Gottfried Keller
Martin Salander
Gottfried Keller

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16

An einem Sonntagmorgen, als die Glocken verklangen und unversehens die wohlige Stille dieser Stunde eintrat, nahm Marie Salander ein Buch zur Hand. Sie war allein im Hause und brauchte in solchen Augenblicken nur sich selbst überlassen zu sein, um allerlei beschauliche Einkehr zu halten. Es kam wie die frische Luft, wenn ein Fenster offen steht.

Jetzt freilich saß sie nicht lange allein. Ihr Mann hatte das beständige Verschlossenhalten der Haustüre vor einiger Zeit als aristokratisch abgeschafft, als volksfeindlich mißtrauisch, trotz der überhandnehmenden Hausschleicherei unzähliger Vaganten, die sich aus den Dachkammern der Dienstmädchen deren sauer zusammengesparte Jahrlöhne herunterholten. An Feiertagen arbeiten jedoch die Diebe gewöhnlich nicht in dieser Abteilung; nur im Anfang war Herrn Salander zu solcher Zeit ein neuer Regenschirm vom Flure gestohlen worden. Was heute seine Gattin in ihrer Sonntagsruhe störte, war ein unbeholfenes Klopfen an der Stubentüre. Als sie ging, dieselbe zu öffnen, trat Frau Amalie Weidelich herein. Sie hielt mit beiden Händen ein Gesangbuch samt dem weißen Schnupftuch umfaßt, welches nach ländlichem Weiberbrauche sauber gefaltet darauf lag.

»Mit Verlaub,« sagte sie, »und guten Tag, Frau Schwäherin!«

»Ei, die Frau Schwäherin!« grüßte Frau Marie überrascht. »Sieht man sich auch einmal? Sie sind gewiß zu spät zur Kirche gekommen?«

»Nein, ich war früh genug; aber da ich die Woche hindurch nicht fort kann und immer weniger, je älter man wird, anstatt auszuruhen, sagte ich unterwegs zu mir selber, du willst einmal hinter der Kirche herumgehen und der geehrten Schwäherschaft eine Visite abstatten! Ich besuchte sonst immer eine der Stadtkirchen, wo es immer so voll und interessant ist und die Leute ihre Visitenkarten an die Bänke nageln! Aber heute, dacht' ich, kannst du aussetzen, einmal ist keinmal, und die Predigten werden ja nicht abgestellt wie die Brunnen, am Sonntag lauft's alleweil noch, das Lebenswasser! Aber sonst kann man's freilich brauchen, meine liebe Frau Schwäherin! Zwar versteh' ich nicht immer recht, wo's hinaus will, weil ich eben nicht gelehrt bin, aber ich tu's meinen Söhnen zu Ehren, die gebildete Herren sind! Man soll nicht sagen, daß man ihre Mama nicht in einem gebildeten Gottesdienst zu sehen bekomme! Sie verdienen es eigentlich nicht! Aber man ist halt doch die Mutter! Und wenn sie dann auf den Kanzeln von dem lieben Gott reden, der keine Beine habe und uns persönlich nicht kenne, und wir doch mit einer gewissen Gotteskindschaft dicktun sollen, so lasse ich es dabei bewandt sein und bete dafür das Vaterunser desto andächtiger mit! Das versteh' ich jetzt wieder besser, als auch schon, liebe Frau Salander! denn ich hab' es nicht wie der liebe Gott, ich fange an, meine Beine zu spüren, sie werden müd.«

»Darum nehmen Sie doch endlich Platz, gute Frau, da steht ja ein bequemer, weicher Sessel! Wollen Sie nicht den prächtigen Hut ablegen? Wer hat den gemacht?«

Marie Salander drängte mit diesen Worten das bittere Gefühl zurück, das der unerwartete Anblick der Zwillingsmutter erweckt hatte: sie entnahm den Gesichtszügen wie den Worten der Frau, daß sie nicht mehr so guten Mutes war wie früher. Diese setzte sich, ihr Kleid vorsichtig in acht nehmend. »Der Hut?« sagte sie, »den hat die Merklin gemacht, er ist aber viel zu schön und zu teuer ausgefallen, es paßt nicht mehr für mich! Abnehmen will ich ihn nicht, es ist mir zu mühsam, ihn wieder ordentlich aufzusetzen!«

Sie betrachtete nun ihrerseits ein Weilchen die Gegenschwäherin und lobte ihr Aussehen: »Ihnen geht es gut, Sie bleiben immer gleich! Und was macht denn der Herr? Ist er zu Hause?«

»Mein Mann ist früh ins Freie hinausgegangen; jetzt wird er wohl für eine Stunde oder zwei auf dem Kontor sein. Was macht der Ihrige, Herr Weidelich? Er ist doch gesund?«

»Gottlob, so ziemlich, die Arbeit hält ihn aufrecht, und doch schont er sich zu wenig und klagt hie und da über Unlust. Es hat eben jedes seinen Teil! Wir wissen zum Exempel nicht, woran wir mit den Söhnen sind; um es geradheraus zu sagen, bin ich gekommen, zu erfahren, ob Sie mehr von den Kindern wissen und was vorgeht?«

»Wieso denn vorgeht?« fragte Frau Marie, nicht sowohl überrascht als halb erschrocken.

»Ja, es muß etwas vorgehen oder gegangen sein. Unsere Söhne, die uns leider nicht mehr viel nachfragen, kommen nur zur Seltenheit einmal gelaufen. Früher kamen sie zuweilen miteinander, jetzt scheinen sie sich zu meiden, und wenn sie bei uns unverhofft zusammentreffen, so schwatzen sie etwas weniges, und der eine oder andere macht, daß er fortkommt. Erscheint aber einer allein, das geht nun seit einem halben Jahr oder länger, und man fragt nach seinem Bruder, so heißes immer: ›Weiß nichts von ihm, hab' ihn nicht gesehen! Seh' ihn überhaupt wenig die Zeit her!‹ So heißt's bei Isidor, und so bei Julian! Und doch stecken sie immer hier in der Stadt und haben Geschäfte, jede Woche müssen wir ein paarmal hören, sie seien da und dort gesehen worden, so müssen sie sich doch selber auch begegnen und sollten nicht sagen, sie wüßten nichts voneinander. Da haben wir gesagt, ich und mein Mann, Herr Salander und Frau sind durch ihre Töchter eher auf dem laufenden, gefährlich wird's am End' nicht sein, sonst würde man uns doch Kundschaft geben! Da bin ich denn heut richtig abgeschwenkt und zu Euch gekommen!«

Frau Salander schwieg verwundert einen Augenblick, indem sie zugleich überlegte, ob sie der Frau Gegenschwäherin die zum Teil ähnliche Erfahrung an den Töchtern mitteilen solle. Es könne nur zur besseren Erleuchtung der beunruhigten Leute beitragen, dachte sie, wenn sie davon Kenntnis erhielten, die ihnen offenbar ganz abgehe.

»Unsere Töchter«, sagte sie, »haben uns von diesen Dingen nichts anvertraut, wahrscheinlich, weil sie ihnen unbekannt sind; wir haben in letzter Zeit nur gelegentlich von ihnen gehört, daß die jungen Männer viel abwesend seien.«

»Natürlich, das glaub' ich schon!« warf Amalie Weidelich ein. »Das ist kein Geheimnis bei der Arbeit, die sie haben! Sonst wußten sie nichts, die Frauen?«

»Diesmal, ich will sagen von diesem Umstande wenigstens nicht!«

»Wie diesmal und von diesem Umstand? Aber ein andermal wußten sie, haben sie geplaudert, he?«

Als Marie nicht sogleich zu antworten vermochte, redete die andere Mutter mit gespannterem Tone fort: »Seien Sie nur offen und hinterhalten Sie nichts! Sehen Sie, wir haben auch davon gesprochen, ob nicht ein Familienzwist, eheliches Zerwürfnis und dergleichen vorhanden sei; ob die jungen Weiber auch sich in die Verhältnisse schicken oder vielleicht unzufrieden seien und den Männern zu Haus das Leben schwer machen? Sie müssen es nicht übelnehmen, Frau Schwäherin, man hat Beispiele, daß zwei Schwestern, die in die gleiche Familie geheiratet haben, zusammenhalten und gern miteinander Komplott machen, wenn es Unfrieden gibt, und imstande sind, alles auf den Kopf zu stellen! Ich will ja nichts damit gesagt haben, nur die Spur suchen!«

Nach nochmaligem kurzen Besinnen fand Marie Salander es an der Zeit, ihr ohne weiteren Rückhalt auf die Spur zu helfen.

»Sehen Sie, Frau Schwäherin,« sagte sie mit ruhigem Ernste, soweit die innere Erregtheit es zuließ, »es ist sicher nicht alles, wie es sein sollte, da haben Sie recht! Ich will Ihnen jetzt nur erzählen, daß wir vor nicht langer Zeit etwas Ähnliches an unseren Töchtern erlebten, wie Sie nun an Ihren Söhnen. Sie ließen sich gar nicht mehr bei uns sehen, wie wenn sie das Elternhaus geflissentlich fliehen würden, und als das uns endlich auffiel und wir uns deshalb die Köpfe zerbrachen, vernahmen wir von dritter oder vierter Hand, daß die Kinder auch unter sich jeden Verkehr verloren hätten und sich scheuten, zusammenzutreffen. Da haben wir uns auch auf den Weg gemacht, mein Mann und ich, aber wir sind gleich zu den Töchtern gegangen und haben sie zur Rede gestellt.«

»Und nu? Was war's?«

»Wir fanden beide allerdings zu Haus und in einer großen Traurigkeit, jede von ihnen hatte Heimweh nach den Eltern und nach der Schwester und getraute sich doch nicht, die zu sehen, die sie gern gesehen hätte. Wir brachten sie dann am gleichen Tage wieder zusammen, wie mit uns, und halfen ihnen über die Wunderlichkeit hinweg, so gut es ging.«

»Aber was ist's denn gewesen? Ging es meine Söhne an?« fragte die ungeduldige Wäscherin.

»Da Sie es wissen wollen, so muß ich es Ihnen sagen; es dient vielleicht zum notdürftigen Ausgleich der Irrungen oder Mißverständnisse und zur allgemeinen Erkenntnis seiner selbst. Meine Töchter haben ihre Heirat bereut und sich deshalb voreinander geschämt, weil sie den vermeintlichen Irrtum gemeinschaftlich mit langer Beharrlichkeit begangen, und vor uns, weil wir die Heirat nicht gern gesehen haben!«

»So?« sagte die arme Frau Weidelich mit gedehntem Laute, höchst betroffen und bleich geworden; denn trotz ihrer anzüglichen Reden von vorhin traf sie die Eröffnung so unerwartet, wie ein Blitz aus blauem Himmel. Sie fühlte das schöne Lebensgebäude schwanken, das sie mit so viel Sorge und Kunst ihren Söhnen aufgerichtet. Der erste Gedanke war das große Erbgut, das viele Geld, und der zweite, daß nicht einmal Kinder da seien.

Als sie sich vom Schrecken etwas erholt, fragte sie mehr kleinlaut als trotzig, was denn die Frauen groß Ursache hätten, die Heirat zu bereuen und mit so umständlichen Manieren. Ohne weiteres Besinnen erwiderte Frau Marie: »Ja, das ist eben das Verwunderliche, das sich mit der Zeit verlieren kann, weil es ertragen werden muß; sie sagen von den jungen Herren, es sei nichts mit ihnen, sie haben keine Seelen!«

Mit rotem Kopfe, den sie so stark schüttelte, daß der Hut darauf mit allen Blumen und Bändern zitterte, der müden Beine vergessend, sprang die Frau Weidelich aus ihrem Sessel auf und rief tödlich beleidigt: »Keine Seelen? Meine zwei Buben, die ich unter dem Herzen getragen? Das ist eine niederträchtige Verleumdung! Rund und nett hab' ich sie zur Welt gebracht, wie zwei Forellen, von den Köpfchen bis zu den Füßchen kein Mängelchen, und jedem hab' ich sein Seelchen mitgegeben von meiner eigenen unsterblichen Seele, soviel Platz finden kann in einem so kleinen Tümpelchen Blut, und es ist mit den Buben nachgehends gewachsen, wie sie selbst! Wo sollt' es denn hingekommen sein? Würden sie Landschreiber geworden sein? Keine Seelen! Die verfluchten Gänse! Die dürfen mir nicht so kommen! Oh!«

Sie war so zornig, daß sie nicht weitersprechen konnte und sich niedersetzen mußte. Marie Salander bereute ihre Tat und suchte nach einem Essenzbesteck, da die Frau jetzt blaß war. Sie verweigerte aber die Tropfen und bat um einen Schluck Wein, wenn er da sei; denn sie fühlte sich wirklich elend.

Frau Salander ging schweigend nach dem Schranke, in welchem dergleichen Dinge für alle Fälle bereitstanden. Während der eingetretenen Stille hörte man schwere Tritte auf Treppe und Flur, und gleich darauf klopfte ein Mann mit harten Fingern an der Türe. Vom Schranke weg eilte jene hin, zu sehen, wer da sei; denn wie erst bei dem ungeschickten Klopfen der Frau vermutete sie jetzt wieder, es poche jemand, der nicht ins Zimmer wolle.

Allein es war der Vater Jakob Weidelich, der dastand mit verstörtem Angesicht und mit unsicherer Haltung hereinkam, als Marie Salander die Tür ganz aufmachte. In der Zerstreuung nahm er den Hut erst vom Kopfe, nachdem er wortlos sich auf den nächsten Stuhl gesetzt, wie ein erschöpfter Mann.

»Verzeihen Sie,« sagte er endlich, sich zusammenraffend, »ich habe mit Herrn Salander reden wollen, ist er nicht zu Hause? Aber da ist ja auch meine Frau! Ich glaubte, du seiest in der Kirche?«

»Und du, Jakob? Wie kommst du hierher?« rief die Frau, die über seinen Anblick die eigene Beschwernis vergaß. Er hatte die gewohnten Sonntagskleider am Leibe, doch mit bewußtloser Hast umgeworfen. Die Weste war ungleich geknöpft, die Halsbinde fehlte, und in der Hand hielt er den abgeschossenen Werktagshut, um welchen statt des verlorenen Bandes sich eine Krone vom Arbeitsschweiße zog, der den Filz durchdrungen. Frau Salander sah dies alles auch und überdies, daß seine Hände leise zitterten. Bänglich wartend, was noch kommen würde, hielt sie sich schweigend abseits und überließ dem Schwäherpaare das Reden. Frau Weidelich hatte sich auf die Beine gestellt und sich dem Manne genähert, indem sie seinen nachlässigen Anzug musterte.

»Was ist denn das?« rief sie, »wie kannst du ohne Halstuch fortlaufen? Und nicht einmal den Hemdkragen zuknöpfen! Und am Sonntag mit dem alten Hut in der Stadt herumstürmen, pfui Teufel!«

Als sie aber die ratlose Verfassung seiner Gesichtszüge genauer sah, durchfuhr sie ein Schrecken. Sie wußte, daß er nicht um eine Kleinigkeit in einen Zustand geriet, den sie nie an ihm erlebt.

»Was hat's gegeben, Jakob?« fragte sie mit bleicher Furcht, da das Unbekannte, welches den sonst so ruhigen Mann aus dem Hause getrieben, ihr doppelt schreckhaft erschien.

Er suchte seine feuchte Stirn zu trocknen, fand aber kein Tuch in der Rocktasche. Die Frau blickte umher und gewahrte das auf dem Tische liegende Kirchenbuch mit dem Schnupftuch. Sie schlug dieses auseinander und wischte ihm selber Stirn und Schläfen ab. Weidelich nahm ihr das Tuch aus der Hand; etwas gefaßter ließ er sich nun vernehmen: »Unser Sohn Isidor ist in der Stadt – ich muß es in Gottes Namen sagen, er sitzt gefangen, in schwerer Untersuchung – sie haben ihn gestern abend gebracht.«

Marie Salander suchte mit einem kleinen Schrei den Halt des nahen Fenstersimses; sie sah nur die arme Tochter Setti, die verlassen und geängstigt im Lautenspiel sitzen mußte, vielleicht selbst gefangengehalten oder wenigstens bewacht.

Isidors Mutter aber stand mit offenem Munde, den Mann anstarrend. Sie begriff nicht, was er sagte.

»Was kann er denn angestellt haben?« stotterte sie, »das wird eine schöne Dummheit sein, sie sollen sich in acht nehmen!«

»Es ist kein Spaß, du arme Frau!« sagte Jakob Weidelich, der sich jetzt erhob und mit Gehen und Sprechen zu erleichtern suchte. »Es ist einer von den Behörden im Haus erschienen, sobald du fort warst, und hat mir das Unglück angezeigt. Ich hafte ja mit unserm Vetter und Gevatter Ulrich als Amtsbürge für beide Söhne. Drum befragte mich der Herr nach meiner Zahlungsfähigkeit und forderte mich auf, die Mittel auf alle Falle bereitzuhalten; aber nicht nur das, er wollte wissen, was ich darüber hinaus etwa zu leisten imstande wäre, obgleich es nicht danach aussehe, als ob eine gütliche Auskunft möglich; denn es sei bei unserm Isidor eine große und böse Unordnung gefunden worden. Ich hab' in Schrecken und Angst nichts zu sagen gewußt, als daß ich tun werde, was ich vermöge, wenn es helfen könne, und bin hierher gelaufen, um den Herrn Gegenschwäher um Rat zu fragen, was zum Schutz des Sohnes zu tun sei. Denn ich kann nicht glauben, daß er, wie soll ich sagen, daß er sich so vergessen habe! In der Verwirrung hab' ich nicht einmal das Nähere vernommen! Ich hätte nie geglaubt, daß dergleichen an mich komme!«

Plötzlich schlug die Frau eine gellende Lache auf und tastete, wie wenn sie in einem dunkeln Raume ginge, mit vorgestreckten Händen nach dem kürzlich verlassenen Lehnstuhl. Dort schöpfte sie Atem, lachte dann nochmals stoßweise und rief bitter gegen den Mann hin: »Aber an mich kann es kommen? Mir schadet es nicht, hab's am End' verdient, gelt? Dein Lebtag denkst du nur an dich! Eine schöne Welt, ein wackerer Sonntag! Zuerst heißt's, die Buben haben keine Seelen, dann werden sie eingekerkert und zu Schelmen gemacht! Ach, ach, ach, wie weh!«

Ihre Worte verloren sich in einem erbärmlich klagenden Tone und dieser in erneuter Übelkeit, die sie befiel, indes Weidelich sich auch wieder gesetzt hatte und, die Hände auf die Knie gestützt, zu Boden starrte.

Frau Marie Salander ergriff die bereits hervorgenommene Flasche mit altem Xeres und füllte für jedes der geschwächten Eheleute ein Kelchglas, obgleich ihr selbst schlecht zumut war. Und wie die Mutter Isidors in seiner Person beide Söhne zusammenfaßte und einseitig nur an diese zu denken vermochte, so dachte Marie Salander an beide Töchter, ohne von ihnen zu sprechen, da die bedrängten Gegeneltern ihre Aufmerksamkeit den jungen Frauen jetzt nicht widmen konnten.

Amalie Weidelich trank einen guten Schluck von dem Weine und stellte das Glas weg, in die Luft, daß es zu Boden fiel.

»Also der Isidor ist eingesperrt«, sagte sie, »und kann nicht mehr gehen, wo er will! Bringt ihm denn jemand zu essen und zu trinken, wenn es ihn gelüstet und die gewohnte Zeit da ist, wie gerade jetzt? Haben sie dort auch etwas Ordentliches für einen Landschreiber, einen Ratsherrn? Für einen armen Menschen, der nicht weiß, was Hunger und Durst ist?«

»Soviel ich mich erinnere,« bemerkte Frau Salander, »können solche Gefangene, solange die Untersuchung dauert und bis sie verurteilt sind, auf ihre Kosten haben, was sie wünschen, so wie sie es ungefähr gewöhnt sind.«

»Verurteilt sind! Ein solches Wort will ich von niemandem hören! Wenn ihm schlechte Teufel aller Art, mit denen er zu tun hat, Unkraut in seine Geschäfte gesät haben, wenn er manchmal nicht weiß, wo ihm der Kopf steht, so klärt er das gewißlich auf, und für seine Verfolger wird es ein schlechtes Ende nehmen! Aber jetzt muß man sorgen, daß es ihm an nichts gebricht! Warum ist seine Frau nicht mit ihm gekommen, über ihn zu wachen und in der Nähe zu sein?«

»Sie wird zu Hause zu wachen haben, da sonst niemand dort ist!« sagte Marie Salander trocken, ihren Unwillen zurückhaltend.

»So müssen wir sorgen, hörst du, Mann! Wir wollen hingehen, oder geh du allein und bring ihm etwas Geld, im Fall sie ihn etwa ausgeplündert haben! Ich will indessen heimlaufen und einen Vorrat von Speis' und Trank bereitmachen, hörst du nicht?«

Der Vater Weidelich hörte freilich nicht. Er zergrübelte unablässig den Gedanken, daß ihm Unehrlichkeit und Verbrechen in Gestalt des eigenen Sohnes nahetreten und überdies sein ganzer bescheidener Wohlstand, den er in so vielen Jahren mit saurer Arbeit errungen, in Rauch aufgehen solle und er ärmer dastehen würde, als er im Anfang gewesen; denn den Hof im Zeisig hatte er zu seiner Zeit noch mit Hilfe eines kleinen väterlichen Erbes erworben. Und wenn es so käme, könnte er von vorn anfangen in seinem Alter? Wolle es Gott, so würde es doch nicht so kommen, es könne ja nicht sein!

Da er solchergestalt in seiner Grübelei verharrte und keine Antwort gab, vergaß die Frau ihren Vorsatz und sank mit zerfahrenen Sinnen in sich zurück.

Marie Salander benutzte die herrschende Stille, um nach einem Glase frischen Wassers zu gehen und sich dann still in eine Ecke zu setzen, in der Absicht, nicht nur selbst einen Augenblick der Sammlung zu gewinnen, sondern auch das vom Unheil ergriffene Ehepaar zu einer kurzen Ruhe zu verlocken. Es gelang ihr auch, beinah ein halbes Stündchen zu überstehen, ohne daß die Stille anders als durch ein Stöhnen oder Seufzen unterbrochen wurde.

Mit rascheren Schritten als gewöhnlich kam ihr Mann heran. Sie dankte dem Himmel, als sie ihn hörte, und ward doch über seinen Anblick betroffen, der von Sorge und großem Ärger Zeugnis gab.

»Da sind wir ja alle beisammen!« sagte er, im Zimmer stehend, »augenscheinlich wißt ihr die Neuigkeit schon!«

»Leider ja!« ließ sich Vater Weidelich vernehmen, der über Salanders Ankunft erwacht und aufgestanden war. »Ich bin zuerst hierher gekommen, Herr Salander, um Sie um Rat zu ersuchen, was zu tun sei. Es ist hoffentlich doch nicht so arg, wie es im ersten Schrecken aussieht!«

»Es ist schlimm genug!« erwiderte Salander, der die üble Verfassung Weidelichs und auch diejenige der Frau bemerkte. Diese war scheinbar teilnahmslos in ihrem Lehnstuhle sitzengeblieben, mit abgewandtem Gesicht, und Frau Marie, die aus ihrem Winkel hervortrat, deutete gegen ihren Mann auf sie hin. Dieser suchte sich deshalb schonender auszudrücken, als er gestimmt war.

»Der Unterbeamte, der bei Ihnen war,« fuhr er Weidelich gegenüber fort, »ist auch zu mir auf das Bureau gekommen. Es scheint aber ein voreiliger und diensteifriger Mensch zu sein; mir fiel auf, daß er nicht genaueren Aufschluß geben konnte und überhaupt am Sonntag in solchen Geschäften herumlief. Auch bei mir wollte er vernehmen, was ich allenfalls für den Schwiegersohn zu tun gesonnen wäre, damit eine Strafklage unterbleiben könne. Das ist eine gute Meinung, die jedoch zu einem Bescheid vorderhand nicht hinreichte. Ich machte mich auf den Weg, um geeigneten Orts Bestimmteres zu vernehmen. Es ist keine Rede von Fahrlässigkeiten und dergleichen Dingen, deren Folgen niedergeschlagen werden könnten. Isidor hat unter Mißbrauch des Amtes so unglaublich kühne Dinge unternommen, daß die Entdeckung immer an einem Haare hing und endlich in vergangener Woche eintrat. Drei Tage dauerte die Untersuchung der Bücher auf seiner Kanzlei. Gestern waren die Hundertundfünfzigtausend überschritten, und noch soll kein Ende abzusehen sein. Darum wurde das Verfahren in Unterlaub abgebrochen und nach Münsterburg verlegt.«

»O Herr Jesus!« tönte es vom Schmerzenssitze der Mutter Weidelich her mit einem Jammergeschrei. Vater Jakob suchte wieder seinen Stuhl. Die vernommene Zahl erhellte ihm wie eine Brandfackel die Lage. Auch Martin Salander fühlte sich ermüdet, desgleichen die Gattin Marie, und so saßen die vier alternden Personen schweigend umher, wie der Zufall es fügte.

Nach einer geraumen Weile wimmerte die Frau Weidelich: »Wäre ich doch lieber zur Kirche gegangen, so hätte ich noch eine Stunde gehabt, wo ich von nichts wußte! Das wär' noch ein gutes Stündlein gewesen, und hätte guter Dinge nach Haus gehen können, ohne es mir ansehen zu lassen!«

Abermals nach einigen Minuten rief sie: »Jetzt muß es doch sein! Jakob, wir wollen gehen, daß wir unter Dach kommen!«

Da sie sich gleichzeitig aufraffte, so gut es ging, nahm sich auch der Mann zusammen und trat mit gebrochenem Wesen zu Salander, der sich ebenfalls erhoben.

»Es tut mir leid,« sprach er mühselig, »daß wir Ihnen so viel Ungelegenheit machen.«

Die Stimme versagte ihm, und er schwieg. Martin gab ihm die Hand; er sah, wie der Mann litt, und, die eigene Beschwernis vergessend, sagte er mit allerdings zweifelhaftem Troste zu ihm: »Wer kann heutzutage behaupten, er sei vor dem allgemeinen Übel sicher? Es ist wie die Reblaus oder die Cholera! Wenn Euch einer schief ansieht, so dürft Ihr ihm nur sagen, er soll erst nach Haus gehen und nachschauen, ob's nicht schon dort sei!«

Inzwischen hatte Amalie Weidelich mit ihrem Hute zu schaffen, der sich wegen der Erregungen der Frau verschoben und nicht mehr recht sitzen wollte. Sie suchte ihn vor einem Spiegel zurechtzurücken und festzumachen, und Marie Salander kam ihr zu Hilfe. Plötzlich aber riß sie ihn vom Kopfe und erklärte, sie wolle ihn nicht mehr aufsetzen, sondern ohne Hut heimgehen.

So begab sich das Paar auf den Weg. Kaum waren sie auf der Straße, so fühlte sich die Frau so schwach, daß der Vater Jakob sie am Arme führen mußte; in der linken Hand trug er den schönen bunten Hut wie einen Henkelkorb am Bande. Sein eigener abgetragener, schweißbefleckter Hut vollendete den wunderlichen Aufzug des Paares, welches trübselig dahinschwankte durch den unsicheren Gang der Frau, die sonst von manchem Glase Wein, das sie getrunken, niemals geschwankt hatte.

Man blickte ihnen nach, Vorübergehende standen sogar still, und jemand sagte vernehmlich zum andern: Die zwei Leutlein haben ja wacker gefrühstückt!

Sie hörten es mit den scharfen Ohren der jungen Schande, sahen aber weder rechts noch links. Auf einer geräumigen Brücke kamen sie noch schwieriger voran; eine Menge Kirchenleute kreuzte sie von beiden Seiten her, und fast alle blickten auf den Hut, der an Jakob Weidelichs linker Hand hing, und sodann auf den etwas zerzausten Kopf der Frau.

»Gib mir den Hut, Jakob!« sagte sie, »es schickt sich nicht für dich, daß du ihn trägst!«

Er ließ es sich gefallen und gab ihr das stattliche Modenstück, und da sie in diesem Augenblicke gegen das Brückengeländer gedrängt wurden, warf die Frau den Hut in den Fluß, ohne ihm nachzusehen.

»Was machst denn? Bist du närrisch?« murmelte der Mann.

»Nur vorwärts! Steh nicht still!« sagte sie, »ich habe genug von der Herrlichkeit!«

So gingen sie weiter und bekamen Raum genug. Denn die nächsten des Brückenvolkes, welche den Wurf bemerkt hatten, liefen eiligst auf die andere Seite hinüber und bogen sich über das dortige Geländer, um den Hut unterhalb der Brücke hervorschwimmen zu sehen, und als die übrigen dies Gelaufe wahrnahmen, pflanzte sich die Bewegung fort, und die ganze Brücke entlang sprang alles wie besessen nach jener Seite und guckte ins Wasser. Auf den ziehenden Wellenspiegeln fuhr auch der arme Hut schon den Fluß abwärts, wie ein mit Seide bewimpeltes und mit Blumen bekränztes Schiffchen oder ein schwimmendes Gärtchen. Aber in kurzer Frist stießen auch schon in einem Rettungskahne zwei Burschen vom Lande und ruderten dem lustigen Fahrzeug eilig nach, um es entweder für sich zu erbeuten oder wenigstens ein gutes Trinkgeld zu verdienen, während die beiden Ufer entlang sich immer neue Zuschauer einstellten.

Indessen gewannen die bekümmerten Eltern der Zwillinge unerkannt das Freie und klommen zum alten Zeisig empor.

»Daß du den Hut nicht mehr aufsetzen magst,« begann Weidelich, als sie einen Augenblick verschnauften, »finde ich auf eine Art begreiflich; aber du hättest ihn ja verkaufen können. Ich fürchte, die Zeit ist nah, wo wir auf jeden Franken achten müssen!«

»Es ist jetzt geschehen,« seufzte Amalie, »ich hab' kaum gewußt, was ich machte! Übrigens ist noch manches da, was ich verkaufen kann, die Röcke, die Uhr und die Kette, das schickt sich alles nicht mehr, weil es die Blicke der Leute auf mich zieht, und dann werde ich auch die Brosche nie mehr vorstecken, mit den zwei Bübchen drauf – nein, die Brosche kann ich nicht verkaufen, wenn sie jetzt auch nicht mehr recht tun können und uns verloren sind – ach, es war doch eine glückliche Zeit! Nein, ich will das Bildchen behalten und auch das Gold daran lassen, solang wir noch eine Brotrinde haben!«

Sie sagte das in Tränen, von Schluchzen unterbrochen. Jakob mahnte sie erschreckt und kummervoll, sich zu fassen.

»Wie kannst du auf einmal so reden und beide Söhne in einen Tiegel werfen? Auch wenn der, der jetzt gefangen ist, nicht zu retten wäre, so haben wir ja noch den Julian, der wird doch, will's Gott, nicht so zum Vorschein kommen!«

»Du kennst sie nicht wie ich, die ich sie zur Welt gebracht! Sie haben jederzeit und alleweil das gleiche gedacht, gewollt und getan und jeder gewußt, was der andere wollte. Ach Herr du mein Gott, nun weiß ich auch, warum sie einander gemieden haben und immer sagten, ich weiß nichts, ich hab' ihn nicht gesehen! Sie wußten genau, daß sie auf den gleichen Wegen gehen und dasselbe tun, und weil es etwas Böses und Gefährliches war, scheuten sie sich! Denk' dir nur, die Salanderin, die ich diesen Morgen zu fragen ging, ob sie nicht wisse, was das sein könne, erzählte mir ganz trocken, ihre Töchter hätten es ähnlich gemacht, sie hätten die Eltern und sich selbst gegenseitig geflohen, und weißt du warum? Weil sie sich vor den Eltern und eine vor der andern geschämt haben, ja geschämt!«

»Weswegen? Was haben denn die getan?«

»Sie haben sich geschämt, weil sie unsere Söhne geheiratet haben! Wie deutlich versteh' ich jetzt unsere Buben, die armen Tröpfe, die als Zwillingsbrüder sich im Bösen voreinander gefürchtet; und keiner wollte, daß der andere auf seine Sache zu reden komme! Es ist mir, als guck' ich mitten in ihre Herzen hinein!«

»Das ist ein Glück zum Erbarmen, das wir mit den Söhnen erlebt haben; es wird ja je länger je trauriger und unbegreiflicher! Ich wollte bald lieber, ich wüßte nichts von meinem eigenen Leben!«

»Es will alles zurückbezahlt sein, wie ich merke,« erwiderte die Frau, »umsonst ist der Tod! Dort ist unser altes Haus! Gott sei Dank, daß wir nicht ein neues an seiner Statt bauten in unserm Übermut. Obgleich wir beide immer fleißig und tätig darin gewesen sind und uns der Arbeit nie geschämt haben. Wir wollen uns heut noch gut darin verbergen und stillhalten, und tun, als ob es eine Ewigkeit so still und heimlich bliebe. Die Dienstboten können noch nichts wissen! Aber morgen ist's Montag, da müssen sie die Wäsche für die Woche abholen in allen Ecken der Stadt, da werden sie's wohl vernehmen, und am Dienstag kommen meine Wäscherinnen, vier Stück – eine bittere Woche, diese erste – komm Jakob, wir wollen hineingehen und uns still halten! Wenigstens merkt es der liebe Gott nicht, da er uns nicht persönlich kennt, wie der große Kanzelherr sagt! Es ist ein Glück, daß er uns also nicht nach unsern Kindern fragen kann; denn er hat keinen Hochschein davon, wie unsere lustigen Söhne zu sagen liebten, wenn einer etwas nicht kannte! Komm hinein!«

Es war, als ob die arme Frau im Gefühl, daß es nötig sei, sich wieder lebendig redete, um sich vor den Hausgenossen eine Haltung zu machen. Sogar ein wenig Geistesgegenwart gewann sie; denn sie griff sich im Hausflur plötzlich an den Kopf und ging ungesehen zuerst nach der hintern Stube, als ob sie dort den schönen Sonntagshut ablegen wollte.

Auch Martin Salander und seine Frau verließen das Haus an diesem Tage nicht mehr. Nachdem die Gegenschwäherschaft sich entfernt hatte und das Paar allein war, sagte Martin: »Es ist mir heut merkwürdig gegangen! Ich ließ mir in der Frühe das Haar schneiden; neben mir saß einer, der barbiert wurde und dabei durch das Fenster auf die Straße schaute, immer in der Richtung, wie ihm der Barbier just das Gesicht drehte, bald so und bald anders, so daß ihm die Augen zuweilen nach dem Himmel oder an die Zimmerdecke gewandt wurden. Als er fertig war, aufstand und das Gesicht mit dem Handtuch trocknete, sagte er, während ihm der Bart geputzt worden, habe er nach und nach auf dem Trottoir vor dem Fenster nicht weniger als vier gute Bekannte gehen sehen, von denen jeder zurzeit einen Anverwandten im Zuchthause sitzen habe. Das sei doch etwas stark, während eines einzigen Bartscherens! Und doch habe er bei weitem nicht alle Vorübergehenden gesehen, weil ihm der Rasierer alle Augenblicke das Gesicht am Nasenzipfel oder Kinn zur Seite zog. Einige habe er vielleicht übersehen oder nicht erkannt, da das blaue Drahtgitter gerade am Fenster die Gestalten etwas verdunkle. Ich mußte bei allem Elende lachen, nun hat es sich schnell gerächt!«

»Wenn es nicht so schmählich wäre, was geschieht,« gab Marie zur Antwort, »so würde ich mich freuen, daß wir die Töchter wieder zu uns nehmen können; denn das wird keine Frage sein, ob sie jetzt frei werden oder nicht!«

»Natürlich! Das heißt, wenn sie nicht auf eine neue Narrheit verfallen, nämlich die, den einmal angetrauten Gatten im Unglück, heiße es, wie es wolle, vor der Welt anhangen zu müssen und den Lohn im Bewußtsein einer standhaft geübten Barmherzigkeit zu suchen. Man hat ja Beispiele!«

»Du vergißt, daß hierzu immer noch ein Fünklein Liebe gehören würde, das ja längst erloschen ist!«

»Du magst freilich recht haben! Um so besser! Aber wir sprechen ja schon nur von beiden Herren, während noch gar nicht gesagt ist, daß Meister Julian, der Vogelsteller, den Weg seines Bruders gehen werde! Er kann, wenn auch nicht braver, doch vorsichtiger, schlauer gewesen sein oder mehr Glück gehabt haben!«

»Ich bin sicher, daß er den anderen früher einholen wird, als man vielleicht denkt. Wozu sollte er sich gerade in diesem Punkte von ihm unterscheiden?«

»Desto schlimmer für mich!« sagte Salander mit düsterem Sinne, »oder vielmehr für uns alle! Wenn nur einer so elend zugrunde geht, so ist es nicht das gleiche, wie wenn beide dahinfahren; da erst wird die auffällige Doppelhochzeit recht aufgerührt werden, die ich angerichtet habe, durch die ich in den Rat gekommen bin, was jedermann weiß, und die ein höhnisches Sprichwort sein wird, länger als wir leben; und auf diese Weise habe ich meiner politischen Parteirichtung, der Volkssache überhaupt Schaden statt Nutzen gestiftet! Und die Töchter werden wie lebendige Denkmäler der vertrackten Geschichte herumgehen. Und dann der Arnold! Schon damals hat man nur von der Salanderhochzeit gesprochen; wenn er nun endlich heimkehrt, so hab' ich ihm einen schönen Knüppel an seinen Namen ge hängt, wenn er öffentlich wirken will!«

»Solche Ängste hab' ich nun nicht,« erwiderte Marie nachdenklich; »du stehst doch nicht auf so schwachen Füßen, und was den Arnold betrifft, so wird er immer den guten Namen finden, den er braucht. Nur gesteh' ich, daß, so sehr ich seine Heimkehr herbeiwünsche, doch jetzt erschrecken würde, wenn er mitten in den Skandalprozeß hineingeriete! O diese heillosen Schlingel!«

»Wir wollen darüber nicht die arme Setti vergessen, die zu dieser Stunde ratlos in ihrem traurigen Lautenspiel sitzen wird!« sagte Salander, dessen Gedanken durch das letzte Wort auf das Geschick der Tochter gerichtet wurden. »Ich würde sofort nach Unterlaub fahren, wenn ich nicht dächte, es hülfe jetzt zu nichts. Sie wird einige Tage auf sich selber gestellt und wahrscheinlich froh sein, wenn niemand kommt! Einen rechtlichen Beistand braucht sie noch nicht, da die Lage einfach ist. Das Bare, das wir mitgegeben, ist natürlich verschwunden; die übrige Aussteuer können sie ihr nicht mehr nehmen. So denk' ich, wir telegraphieren einstweilen nur um ein Lebenszeichen. Sie mag berichten, ob man sie holen soll und wann; lang wird's nicht dauern, bis sie gehen muß; denn der Konkurs ist in jedem Falle sicher, und das erste, was geschieht, ist der Verkauf der Liegenschaft, die Gant.«

»Da können wir nur für Raum sorgen,« versetzte Frau Marie, »wenn wir auf einmal die zwei Aussteuern unterbringen wollen, von denen jede ein Wohngemach so ziemlich ausfüllt. Ich habe mir so viel Müh' damit gegeben, daß ich den Kram nicht gern im Stich lassen möchte. Schreib aber nun das Telegramm, daß es die Magdalene noch schnell forttragen kann. Der Mittag naht, Setti kann vielleicht eher einen Bissen essen, wenn sie es hat. Wahrscheinlich macht sie sich unsertwegen wieder Gedanken!«

»Ich will selbst hingehen, damit Magdalene nicht am Kochen gestört wird,« sagte Salander; »ich bin von diesen schäbigen Schicksalsäußerungen hungrig geworden!«

»Bleib nur!« rief Marie, »das wenige, was noch zu tun ist, kann ich schon besorgen, wenn nötig. Gehst du jetzt auf die Post, so triffst du vielleicht ein Rudel guter Freunde und anderer mildtätigen Seelen, die dich bereits voll Teilnahme ausfragen und vor deinen Augen weitertelegraphieren, was du sagst!« Salander stutzte.

»Du kannst bei Gott recht haben! Sie sind jetzt alle schon beim Frühschoppen gewesen, die Unterrichteten mitten drunter! Und über den Verbleib von einigen Hunderttausenden verlohnt sich das Telegraphieren immer für gewisse Leute!«

Er nahm also ein Formular, beschrieb es mit den erforderlichen lakonischen Worten und gab es der Frau.

Sie las den Blitzbrief, studierte einen Augenblick daran herum und beschrieb ein neues Formular. Verwundert las Martin Salander dasselbe, als sie fertig war. Sie hatte die gleich harten Steinblöcken dastehenden Haupt und Zeitwörter mit den dazugehörigen, sie verbindenden Kleinwörtern versehen, sonst aber nichts geändert.

»Du hast ja gar nichts dazugetan als die Pronomina, den Artikel und einige Präpositionen und dergleichen. Dadurch wird ja lediglich die Depesche dreimal so teuer!« sagte er, noch immer überrascht.

»Ich weiß wohl, es ist vielleicht närrisch,« erklärte sie bescheiden; »allein es will mir vorkommen, daß diese kleinen Zutaten die Schrift milder machen, ein wenig mit Baumwolle umhüllen, so daß Setti das Gefühl hat, als hörte sie uns mündlich reden, und dafür reut mich die höhere Taxe nicht. Wenn du aber willst, so unterschreib' ich das Ding selbst!«

»Es ist merkwürdig, wie recht du hast!« sprach Salander, der die drei oder vier Zeilen nochmals gelesen. »Es nimmt sich in der Tat urplötzlich fein und herzlich aus. Wo zum Kuckuck holst du die wunderbar einfachen Stilkünste? Nein, das mußt du selbst unterschreiben, es wäre mir altem Schulfex nicht eingefallen!«

Eine halbe Stunde später bei Tisch sitzend, empfingen sie Settis Antwort, nach welcher sie in wenig Tagen das Haus zu verlassen gedachte, indessen vorher noch einen Brief verhieß. Dieser gelangte schon am nächsten Morgen an. Er enthielt eine gedrängte Anzeige des über sie ergangenen Schreckens, der Tag und Nacht andauernden Untersuchungsarbeiten der eingetroffenen Amtsleute und Fachmänner, welchen Isidor in fortwährenden Verhören beiwohnen mußte. Anfangs habe er sich sprützig und hochfahrend angelassen und sich sonst verkehrt benommen; als aber die Männer, unter denen sich duzfreundliche Amtsgenossen von ihm befunden, unversehens ihn trockenen Tones mit Ihr traktierten und ihm befahlen, hier zu stehen, oder dort, oder sich in eine Ecke zu setzen und zu warten, bis man ihn rufe, und zuletzt ein Polizeisoldat zum Vorschein kam, der die Kanzleitüre nicht mehr verließ, da habe er gemerkt, daß er verloren sei, und weinend alles gestanden, was man wollte, aber nichts, ohne Unwahrheiten daran zu hängen, jedesmal auch einen Verweis bekommen. Als er mit allen Büchern und Akten fortgebracht worden sei, habe er der Frau nur kurz ein Adieu zugerufen, mit dem Beifügen, er sei leider Staatsgefangener (wie wenn er etwas Höheres und Feineres ausgearbeitet hätte), und er hoffe bald wieder da zu sein, sie möge gute Hausordnung führen! Schon seit einiger Zeit habe sie kein Monats- oder Wochengeld mehr erhalten, sondern für jede einzelne Ausgabe die benötigte Münze in der Kanzlei verlangen müssen. Jetzt sei mit Ausnahme ihrer Kleiderschränke und der Küche alles versiegelt. Eine Spur von ihrem Barvermögen habe sich nicht gefunden, jedoch sei ihr versprochen, daß sogleich nach Bestellung des Konkursrichters die Freigabe ihrer sämtlichen zugebrachten Fahrhabe verfügt werden solle. Solange möge sie nicht im Hause bleiben, und wenn sie das wenige Reisegeld besäße, so würde sie mit Erlaubnis der Eltern ohne Verzug dahin zurückkehren, wo sie nie hätte fortgehen sollen.

»Morgen ist Dienstag,« sagte Salander, »ich will sie morgen holen! Wir wollen ihr sogleich telegraphieren, sie soll das Nötigste einpacken und sich bereithalten. Hat sie auch noch Koffer oder Kisten? Ich will wetten, der Mensch hat alles verreist und verrissen!«

»Ich sah noch die Koffer und Korbsachen, die sie von hier mitgenommen hat,« erwiderte Marie, »die Herren reisten stets mit kleinem Handgepäck.«

»Du hast recht! Wie es der große Diätenfresser von Gauchlingen macht, der jahraus und -ein das Land mit einer alten ledernen Aktenmappe durchrutscht, in welcher ein Nachthemd steckt!«

»Übrigens möchte ich mitkommen,« nahm Marie wieder das Wort, »und meine, wir könnten einen Wagen nehmen, trotz der Eisenbahn, so müssen wir nicht mit Setti zu Fuß nach der Station wandern und können auch ihre Sachen sofort aufladen. Es schadet nicht, wenn sie dort sehen, daß sie noch wo zu Haus ist. Und hier kommen wir gerade recht mit der Dunkelheit an, so daß es auch gar nichts zu gaffen gibt. Etwas kaltes Essen wollen wir für alle Fälle mitnehmen, wer weiß, ob sie etwas hat! Wir brauchen dann unterwegs nicht anzuhalten.«

»Mit allem bin ich einverstanden, wie du es willst! Die du eine Widersacherin dieser Unglücksheiraten gewesen bist, denkst jetzt an alles, worauf unsereiner nicht geriete!«

Sie führten den Plan aus, besorgt, in welchem Zustande sie die Tochter finden würden. Setti erschien etwas abgemagert und blaß, auch ermüdet, aber doch gefaßter, als die Eltern es sich vorgestellt. Das Gefühl der Befreiung aus selbstverschuldeten unwürdigen Fesseln mochte unbewußt die Wage halten gegen alle anderen Eindrücke, die sie erfahren.

Auch war sie nicht allein im Lautenspiel, obgleich die Magd und der Schreiber ihres Weges gegangen. Wie in einem Hause, dessen Stütze durch jähen Todfall abgeschieden ist, sich die Nachbarinnen tröstend und helfend bei der Witwe einfinden, so hatten sich bereits zwei oder drei angesehene Frauen von Unterlaub eingestellt, welche täglich herbeikamen, der verlassenen Landschreiberin gefällig zu sein oder wenigstens die Zeit zu vertreiben. Zwei saßen auch jetzt strickend auf den Koffern, die sie füllen und schließen geholfen, während Setti aus den letzten Überresten die letzte Mahlzeit zusammenstoppelte, Tee, Butterbrötchen, Eierkuchen. Der von der Mutter mitgebrachte Imbiß war höchlich willkommen. Da die Pferde gefüttert werden mußten, sandte Martin den Kutscher in ein Wirtshaus zu Unterlaub und trug ihm zugleich auf, den dortigen Gemeindammann hinzusenden, damit er das Haus abschließe und in Gewahrsam der Behörde bringe.

Die Dorffrauen nahmen an dem Stegreifmahle bescheidentlich teil, der Merkwürdigkeit wegen, und ließen sich hernach nicht hindern, das gebrauchte Geschirr zu reinigen und in der Küche alles an seinen Ort zu stellen. Dann gossen sie das Spülicht weg, putzten den Gußstein und lehnten den kleinen Besen säuberlich in die Ecke; denn es war ein fast noch neues Binsenbeslein. Mit dem Reste des Wassers endlich löschten sie sorgfältig das glimmende Herdfeuer.

So erschien der Ammann eben recht. Er ließ sich verständigen, an die letzten Räume und Behälter das amtliche Siegel zu legen, und hatte dazu das Erforderliche mitgebracht, Siegellack, Bandstreifen und Stempel, sogar einen Wachsstock, da er gewohnt war, zu dieser Verrichtung zuweilen nicht einmal ein brauchbares Licht vorzufinden. Hier standen zwar ein paar schöne Leuchter im Zimmer, die Frau Salander einst selber eingekauft hatte. Sie meinte, man könnte den einen davon oder beide nehmen und nachher in der Kutsche unterbringen, da sie ja der Frau gehörten; dann möge man das Siegel anlegen. Allein der Gemeindammann erklärte, die Leuchter müßten bis zur Inventuraufnahme stehenbleiben, es sei schon genug Verwirrung in der Gegend, der ganze Besitzstand scheine zu schwanken wie bei einem Erdbeben; viele fürchteten, von Haus und Hof zu kommen, ohne zu wissen wie. Die Bevölkerung sei ganz erhitzt und fabele von Millionen, die verloren seien.

»Zünden Sie Ihren Wachsstock an!« sagte Salander und reichte dem Amtsmann ein Streichhölzchen. Dieser ging an sein Geschäft und gelangte so mit der kleinen Gesellschaft Schritt für Schritt bis vor die Haustüre. Martin Salander drehte den Schlüssel um und übergab ihn dem Gemeindammann. Hierauf nahmen sie Abschied von den zwei Frauen und dankten ihnen für die erwiesene Teilnahme und Freundlichkeit, so daß sie gerührt die Augen wischten. Setti vermochte keine Träne zu vergießen; halb gelähmt von den Worten des Ammanns, bestieg sie mühselig mit den Eltern den bereitstehenden Wagen, der rasch davonfuhr.

Die zurückgebliebenen drei Personen blickten ihm nach und gingen langsam nach dem Dorfe zurück.

»Das sind gutstehende Leute,« sagte eine der Frauen, »der Herr vermöchte gewiß dem Schaden abzuhelfen, wenn er wollte; und es sind jedenfalls auch rechtdenkende Leute!«

»Er wäre ein Narr, wenn er einen Franken hergäbe!« versetzte der Herr Gemeindammann. »Eigentlich müßten mir diejenigen den Schaden gutmachen, die einen solchen Menschen zu ihrem Notar wählen und das Recht dazu an sich gerissen haben! Jetzt wird die Staatskasse herhalten und das Wahlvergnügen bezahlen müssen!«

Im Wagen blieb es zwischen den drei anderen Personen eine gute Weile still, bis Salander melancholisch zu sprechen anhub: »Das wäre jetzt das Lautenspiel gewesen! Armes Kind! Und ich hatte mir gedacht, als der schöne Eidam vom Bäumeschlagen und Verkaufen des Gütchens faselte, ich könnte den reizenden Sitz ihm wohl abnehmen und zum stillen Asyl für unsere alten Tage bestimmen! Jetzt möchte ich es nicht geschenkt haben; denn es wäre ja unmöglich für uns, dort zu wohnen!«

»Setti schläft jetzt,« sagte Frau Marie leise, »wir wollen sie ruhen lassen!«

In der Tat war die Tochter neben der Mutter eingeschlafen, da sie vermutlich die letztvergangenen fünf oder sechs Nächte die Augen wenig zugetan hatte. Vater und Mutter schwiegen daher und lehnten in dem geschlossenen Wagen zurück, um sich nach all den trüben Geschichten innerlich zu beschauen und darüber ebenfalls ein bißchen einzuschlummern.

Es war ziemlich dunkel, als der Wagen über das Straßenpflaster der Stadt Münsterburg rollte und die Eltern darüber munter wurden. Setti erwachte erst, als das Gefährt plötzlich vor dem Hause hielt. Sie war indes so schlaftrunken und müde, daß der Vater sie leiten mußte, und erst als die treue Magdalene herbeieilte und ihnen die Treppe hinauf voranleuchtete, lebte sie auf und rief lächelnd: »Da bin ich ja! Guten Abend, Magdalene, denk', wie froh ich bin! Und du bist immer wohlauf, wie ich sehe!«

»Gottlob, man tut es immer noch aushalten, liebes Settli! Wenn nur bald alle Kinder wieder beisammen sind, so wollen wir auch noch frohmütig werden und Kastanien braten wie ehemals!«

Sie sagte es jedoch etwas gedrückt, wie wenn sie kein sehr gutes Gewissen hätte, und öffnete der Herrschaft die Türe des Wohnzimmers, sich sofort zurückziehend.

Am Tische saß, den Kopf auf die Hände gestützt, Schwester Netti von Lindenberg. Auch sie schien zu schlafen und hatte guten Grund dazu, da sie ebenfalls die letzten Nächte mit wachen Augen zugebracht und gegen Abend zu Fuß im Vaterhause angelangt und natürlich todmüde war; denn ihr Mann Julian hatte sich seit vier Tagen nicht mehr sehen lassen und sie sich geschämt, davon zu reden; der Schreiber, der sie nicht darum befragte, ging ab und zu, wie er wollte, und die Dienstmagd machte ein unvertrautes Gesicht. Heut aber las sie in der Zeitung die Nachricht von Schwager Isidors Unfällen mit dem Zusatze, es gehe bereits das Gerücht von einem zweiten in Untersuchung geratenen Notar. Es handelte sich zwar noch nicht um Julian, sondern um einen weiteren Unglücksbruder, der sein Privatglück an den durch seine Hände laufenden anvertrauten Gütern ein wenig gerieben hatte, um sie fruktifizieren zu lassen, wie der Kunstausdruck lautete. Allein sie vermochte natürlich nur an ihren Mann zu denken, sowie an das öffentliche Unglück, in welches das häusliche sich verwandelte und die ganze Familie verwickelt wurde. Sie war in der Angst keines anderen Beschlusses fähig, als sofort nach Münsterburg zu eilen; ein Bahnzug stand während mehrerer Stunden nicht in Aussicht, auch fürchtete sie schon die Leute, die mitreisten, und die Angestellten sowie die auf den Stationsplätzen Herumstehenden. So machte sie sich kurzentschlossen auf und legte den dreistündigen Weg zu Fuß zurück. Wie sich später ergab, waren Ahnung und Furcht wohlbegründet. Julian saß zwar nicht im Gefängnis wie Isidor; aber er war bei der ersten Kunde von den Vorgängen im Lautenspiel außer Landes geflohen; und die in Isidors Amtskreis erwachte Erregung der vom Schaden Ergriffenen oder Bedrohten fand schon einen starken Widerhall im Lindenberger Gebiet.

So kam es, daß die Salanderschen Eltern beide Töchter am gleichen Abend wieder unter ihrem Dache bargen. Bei ihrem Eintreten erwachte Netti aus dem Halbschlafe und hinkte ihnen traurig entgegen; denn sie hatte die Füße wundgelaufen. Vater und Mutter umarmten und küßten sie; doch die Töchter, da sie sich nun gegenüberstanden, gaben sich nur mit niedergeschlagenen Augen die Hände, die sie indes nicht fahren ließen. Die Schicksalslast, die sie sich auferlegt, als sich die Zwillingsjünglinge einst an den Ohrläppchen zupften, hatte sich auf einmal verdoppelt, und sie schämten sich aufs neue voreinander.

Die von Lindenberg mußte nun dartun, warum sie gekommen sei, und sie erzählte es.

»Der hat sich aus dem Staube gemacht«, sagte der Vater; »hier in der Stadt ist er schwerlich! Aber gründliche Arbeit haben sie besorgt, diese jungen Scheusale von Flachsköpfen!«

Die Mutter ermahnte, die Beratung für heute abzubrechen und die Ruhe zu suchen; wer könne wissen, was die kommenden Tage wieder bringen.

»Fürs erste«, sagte Salander, »muß Netti morgen bei guter Zeit nochmals nach dem Lindenberg zurück und das Haus samt der Kanzlei in amtliche Obhut geben; ich will mitgehen und dafür sorgen, daß es ordentlich geschieht; denn so kann man die Sache nicht im Stiche lassen!«

In der Frühe fuhr er mit Netti hinüber und wunderte sich, auf der Höhe angelangt und rings umschauend, aufs neue mit tüchtigem Ärger, wie man in diesem friedlichen Himmelsglanze so vom Teufel besessen werden und sich Welt und Leben schmählich zerstören könne.

Drinnen im Hause jedoch gab es abermals Neuigkeiten, und es war gut, daß Netti, und zwar vom Vater begleitet, erschien. In der Kanzlei hauste schon ein Trupp Untersuchender, Gemeindammann, Statthalter, einer vom Gericht und ein zugezogener Notar, und bereits war festgestellt worden, daß auch die Frau des verschwundenen Landschreibers das Haus unbekannt wohin und heimlich verlassen habe. Sie kam daher gerade recht, ein ordentliches Verhör zu bestehen, worauf man sie aufforderte, ihr im Hause befindliches Eigentum zu bezeichnen, und ihr erlaubte, das Unentbehrliche mitzunehmen und in Ehren abzuziehen. Das tat sie auch, nachdem sie unter Beihilfe des Vaters die Magd ausbezahlt und fortgeschickt, auch der Behörde überlassen hatte, über das Verbleiben des Schreiberleins zu verfügen.

Martin Salander brachte desselben Tages auch diese Tochter mit ihren paar Kisten und Schachteln in Sicherheit. Die Voraussage hingegen der beiden Schwestern, daß die guten Jünglinge bald genug zu ganzen Männern auswachsen würden, die von sich reden machen, war seltsam erfüllt.


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