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Dreizehntes Kapitel

Geburtstag der Kaiserin. – Die Antillen. – Barbados. – Die Stadt und Umgebung. – Ein Anoli. – Trinidad. – Port of Spain. – Kirchgang. – Die Stadt. – Schwarze Aasgeier. – Stürme. – Unkultur und Zivilisation. – Die Hindus. – Bunte Trachten. – Ausflüge. – Ein Coqui. – Ein Brief in die Heimat. – In der Kadettenmesse. – Festkonzert. – Die Crew-Zeitung. – Die »Bluttat« im Zwischendeck. – Allerlei Kadettenhumor. – Die Menagerie im Kleiderspind. – Kadettenleben früherer Zeit. – Wasserstehlen.


Um zu zeigen, in welch harmloser Weise sich unsere Leute an Land vergnügen, wie sie bestrebt sind, Kenntnisse zu sammeln, wie ihre Liebe zur Natur, zur Pflanzen- und Tierwelt sich allenthalben äußert, entnehmen wir folgende Stelle aus dem Tagebuche des Maschinisten-Maaten Seydel:

»Der 22. Oktober brachte den Geburtstag Ihrer Majestät der Kaiserin, der wie ein Sonntag gehalten wurde. Für mich mit der ganzen Wache gestaltete sich derselbe in folgender Weise: Um 6 Uhr aufstehen, 7 Uhr Frühstück, dann bis 9 Uhr Aufsicht beim Putzen des Oberlichts und der Messing-Grätings; darauf Umziehen, des Festtags halber im weißen Parade-Anzug, und divisionsweise ›achter raus‹. Hierauf folgte der Gottesdienst mit feierlicher Ansprache des Marinepfarrers über die Bedeutung des Tages. Nach Tische hatte ich Dampfwache von 12 bis 4 Uhr, von da bis 6 Uhr freie Zeit. Hierauf Abendbrot: Wiener Würstchen, natürlich Konserven, mit Sauerkraut und dem üblichen Festgetränk, einer Rotwein-Bowle.

Nach zwanzigtägiger Fahrt langten wir am 7. November glücklich vor Barbados an, einer der bevölkertsten und wichtigsten der kleinen Antillen, welche eine bogenförmige, von Portoriko bis zum südamerikanischen Festlande sich hinziehende Inselgruppe bilden. Barbados, eine der vielen englischen Kolonien, ist 430 Quadratkilometer groß und hat rund 180 000 Einwohner, unter denen etwa 20 000 Weiße sind, die fast ausschließlich ihren Wohnsitz in Bridgetown, der Hauptstadt der Insel, haben. Obwohl die Berge derselben, unter denen der höchste der Mount Hillougwy mit nur 335 Meter Höhe ist, meist dürr und nackt sind, bot sich uns bei der Einfahrt im Hafen um 10 Uhr morgens, dennoch ein schöner Anblick dar, weil die Vegetation nach der Ebene zu üppiger wird. Das Klima auf Barbados ist nicht gesund; häufig herrscht das gelbe Fieber, und die Weißen dort vermeiden es ängstlich, sich in der heißen Jahreszeit den sengenden Sonnenstrahlen auszusetzen. Alle körperlichen Arbeiten werden daher nur von den Schwarzen getan; der Ackerbau ist ganz bedeutend, und es wird außer anderen tropischen Pflanzen vor allem Zuckerrohr angebaut. So trifft man denn auch sehr viele Zuckerfabriken und Faktoreien auf dieser und den anderen Antillen.

In den drei Tagen, die wir uns hier aufhielten, war ich leider nur zweimal an Land. Am Hafen standen hier wie anderswo schon Mulatten bereit, die in aufdringlicher Weise ihre Dienste als Fremdenführer anboten. Ich hatte mir schon im Laufe der Zeit das abwehrende › Non perçise‹, ›ich brauche dich nicht‹ oder, wenn das nicht half, ein barsches › Vatimbora‹, ›geh weg‹, oder › Calla buco‹, ›halt's Maul‹, angeeignet. Meine Kameraden und ich ließen uns denn auch von einem solchen ›Lehmann‹ wie wir ihn getauft hatten, zu einem Ausflug ins Schlepptau nehmen. Mit dem Führer konnten wir uns in seiner Landessprache, der englischen, verständigen. Er führte uns an der Post, einem altehrwürdigen Gebäude von Granit, mit Uhrturm verziert, der Haltestelle der Maulesel-Bahn, die dem Strande parallel läuft, an dem Straßenbahn- und Feuerwehr-Depot und der Kaserne der englischen Kolonialtruppen vorüber, nach dem Marine-Hotel, einem großen, dreiflügeligen Steingebäude. Mit der Straßenbahn wieder zur Stadt zurückgekehrt, besuchten wir den stattlichen Beckwith-Platz, welcher ein Denkmal aufzuweisen hat, passierten eine ganz einzig schöne Allee von Palmen, die wie griechische Säulen mit herrlichen Kapitälen sich darstellten, und kamen über den Trafalgar-Square aus die Hauptstraße von Bridgetown, die Broad-Street. Hier hatten wir Gelegenheit, recht hübsche Sachen zu erstehen: präparierte Schildkröten, kleine Krokodile und Haifische, Stöcke aus dem Rückgrat des Haies gemacht, Haifischgebisse, deren einige so groß waren, daß ein Mann bequem durchkriechen konnte, und anderes.

Später sahen wir auch den Bahnhof, von dem aus man die Insel durchqueren kann, bogen jedoch links ab, um ein Flüßchen zu überschreiten und dann in eine hübsche Villen-Allee zu gelangen, in der uns viele Engländer in eleganten Wägelchen, sowie Radler und Radlerinnen begegneten. Vor einem ganz urplötzlich hereinbrechenden Platzregen suchten wir auf einer Veranda einer der am Wege liegenden Villen Schutz und waren so indiskret, durch die Fenster derselben in die mit Schaukelstühlen, Palmengruppen und Statuen in komfortabler Weise ausgestatteten Gemächer einen Blick zu werfen.

Nach dieser Promenade, die mehrere Stunden in Anspruch genommen hatte, trafen wir im Hotel ›Phönix‹ mit zwei anderen Kameraden zusammen. Wir stillten unseren Hunger mit Schinken und Eiern, löschten unseren Durst mit Whisky, mit Soda, Limonade auf Eis und mit Kola. Dies ist ein limonadenähnliches Getränk von schwach rötlicher Farbe, hergestellt aus der Kola-Nuß, der Frucht der Cola acuminata, welche auf den Antillen vielfach angebaut wird. Die Kola enthält 2 Prozent Coffeïn und steht, ihrer belebenden und schlafverscheuchenden Wirkung halber, bei den Negerstämmen in hohem Ansehen. Den Europäern dient sie vor allem zur Verbesserung des Trinkwassers. Dieser Abend im Hotel ›Phönix‹ dehnte sich bis zum Schlüsse unserer Urlaubszeit, elf Uhr, aus, und ward zu einem recht vergnügten und genußreichen Zusammensein.

Bei einem am nächsten Tage in ähnlicher Weise unternommenen Ausfluge machte ich die Bekanntschaft eines, das Strauchwerk an unserem Wege belebenden Tierchens. Es stellte sich dieses als eine Art flinker Eidechse dar, von welchen eine zu erhaschen mir nach einiger Mühe gelang. Das Tier, ein Leguan, der hier auf den Antillen »Anoli« genannt wird, zeichnet sich durch seine Lebendigkeit, Zutunlichkeit und durch besondere Geschicklichkeit in der Jagd auf Mücken, Schmetterlinge und Käfer, sowie durch ein lebhaftes Farbenspiel aus, welches es in fast noch höherem Grade als das Chamäleon besitzt. Als ich den Anoli gefangen hatte, sperrte er sein Mäulchen auf und ich konnte in Ruhe – da ich ihn im Genick festhielt, konnte er mich nicht beißen – das Gebiß bewundern, welches vorn am Kiefer einfache, spitzige, weiter hinten dagegen scharfe, zusammengedrückte, an der Spitze dreizackige, Zähne auswies und jederseits durch eine Reihe kleiner, spitzkegliger Gaumenzähne unterstützt wurde. Merkwürdig erschien mir ein Beutel, den das Tier an der Kehle hat, ähnlich, wie der Frosch ihn zeigt, wenn er quakt. Wenn es ihn aufbläht – und das geschieht immer, wenn es irgendwie gereizt wird –, sieht es aus, als ob der Beutel vermittels eines Knochengerüstes, welches wie das Rückgrat eines Fisches geformt ist, aufgespreizt würde. Auch die langen Hinterbeine mit Saugflächen an den Zehen, und die fast springende Fortbewegungsart des Anolis auf ebener Erde sowohl als im Gesträuch, erinnern lebhaft an den Frosch. Besonders lang ist der zarte Schwanz des Anoli, während die Beschuppung aus außerordentlich kleinen Schildchen besteht.

In Bridgetown wurden die Kohlenvorräte erneuert, und noch am Vormittag des 10. November lichteten wir Anker und dampften durch das Karaibische Meer. Die azurblauen Fluten desselben wurden allmählich, je mehr wir uns Trinidad näherten, durch das schmutzig-grüne Wasser des Orinoko, welcher einige Seitenarme nach der großen Bai vor Port of Spain entsendet, verdunkelt, eine Erscheinung, die wir schon auf der Fahrt von Rio de Janeiro nach Barbados zirka auf dem 8. Grad nördlicher Breite und 50. Grad westlicher Länge, durch den daselbst eintretenden Amazonenstrom, wahrgenommen hatten.

Um ein Uhr nachmittags ankerten wir am 11. November vor Port of Spain, der Hauptstadt Trinidads, nachdem wir die engere der beiden Einfahrten, welche noch durch einen mitten im Fahrwasser liegenden Felsen beeinträchtigt wird, passiert hatten. Kaum hatten wir geankert, so umgaben uns die Boote der Händler, Bananen, Apfelsinen und allerlei Erzeugnisse der Hausindustrie der Eingeborenen feilbietend. Ich erstand ein niedliches Uhrtäschchen nebst Halskette und Armbändern, von den Kernen der Früchte des Affen- oder Johannesbrotbaumes hergestellt, und einige Blumenzweige, höchst zierlich aus Fischschuppen und Silberdraht gearbeitet. Farbige Jungens in kleinen Böten umkreisten die »Moltke«, und wir machten uns den Spaß, kleine Münzen ins Meer zu werfen; blitzschnell tauchten die Burschen danach unter und fingen dieselben unter Wasser auf, noch ehe sie tiefer sanken, steckten sie in den Mund, um die Arme zum Schwimmen frei zu haben, und kamen schnell wieder herauf, neuen Fanges gewärtig.

Trinidad ist die südlichste und größte der kleinen Antillen und durch tropische Vegetation, die sich der von Südamerika nähert, ausgezeichnet. Angebaut werden hauptsächlich Zuckerrohr, daneben auch Kaffee, Baumwolle, Tabak, Kakao. Die Wälder liefern rote Zedern, die als Schiffsbauholz Verwendung finden, und andere Nutzhölzer, während die schlanke, graziöse Kokospalme in den Gärten angebaut wird. Auch in der Tierwelt findet man die den Tropen eigenen Formen vertreten. Das Klima, durch Seewinde gekühlt, ist hier weniger mörderisch.

Port of Spain ist die Hauptstadt der den Engländern gehörenden Insel, liegt am Golf von Paria und hat einen durch drei Forts verteidigten Hafen. Auf der dem Lande zugekehrten Seite ist die Stadt rundum von Bergen eingeschlossen, an deren Abhängen sie sich hinanzieht, einen recht malerischen Anblick gewährend.

Am Sonntagmorgen schickte mich der erste Offizier mit achtzehn katholischen Kameraden zum Kirchgang. Wir wohnten einem Hochamt bei, das durch eine französische Predigt, von einem Missionar gehalten, unterbrochen ward. Ein bebrillter Mulatte, der mir einen schulmeisterartigen Eindruck machte, gab mir diese und jene Auskunft. Meine Andacht wurde, wie überall in den Tropen, durch einen eigentümlichen Umstand gestört. Sämtliche anwesende Damen nämlich, schwarze sowohl als auch weiße, wehten sich mit großen und kleinen Fächern Kühlung zu. Diese fortwährende fieberhafte Bewegung des Fächers, dies Schwirren und Wedeln, läßt eine Andacht kaum aufkommen, besonders bei dem Deutschen nicht, der gewöhnt ist, seine Gebete bei vollkommener Ruhe im Gotteshause zu sprechen. Hier heißt es eben, wie oft schon, ›ländlich – schändlich‹, und schließlich gewöhnt man sich auch daran. Die Damenwelt, die der Eingeborenen nämlich, muß man sich nicht etwa schwarz vorstellen. Der Mulatte selbst ist nur von einem dunklen Braun, etwa wie poliertes Nußbaumholz. Die meisten der Damen aber stammen von Mestizen und Kreolen, Mischungen der weißen Rasse mit den Mulatten, und sind nur bräunlich angehaucht, von einem Teint, wie man ihn bei recht brünetten Damen unserer Zone auch finden kann. Im Gegensatz zu diesen fand ich die Engländerinnen übertrieben weiß; durch starkes Auflegen von Puder suchen sie jedenfalls ihre Haut gegen die Strahlen der sengenden Sonne zu schützen.

Als Verkehrsmittel sind in der Stadt, neben Mauleseln und von solchen gezogenen Cabs, elektrische Bahn und Mauleselbahn vorhanden. Als Kutscher und Lenker figurieren nur Farbige. Port of Spain ist ein sehr freundlicher Ort mit breiten Straßen, in denen ein buntes internationales Leben herrscht. Hier, wie auf allen westindischen Inseln, trifft man auf den Straßen überall die schwarzen Aasgeier an, jene für die Tropen so überaus nützlichen Tiere. Wie bei uns zur Winterszeit die Raben und Krähen auf den Chausseen umherhüpfen und ihre Nahrung suchen, so laufen und fliegen jene hier überall, fast zahm wie Hühner, umher, die Straße von den Abfällen reinigend, auch das Widerwärtigste nicht verschmähend.

Daß man durchgehends nur leichtgebaute Holzhäuser hier, wie auf allen westindischen Inseln antrifft, hat seinen Grund darin, daß Westindien fast alljährlich von schrecklichen Wirbelstürmen heimgesucht wird. Daher denn auch die leichten Holzhäuser zumeist auf steinernen Kellern errichtet sind, in welche sich die Bewohner beim Herannahen des Sturmes flüchten und deren eiserne Falltüren über sich schließen. Nach Aufhören des Sturmes finden sie dann das Haus weggeblasen und setzen ein neues an dessen Stelle. Selbst die wenigen steinernen Häuser werden zuweilen vom Sturme eingerissen und ihre Trümmer kilometerweit weggeführt; wie es bei dem Sturm, der am 11. September 1898 hauste, der besonders auf den Inseln Barbadoes und Trinidad großen Schaden angerichtet hat, der Fall war. Fast alle Schiffe, die sich an jenem Tage in den dortigen Gewässern befanden, sollen gescheitert und hunderte von Menschenleben zu beklagen gewesen sein. Kurze Zeit vor unserer Ankunft hier, am 7. August 1899, waren die kleinen Antillen wieder von einem entsetzlichen Sturme heimgesucht worden, der aber diesmal hauptsächlich Montserrat, Antigua, Nevis und St. Kitts betroffen hatte. Viele Zuckerfaktoreien sind zerstört, viele Menschen durch abgerissene Platten von Eisenblech, entwurzelte Bäume und andere Wurfgeschosse, die der Orkan mit sich führte, erschlagen worden. Besonders leid tat es mir, von der Zerstörung von St. Kitts zu hören, wo ich bei meiner letzten Anwesenheit auf den Antillen einige sehr angenehme Stunden bei einem Missionar aus den Rheinlanden verlebt hatte. Der gute Herr ließ es sich nicht nehmen, uns das Beste vorzusetzen, was er hatte, unter anderm auch Bier, von dem hier eine halbe Literflasche mindestens 7 bis 9 Pence, d. i. 75 Pfennige, kostet; darum ist eine so freigebige Gastfreundschaft um so anerkennenswerter. Nachher führte uns unser Gastfreund zu einem Banianen-Baum von riesigen Dimensionen, mit einer unzähligen Menge von Luftwurzeln, die fast wieder bis zur Erde herabreichten, in dessen Schatten die ganze Besatzung der »Moltke« Platz gefunden hätte. Und gerade dieser schöne Baum, welcher eine Berühmtheit des Ortes bildete, ist, wie ich hörte, durch jenen Orkan nebst vielen anderen herrlichen Tropengewächsen entwurzelt worden.

Eigentümlich muß in Port of Spain jeden, der dorthin kommt, die Mischung von Unkultur und Zivilisation berühren. Hier die Landhäusern ähnlichen Bauten, die mit den dazwischen verstreuten Palmen und Gärten einen dorfähnlichen Eindruck erwecken, dort die Hütten der Eingeborenen, die kleinen erbärmlichen Lehmkaten gleichen, gegen die unsere Dorfhäuser einfachsten Kalibers wahre Paläste zu nennen sind. Drinnen in der Stadt durch alle Straßen telegraphische und telephonische Leitungen, elektrisches Licht, elektrische Bahn und die mit Mauleseln bespannten Tramways, gleich draußen wieder die Wildnis ohne Weg und Steg. Hier die mit raffinierter Eleganz gekleideten Engländerinnen und die aufgeputzten Farbigen, daneben der fast unbekleidete Mulatte und der dürftig aussehende Hindu aus Indien! Überall bemerkt man die sprungweise Entwicklung dieser von der Natur so reich bevorzugten Inseln. Die Hindus haben hier ihre eigene Kolonie und beschäftigen sich vielfach mit Verfertigung von silbernen Schmucksachen, von denen ich aus Silberdraht hergestellte Broschen und Krawattennadeln in zierlichen Formen erstand. Die Männer tragen ein eigenartiges Kostüm, bestehend aus einem kurzen Hemd, unter dem ein beinkleidartiges Bekleidungsstück, welches durch Umschlagen eines Leinwandstückes konstruiert ist, hervorsieht. Als Kopfbedeckung dient ihnen eine Art Turban, und sie stützen sich meist auf einen langen geraden Bambusstab. Ihre Hautfarbe ist dunkel rotbraun und glänzend. Die männlichen Erwachsenen tragen zumeist einen kleinen Schnurrbart, vereinzelt auch einen Vollbart, der aber nur einen dünnen Haarwuchs aufweist. Alle fast, die ich sah, waren von schwächlicher Gestalt und schienen mir recht bedauernswert. Man sah es ihnen an, daß Hunger und Entbehrung von früher Jugend an sie aus der übervölkerten Heimat vertrieben haben. Da die einheimische Negerrasse nach ihrer Emanzipation immer träger und daher für den Ackerbau und die Industrie immer unbrauchbarer wurde, begünstigte die britische Regierung die Einwanderung der fleißigen und genügsamen Hindus aus Ostindien. Vor unserer Landung hier war ein Transport von 600 Köpfen dieser armen Menschen auf einem Segelschiff angekommen, das von Kalkutta aus vier Wochen unterwegs gewesen war. Die Frauen haben eine meist sehr malerische Tracht. Farbige oder weiße, glatte oder gemusterte Röcke werden gern getragen. Der Kopf zeigt einen eigentümlichen Haarschmuck, bestehend aus einem spangenartigen, die Stirn umgebenden Perlenband. Am Hinterkopf fällt ein seidenes farbiges Tuch, gleich einem Schleier, hernieder, unter dem das volle dunkelwellige Haar hervorfließt. Reicher Schmuck von Ketten, Perlen und Spangen umgibt den Hals und die Arme, geht am Unterarm fast bis zum Ellenbogen hinauf, nach Art der ›Freundschaftsbänder‹ unserer Damen, bis zu 25 einzelnen Ringen, und setzt sich über dem Ellenbogen, oft noch etwa eine Hand breit, fort. Große Ohrringe, zuweilen auch ein Reif von feinem Golddraht durch die Nase gezogen, vollenden das Phantastische des Anzuges.

Am Nachmittag desselben Sonntags unternahmen wir zu vieren einen Ausflug nach dem englischen Gouvernementspark, in dessen Mitte sich das schloßähnliche Domizil des englischen Gouverneurs erhebt. Obgleich eine Tramway dahin führt, zogen wir es vor, den schönen Weg durch die sauber gepflegten Straßen der Stadt, das Villenviertel und die daran anschließenden Ländereien, meist saftig grüne, eingezäunte Weideplätze, auf denen wohlgenährtes Vieh und mutige Pferde sich tummelten, zu Fuße zurückzulegen. Eine üppige Vegetation umfing uns in dem Park, Gouvernements-Grounds genannt; riesenhafte Araukarien, prächtige Bosketts, Stauden und Palmen aller Arten machten den Aufenthalt daselbst zu einem großen Genuß. Hinter dem Gouvernementshause steigt ein kleiner Hügel an, den wir auf schmalen, gut gepflegten Serpentinwegen erstiegen. Oben lud uns ein Pavillon zum Ausruhen ein, und wir genossen von da einen wundervollen Ausblick. Von 4½ Uhr an lauschten wir unten im Park einem Konzert der englischen Militär-Kapelle, welchem die vornehme Welt von Port of Spain, teils promenierend, teils in eleganten Wagen haltend, beiwohnte. Die englische weibliche Jugend ließ ihre blonden Mähnen im Winde flattern und würzte die schöne, schon kühler werdende Abendluft mit allerlei Parfüms, deren Gebrauch in Westindien außerordentlich stark sein muß, denn ganze Duftwellen umgaben oft jene Schönen. Auf dem Rückwege von dort, auf dem uns unzählige Glühwürmchen und Feuerfliegen leuchteten, durchschritten wir die ›Paseo‹, eine prächtige, breite, von alten Bäumen eingefaßte Promenade, über die man zur katholischen Kirche gelangt, und endigten im Eis-Hause, auch ›Family-Hotel‹ genannt, das beste Hotel der Stadt, an der Nordstreet gelegen, wo uns ein Abendbrot erquickte. Die Verpflegung war in Port of Spain durchweg lobenswert. Man bekam gutes und reichliches Essen für sein Geld, natürlich in englischer Manier zubereitet; allerdings kostete die Portion 2 Schilling, also über 2 Mark. Kühlende Limonaden, à 4 Pence, Bier, deutsches Pilsener sowohl als amerikanisches Ritzenzi, für 9 Pence den [3/10] Liter, so daß also unser ›Schnitt‹ hier ungefähr 75 Pfennig kostet. Freilich erhält man alles vom Eis und mit einem Eisstück im Glas.

Wir trafen im Eis-Haus auch einen deutschen Missionar, der uns erzählte, daß er seit dreizehn Jahren bereits hier und in der Zwischenzeit nur einmal sechs Monate in Deutschland gewesen sei. Es seien nur wenige deutsche Geistliche hier, und er bereise eine ganze Anzahl der Inseln. Das Deutschsprechen schien ihm schon etwas schwer zu fallen, denn er suchte oft nach Ausdrücken und brachte viele englische Worte in seine Rede. Mit einem herzlichen Lebewohl und seinem Zuruf ›glückliche Fahrt‹ trennten wir uns von dem liebenswürdigen Herrn, um uns an Bord zu begeben.

Im Hafen hatten wir indes Gesellschaft bekommen. S. M. Schulschiff »Nixe« war, von La Guayra kommend, eingelaufen, und wir hatten andern Tags das Vergnügen, die Kameraden an Bord begrüßen zu können. Noch einen zweiten, recht interessanten Ausflug machte ich mit einigen Kameraden. Als Führer diente uns diesmal ein ziemlich geweckter Nigger, mit dem wir uns sehr gut verständigen konnten. Wir bestiegen einen hinter der Stadt gelegenen Hügel, und er nannte uns die Namen aller der Palmenarten, die sich auf dem Wege dahin unserem Blicke boten, und die der meisten exotischen Blüten, deren bunte Kelche uns zu Häupten und zur Seite, sanft von kühler Seeluft gewiegt, zunickten. Auch Kakao- und Affenbrotbäume, Bananenstauden und Zuckerrohr, allerhand Ziersträucher und Stauden lernte ich hier kennen. An einer der Hütten, die der Regenzeit wegen auf etwa drei bis vier Fuß hohen Pfählen errichtet sind, von Brettern gebaut, mit Schilf gedeckt und mit jalousieartigen Fensteröffnungen versehen, belauschten wir einige Leutchen, die zu einer Guitarre ein Trio sangen. Unser Führer wollte uns noch ein Stück höher hinauf geleiten und wir hätten ihm auch nur zu gern Folge geleistet, wenn wir nicht die so zeitig anbrechende Dunkelheit gefürchtet hätten. In den Tropen gibt es keine Dämmerung; früh um 6 Uhr ist es hell, abends um 6 Uhr tritt fast sofort Dunkelheit ein. So begnügten wir uns damit, von einer Lichtung aus einen herrlichen Anblick zu genießen über den Tropenwald, die Stadt und die See, die vergoldet vom Abendrot zu unseren Füßen lag. Sanft schaukelten sich die vielen Segelschiffe im Hafen auf dem Wasserspiegel, ab und zu ein Orinoko-Dampfer unter ihnen, da ja Trinidad, der nördlichen Ostküste von Venezuela gegenüber, am Ausfluß des Orinoko liegt. Fast schon am Horizont grüßte die gute alte »Moltke« mit ihren tadellos gebraßten Raaen herüber.

Der Abstieg, zu dem uns die anbrechende Dunkelheit nun doch veranlaßte, obwohl wir uns kaum von dem herrlichen Bilde trennen konnten, ging dann schnell von statten. Ich pflückte mir dabei einen großen Strauß der exotischen Blumen, um sie zu trocknen. In den Zweigen wurden Töne hörbar, die wir uns nicht erklären konnten, ähnlich dem Klagen eines jungen Hundes, mit schnalzenden Lauten untermischt. Unser Neger erklärte uns, daß diese eigentümlichen Töne von dem hier überall auf den Antillen unter dem Namen »Coqui« bekannten Laubfrosch herrühren. Bei meiner Vorliebe für zoologische Studien mußte ich diesen Fall näher untersuchen; es gelang uns mit wenig Mühe, einige dieser Tierchen zu fangen. Der Coqui ist ein unscheinbares Fröschlein von nur 5 Zentimeter Länge, grauer Grundfärbung und mannigfaltiger Zeichnung auf derselben, aus braunen Flecken und Streifen bestehend. So trägt er zum Beispiel einen großen braunen Fleck auf dem Hinterkopf, sowie einen solchen auf dem Rücken. Beide Flecken sind durch zwei gelblich-weiße Streifen begrenzt, die sich von der Nasenspitze aus, an Auge und Ohröffnung vorbei, bis zu den Hinterschenkeln hinziehen. Beine und Schenkel sind dagegen quergestreift, der Bauch ist weißlich. Es fiel uns auf, daß diese Tierchen, genau wie unsere Laubfrösche, die kleinen Haftscheiben an den Zehen und das bezahnte Pflugscharbein derselben besitzen. Unser Neger erzählte uns auch von dem sogenannten ›Pechsee‹ auf Trinidad, der eine asphaltartige Masse enthalten soll, die von den Schiffen als Handelsartikel ausgeführt wird.

Nachdem wir nach unserer Rückkehr in die Stadt einen kräftigen Imbiß eingenommen, besahen wir abends noch die großartige Feuerwehranlage, wobei uns der Ingenieur daselbst mit vielem Vergnügen seine Londoner Dampfspritze erklärte. Dieselbe war mit einer dreizylindrigen ›Plunger-Pumpe‹ ausgerüstet, trug vier Druckrohre, konnte in zehn Minuten Dampf auf haben und arbeitete mit acht Atmosphären. Man sieht also – ganz großstädtisch. Alles war sehr sauber und klar zum sofortigen Gebrauch.

Um 9 Uhr holte uns unsere Pinasse vom Hafen ab; um 10 Uhr waren wir wieder an Bord. Mein Blumenstrauß war verwelkt, trotz der nicht allzu großen Hitze, denn wir befanden uns hier am Ende der Regenzeit, des tropischen Winters, die von August bis Ende November anhält. Es regnete auch fast alle Tage ein wenig, aber nicht etwa wie bei uns in landregenähnlicher Weise, wo es ›Bindfaden druselt‹, sondern es fiel ab und an ein scharfer, gewitterartiger Guß nieder, nach dessen Vorüberrauschen wieder das herrlichste Wetter eintrat, um so schöner und angenehmer durch die stattgefundene Erfrischung.

Den letzten Tag im Hafen von Port of Spain hatte ich Tageswache und benützte dieselbe zum Schreiben an meine Lieben in der fernen Heimat. Dazu tönte von Deck das Spiel unserer Kapelle, und ein schöner deutscher Walzer nach dem anderen sandte seine herzigen Melodien zu mir herunter, so daß mir wieder einmal ganz sehnsüchtig zu Mute ward nach unserem lieben Deutschland, seinen Sitten, Gebräuchen und – last not least – seinen Gerichten an Mutters Tische!

Am 14. November gegen 5 Uhr nachmittags verließen wir den Hafen von Port of Spain, diesmal durch die weitere Durchfahrt, den Kurs auf La Guayra haltend.« –

Wir aber wollen jetzt einmal einen Besuch in der Kadettenmesse machen.

Wir kommen heute gerade zurecht, denn in der Kadettenmesse ist große Festvorstellung. Es findet ein Konzert statt.

Die Musik dient sehr zur Erheiterung der Mitglieder der Kadettenmesse. Erstens ist ein Messeklavier da, das die gröbsten Mißhandlungen erträgt und sich dann doch immer wieder willig stimmen läßt. Außer dem Klavier aber sind noch vorhanden: zwei Violinen, zwei Mandolinen, eine Guitarre, eine Flöte, eine Ocarina (bekanntlich eine Art Pfeife aus Ton). Aus zwei eisernen Nägeln läßt sich leicht auch ein Triangel herstellen, und wenn dann vom Koch aus der Kombüse noch zwei große blecherne Topfdeckel geborgt werden, gibt es ein Orchester, das – wenn es sein muß – einen fürchterlichen Skandal erzeugen kann.

Unter den jungen Leuten befinden sich aber gewöhnlich einer oder mehrere, welche eine besondere Veranlagung für das Dichten haben. Alle Ereignisse an Bord werden angedichtet, sowohl die traurigen wie die fröhlichen, heimlich und öffentlich. Ja, in manchen Kadettenmessen erscheint sogar wöchentlich eine geschriebene Zeitung, zu welcher ein jeder Beiträge liefern muß, die von einer besonderen Redaktionskommission geprüft werden. Die Zeitung ist gewöhnlich Crewgeheimnis, denn sie beschäftigt sich auch mit den Schwächen der Vorgesetzten, selbst des Kommandanten, und davon darf natürlich nichts in die Öffentlichkeit dringen. Auch manche Lieder werden nur im Flüstertöne und halblaut gesungen, wenn sie nicht für die Ohren der Vorgesetzten bestimmt sind. Aber selbst wenn die Offiziere etwas hören sollten, so sind sie fast ausnahmslos verständig genug, nichts zu merken – Kadetten müssen sich eben austoben.

Für das heutige Konzert ist eine neue Nummer angekündigt. Nachdem das Orchester genug gerast hat, gibt es ein Lied mit Klavierbegleitung, das mit den Worten anhebt:

»Habt ihr gehört von der blutigen Tat,
Die sich jüngst zugetragen hat? ...«

Das Lied, das nach einer bekannten Melodie gesungen wird, ruft Stürme des Beifalls hervor. Es handelt sich auch um eine sehr drollige Sache.

Die Kadetten waren zeitig schlafen gegangen, weil sie in der Nacht vorher mehrmals aufgepfiffen worden waren. Einer von ihnen hatte sich noch eine halbe Flasche roten Madeiraweins mit in die Hängematte geschmuggelt, wohl um vor dem Einschlafen noch einen kräftigen Schluck zu nehmen, das hatte aber einer seiner Kameraden bemerkt, hatte ihm die Flasche stibitzt und sie unter das eigene Kopfkissen in seiner Hängematte gesteckt. Er freute sich über den Schabernack, den er dem Kameraden gespielt hatte, beachtete aber nicht, daß der Korken nur lose auf der Flasche steckte. Als sich der Kadett in seiner Hängematte zurecht legte und das Kopfkissen hin und her schob, ging der Korken heraus und der Wein floß in seine Hängematte hinein.

Als bald darauf die Runde unter den Hängematten der Kadetten hindurch ging, herrschte Totenstille im Zwischendeck. Einem der Deckoffiziere aber fiel aus der Hängematte ein nasser Tropfen auf die Hand.

»Was ist denn das?« rief er, und hielt die Hand an die Laterne. Als er den roten Tropfen sah, rief er: »Blut!« und der erste Offizier, welcher sah, daß das Blut aus der Hängematte trippte, rief:

»Da hat sich einer den Hals abgeschnitten!«

Die Flüssigkeit, die aus der Hängematte tropfte, war aber nicht Blut, sondern roter Madeirawein. Der Inhaber der Hängematte stellte sich zwar schlafend, wurde aber sehr unsanft geweckt. Nachdem entdeckt war, daß er gegen die Schiffsordnung eine Flasche Wein in seine Hängematte mitgenommen hatte, hauchte ihn der erste Offizier fürchterlich an und sagte, er werde ihn dem Kommandanten melden.

Am nächsten Tage ließ der Kommandant den Kadetten zu sich kommen und machte ihm Vorhaltungen darüber, daß er ein Trinker sei.

»Sie sollten sich schämen, als ein so junger Mensch nicht ohne Flasche schlafen zu können. Wenn Sie es so weiter machen, werden Sie ein Trunkenbold werden, der für den Marinedienst unfähig ist. Ich kenne Ihre Eltern und weiß, was das für anständige Leute sind. Wie würden die sich wohl grämen, wenn sie eine derartige Nachricht über Sie erhalten würden!«

»Herr Kapitän,« erlaubte sich der Kadett zu entgegnen, »ich bin kein Trinker. Es hat sich um einen Schabernack gehandelt, den wir Kadetten gemacht haben, die Flasche war nicht mein Eigentum.«

»Und wem hat sie denn gehört?«

»Ich bitte den Herrn Kapitän, mir zu gestatten, keinen Namen zu nennen. Ich kann meinen Kameraden doch nicht denunzieren. Aber ich versichere Sie, Herr Kapitän, es befindet sich unter uns kein Trinker, es handelte sich nur um einen Scherz.«

»So seid ihr!« sagte der Kommandant, »nichts wie Dummheiten. Morgen stehen sämtliche Kadetten von sechs bis sieben Uhr abends mit den Hängematten an Deck. Damit will ich die Geschichte als erledigt betrachten.«

Eine ernste Folge hatte die Sache doch, indem von jetzt ab des Abends, bald hier, bald dort in einzelnen Hängematten der Kadetten sorgfältige Nachsuchungen gehalten wurden.

Unbändige Heiterkeit aber rief bei den Kadetten der Umstand hervor, daß der erste Offizier geglaubt hatte, es habe einer von ihnen sich den Hals abgeschnitten! Dazu lag nun ganz und gar keine Veranlassung vor, im Gegenteil, es gab wohl in der ganzen Welt nichts Lebenslustigeres, als die Kadetten auf S. M. Schulschiff »Moltke«. Natürlich mußte die blutige Tat in Verse gebracht werden, und nun wurde sie vorgetragen, und den Refrain sang die ganze Kadettenmesse mit.

Nach dem Liede wurde ein Bild gezeigt, auf welchem ein zeichenkundiger Kadett den »Selbstmord im Zwischendeck« ebenfalls zu einer humoristischen Darstellung verwendet hatte. Die porträtähnlichen Personen auf dem Bilde waren aber so karikiert, daß wahrscheinlich der erste Offizier sehr ungemütlich geworden wäre, hätte er das Bild gesehen.

Den Humor verlieren die Kadetten eben niemals, wenn der Dienst auch die schwersten Anforderungen an sie stellt. Sie haben das glückliche Vorrecht der Jugend, alles, auch die ernstesten Sachen, von der heiteren Seite zu nehmen. Die älteren Seeoffiziere behaupten sogar, es sei den Kadetten von heute leichter gemacht, stets lustig zu sein, als den Seekadetten früherer Zeit. So schreibt z. B. Rathol:

»Die zu unserer Bequemlichkeit auf der »Niobe« getroffenen Vorkehrungen waren gleich Null. Jetzt haben es die jungen Herren gut. Wie Fürsten leben sie, haben Wasch- und Ankleideräume, Unterrichts-, Schlaf- und Eßzimmer. Bei uns vertrat dies alles ein kleiner Raum, in dem wir zusammengepfercht leben mußten. Früh am Morgen wurden die Hängematten dort gezurrt. Von der Luft, die herrschte, will ich nicht sprechen! Aber das Atmen gewöhnte man sich schon besser ab. – Die Tische wurden aufgeklappt und es erschienen eiserne Waschschalen, etwa von der Größe der Finkennäpfchen in Vogelbauern, in denen man seine Reinigung besorgen mußte. Das Wasser war ein seltener Artikel; Destillier-Vorrichtungen gab's nicht, und so wurde den Kadetten für den ganzen Tag zum Verbrauch eine Flasche Wasser zugeteilt.

Oft stahl man sich das köstliche Naß. Da gab es ein beliebtes Mittel, wenn man als Kadett der Wache in der Nacht den ablösenden Wachtoffizier zu wecken hatte. Leise schlich man sich in die Kammer des noch schlafenden Herrn hinein, tastete vorsichtig in der Dunkelheit nach der Wasserkaraffe, ein rascher Griff, ein herzhafter Schluck!

Weckte man hierbei den Offizier, so ›suchte‹ man nach den Zündhölzern. Hatte er aber einen gesunden Schlaf, so füllte man sich wohl auch noch die in der Brusttasche mitgebrachte Wasserflasche voll!

Wie gesagt, sind dies alles heute tempi passati. Die Seekadetten lächeln überlegen und ungläubig, wenn sie ältere Herren solche Geschichten erzählen hören.

Und doch, trotz aller Entbehrungen, wie urfidel und zufrieden waren wir. Der Humor ging uns nie aus. Ob wir bei schlechtem Wetter, arg seekrank, auf die Raaen beordert wurden, um dort oben, hoch in den Lüften schwebend, seefest zu werden, und ›Kette steckten‹ – d. h. unsere innersten Güter ans Tageslicht brachten – oder ob wir uns unseren Anteil Hartbrot vor dem Genuß ausklopften, um ihn von dem Ungeziefer zu reinigen, damit er uns nicht auf und davon lief!

Wie ungeheuer beschränkt war der Raum, der jedem Seekadetten zum Verstauen seiner Sachen zur Verfügung stand. Auch damit ist's heutzutage besser geworden, wenngleich auch jetzt noch größte Geschicklichkeit, Ordnung und Übung erforderlich sind, wenn der Betreffende seine Habseligkeiten einigermaßen bequem und handlich unterbringen will. Im allgemeinen steht dem Kadetten ein kleines Kleiderspind und vielleicht noch eine sogenannte Backskiste zur Verfügung. Hier sollte er früher seine gesamte Ausrüstung an Kleidern, Wäsche usw., seine Privatsachen für die Dauer von zwei Jahren bergen!

Nun, man packte eben z. B. ein Dutzend Oberhemden aufeinander, schnürte sie oben und unten mit einem Riemen ein und stampfte mit den Füßen darauf herum, bis es ein ganz kleines Packetchen ergab. – Und auf diese Weise erreichte man, daß in dem etwa 1½ Meter hohen und ½ Meter breiten und &#8531; Meter tiefen Spindchen außer der vorschriftsmäßigen Ausrüstung noch unendlich viele andere Dinge Platz fanden.

Wie mancher Seekadett hat schon monatelang in dem untersten Fach seines Kleiderspindes einen, auch mehrere Affen, im obersten einige Papageien beherbergt! – Gewöhnlich kehren die Schiffe aus den südlichen Gegenden noch im März, in der kalten Jahreszeit also, in die Heimat zurück, und dann sterben meist 99 Hundertteile der mitgebrachten Tiere.

Aber was nützt alles Reden. Erst durch Schaden wird man klug! Und in der Tat läßt sich auch der Reiz des ›Mitbringens‹ nicht ableugnen. Das Einkaufen bildet zudem die Lieblingsbeschäftigung im Ausland.«

Nachdem die »Moltke« auch noch einen Abstecher nach Venezuela gemacht hatte, nahm sie am 30. November ihren Kurs zu langer Segelfahrt auf St. Thomas.


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