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XII.

Der Nachmittag war vorüber.

Bis man den Mund auf- und zumachte, war er schon vergangen.

Ginstermann ging in der Dämmerung seines Zimmers auf und ab. Er wollte sich sammeln zur Arbeit. Da waren so sonderbare Gedanken in seinem Kopfe, die gegen die Gehirnwände pickten und ans Licht wollten.

Es würde etwas Überraschendes werden, das fühlte er.

Aber vorläufig kam er noch nicht dazu. Er war zu vergnügt, zu vergnügt. Er mußte ununterbrochen lachen, gerade als ob er Lachgas eingeatmet hätte. Schon heute Nachmittag hatte er diesen eigentümlichen Lachreiz verspürt.

Eine Menge komischer Erlebnisse fielen ihm ein und beschäftigten ihn. Da war die kleine Sängerin di Ballo, die ihn an den Haaren zupfte und mit ihrer affektierten Stimme flötete: O, noch einmal laß mich in deine schönen Augen blicken, in deine tiefen schwarzen Funkelaugen! Und da war Sergeant Köderiz, den sie jeden Abend betrunken nach Hause fuhren. Dieses Lächeln, wenn er auf dem Karren lag! Er träumte von schönen Frauen, die ihm die nackten Arme um den Hals schlangen und seinen roten Schnurrbart zirpelten.

Wenn der Mensch unglücklich ist, so denkt er an alle schlimme Stunden, ist er glücklich, an alle amüsanten Erlebnisse, das ist doch erklärlich.

Und er, Ginstermann, war heute glücklich!

Was war am Nachmittage alles geschehen? O, es waren Herrlichkeiten über Herrlichkeiten passiert.

Bianka war sehr liebenswürdig gewesen und hatte ihn ausgezankt seines übernächtigen Aussehens wegen. Sie ahnte ja nicht, was ihn nicht schlafen ließ, das war das Großartige! Er hatte ihr das feierliche Versprechen ablegen müssen, nicht mehr soviel Tee zu trinken und Zigaretten zu rauchen. Drei wollte sie gestatten. Glücklich darüber, daß sie ihn ein wenig bemutterte, hatte er ihr es versprochen.

Dann waren sie zusammen in den Chinesischen Turm gegangen und hatten Kaffee getrunken. Es hatte zu regnen begonnen. Ganz herrlich, während die Sonne schien. Wie geschliffene Brillanten fiel es durch die Sonnenstrahlen. In einem Regen glitzernder Steinchen waren sie geschritten.

»Wollen wir nicht ins Restaurant treten?« hatte er gefragt.

»O ja, es wird besser sein.«

Und da war nun das Komische geschehen: er hatte sein Portemonnaie vergessen. Tatsächlich! Glaubt man es? Ein Mensch, der absolut nichts zu tun hat, vergißt sein Portemonnaie. Und er lud eine junge Dame zu einer Tasse Kaffee ein!

Im übrigen freute es ihn, daß er sich so vortrefflich beherrschen konnte. Es lag am Tage, an ihm war ein großer Mime verloren gegangen. Er konnte in aller Ruhe über die gleichgültigsten Dinge sprechen, ja, er konnte Bianka durch sein Benehmen, seine Nonchalance sogar beweisen, wie wenig sie ihn im Grunde interessierte. Und das alles, während es in seinem Innern fieberte, daß er die Finger verkrampfen mußte, daß er die Augen schließen mußte, damit sie nicht die Flammen seines Herzens darin sähe.

Sie durfte nichts erraten, nicht das mindeste, bei Gott, sie durfte nicht einmal Verdacht schöpfen.

Was war noch geschehen? Was war noch geschehen?

Ach, es war noch etwas Sonderbares geschehen. Das war, als sie Abschied nahmen.

Bianka hatte gesagt: »Es ist ganz merkwürdig, wenn Sie den Kopf neigen, so sehen Sie einem Freunde von mir sprechend ähnlich.«

Und ohne seine Gegenrede abzuwarten, war sie fortgefahren: »Er war ebenso alt wie Sie. Er war Komponist von starker Begabung. Man prophezeite ihm eine große Zukunft.«

Was aus ihm geworden wäre?

Es sei nichts aus ihm geworden. Er sei zugrunde gegangen. –

Es war noch eine Menge geschehen; eine ungeheure Menge.

Und auf dem Heimwege war er noch der kleinen Scholl begegnet.

»Herr Ginstermann!«

Aber er hatte keine Zeit gehabt, nicht eine Sekunde. Er gab ihr die rechte Hand, sagte: Guten Abend, wie geht es? dann reichte er ihr auch schon die Linke, und fort war er. »Verzeihung, ich will arbeiten«, rief er dem verdutzten Mädchen zu.

Ja, nun wollte er auch arbeiten. Dieses Zerstreutsein mußte ein Ende nehmen. Er wollte die Geschichte zweier Auserwählten schreiben!

Die Begierde zu schreiben erfaßte ihn so heftig, daß er kaum erwarten konnte, bis die Lampe in Ordnung war.

Aber im gleichen Momente leuchtete die Büste auf, und nun konnte er den Blick nicht mehr von ihr wenden.

Das war Bianka, Bianka! So war Bianka. Ebenso stolz, ebenso unnahbar. Sie, blickte ihn nicht an, sie sah durch ihn hindurch, irgendwohin in eine Ferne, die ihre Phantasie geschaffen. Genau wie die lebende Bianka, wenn sie ihn anblickte.

Wie hatte Kapelli das fertig gebracht? War er ein Seelenseher?

Ein Zweig granatroter Blüten lag vor der Büste. Er hatte sie heute morgen gekauft. Sie hatten ein Vermögen gekostet, ein Landgut sozusagen, eine Domäne, aber er kaufte sie. Es waren indische Blüten mit einem wunderbaren Namen. Der Zauberer, bei dem er sie erstand, hatte ihn genannt. Er war so weich, so duftend, alle Märchen aus Tausendundeiner Nacht barg dieser Name.

Er stand auf und trat vor die Büste.

Tränen traten in seine Augen. Es war, als schluchze es in ihm. Sein Herz quoll über. Er war nicht mehr eins, sein Wesen löste sich auf in tausend Teilchen, die ihr alle dienten, sie anbeteten. Tausend Lippen flüsterten lautlos ihren Namen.

O, wie liebte er sie! O, was hatte er ihr alles zu danken!

Er flüsterte etwas. Es war keine Sprache, die die Menschen reden. Es waren Laute, die aus seinem Innersten kamen.

»Ava – ava«, flüsterte er.

Er wußte nicht, was es hieß, aber in die Sprache des Pöbels übertragen, bedeutete es vielleicht: ich liebe dich!

Nach langer Weile erst ließ ihn dieser Bann los.

»Adieu«, sagte er leise und begab sich wiederum an den Tisch zurück. –

Am nächsten Tag trifft er sie wieder. Sie machen zusammen Einkäufe. Er trägt die Paketchen, alle Taschen hat er voll. Sie ist heute liebenswürdiger denn je. Das bringt ihn dazu, sich kleine Scherze zu erlauben. Zum Beispiel über die Art, wie sie die Augenbraue hochziehe, wenn jemand an sie stoße. Und über ihre Augen erlaubt er sich diesen Scherz: »Ihre Augen sind so klar, Fräulein Schuhmacher, daß ich mich nicht wundern würde, plötzlich Forellen drinnen schwimmen zu sehen.«

Sie lächelt und sagt: »Sie sind ein Schelm! – Warten Sie, ich will hier Handschuhe kaufen.«

Er wartet geduldig und ungeduldig in einem, das Griffchen ihres Sonnenschirmes liebkosend, den sie ihm überlassen hat.

So geht es fort. Am nächsten Tag, am übernächsten. Des Glückes Ewigkeit ist nun gekommen.

Und heute hat sie ihn eingeladen, sie zu besuchen. Er nahm die Einladung mit ungeschickter Verblüffung entgegen.

Sie lachte und sagte: »Kommt Ihnen das so wunderbar vor?«

Und da lachte auch er.

Noch etwas Herrliches, Sinnverwirrendes. Etwas, an das er nicht denken kann, ohne die Augen dabei zu schließen.

»Adieu«, sagte sie und streckte ihm die Hand hin. Aber sie zog sie wieder zurück und streifte den Glacé ab. Und sie gab ihm ihre nackte, weiße Hand, deren feine Knochen er fühlte. Sie hat eine Hand, die in Versen spricht!

Und nun befindet er sich in Biankas Tabernakel. Hier ist keine Farbe laut, kein Licht laut, kein Geräusch laut. Das Zimmer atmet leise, es ist ein Wesen. Auf der Konsole klingt das Ticken einer Uhr, und jedes Kling-kling siebt feinen Silberstaub auf den Teppich.

Niemand würde es wagen, hier laut zu sprechen, nicht ein Barbar.

Er befindet sich in einer Erregung, wie er sie noch nie empfand. Und er stand schon vor großen Männern, vor Theaterdirektoren und tausend Zuhörern.

»Bitte«, läd sie ihn ein, Platz zu nehmen. Sie trägt ein Hauskleid mit weiten Ärmeln und Spitzenmanschetten.

Ob er sich auf den Puff oder in den Schaukelstuhl setzen dürfe?

Nach Belieben.

So setzt er sich in den Schaukelstuhl.

»Ich habe die Schaukelstühle so gerne«, sagt er, »schon als Kind war ich verliebt in sie. Da hatte ich eine Tante, Tante Anna. Die besaß einen Schaukelstuhl. Ich besuchte sie so häufig als möglich. Obschon sie Katzen hatte. Nebenbei, sie hatte so viele Katzen, daß keine Woche verging, ohne daß eine starb.«

Sie zündet die Kaffeemaschine an.

»Rauchen wir?« fragt sie.

Er zappelt aus seinem Stuhl heraus und nimmt eine Zigarette.

Sie rauchen und plaudern.

Dann, während sie den Kaffee serviert, sagt sie: »Nun müssen sie lesen. Sie haben doch etwas mitgebracht!«

Natürlich, er hatte die ganze Tasche voll.

So liest er also. Kleinigkeiten, Stimmungen, Gedichte.

Das eine gefällt ihr gut, das andere wieder weniger. Eines entzückt sie sogar.

Es heißt: Der Sohn. Da ist eine Mutter, die nichts besitzt als einen Sohn. Er reist. Kommt er zurück, so küßt er sie. Erst heiß, dann innig, dann kühl. Zuletzt sind seine Lippen wie Eis, sie berühren kaum die ihrigen. Sie ahnt, er kommt nicht wieder. Ihre Angst, ihr Schmerz. Er kommt auch nicht wieder. Ein Telegramm aus fernem Lande.

Diese Geschichte nimmt sie und trägt sie zu ihrer Mama hinaus.

Ihre Mama habe es ergriffen.

Er verneigt sich tief.

Dann zeigt sie ihm das Bild ihres Bruders. »Sie müssen ihn kennen lernen«, sagt sie. Sie ist so gut.

Und hierauf sehen sie eine Weile zum Fenster hinaus. Sie stehen so dicht, daß sich ihre Hände nahezu berühren. Er kämpft einen entsetzlichen Kampf, nicht ihre Hand leise zu liebkosen. Sollte er sie um die Erlaubnis bitten, ihr über die Hand streichen zu dürfen? Sie könne ihm dann seine Hand abschlagen lassen. Oder er würde ihr versprechen, morgen tot zu sein.

Sie plaudern wieder, ja sie lachen zusammen. Er sitzt wieder in seinem Schaukelstuhl und fühlt sich behaglich. Er schaukelt sich leicht. Plötzlich bemerkt er es, erschrickt und sitzt still.

Endlich muß er aufbrechen.

Sie bittet ihn, noch zu bleiben, aber er geht. »Nein, nein, es ist so schon zu lange.«

O, er wäre schon noch geblieben, lange bis zur Unverschämtheit. Aber es ging nicht – er hatte zuviel von diesem starken Kaffee getrunken.

Immer mußten so kleine, boshafte Teufelchen im Spiele sein – –

Wieder ein Festtag. Sie holen zusammen den Bruder vom Bahnhof ab. Er hatte depeschiert: Komme drei Uhr. Gruß Theo. Und nun holten sie ihn ab. –

Ginstermann träumte noch eine Menge glücklicher Situationen durch, bis schließlich seine Sehnsucht ihn freiließ.

Nun war die Zeit zur Arbeit gekommen. In ihm redete und klang es. Es stieg wie die Wasser eines Brunnens.

Er nahm die Feder und schrieb:

Das Haus im Hain.

Yester und Li wohnten in dem Haus im Hain und waren noch nicht sechzehn Jahre alt.

Sie wußten nicht, wann und wie sie in das Haus gekommen. Eines Morgens erwachten sie auf gemeinsamer Lagerstätte und lächelten einander zu. Sie hatten ihre Hände im Schlafe gefaßt.

»Hörst du, Yester«, sagte Li und lauschte verzückt, »das ist Killi-hiwi!«

»Killi-hiwi singt am schönsten von allen«, erwiderte Yester, den Atem verhaltend.

Killi-hiwi saß jeden Morgen auf einem Rosenzweig vor dem Fenster und zwitscherte. Er war so klein wie ein Taubenei, seine Stimme war Silber. Er sang jeden Morgen zu ihrem Erwachen und war dann den ganzen Tag nicht zu erblicken.

Das Haus stand in einem Hain weißer Birken, junger weißer Birken mit hellgrünem Laub. Es war klein und weiß, schneeweiß. Wie eine Flocke Schnee sah es von weitem aus. Es hatte blinkende Fenster, die Tag und Nacht offen standen, und blitzende Beschläge an der Türe. Die Türe war aus grünem Glase. Eine Treppe führte in den Garten, auch sie war aus grünem Glase. Rings um das Haus standen Beete von Hyazinthen, oder von Mohn, oder blauen Kuckucksblumen. Das ganze Jahr. Über Nacht wuchsen stets neue.

Yester und Li wußten es nicht anders. Sie wunderten sich nicht darüber. Sie streiften den ganzen Tag umher. Der Hain war sehr groß, sie waren noch nie an sein Ende gekommen. Sie dachten auch gar nicht, daß er ein Ende haben müsse. Sie trugen weiße Schleiergewänder die von ihren Schultern herabfielen. Sie jagten einander und jauchzten von früh bis nachts. Immer hatten sie Sonne und einen Himmel, der funkelte wie ein blauer Edelstein. Des Nachts stand ein großer grüner Stern über ihrem Hause, und er wagte erst zu erlöschen, wenn die Sonne wiederkam.

Vor dem Hause, da war eine tiefe runde Quelle mit einer Bank aus weißem Marmor herum. Sie sah aus wie ein tiefes klares Auge und Li meinte, der Himmel blicke aus dem Grunde. Man sah selbst am Tage die Sterne durch den Brunnen wandern, so tief war er.

Li saß oft auf der Bank und warf Steinchen ins Wasser. Und jedesmal, wenn Li ein Steinchen warf, gurgelte es, und ein goldener Fisch mit kreisrundem Mäulchen und Edelsteinen auf dem Rücken tauchte auf und fragte: Was befiehlst du?

Er mußte kommen, er mußte fragen.

Li befahl nichts, sie freute sich an dem drolligen Kerlchen und ließ ihn oft hundertmal kommen. Er wurde nicht böse.

Yester aber stand, während sie spielte, an eine Birke gelehnt und sah ihr zu. Sie erschien ihm selbst wie eine Blume. Ihre Hand zart und durchscheinend wie die Blüten der Hyazinthe. Ihr Haar spiegelte sich im Wasser, in der Quelle schien ein Feuer zu brennen, es zerrann in goldene Fäden, wenn der Fisch auftauchte, aus dem Grunde schien ein seltsamer flimmernder Blumenkelch zu wachsen. Ihre Augen blickten heller aus dem Wasser, als sie in Wirklichkeit waren. Sie erschienen grün wie die Blätter der Birken, durch die die Sonne scheint.

Dann besann er sich jedesmal, was er ihr Liebes erweisen könne.

Yester liebte Li über alle Maßen. Li liebte Yester über alle Maßen.

Ihr Haus lag im endlosen Hain, und der endlose Hain lag am Morgenrot. –


Der Damm war gebrochen. Die Einfälle fielen über ihn her wie ein Rudel hungriger Tiere. Irgend jemand schien ihm die Geschichte zu diktieren und er schrieb, schrieb: fieberhaft schrieb er.

Das große Glück der Inspiration war über ihn gekommen. Es durchschauerte ihn am ganzen Körper. Da gab es kein Zögern, keinen Zweifel, keine Pause. Alle Geheimtüren seiner Seele sprangen auf, alle Schönheiten, die er aufgespeichert, lagen funkelnd vor seinen Blicken, alle Stimmungen, die er empfunden, strömten aus ihm und hüllten ihn in ihren Duft. Während er noch am ersten Kapitel schrieb, arbeitete einer in ihm am letzten.

Er saß inmitten eines Gartens, Blumen wuchsen vor seinen Augen empor, entfalteten ihre märchenhaften Kelche, aus den Kelchen stiegen Wunder, zerfielen, andere quollen heraus. Flammen stürzten von den Bergen ringsum und hüllten ihn ein, weiße Flammen. Aus ihnen rief es, aus ihnen klang es. Er war das Herz einer Welt, und alles strömte nach ihm.

Das war der Hain, der in der Sonne zitterte, das waren die Blumenbeete, über die die Falten des Windes streiften. Das waren die bunten Vögel, die seltsame Worte sangen.

Das war Li. So schritt Li, so sprang Li, so lachte, so weinte Li. Und das waren Yesters glückstrahlende Augen, das war seine Art, über die Bäche zu fliegen, wenn Li ihm rief, so umschlang, küßte er Li. So waren ihre Sonntage, so ihre keuschen Liebesnächte.

So war ihr Glück, so war das Glück überhaupt, rein von aller Erde.

Er fand kein Ende. Wie eine große Woge trug es ihn dahin.

Wo ist Yester? Yester ist fort. Drei Tage fort. Li weint und läuft umher und ruft in alle Winde. Yester verfolgte einen Falter, den sie gerne gehabt hätte. Endlich schimmert sein Gewand im Hain. Er geht langsam, erschöpft von der Jagd. Den Falter trägt er zwischen den Fingern. Li schwenkt den Schleier und ruft: »Ye–ster – Ye–ster –!!«

Li! Li!!

Und Yester saust wie ein Wind über die Wiese, er spürt keine Müdigkeit mehr.

Bogen um Bogen füllte er.

Und er schrieb immer nur über den ewigen Lenz, der jeden Tag neu und herrlich ist.

Seine Lampe verlosch. Er brannte die Kerze an.

Und nun war er fertig. Er jauchzte. »Fertig!« jauchzte er.

Noch klang es in ihm weiter. Das war Lis Jubeln, Yesters Rufen, das war der Hufschlag des sonderbaren Reiters, das war das Jubilieren der Vögel, als ihnen ein Kind geboren ward, das war der krächzende Ruf der Geier, die, eine dunkle Wolke, nach dem Menschenlande flogen und riefen: Krieg – Krieg. – –

Er ging ans Fenster und zog die Gardinen auseinander.

Allah ist groß – es war Tag.

Langsam mit wankenden Füßen ging er im Zimmer hin und her. Er blieb vor der Büste stehen und küßte ihre Schulter.

Das war ja keine Sünde. Heute hatte er sich dieses Recht verdient.

Aus Kapellis Atelier erscholl Gesang. Er mußte hinunter, nichts hätte ihn mehr zu halten vermocht. Er konnte keine Sekunde mehr allein sein.

Er nahm Hut und Manuskript und ging die Treppe hinunter. Er hielt sich am Geländer fest, um nicht zu stürzen.

Kapelli empfing ihn, als sei er ein Gespenst.

»Mensch!« rief er. »Kommen sie als Ihr eigener Gipsabguß?«

Nein, aber diese Nacht habe etwas wie ein kleines Feuerwerk in seinem Kopfe stattgefunden.

»Ah!« Der Bildhauer betrachtete ihn mit gutmütiger Verachtung. Er liebte Exzesse nicht.

»Gebummelt, Kapelli, gebummelt. Und zuletzt noch ein kleines Abenteuer mit einer Dame, die den reizenden Namen Li hatte.«

Aber da kam Frau Trud, fix und fertig angekleidet bis auf die Schleife, lachend, und frisch, wie aus dem Ei gesprungen.

»Guten Morgen«, sagte Ginstermann, in Sprache und Miene einen Betrunkenen kopierend.

Sie wich erschrocken zurück. »Hu, was hat er denn?«

Kapelli machte ihr ein Zeichen. Dann ging er auf ihn zu und richtete ihn energisch in die Höhe.

»Ginstermann, heute abend kommen Sie zum Tee, nicht? Adieu, Sie schlechter Kerl!« sagte er halb ärgerlich.

Aber da zog Ginstermann sein Manuskript aus der Tasche und schlug es auf den Tisch, daß es nur so krachte.

»Sehen Sie her! Diese Nacht!«

»Nanu?« Kapelli betrachtete das Manuskript und sagte lachend: »So ein Filou, er ist ganz nüchtern.«

Frau Trud machte sich daran, die Bogen zu zählen, ungläubig den Kopf schüttelnd. In einer Nacht? Das sei ja unmöglich. Und das könne ja niemand lesen.

Nein, kein Mensch könne das entziffern. Was zum Beispiel das da hieße?

»Schwesterseele, holde!«

O, das könne ebensogut Stiefelknecht heißen. – Und das da?

»Die silbernen Lerchen der Nacht steigen empor.«

Hahahaha.

Da seien die Sterne gemeint.

Hahahaha.

Ginstermann fiel in einen Stuhl, seine Knie zitterten.

Er sah noch wie Frau Trud aus einer weißen Kanne Kaffee einschenkte und während er sich auf das heiße Getränk freute, versank er in einen senkrechten, bodenlosen Schacht, an dessen Wänden er sich vergebens festzuklammern suchte. Das Lachen Frau Truds flatterte über ihm wie ein Schwarm Vögel, der höher und höher stieg.

Nach einem kleinen Jahrtausend hörte er im Halbschlafe eine gedämpfte Stimme. Es war Fräulein von Sacken, die sprach. Sie sagte, er sei hier gewesen und habe das Bild gesehen. Er habe sie beglückwünscht!

Da erwachte er vollständig. Fräulein von Sacken ging eben zur Türe hinaus, elastischer, stolzer denn sonst. Eine Lampe brannte auf dem Tische, Kapelli saß bei der Zeitung, eine dicke Zigarre im Munde, aus der eine mächtige Wolke wirbelte.

Er fand sich auf dem Sofa liegend, die Füße in eine Decke gehüllt, ein Kissen unter dem Kopfe. Ohne Kragen.

Da kam Frau Trud durch die Portiere, machte einen Knix und rief, kindlich lachend: »Guten Morgen, Langschläfer!«


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