Anzeige. Gutenberg Edition 16. 2. vermehrte und verbesserte Auflage. Alle Werke aus dem Projekt Gutenberg-DE. Mit zusätzlichen E-Books. Eine einmalige Bibliothek. +++ Information und Bestellung in unserem Shop +++
In der Offiziersmesse. – Messegelder. – Der Weinvorstand. – Mittagessen bei schlechtem Wetter. – Meldungen. – In der Offizierskammer. – Die Greuel der Verwüstung. – »Klar Schiff!« – »Enter-Divisionen auf das Oberdeck!« – Stets gefechtsbereit. – Der trotzige Franzose. – Wieder an der Hobelbank. – Die Seeschlange. – Wie Petersen sie sah. – Kraken oder Calmare. – Riesentiere der Vorwelt. – Der Schuß auf die Seeschlange.
Am 25. Juli verließ die »Moltke« den Hafen von Lissabon und nahm ihren Weg direkt nach Westen auf die Azoren-Inseln zu.
Während sich das Schiff mit gutem Winde durch die mäßig bewegte See in glatter Fahrt bewegt, wollen wir einmal einen Besuch in der Offiziersmesse machen. Mit der Einrichtung derselben sind wir bereits vertraut. Wir betreten die Offiziersmesse in dem Augenblick, in dem die Mitglieder derselben mit Ausnahme des Offiziers der Wache bei Tisch sitzen, um das Diner zu sich zu nehmen.
Dieses Diner findet um sechs Uhr statt, und die späte Zeit ist dadurch bedingt, daß es nur einen Küchenraum für den Kommandanten, die Offiziere, Kadetten und Deckoffiziere gibt. Wohl hat jede der Messen und der Kommandant einen eigenen Koch, aber die Küche ist gemeinsam. Es hat sich daher auf dem Schiffe die Praxis herausgebildet, daß der Kommandant um elf Uhr frühstückt, um drei Uhr sein Mittagessen und um sieben Uhr sein Abendbrot einnimmt. Die Offiziere frühstücken um elfeinhalb Uhr warm und essen abends um sechs Uhr zu Mittag. Die Deckoffiziere und Kadetten essen Mittag, um zwölf Uhr und erhalten abends um sechs Uhr Tee. Durch diese Einteilung hat jeder der Köche zu bestimmten Stunden die Küche vollkommen für sich. Nur wenn das Offiziersdiner stattfindet, brauchen die Köche der Deckoffiziere und Kadetten etwas Platz zum Teekochen oder wenigstens heißes Wasser, das ihnen indes ohne Störung der Küche gegeben werden kann.
Die Mitglieder der Offiziersmesse wählen gewöhnlich schon vor Antritt der Reise einen Messe- und einen Weinvorstand. Die Offiziere beziehen von der Regierung Tafelgelder, wenn sie sich an Bord befinden. Pro Offizier beträgt das Messegeld 4 Mark bis 4 Mark 50 Pfennig. Auf dieses Messegeld erhält die Offiziersmesse, bevor das Schiff den Hafen verläßt, einen größeren Vorschuß. Von diesem beschafft der Weinvorstand die nötigen Weinvorräte, nachdem er sorgfältige Proben angestellt hat, und bezahlt die an Bord gebrachten Weine. Während der Fahrt hat der Weinvorstand dafür zu sorgen, daß die Vorräte in den Hafenstädten wieder ergänzt werden, daß auch eventuell einmal, wenn günstige Bedingungen vorliegen, ein größerer Kauf in einer Hafenstadt abgeschlossen wird. Dann aber hat der Weinvorstand sein Augenmerk darauf zu richten, daß alle Rechnungen monatlich bezahlt werden.
Der Messevorstand hat Koch und Steward für die Offiziersmesse engagiert und von dem erhaltenen Vorschuß Küchenvorräte, insbesondere Konserven, eingekauft. Er bestimmt, was gekocht wird, und muß so haushälterisch wie möglich mit den zur Verfügung stehenden Mitteln umgehen. Der Messevorstand muß eine Ehre darein setzen, ein wohlschmeckendes, nahrhaftes, abwechselungsreiches und doch billiges Essen herzustellen, damit die Ausgaben nicht zu groß und die Offiziere nicht gezwungen werden, noch aus ihrer Tasche Zuschüsse zum Essen zu leisten.
Wie bereits erwähnt, ist das Essen und Trinken in den Offiziersmessen ganz gut und angenehm, wenn öfter Häfen angelaufen werden. Geht aber ein Schiff lange unter Segel, dann tritt Mangel an den besten Dingen ein und das Essen wird ebenso einförmig wie geschmacklos. Es gibt aber auch Tage, an denen das Essen ganz gut ist, und doch die Offiziere nichts davon haben, weil sie nicht imstande sind, das Essen zu genießen. Das sind die Tage, an denen schlechtes Wetter herrscht, hohe See und schwerer Sturm. Bei schlechtem Wetter ist so wie so ein Teil der Offiziere auf der Kommandobrücke. Aber selbst diejenigen Offiziere, die noch Gelegenheit haben, in der Messe sich an den Tisch zu setzen, um die Hauptmahlzeit des Tages einzunehmen, führen einen verzweifelten Kampf, sowohl mit den Eßgeräten, wie mit dem Essen selbst, in dem sie gewöhnlich nicht die Sieger bleiben. Zwar werden wollene Decken unter das Tafeltuch gelegt und ein Netzwerk von Latten und Leinen auf dem Tisch befestigt, um zu verhindern, daß Flaschen, Geschirr und Gläser weit rutschen können. Trotzdem spielen sich ganz unglaubliche Szenen ab, deren eine Admiral B. von Werner kurz, aber erschöpfend wie folgt schildert:
»An dem mit dem Schiffsdeck fest verschraubten, schweren und großen Tisch sitzen, die Knie gegen dessen untere Kante gepreßt, vierzehn Personen. Die balanzieren ihre eigenen Körper und ihre Teller, greifen hin und wieder auch nach einer rutschenden Schüssel, nach Flaschen und Gläsern, welche umfallen und, teilweise zerbrechend, ihren Inhalt über das Tischtuch ausschütten; sie greifen nach Messer, Löffel und Gabel, welche zu dem Nachbar wollen. Die Zubereitung der Speisen ist den Verhältnissen entsprechend schlecht und dies wirkt auch lähmend auf die sonst an dem Offizierstisch herrschende gute Laune. Mit diesen kleinen Unbequemlichkeiten sind die Leiden aber noch nicht erschöpft. Plötzlich und unerwartet, denn nach jahrelanger Übung kann man auch unten im Schiff fühlen, welche Bewegung es machen wird, trifft eine besonders ungünstig anlaufende See die Fregatte: ein Ruck – und alles Tafelgeschirr kommt in Bewegung. Saucen, Wein und Bier laufen über den Tisch; der Braten und die Kartoffeln, Flaschen und Gläser hüpfen in großen Sprüngen über die ausgespannten Latten und Leinen hinweg auf die an der Leeseite Sitzenden zu, welche sich dieses Angriffs nicht erwehren können, denn jeder sucht sich selbst und die ihm zunächst befindlichen Gegenstände festzuhalten. Noch ein weiterer Ruck mit einem sogenannten Schnepper – dies alles vollzieht sich mit Gedankenschnelle – und von oben dringt das Geräusch einer über das Schiff brechenden See nach unten; in der Messe rutschen die Stühle, ein allgemeines Poltern und Klingen folgt, und mit Ausnahme der einen an der Luvseite des Tisches sitzenden Person liegt die ganze Tischgesellschaft an der Leewand der Messe auf dem Fußboden zwischen Stühlen, Speiseresten, unbestimmbaren Flüssigkeiten, ganzem und zerbrochenem Porzellan- und Glasgeschirr und sonstigem Tafelgerät. Geradezu höhnend beleuchtet die Lampe von ihrem sicheren Aushängeort aus dieses Chaos. Lachend und fluchend entwirrt sich unter der Hilfeleistung der herbeigeeilten Dienerschaft der Knäuel wieder, und der Messevorstand überschlägt trüben Sinnes den der Messe verursachten Bruchschaden.«
Doch bei unserem Besuch in der Offiziersmesse herrscht draußen das schönste Wetter, und nur hin und wieder neigt sich der Tisch, wenn das Schiff überholt. Doch geschieht dies in regelmäßigen Zwischenräumen, und man ist daher auf die Bewegung stets gefaßt.
Gemütlich aber ist das Essen nicht, schon deshalb nicht, weil man sehr eng sitzt, dann aber auch durch die ununterbrochen einlaufenden Meldungen. Wenn man zum erstenmal Gast in einer Offiziersmesse ist, wird man nach kurzer Zeit von einer gewissen Nervosität befallen, weil die Messetür nicht einen Augenblick stillsteht. Insbesondere, wenn der erste Offizier bei Tische sitzt, hören die Meldungen nicht auf. Es kommen mindestens zwanzig Menschen während der Essenszeit, die ihm irgendwelche Meldungen machen oder von ihm Befehle zu empfangen haben. Auch die Offiziere, welche Musterungsdivisionen führen, erhalten Meldungen, und so herrscht ein fortwährendes Kommen und Gehen, so daß an ein ruhiges, behagliches Plaudern und Unterhalten gar nicht zu denken ist.
Aber auch wenn der Tisch abgeräumt wird, ist der Aufenthalt in der Offiziersmesse keineswegs ein behaglicher. Wie bereits erwähnt, muß jedes laute Sprechen, Singen und Pfeifen vermieden werden. Immerfort muß Rücksicht auf die anderen Mitglieder der Messe, auch auf die in unmittelbarer Nachbarschaft schlafenden oder beschäftigten Kameraden genommen werden.
Die Offiziersmesse, die sich auf den Schulschiffen meist im Batteriedeck befindet, empfängt ihr Licht nur von oben durch ein dachförmiges Oberlicht, das sich aus Deck befindet. Die beiden Längswände der Offiziersmesse haben außerhalb Offizierskammern. Jede Offizierskammer hat durch ein rundes Fenster, ein sogenanntes Ochsenauge, Licht von außen. Das mehrere Zentimeter starke Glas des Fensters befindet sich in einem Messingrahmen, der wasserdicht in die mit Messing gefütterte Öffnung der Bordwand sich einfügen und mit einer Schraube befestigen läßt. Die Wände zwischen den Offizierskammern und der Offiziersmesse sind unglaublich dünn. Wenn man bei unruhiger Bewegung des Schiffes stark mit der Schulter gegen die Wand fällt, bricht sie durch. Gewöhnlich befinden sich aber auch zwischen der Offiziersmesse und den Kammern der Offiziere in der Wand verstellbare Jalousien, um durch die Offizierskammern und deren Fenster hindurch auch die Offiziersmesse zu lüften. Man hört also jedes Geräusch aus den Offizierskammern in der Offiziersmesse und umgekehrt, und um nicht zu stören, müssen sich sowohl die Kammerinsassen, wie die Leute, die in der Offiziersmesse sitzen, der denkbar größten Rücksicht befleißigen. Wollen sich zwei Kameraden etwas erzählen, was nicht jeder hören soll, so müssen sie schon irgendeine einsame Stelle aus dem Oberdeck aufsuchen, um sich dort auszusprechen. Die Offizierskammern, die rechts und links von der Offiziersmesse liegen, gelten als die besten und werden daher von den rangältesten Offizieren besetzt.
Sehen wir uns das Innere einer solchen Offizierskammer aber einmal näher an. Natürlich ist jede Offizierskammer eng, nach den Begriffen des Binnenländers sogar fabelhaft eng. Den Hauptraum nimmt die Koje, also die Bettstatt des Offiziers, und ein an der Wand befestigter Schrank ein, welcher ein Mittelding von Kleiderschrank, Wäscheschrank, Schreibsekretär und Kommode ist. Er hat eine herausziehbare Platte, auf der man schreiben kann, er hat Fächer, Schubladen und an der einen Seite noch eine senkrechte Abteilung zum Aufhängen von Kleidern. In manchen Fällen hat sich der Offizier auf Privatkosten einen Deckel für seine Koje beschafft. Auf diesen legt er dann Polster und macht sich so für den Tag eine Art Sofa zurecht. Ein einziger Stuhl und ein sehr kleiner Tisch, der gewöhnlich unter dem Fenster steht, ein paar festgezurrte große Reisekoffer, aus dem Schrank, unter dem Tisch und unmittelbar neben der Koje stehend, sowie ein kleiner, schmaler, primitiver Waschtisch bilden die ganze Einrichtung. Nach seinem Geschmack stattet sich der Offizier die Kammer noch, so weit Raum an den Wänden vorhanden ist, mit Bildern der Angehörigen, mit Waffen und Reise-Erinnerungen aus.
Die ganze Kammer ist so eng, daß man sich kaum bewegen kann, und doch müssen außer den bezeichneten Gegenständen auch noch verschiedene Paar Stiefel, das Ölzeug usw. Platz finden. Immerhin hat der Offizier einen Raum, in den er sich wenigstens auf Stunden zurückziehen kann, um hier allein zu sein. Hier kann er ein Buch lesen, hier kann er auch eine Zigarre rauchen, denn das Rauchen ist den Offizieren in den Kammern, in der Messe, im Batteriedeck und auf dem Oberdeck gestattet, auf dem Achterdeck aber nur mit besonderer Erlaubnis des Kommandanten.
Wie der Offizier im Dienst gezwungen ist, beständig sich in gewisser Spannung und Aufmerksamkeit zu befinden, Augen und Ohren stets offen zu halten, so muß er auch in seiner Kammer jeden Augenblick an alle möglichen Eventualitäten denken. Hat er eine Schublade oder eine Tür geöffnet, so muß er sie sofort wieder sorgfältig verschließen, denn er weiß ja nicht, ob nicht, während er an Deck oder im Dienst ist, schlechtes Wetter heraufkommt und das Schiff in lebhafte Bewegung bringt. Fängt das Schiff an zu schlingern und zu stampfen, so fliegen sämtliche unverschlossene Schubladen mitsamt dem Inhalt aus den Möbeln auf die Erde, Tisch und Stuhl stürzen um, womöglich ergießt sich der wässerige Inhalt des Waschtisches über die am Boden liegenden Gegenstände, und was von Glas und Holz ist, geht in Trümmer. Manche Offizierskammer bietet nach einem Sturm ein geradezu trauriges Bild der Verwüstung dar, an dem gewöhnlich der Bursche allerdings die Hauptschuld trägt, weil er während des Sturmes nicht daran dachte, einmal in der Kammer nachzusehen. In vielen Fällen aber ist der Kammer-Inhaber selber schuld daran, weil er seine Schubladen nicht verschloß oder weil er zerbrechliche Gegenstände aufstellte, ohne an die Möglichkeit der starken Schiffsbewegung zu denken.
Die sorgsamste Hausfrau, der geschickteste Kaufmann, der das Einpacken von Sachen zu überwachen hat, würden doch verzweifeln, wenn ihnen die Aufgabe gestellt würde, die vielen Uniformen, die ein Seeoffizier mit sich führt, sowie die riesigen Wäschevorräte in den zur Verfügung stehenden Möbelstücken und Koffern unterzubringen, und zwar so, daß sie unbeschädigt und brauchbar bleiben. Und doch bringt jeder Offizier dieses Kunststück fertig, allerdings nur infolge der langjährigen Übung und der Praxis, die er sich schon während seiner Kadettenzeit angeeignet hat.
Drei Tage sind seit der Abfahrt von Lissabon verflossen. Es ist gegen zehn Uhr vormittags und die Mannschaften sind beim Geschütz- und Waffenputzen.
Der Kommandant kommt aus seiner Kajüte durch das Batteriedeck und steigt zum Oberdeck empor. Er begibt sich auf die Kommandobrücke und nimmt hier die Meldung des wachhabenden Offiziers entgegen, der mitteilt, wieviel Segel stehen, wie viel Knoten das Schiff läuft und welchen Kurs dasselbe steuert.
Der Kommandant dankt dem Offizier für seine Meldung und ruft dann von der Kommandobrücke herunter:
»Hornist der Wache!« Der Matrose mit dem Signalhorn in der Hand ruft sein »Hier, Herr Kapitän!« und erhält einen Auftrag des Schiffskommandanten. Im nächsten Augenblick setzt er das Horn an den Mund und entlockt ihm langgezogene, gellende Töne.
Eine Art Schreckenslähmung geht durch das ganze Schiff, dann rasselt die Trommel im Batteriedeck und eine andere im Zwischendeck, die Bootsmanns-Pfeifen schrillen und von allen Seiten tönt der Ruf:
»Klar Schiff!«
Wenige Sekunden später verwandelt sich die Besatzung des Schiffes in einen wild durcheinander laufenden, hastenden, springenden, sich schiebenden und stoßenden Menschenhaufen. Treppauf und treppab jagen die Leute, in die Wanten entern sie hinauf. Bauten im Innern des Schiffes werden niedergerissen, Gefäße, Bretter, Bänke, ganze hölzerne Wände werden hin und her geschleppt – es ist, als habe eine Raserei sämtliche Schiffsinsassen ergriffen.
Der Kommandant steht auf der Brücke mit der Uhr in der Hand. Er will feststellen, wieviel Minuten die Mannschaften in ihrem jetzigen Zustand der Ausbildung gebrauchen, um das Schiff »klar zum Gefecht« zu machen. »Klar Schiff« heißt nämlich: klares Schiff zum Gefecht, und auf dieses Kommando beeilt sich jeder der vierhundert Menschen, die für die Klar-Schiff-Rolle in Betracht kommen, nach Möglichkeit das auszuführen, was ihm von der Rollenvorschrift zugewiesen ist. Es ist unmöglich, zu beschreiben, was die Leute alles machen, die durcheinander wimmeln, wie die Ameisen in einem Haufen, den man in Unruhe versetzt hat. Allmählich löst sich das Chaos, und als der erste Offizier dem Kommandanten von Deck aus meldet:
»Melde gehorsamst klar Schiff!« sind zwölf Minuten verflossen.
»Zwölf Minuten!« ruft der Kommandant dem ersten Offizier zu. »Ein ganz achtbarer Erfolg. Aber wir müssen es durch Übung bis auf acht Minuten bringen.«
Jetzt beginnt der Kommandant den Revisionsgang durch das Schiff, um zu sehen, in welcher Weise die Vorschriften der Klar-Schiff-Rolle ausgeführt worden sind.
Oben in den Marsen der Masten sind Scharfschützen postiert, welche den Auftrag haben, im Ernstfalle die Offiziere auf dem feindlichen Schiffe niederzuschießen. Im Mars des Vormastes befindet sich ein Offizier, welcher die Entfernung zu schätzen hat und sie dem Navigationsoffizier, der auf der Brücke steht, zuruft. Das Abschätzen der Entfernung ist wichtig für das Feuern mit den Geschützen.
Die Mannschaften in den Marsen haben Hängematten mit hinaufgenommen und haben sich aus ihnen eine Art Bollwerk gemacht, das sie gegen die feindlichen Schüsse decken soll. Auch Waschbalgen mit Wasser gefüllt sind in den Mars geschafft worden, um für den Fall eines Feuers von dort oben aus löschen zu können. Die Segel sind fast gänzlich fortgenommen, denn im Augenblicke des Gefechts muß man sich auf die Maschine verlassen können. Die Raaen und Stengen sind so gezurrt, daß, wenn sie getroffen werden und zersplittern, sie nicht herabstürzen und auf Deck Unheil anrichten können.
Auf Deck sind verhältnismäßig wenig Mannschaften aufgestellt. Eine Anzahl von Bänken steht an der Reling, an den Fallreeps stehen Wachen. Das Ruder ist mit der doppelten Zahl von Mannschaften besetzt, aber auch das sogenannte Gefechtsruder in der Batterie, das in dem Augenblick in Tätigkeit tritt, in dem das Steuerruder auf dem Oberdeck zusammengeschossen ist, wurde mit Steuermanns-Maaten und deren Gasten versehen. Der größte Teil der Schiffsbesatzung befindet sich in der Batterie. Die Bedienungsmannschaften stehen bei den Geschützen. Balgen, mit Wasser gefüllt, stehen neben jedem Geschütz, um das Kanonenrohr zu kühlen, wenn es durch das Feuern zu heiß werden sollte. Anderes Wasser dient eventuell zum Trinken für die Mannschaften in der Hitze des Gefechts. Sand, in Balgen gefüllt, steht zur Hand, damit etwaige Blutlachen im Batteriedeck bestreut werden können und die Bedienungsmannschaften nicht in denselben ausgleiten. Krankenträger mit Bahren und Hängerüsten stehen bereit, um Verwundete vom Oberdeck oder von der Batterie durch die Luken in das Zwischendeck hinunterzulassen.
Im Zwischendeck sind die Zimmerleute aufgestellt. Auch sie haben allerhand Material zur Hand, und besonders müssen sie bereit sein, ein Leck, das durch einen Schuß in die Bordwand kommen sollte, durch einen sogenannten Schußpfropfen mit Holzplanken und geteerter Leinwand zu dichten. Hier steht der Stabswachtmeister mit seinen Leuten, um zu verhindern, daß im Ernstfalle sich Feiglinge im Zwischendeck verkriechen.
Vor der Offiziersmesse haben die Ärzte ihre Verbandstelle aufgeschlagen, und der Pfarrer sowie die Schreiber stehen zu ihrer Unterstützung bereit. Kolonnen von Munitionsträgern stehen von der Batterie bis zum Zwischendeck und bis zu den Hellegats, wo in der Munitionskammer der Feuerwerker mit seinen Maaten bereit steht, je nach Befehl Langgranaten oder Panzergranaten auszugeben und heraufschaffen zu lassen.
Bei den ersten Übungen hapert es natürlich hier und dort. Mancher Mann steht an falscher Stelle, manche Kleinigkeit ist vergessen worden. Die Leute werden ermahnt, besser acht zu geben, dann kommt der Befehl: »Enter-Division auf das Oberdeck!«
Auf dieses Kommando eilt ein Teil der Geschützbedienung mit den Handfeuerwaffen auf das Oberdeck, steigt auf die Bänke, die an der Reling stehen und markiert hier die Eröffnung des Schnellfeuers auf die Mannschaft des herankommenden feindlichen Schiffes.
»Klar Schiff überall!« befiehlt, alle Einrichtungen, die für das »Klar Schiff« getroffen wurden, wieder zu entfernen. Die Maate erhalten den Auftrag, die Leute sofort eingehend eine Stunde lang über die Klar-Schiff-Rolle zu instruieren, damit sich im Laufe der nächsten Wochen die nötige Sicherheit und Geschwindigkeit bei dieser so wichtigen Rolle an Bord einstellt.
Augenblicklich befindet sich Deutschland zwar im tiefsten Frieden und es droht in keiner Weise irgendeine Kriegsgefahr, aber ein Kriegsschiff, das unterwegs ist, muß jederzeit imstande sein, sich binnen kürzester Frist in Gefechtszustand zu versetzen. Es kann während der Zeit, während ein Kriegsschiff auf hoher See schwimmt und bevor es in den nächsten Hafen gelangt, das Heimatland in einen Krieg verwickelt sein und das Schiff kann einem feindlichen Kreuzer begegnen, von dem es eventuell angegriffen wird. Das Schiff muß imstande sein, der deutschen Flagge auch gegen Handelsschiffe ohne weiteres Respekt zu verschaffen. Hat doch jedes Handelsschiff der Welt, wenn es in die Nähe des Kriegsschiffes kommt, sofort seine Flagge zu zeigen. Tut es dies nicht, so feuert das Kriegsschiff einen Warnungsschuß ab, und wenn auch nach diesem die Flagge nicht gezeigt wird, macht sich das Kriegsschiff gefechtsklar, um das Handelsschiff sofort anzugreifen, weil es annehmen muß, es sei ein Piratenschiff, das seine Flagge nicht zeigen will.
Noch in den achtziger Jahren ist es dem Kommandanten eines deutschen Kriegsschiffes im Atlantischen Ozean passiert, daß er einem französischen Kriegsschiffe begegnete, dessen Kapitän aus Haß gegen die Deutschen seine Flagge nicht zeigte, obgleich bei Begegnung von Kriegsschiffen es üblich ist, daß beide Fahrzeuge sich sofort zu erkennen geben. Der deutsche Kommandant forderte durch einen Kanonenschuß das französische Schiff auf, die Flagge zu zeigen, und als dies nicht geschah, machte er gefechtsklar und ging auf das Schiff los. Erst jetzt entschloß sich der Kapitän dazu, die französische Tricolore zu heißen.
Die Klar-Schiff-Rolle ist in ihrer Ausführung die schwerste und umfangreichste. Ist die Besatzung eines Schiffes imstande, innerhalb kurzer Frist das Schiff klar zum Gefecht zu machen, so ist dies ein Beweis dafür, daß die Mannschaft sehr gut eingeübt und ausgebildet ist, es wird daher auch bei der Inspizierung, die das Schiff nach der Rückkehr im Heimatshafen durchzumachen hat, der inspizierende Admiral unter anderm auch: »Klar Schiff!« befehlen, um zu sehen, in welcher Weise die Mannschaft während der Abwesenheit durchgebildet worden ist.
In der Mittags-Freizeit bildet natürlich das Thema »Klar Schiff« den Hauptgesprächsstoff. Nur an der Hobelbank, wo sich die Maate versammelt haben, und wo man gegen solche Vorfälle bereits abgestumpft ist, steht heut ein andres Thema zur Besprechung. Die Herren Maate unterhalten sich über die Seeschlange, ein Thema, das bekanntlich auch an Land sehr oft erörtert wird und über welches ein abschließendes Urteil noch nicht vorliegt.
Petersen hat das Thema angeschnitten, indem er erzählte:
»Heute vormittag sah ich eine ganze Reihe Tümmler (Delphine) am Schiffe vorüberziehen. Die schwammen so dicht hintereinander, daß ich schon glaubte, es sei die Seeschlange. Wir haben nämlich einmal in den afrikanischen Gewässern, als ich auf dem »Kondor« diente, die Seeschlange gesehen. Sie war mindestens zweihundert Fuß lang und hatte einen Kopf wie ein Pferd. Sie ging mit großer Geschwindigkeit an unserer Steuerbordseite vorüber und kam uns bald aus Sicht. – Lachen Sie nicht, Nottemann, ich sage Ihnen, es war die Seeschlange, oder eine Seeschlange, denn es gibt gewiß mehr als eine. Die Offiziere waren alle auf Deck und sahen mit ihren Kiekern sich die Schlange an. Erzählen Sie mir nicht, daß es hintereinander schwimmende Tümmler waren oder Seetang oder so 'was, – ich sage Ihnen, es war ein Viech, so dick wie ein Mann, und den Kopf hielt es drei bis vier Fuß aus dem Wasser heraus. Das Maul war ganz schwarz.«
»Es kann ein Calmar gewesen sein,« meinte Nottemann, »ein Kraken, der sein spitzes, mit flügelartigen Seitenstücken versehenes Schwanzende aus dem Wasser heraussteckte.«
»Kraken sind nicht so groß,« sagte Klampe, »wir haben mal einen harpuniert in den indischen Gewässern. Der Kerl hatte ja Fangarme von drei Metern Länge, aber der beutelartige Kopf und Rumpf des Tieres mit den scheußlichen Augen war doch höchstens einen halben Meter lang.«
»Es sind Kraken an der Küste von Norwegen gefangen worden,« bemerkte Nottemann, »welche sieben Meter lang waren, ohne die verteufelten Fangarme, und von einem englischen Kriegsschiffe aus hat man beobachtet – ich habe erst neulich darüber ein Buch aus der Schiffsbibliothek gelesen –, wie ein solcher riesiger Kraken mit einem Walfisch im Kampfe war und ihn ganz umschlungen hatte, und wie der Walfisch in seiner Verzweiflung hoch aus dem Wasser heraussprang.«
»Ich habe auch schon von den Kraken gehört,« sagte Petersen, »aber das sind doch ganz andere Tiere. Sie spritzen aus einem Loch im Leibe Wasser heraus und bewegen sich dadurch vorwärts. Bei der Seeschlange, die wir sahen, war aber von diesem Spritzen nichts zu bemerken und ich habe auch den Kopf deutlich gesehen, er glich einem Pferdekopfe.«
»Mir hat einmal ein schwedischer Zimmermann, den ich in Baltimore traf, erzählt, er habe eine solche Schlange sich ungefähr sechzig Fuß aus dem Wasser erheben sehen.«
»Das ist Unsinn,« meinte der Maschinisten-Maat Nebel, »sechzig Fuß ist übertrieben, so hoch kann sich keine Schlange aus dem Wasser erheben, dazu fehlt ihr der Widerstand in den Rückgratswirbeln. Aber ich glaube nicht einmal, daß die Ungeheuer, die man hin und wieder sieht, Seeschlangen sind, es können ja vorweltliche Tiere sein. Warum sollte es diese Tiere nicht in den Tiefen des Ozeans geben? Ebenso wie auf dem Lande heute noch die Strauße, die Rhinozerosse, die Elefanten und die Krokodile an die Riesentiere der Vorzeit erinnern, kann es doch auch im Meere noch Tiere geben, wenn auch vereinzelt, wie sie dort herumschwammen, als auf der Erde die Riesentiere noch lebten, die heute ausgestorben sind, wie zum Beispiel das Mammut, von dem man noch immer Knochen und ganze Exemplare im nördlichen Eise findet.«
»Ich habe genau gesehen, daß das Tier einen Pferdekopf hatte!« behauptete eigensinnig Petersen, und Nebel beruhigte ihn mit den Worten:
»Das ist ja möglich, diese Meerungeheuer können ja krokodilartig sein, und so ein Krokodilschädel sieht aus wie ein Pferdekopf. Ich habe verschiedene gelehrte Abhandlungen über die vorsintflutlichen Tiere im Ozean gelesen, und es sollen ja da Viecher existiert haben, die aussahen, wie Schildkröten, die einen Schlangenleib hatten und wer weiß was noch für verrückte Kombinationen von verschiedenen Tierarten, die wir jetzt kennen!«
»Es mag wohl solche Tiere geben,« sagte Nottemann, »darüber ist noch nichts entschieden, aber meistens beruht die Sache auf Täuschung. Ich weiß mich auf einen Vorfall zu entsinnen, als ich als Schiffsjunge vor vielen Jahren auf der »Undine« fuhr. Wir waren damals auch in der Nähe der afrikanischen Küste, wo sich die Seeschlange am meisten zeigen soll. Der Posten auf dem Mars meldete: ›Ein großes Tier querab vom Steuerbord!‹ und auf den Ruf: ›Die Seeschlange!‹ stürzte alles an Deck. Wir sahen einen schwarzen, glänzenden Rücken irgendeines fabelhaft langen Tieres aus dem Wasser hervorragen und sich wellenförmig bewegen, einen Kopf konnten wir nicht sehen. Der Kommandant gestattete den Kadetten, aus einer der kleinen Deck-Kanonen einen Schuß auf das Ungeheuer abzugeben, und dabei stellte es sich heraus, daß eine Kette von mindestens hundert Delphinen dicht hintereinander schwammen, so daß ihre glänzenden Rücken wie eine einzige Masse aussah. Als die Granate in der Nähe ihres Zuges einschlug, sprangen sie zu hunderten plötzlich aus dem Wasser empor und verschwanden dann. Diese Fische müssen etwas vom Geschwader-Exerzieren verstehen; wenn sie zu hunderten in Kiellinie hintereinander fahren, sehen sie aus, wie die Seeschlange. Ich werde nebenbei mit dem Herrn Pfarrer sprechen und werde mir von ihm ein Buch aus der Schiffsbibliothek geben lassen, aber ich glaube, wenn wir auch noch so viel reden, wir können die Frage nicht lösen, ob es eine Seeschlange gibt oder nicht. Man kann weder behaupten, daß sie existiere, noch ihre Existenz ableugnen wollen. Spätere Zeiten werden schon Aufklärung schaffen und wir brauchen uns vor einer Begegnung mit der Seeschlange nicht zu fürchten.«
»Pfeifen und Lunten aus! Decke fegen!«
Dieses Kommando machte dem gelehrten Disput, der an der Hobelbank über die Existenz der Seeschlange geführt worden war, ein Ende.