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VIII.

Ginstermann erzählt:

Heute aber, nachdem ein fortgesetztes Mißgeschick mich gänzlich mutlos gemacht hatte, heute aber – meine Herrschaften, verzeihen Sie diese Phrase – lächelte mir endlich Fortuna!

Ja, Fortuna lächelte mir!

Holdrio!

Meine Damen, meine verehrten Damen und Herrn. Ich wandere zurück an den »Wällen Jerusalems, des ewigen«, ich bin weit draußen in der Vorstadt gewesen. Es wird Abend, ein trüber, trauriger Abend, als hätte ihn mein Herz geboren. Ein feiner Regen rieselt herab.

Ein niederträchtiger, unverschämter Regen, der meine Zigarette näßt, daß sie zu kohlen beginnt. Dieser Umstand allein würde bei normalen Verhältnissen genügt haben, mich mißmutig zu machen. Jetzt schlug er dem Faß den Boden aus.

Es ist zuviel, es ist zuviel, alles was recht und billig ist.

Ich werde geradezu wütend. Aber plötzlich, durch all meine Misere hindurch lächelte mir der holde Sonnenblick Fortunas.

Nur Geduld. Bei großen Momenten halte ich große Reden der Einleitung, wie ein Gourmand die Delikatessen einer sorgfältigen Betrachtung unterzieht, um seinen Genuß zu steigern.

Also es regnet, und das Pflaster ist naß. Meine Zigarette ist erloschen, und ich schreite mit düsteren Blicken meine Straße. Das bewußte Haus kommt näher.

Ein geschmackloses, ein lächerliches Haus, das Experiment eines Architekten, der in modernem Stil macht. Macht ist gut gesagt.

Wie gesagt und überhaupt – betrachten Sie, bitte dieses Haus!

Ich hätte Lust, Ihnen jetzt einen kleinen Vortrag zu halten über moderne Architektur im speziellen, über moderne Kunst im allgemeinen. Eventuell mit Ihnen ein kleines Exkursiönchen durch die Baustile aller Zeiten und Völker zu unternehmen, über die phrygische, lykische, syrische Kunst hinweg, hinein in die babylonisch-assyrische, mit Ihnen den Palast des Königs Sargon zu Chorsabad zu besichtigen und den Tempel des Chunsu zu Karnak zu durchwandern. Hier im Schatten des Säulenwaldes würde es mir ein besonderes Vergnügen sein, Ihnen, wenn Sie wünschen, meine Ansichten über die rituellen Gebräuche dieser Völker auseinanderzusetzen.

Aber zur Sache! Ich sehe, die Damen langweilen sich.

Ich gehe an diesem Hause vorüber, empört über seine Geschmacklosigkeit, über die höhnisch lächelnde Verschlossenheit, mit der mich seine vierundzwanzig Augen verfolgen – da höre ich meinen Namen rufen.

Ganz leise, als äffe mich ein Spuk.

Meine Herrschaften!!

Ich wende den Kopf, von vornherein überzeugt, daß ich mich täuschte, da erblicke ich eine weibliche Gestalt unter der Türe.

Ich rege mich nicht von der Stelle, ich starre sie nur an, über mir sausen Flammen.

»Guten Abend,« sagt sie und lächelt mir zu.

Endlich gehe ich näher. »Guten Abend, Fräulein Schuhmacher.«

Sie hat ein Tuch umgeschlagen, und aus einem in der Dämmerung leuchtend blassen Gesichtchen blicken ihre glänzenden, großen Augen. Geschmeidig wie eine Katze huscht sie die Stufen herunter.

Ruhig, ohne die geringste Erregtheit, sage ich: »Ich konnte mir gar nicht denken, wer mich anrufen könne.«

Sie gibt mir ihre schmale Hand, und ihre Finger sagen: Grüß Gott.

»Ich sah Sie vor einer Stunde die Straße hinuntergehen.«

»In Schwabing ist ein Neubau eingestürzt.«

»Ach ja, ich vernahm davon. Wie traurig, sechs Tote, sagt man.«

»Ja, sechs Tote. Ich wollte mir das ansehen. Nicht aus kleinlicher Neugierde natürlich, studiumhalber. So ein Unglücksfall enthüllt die Herzen, man sieht sie wahr.«

»Sprechen wir nicht von so traurigen Dingen,« unterbricht sie mich, und, indem sie mir einen Brief zeigt, sagt sie: »Ich will ihn in den Kasten stecken.«

Auch ihre Hand leuchtet, so blaß ist sie.

Ihre Stimme ist leise, teilweise klanglos, mit singendem Tonfall. Dann und wann funkelt es wie mattleuchtende Steine darin. Ich vermute, daß sie das Englische gut ausspricht. Lautlos geht sie neben mir, mit der Linken das Kleid aufraffend, mit der ihr eigenen Biegung des Handgelenkes, auf den Fußspitzen schleichend, wenn besonders nasse Stellen kommen. Ihre Schultern sind schmal, zart, sie heben und senken sich unmerklich beim Atmen wie die Flügel eines Falters, der aus einer Blüte trinkt. Ihr Gesicht blickt wie eine Knospe aus dem seidenen Tuche, durchsichtig, ihre Seele ausstrahlend. Jetzt erst erkenne ich, wie ähnlich das Porträt ist, das Kapelli geschaffen.

Ein feiner Duft strömt aus dem Tuche, auf ihren Stirnlöckchen sprühen die Regentropfen wie Tau.

Wir sprechen nur weniges. Sie erzählt mir, daß sie krank war, nicht sonderlich, Schlaflosigkeit. Ich danke ihr für ihr Billett von damals.

Wir stehen wieder vor dem hohen, dunklen Tore.

»Wir werden demnächst abreisen,« sagt sie, mit der Fußspitze vorsichtig in den Rand einer kleinen Pfütze tippend.

»Mama ist leidend. Der Arzt rät uns, nach Italien zu geben. Aber Mama ist nun wieder kränker geworden, so daß wir die weite Reise vorläufig nicht wagen können.«

Sie tippt noch immer mit der Fußspitze in die kleine Pfütze und blickt zu Boden.

»Ach, Ihre Frau Mama ist leidend?«

»Ja, leider.« Sie sieht auf und blickt mich an.

»Vielleicht sehen wir uns noch einmal, Herr Ginstermann?«

»Mit Vergnügen, allein –«

Ob ich gerne in den Englischen Garten ginge.

»Sehr häufig sogar.«

»Vielleicht treffen wir uns dort. Wenn Sie nichts Besseres zu tun haben, so würde ich vorschlagen, uns am Samstag um 3 Uhr dort zu treffen. Ein bißchen plaudern, nicht?«

»Sehr gerne, sehr gerne.«

»Können Sie Samstag?«

»Haha – ja –,« ich besinne mich etwas, »o ja, Samstag sehr gut. Gewiß, gewiß, sehr angenehm.«

»Ja, aber der Garten ist groß.«

Am Monopteros vielleicht, wenn ihr das recht sei.

»Natürlich, es ist ja egal. Also Monopteros, nicht? Gute Nacht, Herr Ginstermann.«

»Guten Abend, Fräulein Schuhmacher.«

Sie nickt mir nochmals zu und schlüpft ins Haus.

Meine Brüder, meine Brüder!

Die Leopoldstraße hinauf geht ein Mann, die Augen zusammengekniffen, um nicht herauszulachen. Die Hände in die Rocktaschen vergraben, um nicht die Leute am Rock zu fassen und zu schütteln, die Zehen verkrampft in den Schuhen, um nicht zu tanzen.

So gehen die Menschen, denen das Glück ins Herz fiel.

Das bin ich.

Er läuft in die aufgespannten Schirme hinein, zieht den Hut, entschuldigt sich mit einem Schwall von Worten. Jemand tritt ihn auf den Fuß und sagt: Pardon. Er wendet sich um und ruft lachend: Bitte sehr, bitte sehr, hat gar nichts zu sagen. Er geht auf einen Schutzmann zu und fragt, wo es nach der Feldherrnhalle gehe. Immer geradeaus. – Ob man sich nicht verlaufen könne? Nicht? Herzlichen Dank.

Er deutet auf eine Plakatsäule und sagt: Eine Villa am Chiemsee ist gegen Blauplätze zu vertauschen. Offerten unter »Chiemsee«. Vermittler verbeten.

Das bin ich.

Er bleibt stehen und spricht: Geehrte Dame, ich wünsche Ihnen eine hübsche, langwierige Krankheit. Eine Krankheit, die Ihnen erlaubt zu essen, zu trinken, was Sie bevorzugen, zu tanzen, wenn Sie Lust haben, die Sie aber wie Millionen Nadeln durchfährt, wenn Sie abreisen wollen. Diese hübsche Krankheit wünsche ich Ihnen von ganzem Herzen, o geehrte Dame.

Das bin ich, liebe Brüder, das bin ich!


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