein Mann ist schon lange nicht mehr zufrieden mit meiner Haartracht, aber wenn die Friseuse darüber kommt, wird mir angst und bange; die macht oft einen ganz anderen Menschen aus einem.«

»Ich will es gern versuchen,« sagte Lotte bereitwillig. »Soll ich gleich?«

»Das wäre reizend, Fräulein. Wir sind zum Abend ausgebeten; da sollte man nicht erst im letzten Augenblick den Versuch machen – wenn es dann nicht gelingt – oder zu unbequem sitzt!«

Es gelang aber. Lotte hatte einen sicheren Geschmack und eine leichte, geschickte Hand; Frau Ohlstedt lächelte ihrem Spiegelbilde bald sehr befriedigt zu.

»Und so wenig Haare ausgekämmt, Fräulein,« lobte sie noch. »Das ist es ja, was die Kinder auch gleich heraus hatten: ›sie zieht und reißt einen gar nicht!‹«

Lotte freute sich und dachte nicht weiter darüber nach, ob es ihr zukam, daß sie ihre Dame frisierte, oder ob das eine unberechtigte Forderung sei. Ach was, Forderung! Frau Ohlstedt hatte ja nur einen kleinen freundlichen Vorschlag gemacht.

Daß sich dieser nun recht häufig wiederholte und die Dame des Hauses es schließlich höchst bequem fand, in dem Fräulein eine so geschickte Kammerjungfer zur Hand zu haben – das, ja das war nun einmal so gekommen, dachte Lotte. Sie sträubte sich auch nicht, wenn die Knaben mit ihren neuen »Selbstbindern« nicht zurechtkommen konnten und annahmen, daß Fräulein natürlich den Pfiff gleich rausfinden würde. Daß man immer heile Handschuhe hatte, dafür sorgte sie ja auch, und das war einfach wundervoll, versicherten Harald und Georges. Die Fürsorge des Fräuleins nach dieser Richtung hätte sich Gudrun auch gar zu gern zunutze gemacht, aber das litt Frau Konsul nicht.

Bild

Frau Ohlstedt lächelte ihrem Spiegelbild sehr befriedigt zu.

»Hier haben Sie nur durch gutes Beispiel zu wirken, Fräulein, nicht durch Fertigmachen, was ja viel bequemer wäre. Erinnern Sie nur, bitte, meine Tochter öfter, daß sie zur rechten Zeit ihre Sachen nachsieht, und daß Schrank und Kommode immer in gutem Zustande sind! Alle acht Tage aufräumen – das ist nicht das Rechte! Die Ordnung muß gar nicht gestört, das Aufräumen gar nicht nötig werden! Wie gesagt, ich verlasse mich auf Ihr Beispiel.«

Dies fand nun Lotte ziemlich schwierig, denn Fräulein Gudrun hatte bis jetzt recht wenig Ordnungsinn und behauptete, wie die meisten Backfische, für so etwas keine Zeit zu haben, mit so langweiligen Dingen sich nicht aufhalten zu können. Wagte Lotte da einmal die Bemerkung: man spare viel Zeit, wenn man jedes Stück stets gleich an den richtigen Platz lege, dann brauche man weder zu suchen noch aufzuräumen – da erwiderte Gudrun keck: »Ich kann unmöglich solch Tugendspiegel sein, wie Sie! Ich habe es auch nicht nötig; ich bin doch kein Fräulein!«

Dann geschah es wohl, daß Lotte im stillen diese Bezeichnung verwünschte und dachte: »Wäre man nur mal wieder einfach Lotte Matersen, statt ewig dies wesenlose Fräulein!«

Daß gerade Gudrun Ohlstedt, die nun fast Sechzehnjährige, ihr so wenig freundlich gesinnt war, bedauerte Lotte am meisten; das hätte doch so ein nettes freundschaftliches Verhältnis sein können, so nahe, wie sie sich im Alter standen, und so viel gleiche Interessen, wie sie im Grunde hatten! Denn nun, da Lotte ihre eigenen Studien hatte aufgeben müssen, merkte sie erst recht, wie gern sie eigentlich gelernt hatte, und Gudrun, die ebenfalls eine gute, strebsame Schülerin war, fand es im stillen auch gar nicht zu verachten, daß im Hause immer jemand zur Hand war, der erst kürzlich all dieselben Fächer durchgemacht hatte, in denen man nun selber steckte. Ein Fräulein, das tatsächlich eine Menge wußte und auch im Französischen und Englischen eine viel bessere Aussprache hatte, als man von einer Kleinstädterin erwarten konnte! Ferner spielte es ja wirklich recht nett Klavier – –

Das alles erkannte Gudrun an, und tausend kleine Gefälligkeiten scheute sie sich nicht von Lotte anzunehmen; aber freundlich war sie doch nie zu ihr. Jene blieb immer nur das »Fräulein«.

Nun klagte Lotte einmal wirklich gegen Nelli: »Es ist hart, daß das einzige junge Mädchen, mit dem ich zusammenkomme, mich nicht mag oder wenigstens mich nicht neben sich gelten lassen will. Warum muß das so sein?«

Leonore seufzte.

»Ich finde es ja auch ganz verdreht. Aber traure du nicht um diese Gudrun Ohlstedt – nett war die nie, sondern immer schrecklich eingebildet.«

»Ja, ja, aber wie ich sagte, es ist das einzige junge Mädchen, und ich glaubte, weil sie doch noch Backfisch ist, würde es eher mit uns gehen. Die anderen, die fertigen jungen Damen beachten mich ja erst recht nicht. Deine Bäschen Alice und Edda kommen überhaupt nie hier ins Haus; denen ist wieder Gudrun zu jung. So habe ich es also immer mit Kindern oder älteren Leuten zu tun, und von den Alten ist nur deine Tante Fedders wirklich gut zu mir; die anderen fragen und sprechen so obenhin, daß ich immer denke, es ist ihnen völlig gleichgültig, ob und was ich antworte.«

Leonore war ganz still geworden, als Lotte sich zum ersten Male in dieser Weise aussprach und gleich hinterher schon wieder entschuldigend bat: »Mißverstehe mich auch nicht, Nell! Mir tut ja niemand was zuleide, und es ist gewiß immer bei fremden Leuten nicht viel anders. Man möchte nur einmal – ach, ich kann es ja nicht so sagen – man möchte einmal warm werden, auch mal von sich und den Seinen sprechen dürfen.«

Nelli streichelte die Freundin sanft und sagte plötzlich: »Weißt du, Lotte: du müßtest Tante Mathilde kennen lernen! Ich bringe dich einmal hin.«

»Tante Mathilde? Wer ist das?«

»Die Mutter von Vetter Albert. Hast du von der noch nicht gehört?«

»Nein. Aber zu der würde mich Frau Ohlstedt gewiß nicht gehen lassen; sie mag es gar nicht, wenn ich die jungen Herren ihres Familien- oder Gesellschaftskreises kennen lerne oder von ihnen beachtet werde.«

»Närrchen! Albert triffst du kaum je draußen bei seiner Mutter; der ist doch immer in Papas Kontor, und abends – na gleichviel, ich gehe doch einmal mit dir zu Tante Mathilde. Sie ist so reizend, so mütterlich und sanft – und höchst gebildet! Da kannst du einmal von anderen Dingen sprechen und brauchst nicht immer nur zu hören, was die anderen sich erzählen.«

Lotte blieb zwar dabei: »Ich weiß nicht, ob das gehen wird –« aber sie sah doch angeregt aus und bat, Nelli solle ihr noch etwas mehr von jener Tante erzählen.

»Sie ist die Witwe von Papas jüngstem Bruder, den ich kaum mehr kannte, so früh ist er gestorben. Er soll sehr begabt und sehr liebenswürdig gewesen sein, brachte es aber nicht weit im Leben, wohl, weil er von Natur zu wenig Kaufmann war. Ich hörte Papa wohl früher manchmal sagen: ›Wenn Albert ganz nach seinem Vater artete, würde ich ihm dringend abgeraten haben, Kaufmann zu werden. Nun steckt aber doch so manches in ihm, was ich in einem eigenen Sohn gern gesehen hätte; deshalb will ich ihn denn als solchen betrachten, soviel seine Mutter es erlaubt, und für seine Ausbildung tun alles, was nötig ist.‹ Das hat mein Papa auch gehalten, und –«

»Und die beiden gehen ja wirklich wunderhübsch miteinander um; ich habe jedesmal meine Freude daran, so selten ich sie zusammen sehe.«

»Freilich, Albert ist ja auch ein guter Junge! Na, und seine Mutter sollst du sehen! Die ist ganz anders als die anderen Damen, die du hier kennst – keine Hamburgerin, sondern eine Gelehrtentochter aus dem Holsteinischen.«

Lottes Phantasie war sofort geschäftig, sich eine feine stille Frau zu malen, ganz anders als die eleganten großen Damen, die im Ohlstedtschen Hause verkehrten. Das nächste Mal, wenn sie einen Nachmittag bei Nelli verbringen durfte, würde dieser Besuch doch vielleicht zur Ausführung kommen. Heute saß ja Nelli bei ihr, in ihrem kleinen Zimmer, wo Lotte wie immer am Dienstag mit dem Nachsehen der Wäsche beschäftigt war, die am Tage vorher der Waschmann gebracht hatte.

Von Zeit zu Zeit ging sie in das Schrankzimmer, wo die mächtigen Körbe mit Weißzeug standen, und holte neuen Vorrat zum Ausbessern. Nelli konnte nun einmal beobachten, wie sorgsam die Freundin dabei zu Werke ging; sie übersah nicht den geringsten Schaden und hatte besonders auf fehlende Knöpfe ein scharfes Auge, »denn,« sagte sie lachend, »unsere Herren, vom Vater bis zum jüngsten Sohn, werden ja rein wild, wenn irgend etwas mit den Knöpfen nicht stimmt. Sogar Harald, mein kleiner Liebling, verklagte mich neulich: ›Fräulein, Sie haben mich beinahe erwürgt! Knopf und Knopfloch an meinem rotweißen Oberhemdchen können nicht zusammenstimmend Ich war ganz zerknirscht, denn das reizende Bürschchen ist sonst durchaus mein Getreuer. Schließlich kam es heraus, daß Sophie, das Kleinmädchen, die Geschichte mit den Knöpfchen verbrochen hatte; nun gebe ich diese Sachen gar nicht mehr aus den Händen.«

Mit wichtigem Ernst, eine kleine Falte in der klaren Stirn, hatte Lotte dies erzählt, wobei sie unausgesetzt die Finger rührte, so daß Nelli ganz gerührt zusah. Zwischendurch kam dann auch Harald gesprungen und wollte etwas Französisches wissen, was ihm bereitwillig erklärt wurde; Georges brachte einen Aufsatz, den Fräulein nachzusehen versprochen hatte.

»Es hat aber noch Zeit,« sagte er höflich bei Nellis Anblick, und diese lobte ihn dafür.

»Gut ist nur,« sagte sie dann, als sie wieder allein waren, »daß deine beiden kleinen Trabanten dir heute nicht beständig am Rock hängen. Wo sind denn Dagmar und Sigrid eigentlich?«

»In einer Kindergesellschaft,« sagte Lotte, »und ich muß daran denken, daß es Zeit wird, sie abzuholen.«

»Ah, ein Wink mit dem Zaunpfahl für mich,« scherzte Nelli, »ich gehe dann übrigens so weit mit dir. Wo mußt du sie holen?«

»Fräulein,« klang jetzt Gudruns Stimme im Kommen durch das Nebenzimmer, »können Sie mir jetzt bald bei meiner Mathematikaufgabe helfen? Ach so, Sie haben noch immer Besuch!«

»Ja, noch immer, du höfliche Deern,« rief Nelli laut, »ich gehe aber schon, allerdings mit Lotte.«

»Oh, entschuldige, Elinor,« sagte Gudrun übellaunig, »ich hatte dich vorhin nicht gesehen; ich glaubte, du wärst längst fort.«

»Nun, du siehst, ich habe eben mehr Zeit, als meine liebe Freundin. Na, und nun willst du sie noch zur Mathematik haben? Kannst du mit dieser verflixten Wissenschaft auch nicht zurechtkommen? Im Vertrauen gesagt, ich konnte es ebenfalls nie! Lotte ist uns allen über.«

»Fräulein muß es doch auch können,« sagte Gudrun spitz, und Lotte wurde rot, während Nelli ein scharfes Wort unterdrückte.

Sie nahm nur die feine Serviette auf, an der Lotte zuletzt gestopft hatte, und sagte bewundernd: »Damaststopfen kannst du auch?«

»Es gehört zu den Vorarbeiten zum Handarbeitsexamen,« erwiderte Lotte einfach und legte ihre Arbeit zusammen, um sich für den Ausgang fertig zu machen.

Als die jungen Mädchen dann so nebeneinander durch die hellen, belebten Straßen schritten, sagte Leonore: »Wie lange ist es her, da wurde ich selbst noch vom Fräulein oder von Mademoiselle abgeholt! Tante Pine schickte mir auch jetzt noch am liebsten immer jemand nach; aber du – wer beschützt dich?«

»Oh, ich gehe gern allein,« versicherte Lotte. »Aber einmal mit dir zu sein, ist allerdings sehr gemütlich.«

»Es wird nicht mehr oft geschehen,« sagte Nelli ernsthaft. »Nächste Woche muß Papa nach Karlsbad, und ich reise mit. Zur Nachkur wollen wir dann nach Grünweide. Könntest du da nicht einmal Ferien machen und auch hinkommen?«

»Ich glaube nicht,« versetzte Lotte, »wenn Hermann noch diesen Sommer Hochzeit macht, will ich doch dann längeren Urlaub erbitten.«

»Ach ja, natürlich!«

»Ich möchte gern mit Mutter nach Lindenholm und einrichten helfen.«

»Ei, da möchte ich dabei sein! Weißt du wohl noch – damals, wie wir das Schulhäuschen einrichteten?«

»Und so neugierig waren auf die Lehrerin?«

»Wie wir am liebsten ihren Geburtsschein gesehen hätten, weil wir fürchteten, sie möchte nicht so jung sein, wie wir wünschten?«

»Und nun, was ist diese fremde Lehrerin für uns alle geworden!«


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