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XXII.

Wie war es doch gewesen?

Gestern hatte er bei Kapelli vorgesprochen, um ihm das Gedicht vorzulesen, das am Feste der Taufe gesungen werden sollte. Sie hatten probiert und probiert, und Kapelli auf seiner Laute nach einer Melodie gesucht, während Frau Trud sich schüttelte vor Lachen.

Da ging die Türe auf, ohne daß es zuvor gepocht hätte, und die Malerin von Sacken trat ein.

»Verzeihung«, sagte sie, »ich habe gar nicht geklopft,« und lachte.

Kapelli erklärte ihr, daß das längst aus der Mode sei.

Sie schüttelte Frau Trud, Kapelli und ihm die Hand und lachte. Dann blieb sie stehen und atmete tief auf, auf ihren Wangen brannten rote Flecken:

»Ich komme eben vom Sekretariat, Kinder!«

»– mit Kri – kra – kri – kra – krallen, mit Krallen an den Fingern,« summte Kapelli und klimperte in den Saiten.

»Vom Sekretariat?«

»Ja!« Sie setzte sich, stand wieder auf. »Vom Sekretariat – soeben bin ich gerufen worden – – mein Bild ist von der Staatsgalerie angekauft!«

Alle schüttelten ihr die Hände, teilnehmend an ihrer Freude, froh, sie endlich glücklich zu sehen.

»Ich gri – gra – gratuliere!« sang Kapelli mit hellem Tenor.

Da veränderte Fräulein von Sacken plötzlich ihr Wesen und blickte sie mit triumphierenden Augen an. »Nun noch das!« rief sie. »Erst die Rezensionen und nun noch das! O, was wird sich diese feige Gesellschaft schämen, diese nichtswürdige, erbärmliche Gesellschaft, was wird sie sich schämen!«

Damit war sie zur Türe hinaus, ohne jeden Gruß.

Die drei sahen einander an, eines verblüffter wie das andere, bis schließlich Kapelli in lautes Lachen ausbrach.

Und nun heute?

Er kam spät nach Hause und fand das ganze Haus in Aufregung. Kapelli stand unter der Türe und winkte ihn herein.

»Kommen Sie schnell!« rief er. Er war erregt wie noch nie.

Da war das Atelier finster, und da saß Frau Trud am Tisch und schluchzte.

Als er eintrat, stand sie auf und schluchzte lauter.

Kapelli umschlang sie und drückte sie sanft auf das Sofa zurück.

»Wein nur, wein nur Trud,« sagte er, selbst dem Weinen nahe.

Ja, was denn nur sei?

Kapelli ging in eine Ecke, wie um etwas zu suchen.

»Nun ja – die Sacken –«

Das war es, die Malerin hatte sich erschossen ...

»Warum nur? Warum nur?« stieß Frau Trud heraus. »Gerade jetzt –!«

Ginstermann wußte es.

Ganz plötzlich war ihm die Erleuchtung gekommen. Er wußte alles, die ganze Tragödie des armen Weibes lag vor seinen Blicken enthüllt.

Er ging hinunter zu Ritt und pochte. Keine Antwort. Er rüttelte an der Türe.

Dann begab er sich hinaus in den Hof und klopfte energisch gegen die Scheiben. Nichts regte sich.

»Schuft!« rief er. Er schlug die Scheibe ein und rief hinein in das finstere Atelier.

»Ah, öffnen Sie nur, Sie Wicht!«

Seine Stimme hallte wieder. Er fühlte, daß niemand im Zimmer war.

Er ging wieder an die Türe zurück und entzündete ein Streichholz.

»Verreist.«

»Der Schuft ist durch, der Schuft ist durch!« –

Am anderen Tage, in aller Frühe, vernahm Ginstermann vom Korridor herein die Stimme eines alten Herrn, eine schnarrende, unangenehme Stimme, aus der er aber doch die Stimme der Toten heraushörte. Es war ihr Vater.

Schritte kamen und gingen. Ein Wagen fuhr in den Hof. An allen Fenstern erschienen gefühllos-neugierige Gesichter. Ginstermann zog die Vorhänge zusammen und wandte den Fenstern den Rücken zu.

Schwere Schritte stampften die Treppe hinab, gedämpfte Rufe wurden hörbar.

»Heben Sie höher!« befahl die schnarrende, unangenehme Stimme.

Ginstermann öffnete die Türe. Ein dunkler großer Sarg schwankte auf den Schultern schwarzgekleideter Männer um die Biegung der Treppe.

Er erschien ihm wie einer, der sich im Starrkrampf befindet und winken möchte und nicht kann.

»Da drinnen liegt ein Mensch!« sagte er und begab sich zurück in sein Zimmer.

Er zog ein Schubfach auf und zählte seine Barschaft. Es waren knapp zwanzig Mark. Das Geld nahm er und bestellte einen Kranz dafür. Einen Kranz aus blutroten Rosen. Er wollte auch am Grabe der Sacken sprechen, er!

Am Abend pochte es, und ein kleiner, stämmiger Herr mit weißem Schnauzbart, kurzen Haaren und rotem Gesicht trat in sein Zimmer.

»Major von Sacken«, sagte er, sich kühl verbeugend.

Ginstermann lud ihn ein, Platz zu nehmen, und erkundigte sich nach seinen Wünschen.

»Ich möchte Sie fragen, mein Herr, ob Sie meiner Tochter irgendwie näher standen?«

Nein, er sei ihr nicht näher gestanden.

»So? Ha, das ist sonderbar, mein Herr!« Er warf ein Päckchen Briefe auf den Tisch und blickte Ginstermann höhnisch an.

Ginstermann ließ sich dadurch nicht beirren. Er öffnete einen Brief, der seine Adresse trug. Der Brief enthielt nur wenige Zeilen. Die Bitte, diese Briefe zu verbrennen, da sie es nicht vermocht habe. Und dann noch etwas.

Und dann noch etwas ...

Der Major starrte auf den Boden, vor sich hinblasend, als wolle er eine kleine Windmühle in Gang halten.

Ginstermann legte ihm die Hand auf die Schulter und sagte, ihn durchdringend anblickend:

»Sie haben ein Verbrechen begangen, Herr Major!«

Der alte Herr stand auf und maß ihn.

»Wie können Sie es wagen –!«

Ginstermann wiederholte, seinen Blick erwidernd: »Sie haben ein Verbrechen begangen, Herr!«

Der alte Herr wurde dunkelrot im Gesicht und hob die Faust empor, seine Augen waren stahlgrau.

Ginstermann wich nicht vom Fleck, er sagte im gleichen Tone wie vorhin:

»Sie haben ein Verbrechen begangen, Herr!«

Da brach der Alte zusammen, wie durch einen Hieb. Er sank in den Stuhl und krallte die Finger in seinen Kopf.

»Wer konnte es denn wissen!« schrie er.

Dann stand er auf und räusperte sich.

»Was wollen Sie – mit Ihrem Verbrechen – das ist ja heller Unsinn. Nein, sage ich, nein, Sie kennen die Verhältnisse nicht. Meine Tochter mag Ihnen geschrieben haben, was sie will! Gut. Mein Herr, meine Tochter achtete Sie, sie schrieb Ihnen ja noch zuletzt. Gut. Ich möchte nicht, daß wir als Feinde scheiden. Meine Tochter achtete Sie – gut – adieu, mein Herr!«

Er streckte Ginstermann die Hand hin.

Aber Ginstermann blickte ihn abweisend an, ohne seine Hand zu nehmen.

Da wurde der Alte kreidebleich. Er stand lange Zeit, dann wandte er sich der Türe zu und stolperte über die Schwelle. Schon draußen, blickte er nochmals um, noch ebenso blaß wie zuvor.

»Adieu, mein Herr«, sagte er mit gebrochener, weicher Stimme.

XXIII.
Der Hymnus der Morgenröte.

11. Hymnus an Bianka.

Stimme vom Berge:

Gott ist groß! – Licht gleißt sein Antlitz.
Sein Lächeln
Streut Rosen und Myrrhen
Auf das dunkle Haupt der Welt.

Stimme in der Ferne:

– – – scheucht die Schatten
In ihr finstres Reich
Mit goldnen Pfeilen. – Groß ist Gott!

Chor der Betenden:

Der das Licht aus dem Dunkel schlug,
Die Erde schöpfte aus der schwarzen Flut,
Ist unser Herr!
Gestalt gab dem Elefanten, dem Kamel,
Dem einhöckrigen, dem zweihöckrigen,
Dem Büffel, dem Krokodil,
Das Korn, die Lotos schuf,
Wind und Regen uns gibt und Weide unsrer Herde,
Ist unser Herr!

Chor der Suchenden:

Wir gehen rechts – wir gehen links,
Wir gehen links – wir gehen rechts,
Wissen wir’s?
Wir gehen vorwärts – wir gehen zurück,
Rund herum um das Glück.
Das finden wir nicht.
Uns trägt der Rücken eines Tiers.
Das kennen wir nicht.
Wir pochen an der dunklen Wand,
Ob nicht die Pforte einmal springt,
Die keiner fand.
Wir trinken Nächte,
Uns trinkt die Nacht.
Wir schleppen die Kette von Menschenleid,
Die endlose Kette von Menschenleid,
Die jedes Herz noch schwerer macht,
Durch die engen Dornentore der Zelt.
Und tragen sie ringsherum um die Welt,
Und immer ringsherum um die Welt,
Und harren der Stunde, da sie fällt.
Und suchen das Lachen.
Und suchen unsere Ewigkeit.
Und tasten weinend der Finsternis Pfade.
        Rate!
        Rate!


Eine Stimme singt:

Mit Blüten bestreu ich euch,
Ihr Bittren!
Mit süßen,
Wohlriechend wie der Morgenwind,
Die in den ewigen Gärten sprießen,
Die ferne von der Erde sind ...


Alles, was klingt,
Zerspringt.
Das tiefste Meer
Verrinnt.
Alles, was Staub ist,
Wird Wind.
Wird Wind!
Alle Zeit
Ist ein Flügelblinken der Ewigkeit.
Und denkst du an den letzten Tag
Gibt’s keinen Tag!
        Öffne dein Herz.
        Schwester, Bruder,
        Bruder, Schwester,
        Öffne dein Herz!
Die Zeit der Saat – naht!
Denke an mich:
        Die Lebensgebärerin,
        Die Lebensernährerin,
        Die Lebenserweckerin,
        Die Lebensvollstreckerin
        Bin ich!
Denke an mich:
        Was schläft, das muß reden.
        Was tot ist, will ich töten.
        Und keine Tiefe ist mit zu tief,
        Die ich nicht rief.
        Flügel schenk ich dir, die tragen
        Dich über die Erde.
        Wer über der Erde
        Nicht lebt,
        Lebt nicht
        Auf der Erde,
        Und nimmer ist’s nötig,
        Daß er begraben werde.
Denke an mich:
        Die Lebensgebärerin,
        Die Lebensernährerin,
        Die Lebenserweckerin,
        Die Lebensvollstreckerin
        Bin ich!
Im Herzen des Alls,
Da quillt ein See,
Er hat nicht Grund.
Gott warf sein Herz hinein,
Daß ich entsteh!
Gott warf sein Herz hinein,
Warf seines Sohnes Herz hinein,
Warf aller Weisen und Guten
Herz in den See,
Daß ich entsteh!
        Öffne dein Herz,
        Schwester, Bruder,
        Bruder, Schwester,
        Öffne dein Herz.
O, öffne dein Herz!
Die Zeit der Saat – naht!
Schmücke dich!
Den Blühenden trägt die weite Flut zur Ewigkeit,
Der Dorre sinkt!
Die Ewigkeit liebt wüste Gärten nicht!


Chor der Erlösten, jubelnd:

Liebe! Liebe!!

Chor der Verlornen, schluchzend:

Die Ewigkeit liebt wüste Gärten nicht ......


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