Gottfried Keller
Martin Salander
Gottfried Keller

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11

Nachdem das Doppelbündnis einmal entschieden war, nahm sich die andere Mutter, Marie Salander, der Aussteuer ihrer Töchter um so sorgfältiger und freigebiger an. Nicht nur alles Gewobene, sondern so ziemlich die ganze haushältliche Einrichtung im Lautenspiel zu Unterlaub und in Lindenberg sollten sie mitbringen. Martin, ihr Mann, meinte, man müsse doch den Leuten im Zeisig auch das Übliche zu tun einräumen; allein sie sagte, vor allem wünsche sie, daß die Kinder in ihrem Zugebrachten sitzen und stehen, schlafen und wachen können; man wisse nicht, wozu es gut sei. Ein weiterer Vorteil bestehe in dem gleichmäßigeren, einfachen Geschmack, der dabei herauskomme; wenn man nicht in altgewohntem Väterhausrat lebe, so müsse man sich das Neue auch für die Augen wohnlich zu machen suchen.

»Hör' auf, Frau!« lachte Salander, »woher fliegen die Mücken? Du wirst mir am Ende gelehrt und arbeitest an einer Mobiliarpsychologie!«

»Laß mich zufrieden,« sagte sie, »ich bin nicht zu Possen aufgelegt!«

Setti und Netti ließen die Mutter gerne gewähren, um sie bei gutem Willen zu erhalten; glich sie doch in ihrem Walten beinah einem jungen Mädchen, das eines Tages nochmals über seine alte Puppenstube gerät und träumerisch damit zu spielen beginnt. Sie sah dabei aus, wie wenn man sie nicht stören dürfe, um nicht das öffentliche Geheimnis ihres Kummers zu wecken.

Die Töchter hatten indessen andere Schmerzen; die Frage, wer alles zu der Hochzeit geladen werden solle, gab ihnen zu schaffen. Daß beide Hochzeitsfeste in eines verschmolzen werden müssen, schien in der Natur dieser außerordentlichen Heiratsgeschichte selbst zu liegen und eine gerechte Krönung des ganzen Liebeskunstwerkes, eine Vergütung der dabei erlittenen Unbilde zu sein. Nun erfreute sich aber die Salanderfamilie keiner ausgebreiteten Freundschaft und geselliger Beziehungen, einmal wegen ihrer wechselreichen Schicksale, dann auch wegen Salanders politischem Wesen. Wohlhabende Geschäftsleute und ähnliche, die aus den für besonnen geltenden Reihen des bisherigen Zustandes heraustreten und mit den bewegten Massen voranstürmen, gelten bei jenen Standesgenossen mindestens für wunderliche, unvertraute Käuze, denen die gesicherte Staatsordnung ein Spielball der Leidenschaft oder des Ehrgeizes sei; hieraus erwächst immer ein Lösen des engeren Verkehrs, während die allgemeine Achtbarkeit schon der nützlichen Geschäftssachen wegen bestehen bleibt. So wenigstens suchte Martin Salander den Seinigen entschuldigend die Verlegenheit zu erklären, die bei der Auswahl der Hochzeitsgäste zutage trat. Die Töchter vollends besaßen gar keine »intimen« Freundinnen mehr. Unter diesen Umständen dachte der Vater eine Zeitlang daran, aus der Hochzeit ein freiheitliches Volksfest zu gestalten und eine Schar Demokraten mit ihren Frauensleuten zu laden, die in Verbindung mit dem zu erwartenden Anhang des Hauses Weidelich ein wackeres Bild, einen Auszug des Volkes darstellen würden. Die Mutter wußte ihm jedoch den Gedanken auszureden, und er sah ein, daß es vielleicht nicht gut wäre, diese Hochzeit zu einem politischen Parteifeste zu machen mit einem nicht abzusehenden Verlaufe. Auch die Töchter scheuten sich, mit ihrem erkämpften Glücke ein öffentliches Schauspiel zu geben.

Desto eifriger wünschten die Bräute den Bruder Arnold zur Hochzeit herbei. Sie hatten einen mit den Eltern gemeinschaftlich geschriebenen Brief an ihn nach England gesandt, nachdem er die erste Verlobungsanzeige mit einem kurzen Glückwunsch ohne alle scherzhaften Wendungen erwidert.

Auf die vierfache Einladung traf nun ein Brief Arnolds an den Vater ein. »Liebster Vater!« schrieb er, »Eure dringende Gesamtaufforderung, zur Hochzeit zu kommen, hat meinem gut Salanderschen Sohnes- und Bruderherzen gewiß wohl getan, und fast tut es mir weh, dem Vergnügen, das ich mir versprechen dürfte, entsagen zu müssen. Vielleicht werden die l. Schwestern es auch nicht galant finden, wenn ich über dies Müssen eigenmächtig selbst entscheide; allein es ist so, ich kann jetzt wegen der Hochzeit nicht den hiesigen Aufenthalt plötzlich unterbrechen, um möglicherweise, wie es eben so geht, nachher nicht mehr zurückzukehren, wenn ich einmal dort bin. Die l. Mutter, welche, es sei gesagt, ohne Eifersucht erregen zu wollen, eine Spezialität meines Herzens ist, wird mich verstehen!

Liebster Vater! Ich habe Dir zu bekennen, daß ich hier nicht Jura treibe, wie wir verabredet, sondern englische Geschichte, wobei ja ›wünschendenfalls‹, wie sie in Münsterburg sagen, immer etwas Recht mit unterläuft. Ich weiß wohl, daß man nicht gerade in die Länder zu gehen braucht, deren Geschichte man im allgemeinen studieren will; wenn man aber da ist, kann man in Land und Leuten einen Anschauungsunterricht genießen, der nicht zu verachten ist.

Ich muß nun gleich zu dem übergehen, was hiermit zusammenhängt und ich Dir vorzulegen habe. Du hast bis jetzt gewünscht, daß ich sofort die juristische Praxis antrete, wenn ich heimgekehrt bin, und zugleich beginne, mich am politischen Leben zu beteiligen. Das möchte ich mit Deiner Zustimmung gern etwas anders anfassen. Die Jurisprudenz werde ich nach Kräften weiter pflegen, fühle aber einen lebhaften Drang, mehr als bis zur Stunde geschehen, mich den historischen Studien zu widmen, was ich mir folgendermaßen denke. Unsere Mittel würden mir gestatten, eine Zeitlang in der Heimat als unabhängiger Privatgelehrter zu leben, womit sich, damit ich nicht ganz umsonst esse, wohl vereinigen ließe, in Deinem Handelsgeschäfte diese oder jene Funktionen zu besorgen. Ich habe ja früher schon manche Stunde an Deinem Pulte mitgeschrieben. Würde so allmählich ein leidlicher Kaufmann daraus, so täte die etwelche Gelehrtheit ihm keinen Abbruch, und die Frage, welches die Zukunft Deiner Firma sein soll, wäre im Notfall zugleich für eine weitere Zeit gelöst. Also: ein junger Jurist arbeitet nach Bedürfnis und Gelegenheit im Handelshause seines Vaters mit, treibt daneben Geschichte für seinen Hausgebrauch, um die werdende Geschichte besser zu verstehen und ihre Dimensionen messen, ihre Bedingungswerte schätzen zu lernen.«

»Was Teufel ist das?« unterbrach sich Martin Salander im Lesen, vergeblich über den Sinn der Phrase nachdenkend; las dann aber weiter: »Wo will das hinaus? wirst Du fragen! Ich will gleich den Schlüssel hersetzen. In G. ging ich mit einigen Landsleuten um, welche sich vorzugsweise gern über die politischen Zustände der Heimat unterhielten und die empfangenen Nachrichten unter weisen Betrachtungen austauschten. Einer davon aus dem Kanton X. wurde von seinem Vater ausgesucht, der nach dem Seebade reiste. Er brachte einen Abend mit dem Sohne und uns zu, hörte unsere Gespräche an, in die wir den alten Herrn bald verwickelten. Als er ein und das andere ungeduldige und vorschnelle Urteil vernahm, woran sich der Schluß knüpfte, es dürfte der betreffende Übelstand wohl erst durch ein neues Geschlecht von Gesetzgebern, von frischen Kräften gehoben werden, lächelte der Alte und meinte, es handle sich nach seiner Erfahrung nicht sowohl um einen Mangel an frischen Kräften, die ja ohnehin schon durch das allgemeine Menschenschicksal unaufhörlich zuflössen, als im Gegenteil um einen bedächtigeren, beharrlicheren Ausbau des Geschaffenen. Er erzählte nun anschaulich, wie er zum drittenmal erlebt habe, daß nach einem kraftvollen Umschwung die Söhne der Männer, die ihn bewirkt und im besten Mannesalter standen, als Schüler sich zusammengetan und verabredet hätten, sie wollten noch etwas ganz anderes herstellen, wenn sie drankommen würden. Ohne zu wissen, was das Unerhörte eigentlich sein solle, hätten sie später wirklich Wort gehalten, wie wenn sie auf dem Rütli geschworen hätten, und ihre Zeit lang die heilige Gesetzgebung verwirrt und gestört, bis ihre eigenen Sprößlinge den gleichen Schwur getan und als neue Generation ihnen vom Amte halfen oder wenigstens mit großem Spektakel zu helfen suchten. In diesem Lichte gesehen, sei der Fortschritt nur ein blindes Hasten nach dem Ende hin und gleiche einem Laufkäfer, der über eine runde Tischplatte wegrenne und, am Rande angelangt, auf den Boden falle, oder höchstens dem Rande entlang im Kreise herumlaufe, wenn er nicht vorziehe, umzukehren und zurückzurennen, wo er dann auf der entgegengesetzten Seite wieder auf den Rand komme. Es sei ein Naturgesetz, daß alles Leben, je rastloser es gelebt werde, um so schneller sich auslebe und ein Ende nehme; daher, schloß er humoristisch, vermöge er es nicht gerade als ein zweckmäßiges Mittel zur Lebensverlängerung anzusehen, wenn ein Volk die letzte Konsequenz, deren Keim in ihm stecke, vor der Zeit zu Tode hetze und damit sich selbst.

Wir waren von dieser zurechtweisenden Rede des alten Herrn nicht wenig verblüfft, nahmen sie aber mit Achtung auf; wir mußten das Tatsächliche daran zugestehen, da wir Ähnliches selbst schon unter der Jugend beobachtet, und belachten den Humor davon.

Nachher sprach ich mit einem der Freunde, dem ich näher stehe, wiederholt von jener Unterhaltung; wir dachten von dem Gesichtspunkte des Alten aus mehr über die politischen Tagesläufte nach, die wir aus der Heimat vernahmen. Kurz, wir gelangten endlich zu dem Entschlusse, im Gegensatze zu den Schulbankagitatoren, uns nicht als neue Generation aufzutun, sondern uns im stillen für alle Fälle brauchbar zu machen in Zeiten, wo es notwendig werden könnte, mit einzustehen und den Rang finden zu helfen. Am allgemeinen mitzudenken sei immer nötig, mitzuschwatzen aber nicht.

Lieber Vater! So ist nun die Gesinnung oder Stimmung beschaffen, aus welcher heraus ich mein Verhalten, wie ich es oben dargelegt, einzurichten vorhabe, insofern Du den Sohn in solcher Gestalt zunächst im Hause dulden kannst. Den Tribut, den ein Haus dem öffentlichen Leben schuldig ist, bezahlst Du ja indessen mit Deiner Person so vollgültig, daß ich noch lang hin im Schatten Deines Beispiels mich ruhig fortbilden kann!«

Martin legte den weitläufigen Brief offen auf sein Pult, nahm ihn wieder auf, wandte die Blätter und sagte: »Was ist nun das? Treibt er Spaß oder Ernst? Mit seiner Geschichte! Und was ist das für ein alter Herr mit dem Käfer auf dem Tisch, den er dem Fortschritt vergleicht? Halt, da dämmert was – ich glaube bald, ich habe einen jungen Doktrinär in die Welt gesetzt! Er weiß, daß ich ein Mann des Fortschrittes bin, und kommt mir mit dem Käfer! Das ist doktrinäre Kritik, am Ende die ganze Geschichte von dem alten Kerl erfunden! Und doch nicht, er ist dafür zu ehrlich und ernsthaft! Im Grunde, wenn er im Geschäfte mithelfen will, kann mir das nur lieb sein, ein doctor juris steht ihm nicht schlecht an. Der historische Doktrinarismus im politischen Gebiete wird ihm schon vergehen, wenn er in den Zug kommt. Dimensionen und Bedingungswert der werdenden Geschichte! Gras wachsen hören! Will er eingeschlagene Eier backen, den Thermometer in der Pfanne? Sei es! wenn er nur was Rechtes weiß, so ist ihm zuletzt dies oder jenes abzulernen, woran er selbst nicht denkt! Das Ding mit dem stillen Privatgelehrten und dem Kaufmann, der es drauf ankommen läßt, ob er hervortreten wird oder nicht, hat doch etwas für sich und sieht gut aus, zumal wenn man es ja bequem machen kann! In der Tat, es gefällt mir immer weniger übel! Was schreibt er denn da noch? Er wünschte noch ein Jahr zu reisen, wenn es anginge! Warum nicht? Ich wollt', ich hätt' es auch tun können, als ich jung war, nur um mich zu unterrichten! Nachher mußte ich freilich reisen, weit genug, hab' aber vor Plackerei kaum was gesehen und an Weib und Kind denken müssen!«

Er teilte den Brief den Frauenzimmern mit, die aus verschiedenen Gründen betrübt waren, die Töchter, weil der Bruder nicht zur Hochzeit kam, die Mutter, weil sie den Sohn noch länger entbehren mußte, und gerade jetzt, wo sie die Töchter verlor. Und er hatte ihr noch nie Kummer gemacht. Sein Lebensplan aber, oder wie man die Auseinandersetzung seiner Absicht benennen will, auf die Martin sie aufmerksam machte, erfüllte sie mit stolzer Freude, so würdig und ernst erschien ihr alles, was er schrieb, und sie billigte zuletzt alles, selbst das Reisen. Mit dem Manne später allein, konnte sie sich nicht enthalten, sich mit einiger Überhebung der Gegenschwäherin gegenüberzustellen und im Hinblick auf deren Zwillinge den eigenen Sohn zu preisen.

Salander wurde ordentlich eifersüchtig auf ihn.

»Du bist ein bißchen Aristokratin,« sagte er, »ich weiß gar nicht, warum du die Leute so wenig leiden kannst! Warte das Ende ab, wer zuletzt lacht, lacht am besten! Die Zwillinge werden noch ein paar handfeste Männer werden und obenaufkommen, während unser Arnold mit seinen Schrullen vielleicht ein unbedeutender Stubenhocker wird!«

Er nahm den Brief mit auf das Kontor und las ihn nochmals durch. Wieder lief ihm der fortschrittliche Käfer des alten Herrn über die Leber und ärgerte ihn; ein Gedanke gab den andern, Salander hätte Arnold auch gern an der Hochzeit gehabt, und bei diesem Punkte angekommen, änderte er plötzlich wieder seine Ansicht von dem Feste und beschloß, dem doktrinären Sprößling zum Possen doch eine politische Volkshochzeit zu feiern, damit er in der Ferne vernehme, was die Glocke geschlagen!

Ohne die Gattin weiter einzuweihen, verband er sich mit den künftigen Schwiegersöhnen und setzte mit ihnen den Plan fest. Dem Geiste der Zeit entsprechend, wurde von allem Auffahren einer Menge Kutschen abgesehen und die Eisenbahn als Beförderungsmittel gewählt. Die aus der Stadt und ihrer Umgebung geladenen Gäste verfügen sich nach dem Bahnhof, wo die Hochzeitspaare und deren Eltern sie erwarten. Jedermann ist anständig gekleidet, wie zu einem sonntäglichen Ausfluge; aber keine Ballroben, keine Fräcke werden gesehen. Im Saale der Bahnhofswirtschaft wird die Morgensuppe genossen, mitten im Verkehr des reisenden Publikums, ein Bild des rastlosen Lebens. Es ist indessen dafür gesorgt, daß das Beste aufgetragen wird in der stillen Zeit, da die Züge abgefahren und die Säle leer sind. Dann führt ein Extrazug die Hochzeit nach dem Orte, wo die Trauung stattfinden soll; es ist ein ansehnliches Dorf mit guter Wirtschaft, das ziemlich in der Mitte zwischen der Stadt, dem Lindenberg und Unterlaub liegt. Zwei kleine Sängerchöre, die von den beidseitigen Freunden und Anhängern der Brautpaare gestellt sind, empfangen die Versammlung und begleiten sie, eine kräftige Landwehrmusik voran, in die Kirche, wo ein geistlicher Demokrat die Predigt und den Trauungsakt verrichtet. Dann geht es zum Hochzeitsmahle, für das bei gutem Wetter im Baumgarten beim Hauptwirtshaus, also im Freien, die Tische gedeckt stehen, und eine Zahl fernerer Gäste der Landesgegenden sind herbeschieden, worunter redekundige Leute.

Ein kleines Festspiel unterbricht den Schmaus und die Gesänge. Auf die verschiedene Parteistellung der zwei jungen Großräte anspielend, wird von allegorischen Figuren ein Waffenstillstand zwischen den Demokraten und den Altliberalen beraten und abgeschlossen, nicht ohne Hinweis auf die doppelte enge Verschwisterung der Hochzeitsparteien, die als schönstes Vorbild für das Wiedervereinigen der Landesparteien ausgerufen werden und so weiter. Hat sich, wie zu erwarten, aus der zuschauend teilnehmenden Bevölkerung, welche freundlich zu bewirten ist mit den Gästen zusammen eine kleine Volksversammlung gebildet, so treten die Redner auf und benutzen die Reihe der üblichen Toaste zum Einflechten derjenigen Betrachtungen, welche geeignet sind, das Volksbewußtsein zu heben, und in den höchsten sittlichen Prinzipien des freien Staates gipfeln, dessen Wurzeln in der freien Familie gegründet sind.

Vom Tanzen wird vorläufig abgesehen und vielmehr auf die Musik zum Anstimmen und Begleiten einiger National- und Freiheitslieder gerechnet, welche durch die anbrechende Nacht bei Fackelglanz, von der ganzen Menge gesungen, weithin sich hören lassen sollen. Als Salander das Programm mit den Söhnen Weidelichs an Ort und Stelle des Festes zu ihrem anfänglichen Erstaunen und nachherigen großen Vergnügen vereinbart hatte, und zwar mit dem schließlichen Bemerken, daß er selbstverständlich als Urheber des Projektes die ganzen Kosten übernehme, fuhr er guter Laune nach Münsterburg zurück.

»So, Meister Arnold, der das Gras will wachsen hören,« schmunzelte er in sich hinein, »kämst du an die Hochzeit deiner Schwestern, so würdest du es einen guten Atemzug tun sehen, vielmehr hören, will ich sagen, oder beides zusammen! Du würdest lernen, daß dies Land noch keine runde Tischplatte ist, wo Käfer drauf hin und her rennen! Sein alter Herr hat vielleicht an Krebse gedacht, die keine Augen in den Schwänzen zu haben pflegen, wenn sie ihre Fortschrittswege zurücklegen!«

In der fröhlichen Laune machte er auch Frau und Töchter mit dem Festverlaufe, wie er bestimmt worden, bekannt. Zu seiner Verwunderung blieb die Frau ganz gelassen und schien gar nicht so unzufrieden zu sein.

»Ich freue mich,« sagte er, »daß du keinen Widerspruch mehr erhebst, du wirst sehen, es wird eine gelungene Hochzeitsfeier absetzen, wie sie nicht alle Tage vorkommt!«

Sie erwiderte mit schonendem Lächeln für die Töchter: »Ja, es ist mir soeben, während du erzähltest, ein anderes Licht aufgegangen: ich glaube jetzt, daß durch diese außerordentliche Art von Hochzeit die ungewöhnliche Geschichte derselben in den Hintergrund rückt oder vielleicht ganz ausgeglichen wird!«

»Nicht wahr? Siehst du, wie klug du bist? Daran habe ich nicht einmal gedacht!«

»Übrigens ist es mir auch sonst ein wenig besser zumute in der Sache. Ich bin heute im Zeisig oben gewesen wegen Aussteuersachen und habe die Frau Weidelich in großer Wochenarbeit getroffen und ein Weilchen warten und zusehen müssen. Es gefiel mir, daß sie gar keine Komplimente machte. Und dann hab' ich mich ordentlich erbaut an dem rüstigen Fleiße, mit dem sie hantierte und die Arbeit regierte, wahrhaftig unermüdlich und auch umsichtig; sie ließ nichts durchgehen, legte überall Hand an und sorgte zugleich für die Waschweiber und Plätterinnen. Den Mann hab' ich auch gesprochen, und er gefiel mir in seiner ehrlichen Bescheidenheit und Ruhe noch besser als die Frau. Auch er scheint nie müßig zu sein, so gemessen er sich herumbewegt. Nun, dachte ich, wenn die Äpfel nicht weit vom Stamme fallen, so kann es auch da nicht stark fehlen!«

»Hört ihr, Kinder! freut es euch nicht?« redete Salander die Töchter an.

»Was?« sagten sie, aus düsterm Sinnen erwachend, in welchem sie gar nicht auf das Gespräch der Eltern geachtet hatten. Ihre Augen waren sogar voll Wasser.

Nach und nach stellte sich heraus, daß die Morgensuppe ihres Ehrentages nicht im Gasthofe oberen Ranges, sondern in der Bahnhofrestauration, unter Geschäftsreisenden und glotzenden Engländerinnen eingenommen, ihre Betrübnis verursachte; daß es keine Kutschen geben sollte, gerade für sie allein, während die ärmste Magd in einer Droschke zur Kirche fahre, machte sie traurig; daß sie entweder im Brautgewand und Schleier, die Myrten auf dem Kopf, vielleicht den Regenschirm in der Hand, zu Fuß nach dem Bahnhof marschieren, oder dann, wie es den Gästen vorgeschrieben, als Rigireisende verkleidet gehen würden, beleidigte sie.

»Merkwürdig! Eure Verlobten haben gerade diese Idee mit wahrem Gaudium aufgenommen und denken sich damit auszuzeichnen! Sie gehen sogar damit um, weiße leinene Sommeranzüge machen zu lassen und Strohhüte zu tragen!« berichtete der Vater.

»So, tun sie das? Dann gehen wir einfach nicht mit!« sagte Setti; »wir haben nicht so lange geharrt und ausgehalten, um aus unserer Vermählung eine Maskerade zu machen!«

»Nein, das tun wir nicht!« bestätigte Netti; »wir haben auch etwas dazu zu sagen!«

Die Mutter schlichtete den Streit.

»Genau genommen haben sie recht, was den hiesigen Teil des Festes betrifft,« sagte sie, »es wäre im Bahnhof doch eine wunderliche Existenz und auch die Küche in einem guten Hotel angemessener. Das Getrappel zu Fuß geht ja eigentlich auch nicht, dazu ist die Stadt zu bevölkert; tausend Kinder würden uns vor- und nachlaufen. Den Mädchen können wir das Brautkleid, das sie nur einmal im Leben tragen, auch nicht absprechen, und so sind Kutschen im voraus notwendig und damit müssen wir für die ganze Gesellschaft Kutschen haben! Wie es draußen im Dorf gehalten werden soll, mag bei eurem Programm bleiben, dieser Teil ist ja die Hauptsache.«

»Gut, ich füge mich!« entschied sich Salander. »Dann frühstückt man aber im großen Saal zu den Vier Winden und fährt dahin und von dort nach dem Bahnhof, meinetwegen in hundert Kutschen und noch mehr! Die Vier Winde möchte ich haben, weil das Lokal einen politischen Beigeschmack hat.«

Frau Marie Salander blickte den Mann mit unmerklich zuckendem Munde an, vielleicht das erstemal mit dem zweifelhaft fragende Ausdruck, der in ihren Augen lag.

Der Tag war nach allen Vorbereitungen endlich da, inmitten des Junimonats, und der Himmel unbewölkt. Vom Salanderschen Hause fuhren zwei Wagen mit den Braut- und Elternpaaren nach den Vier Winden, während in einer Anzahl anderer Fuhrwerke gegen vierzig Personen beiderlei Geschlechts dort anlangten. Außer den Bräutigamen und ihren Vätern erschienen fast sämtliche Männer in bequemen Kleidern jeder Farbe und Machenschaft. Nur Herr Möni Wighart, vielleicht der einzige nicht demokratische Gast, kam schwarz gekleidet. Er stimmte stets mit der liberalen Partei, freute sich aber zuweilen, wenn sie eine Ohrfeige bekam, weil er es vorausgesagt, und ließ im übrigen die Dinge sich nicht viel zu Herzen gehen. Heute war er überaus gespannt auf das Hochzeitsfest, das schon im voraus von sich reden gemacht, und hatte die Einladung des alten Freundes mit Dank angenommen.

Die Frauensleute der ganzen Gesellschaft kamen hochzeitlich gekleidet, mit frisierten Haaren, Blumen und anderer Zierat, wie es Alter, Geschmack und Mittel erlaubten. Und das ohne alle Verabredung; jede tat, was sie wollte, und alle hatten das gleiche gewollt, trotz den Mahnungen der Männer, die sich an Salanders Vorschrift hielten. Sie freuten sich jetzt doppelt, als sie sich mit beflissener Neugier um die Bräute versammelten und deren romantischen Staat und Anblick bewunderten, den sie feenhaft nannten, während man ihnen hatte weismachen wollen, sie würden auch in gewohnten Sonntagsröcken auftreten.

Setti und Netti aber fühlten eine große Befangenheit, denn noch nie war eine Hochzeit in Münsterburg gewesen, an welcher die Braut so wenig bekannte Gesichter unter den Hochzeitsgästen sah.

Indessen schuf das gute Frühmahl, verbunden mit dem sonnigen Tage, bald eine vertrautere Stimmung, und der Extrazug in der Bahnhalle nahm eine zur Heiterkeit ziemlich gleichmäßig vorbereitete Gesellschaft auf. In einer Stunde war man an Ort und Stelle. Auf dem Stationsplatze bliesen acht gediente und geübte Musikanten einen schönen Marsch, bis der Zug anhielt und die Insassen ausgestiegen; im Wartesaal begrüßten die versammelten Gäste von der Landschaft die Ankommenden und ordneten sich mit denselben zum Gange nach der Kirche. Beim Heraustreten machte die Musik kehrt und führte den Zug unverweilt mit klingendem Spiele in den Tempel. Der Teil des Volkes, das nicht schon dort saß, besonders die Jugend, lief nebenher, am dichtesten, wo die denkwürdigen Zwillingsbrüder und die geschmückten, ebenso merkwürdigen Bräute gingen.

In der gefüllten Kirche standen auf der Empore in der Tat zwei Häuflein Sänger, jedes von einem Schulmeister mit gelber Stimmpfeife angeführt, die ihm zugleich als Taktstock diente. Takt im weiteren Sinne besaßen sie nicht genug, denn statt sich als ein Chor zusammenzutun, hatten sie sich ausgestellt, als ob sie gegeneinander das bekannte Pintschgauer Wallfahrtslied singen wollten. Dennoch intonierten sie gemeinschaftlich unter dem Schwingen der zwei Stimmpfeifen ganz ordentlich ein kirchliches Lied, welches vom Gemeindegesang kräftig gedeckt wurde.

Der Pfarrer verlas hierauf ein eigens verfaßtes Gebet, welches den kirchlichen Sinn und die Rechte des freien Denkens gleichmäßig vertrat, und hielt eine schöne Predigt oder religiöse Rede über das gefeierte Ereignis, dasselbe mehrseitig erklärend und zu einer Parabel ausgestaltend, die allgemein wohlgefiel und wahrhaft erbauend genannt wurde.

Zum Schlusse trugen die Sänger eine treffliche Komposition von Uhlands »Brautgesang« vor, die ihnen etwas schwieriger wurde als der vorige Choral, indem sie jetzt ohne die Gemeinde singen mußten und die gelben Stimmpfeifen nicht ganz gleich auf und niedergingen. Auch war im Text durch den heutigen Sonderfall eine kleine Änderung als geboten erachtet worden. Statt des Einganges:

»Das Haus benedei' ich und preis' es laut,
Das empfangen hat eine liebliche Braut
Zum Garten muß es erblühen;

wurde gesungen:

      »Das Haus benedei' ich und preis' es heut,
Das empfangen hat zwei liebliche Bräut' usw.

und statt »Aus dem Brautgemach tritt eine herrliche Sonn'« hieß es: »tritt eine doppelte Sonn'««.

Allein niemand bemerkte die unnötige Verschlimmerung, und die kleinen Takt- und Harmoniewirren fanden duldsame Hörer. Zufrieden mit dem guten Willen, wenn es unter sich ist, betrachtet das Volk eine stramme Kunstübung eher als ein aristokratisches Wesen und ist durch alle Schichten hindurch darauf aus, eifrig zu demokratisieren, was in seinen Bereich kommt. So ungefähr äußerte sich Martin Salander der Gattin gegenüber, als sie später neben ihm am Tische saß und bemerkte, es dünke sie, die Sänger hätten ein wenig stark falsch gesungen.

»Und das Volk hat recht!« schloß er.

»Warum recht? Früher, es ist freilich lange her, dachtest du anders, als der Wohlwend so falsch sang und deklamierte!«

»Hm! Ja, das heißt, es ist nicht der gleiche Fall! Dieser tat es in einer gebildeten Welt, inmitten eines Vereines wohlgeübter Leute, die er störte. Hier hätte er niemandem die Freude verdorben!«

Marie Salander ließ aber den Mann noch nicht los von dem leise geführten Zwiegespräch.

»Es will mir aber doch scheinen, daß es nicht ganz recht sei, das gute Volk nicht auch darüber aufzuklären. Was brauchen sie denn so schwere Stücke zu singen, die sie nicht ausführen können? Mich dünkt, wer in der einen Sache pfuscht, gewöhnt es sich auch in allen anderen Dingen an, und man darf ihm zuletzt nirgends mehr die Wahrheit sagen, er leidet es einfach nicht!«

Martin schwieg hierzu eine Minute und sann, in das Kelchglas blickend, das er in der Hand hielt. Dann ließ er es sanft an dem ihrigen klingen und sagte: »Trink auf deine Gesundheit, Marie! Du sollst den ersten Toast haben an dieser Hochzeit, ganz im stillen! Und jetzt wollen wir der Sache den Lauf lassen!« Sie trank unverweilt einen besseren Schluck als gewöhnlich und mit ihm einen jener kurzen Sonnen- oder Silberblicke, die mit der Länge der Zeit sich immer mehr verlieren, wenn die Menschen sich in Wind und Wetter leise ändern, so daß die Klugen weniger klug, die weniger Klugen Narren und die Narren oft schnell noch Halunken werden, eh' sie sterben, wie wenn sie Gott weiß was versäumten.

Als die Mama Weidelich, die gegenüber saß, das verstohlene Anstoßen des Ehepaars Salander bemerkte, hielt sie ihr Glas auch herüber und rief fröhlich: »Potztausend, darf man nicht dabei sein?« Sie stießen mit ihr an, der Weidelichsvater kam auch herbei, und von da verbreitete sich das Klingeln über den ganzen Tisch, über alle Tische wie ein Sturmgeläute, ohne daß man wußte, wie es entstand und was es bedeute; und als man nichts Gewisses erfahren konnte, lachte alles über den blinden Lärm, der darum nicht minder vergnüglich gewesen.

Da das Essen eben erst begonnen und Salander ein verfrühtes Reden befürchtete, welches die Gastgemeinde darin störte, die Ordnung des Auftragens unterbrach und die Schüsseln kalt werden ließ, so forderte er die Musik auf zu blasen und fleißig fortzufahren. Das taten die ältlichen Kriegstrompeter auf die zweckmäßigste Art. Statt der geläufigsten Soldatenmärsche führten sie eines ihrer Konzertstücke auf, mit denen sie Staat zu machen pflegten, nämlich die für eine kleinere Blechmusik arrangierte Ouvertüre zu der Oper »Wilhelm Tell«. Mit redlicher Mühe, im gemächlichsten Zeitmaße halfen sie sich so vorsichtig und Gott vertrauend über das Meer von Schwierigkeiten hinweg, daß die tafelnden Völker weder im Essen noch im gemütlichen Gemurmel der einzelnen Nachbargruppen beirrt wurden und am Ende, welches auch diese Tathandlung nahm, mit einem donnernden Bravo die gewissenhaften acht Männer lohnten. Dankbar ließen sie nach kurzer Pause eine mutig schmetternde Marschweise erschallen, und etwas später ein beliebtes Volkslied, worauf sie aber schleunig das Wasser aus den Instrumenten ablaufen machten und dicht hintereinander das Treppchen an ihrer Bühne herunterstiegen, um in die Ecke zu eilen, wo auch für sie der Tisch gedeckt war.

Da soeben in Erwartung neuer Gerichte die Teller gewechselt wurden, benutzte der Herr Pfarrer den Augenblick, das erste Lebehoch auf die Brautpaare und beiderseitigen Eltern auszubringen. Er schlug mit dem Messerrücken kräftig an das Glas, blickte gebieterisch umher, bis das Tellerklappern nachließ, unterstützt durch Silentiumrufen, und erhob dann die weithin tönende Stimme. Seine Toastrede bildete die Ergänzung der gehaltenen Predigt. Erst schilderte er das Elternhaus der soeben vermählten Jünglinge, den schlichten Landmann, der im Verein mit der rastlosen Hausfrau sich zu bescheidenem Wohlstande emporgeschwungen, aber wozu? Nur um das blühende Knabenpaar, welches der im All waltende Gott in christlichem Ehestande ihnen aus reicher Hand geschenkt, des Segens der Schulanstalten teilhaftig werden zu lassen mit derselben unermüdlichen Opferwilligkeit, mit welcher unser Volk sie begründet hat und durch alle Stürme aufrecht hält! Und wie hat dieser Segen angeschlagen? Es ist ein ewig denkwürdiges Beispiel! Nach kaum erreichtem Alter hat das Volk die Jünglinge, ja Jünglinge sage ich! an wichtige Amtsstellen berufen, deren treue Verwaltung namentlich der landwirtschaftlichen Ökonomie so unendlich wichtig ist! Und nicht nur das; in unsere höchste Landesbehörde, die nur das Gesamtvolk und Gott allein über sich hat und sonst niemanden fürchtet, hat es sie gleichzeitig entsendet, eine Ehre, welche wohl kaum je einem so bescheidenen Hause widerfahren ist. Blicket hin und seht sie dort beieinander sitzen, Eltern und Söhne, in all ihrem Werte, als ob es sie nichts anginge!

Sie schauten den Sprecher unverwandt an, als alles Volk nach ihnen sah und Beifall rief. Erst jetzt kehrte sich der Vater ab und blickte verlegen vor sich nieder; die Mutter wischte sich die Augen, aus denen die Tränen flossen, und faltete die Hände; die Söhne neben ihren Bräuten verneigten sich leicht gegen die Rufenden und den Redner, der weitersprach: »Treten wir hinüber in das bräutliche Haus, was sehen wir da? Auch einen aus dem Volke hervorgegangenen Mann, der sich durch Fleiß und Intelligenz emporgeschwungen und gegen alle Schicksalsschläge immer wieder erhoben hat, höher als vorher. In fernen Weltteilen ums Dasein kämpfend, kehrt er immer wieder mit der gerechten Siegesbeute zu den Seinigen zurück, zu den Kindern, die ihm die Gattin, ein Muster edler Weiblichkeit, treulich erzieht. Ein geachteter Handelsherr, ist er jetzt ein reicher Mann, ein Großer unter den Großen. Was tut er? Baut er sich Paläste und Villen? Fährt er in Kutschen, hält er Pferde wie die andern seinesgleichen? Nein, er kennt schönere Freuden! Die Ideale seiner Jugend sind es, welchen er nachgeht, fort und fort, jetzt wie einst; an ihnen hängt er, an sie denkt er im Wachen und im Schlafen, für sie arbeitet und lebt und webt er! Und was sind das denn für Ideale, wo liegen sie? Sie liegen bei dir, o Volk, dein Wohl, deine Bildung, deine Rechte, deine Freiheit sind es, denen er einzig Zeit und Arbeit widmet, die er dem Geschäftsdrange abringen kann. Und was verlangt er dafür? Anerkennung? Ehrenämter? Titel und Würden? Nicht daß ich wüßte, meine Freunde! Da sitzt er unter uns mit der verehrten Gattin, wie der Geringste so anspruchslos, um dem Volke sein Bestes darzubringen, den jugendlichen Söhnen und Vertretern desselben die geliebten Töchter! Eine bedeutungsvolle Hochzeit! Hat er sie in den blumengeschmückten, teppichbelegten Domkirchen, in den Prunksälen der Hauptstadt feiern wollen? Hierher in unsere ländliche Gegend hat es ihn gezogen; unser altes Dorfkirchlein, dieser grüne Rasen, der Schatten dieser Fruchtbäume ist der Schauplatz, den er sich auserwählte, um so recht in der Mitte, am Herzen des Volkes das Fest abzuhalten; da ist ihm wohl und da soll es auch den neuen Familien wohl sein und bleiben; denn hellere Sterne könnten nicht über ihren Dächern strahlen als die Ideale unseres Freundes Martin Salander! Sehet dort die lieblichen Bräute in Schleiern und Myrtenkränzen und sehet die edeln Eltern und helfet mir nun, das feurigste Lebehoch mit Glück, Heil und Segenswünschen den vier verbundenen Gastfreunden darzubringen!«

Bis das Hochrufen und Gläserklingen verrauscht war, hatten sich die Sänger zusammengestellt und trugen ein bei politischen und sonstigen öffentlichen Akten übliches Vaterlandslied vor. Der Geistliche, von der Bühne heruntergestiegen, drang mit seinem Notpokale, einem vom Wirte gelieferten Schützenbecher, bis zu dem Tischhaupte vor, wo die Gefeierten saßen und auch er seinen Platz hatte.

Salander sagte just zu seiner Frau, die blutrot im Gesichte war und nicht aufblickte, der Herr Pfarrer habe ihm die Rede unmöglich gemacht, die er nun zu halten beabsichtigt. Alle Gesichtspunkte seien ihm von der gewaltsamen Schmeichelei schief gedrückt. Da unterbrach ihn der Pfarrer mit dem Pokale, mit dem er umherging. Salander schwieg und stieß mit ihm an.

»Ich danke herzlich für die gute Meinung!« sagte er, ihm die Hand schüttelnd.

»Wieso gute Meinung? Hab' ich etwa gelogen?« erwiderte jener mit dem Tone, in welchem derartige Naturen in solch unvermuteten Fällen sogleich eine Schraube anziehen.

Einen Schritt weiter, mit Frau Marie Salander anstoßend, sagte er: »Wie steht es mit Ihnen, verehrte Frau, sind Sie auch nicht zufrieden mit meinem Toast?«

»Im Gegenteil, mehr als zufrieden, Herr Pfarrer,« gab sie zur Antwort, »ich danke Ihnen auch nur für das, was mir wirklich zukommt!«

»Das kann ich nicht so genau bemessen, wie Sie sich denken können, und nehme daher an, Sie danken mir für alles, was ich gesagt. Ein Volksredner muß immer ein Ganzes bieten. das sozusagen künstlerisch abgerundet ist. Wer sich in Gefahr begibt, kommt darin um, das müssen Sie nicht vergessen!«

»Wir wollen uns nicht streiten, Herr Pfarrer! Auf Ihr Wohlsein!«

Damit schien sie ihn abzudanken, und er schritt würdig um das obere Tischende herum zu den Gegeneltern.

Jakob Weidelich äußerte gar nichts, als daß er mit ihm anstieß, als daß er für die Ehre danke, worauf der geistliche Herr sich an Frau Amalie wandte: »Und wie sind Sie mit meinem Trinkspruch zufrieden, Frau Weidelich, hab' ich's Ihnen recht gemacht?«

»Schön haben Sie's gemacht, Herr Pfarrer; wenn ich so reden könnte! Es muß doch, der Tausend noch einmal! etwas Schönes sein, wenn man den Menschen eine solche Freude machen kann! Sehen Sie, es ist mir nicht um mich zu tun, ich bin eine unwissende Frau; aber der Söhne wegen freut es mich doch, solche Dinge zu erfahren! Sie sollen auch hochleben, Herr Pfarrer! Ich danke Ihnen tausendmal!«

Der Pfarrer betrachtete sie mit wohlwollendem Lächeln. Sie glühte vor Vergnügen und auch vom heute zahlreicheren Nippen wie ein Rose, durch welche die Sonne scheint, und sah dabei aus wie eine Landvögtin. Auf den Rat der Salandertöchter hatte sie eine frisierende Frauensperson kommen und sich von ihr die immer noch braunen Haare besser ordnen und mit ein wenig Spitzenwerk bereichern lassen. Auf dem nagelneuen dunkeln Seidenkleide prangten Uhr und Kette nebst einer Agraffe, welche die auf Porzellan übertragenen Photographien der Zwillinge enthielt, wie sie als Knaben gewesen.

Sie war aufgestanden, und da der Pfarrer sich mit seinem Schützenbecher den Brautpaaren selbst näherte, ging sie, das Glas in der Hand, in ihrer Lebhaftigkeit mit, um auch mit ihnen anzustoßen und anzufragen, wie es ihnen gefalle und gehe.

»Gut!« sagten sie mit einer seltsamen Mischung von Glück und Befangenheit, indem sich jedes Paar bei der Hand faßte. Die Jünglinge hatten sich die Rede des Pfarrers als bare Münze zu Herzen genommen und doch das Gefühl, daß nicht alles ganz richtig sei; überlegend, ob sie nicht redend auftreten sollten, wußten sie im Augenblick nichts zu sagen, das ihnen genügen würde, und fanden, es sei angemessener, wenn sie sich still verhielten an diesem Tage. Dennoch strahlte die jugendlich unvorsichtige Eitelkeit und das Selbstgefallen von ihren hübschen Gesichtern und gaben ihnen einen Anflug von Unreife neben den in voller Reife aufgeblühten Bräuten, und diese verspürten denn auch im hellen Tageslicht dieses Festes eine wunderliche Empfindung, etwa wie diejenige einer reichen Schönen, die sich mit vollem Bewußtsein einem armen, unansehnlichen Menschen mit ihrer Neigung zugewendet hat und doch wünscht, das Hochzeitsfest möchte überstanden sein.

Da jetzt neue Speisen aufgetragen wurden, beschloß das Salandersche Ehepaar, das für einmal genug gespeist hatte, einen Gang zwischen den Tischen und um die Baumwiese herum zu machen. Das Weidelichsche Paar wollte späterhin das gleiche tun.

Als Marie an Salanders Arm ging, drängte es sie nachträglich, sich über den Geistlichen auszusprechen.

»Das scheint doch ein schnurriger Herr zu sein!« sagte sie, »erst die dicke Lobhudelei und nachher, wenn man nur das Nötigste dagegen höflich bemerkt, wenn er kommt, den Dank zu holen, gleich spitzige Worte, deren Zusammenhang man suchen muß. Wie verfänglich grob hat er dir so blitzschnell geantwortet! Und mir hat er mit gleicher Artigkeit zu verstehen gegeben, daß es sich nicht um mich, sondern um eine künstlerisch abgerundete Volksrede handle!«

»Du mußt das nicht für so gefährlich auffassen,« entgegnete Martin Salander, »er liegt eben immer im Kampfe mit seiner eigenen Sophistik, die sich stets in seine Rede drängt, auch wenn er nichts damit will. Er braucht sie unbewußt, wie ein natürliches Verteidigungsmittel, auch wo kein Mensch ihn angreift. Ich habe einmal über einen Parteigenossen mit ihm gesprochen und beklagt, daß dieser so viel lüge. Da gab er mir zur Antwort, er sei der beste Hausvater und erziehe seine Kinder musterhaft. Damit war ich abgefertigt, weil es ihm nicht bequem war, über das Thema zu sprechen, und er nicht wußte, wieweit es sich gegen ihn drehen könnte.«

»Du lieber Gott,« sagte die Frau Marie in ihrer Einfalt, »das ist ja eine traurige Existenz!«

»Nicht so traurig! Es ist nur Manier! Jeder, der viel spricht, besonders in Politik, hat seine Manier, und es gibt solche, welche eine Manier der Unwahrheit haben, ohne gerade etwas Übles damit zu bezwecken; diese sind immer damit geplagt, anderen kleine Fallen zu stellen, sie aufs Eis zu führen, verfängliche Fragen an sie zu richten; das alles bildet mehr eine schützende Hecke für sie selbst, ein System der Abschreckung, als ein Angriffsmittel. Aber was führen wir da für Hochzeitsgespräche!«

Sie hielten da und dort grüßend bei den Gästen, welche sie nicht gerade am Tafelvergnügen störten. Dann wandelten sie längs des Einfanges um den Baumgarten herum, wo sich bereits allerlei Zuschauer zu sammeln begannen und im Schatten überhängender Bäume auch etwas zu hören trachteten. Es war dafür gesorgt, daß dem sich zusammenschließenden Menschenkranze späterhin erfrischendes Getränk und Körbe voll Kuchenbäckerei geboten wurden für jeden, der zugreifen mochte.

Schon wurden einige Tische für Gefäße und Körbe an den leichten Stangenzaun gerückt. Ein Bübchen in weißen Hemdsärmeln, die Daumen beider Hände in den Armlöcher des Sonntagswestchens haltend, wie ein Alter, stand zuvorderst und verfolgte mit offenem Munde und großer Spannung diese Anstalten. Frau Marie konnte sich nicht versagen, vom nächsten Tafeltische ein Stückchen Torte zu holen und es dem Kinde vor den Mund zu halten, das gleich hineinbiß. Der Knirps machte Miene, so fortzufahren, ohne die Däumchen aus der Weste hervorzuziehen; erst als ein zweiter, größerer seine Zähne auch ansetzen wollte, packte jener das süße Stück und fuhr wie ein Blitz hinweg.

Auch für die Brauteltern war es Zeit, umzukehren; sie wurden benachrichtigt, es sei das kleine Festspiel in Bereitschaft, und sie eilten an ihren Platz. In dessen Nähe, auf der hölzernen Terrasse des anstoßenden Hauses, hatte man mittels einiger Dutzend Ellen weißer und rotgefärbter Baumwolltücher einen Spielraum abgegrenzt. Das aufzuführende Stück bestand aus einem in gereimten Versen geschriebenen Zwiegespräch, ungefähr nach der von Salander angegebenen Idee. Den Inhalt oder Text kannte er selbst nicht, da er nach getroffener Verabredung mit den betreffenden Genies nicht mehr Zeit gefunden, sich darum zu bekümmern.

Als ein Trompetenstoß das Zeichen gegeben und die ganze Hochzeit nach dem Theaterchen guckte, trat aus den Tüchern hervor eine derbe, junge Bauernfrau auf, mit einer hölzernen Kelle oder Kochlöffel im Gürtel, und stellte sich als die reine Demokratie, das heißt Volksherrschaft, vor, die gewohnt sei, ihren Brei selbst zu kochen, anzurichten und warm zu essen und so weiter. Von der andern Seite kam sodann ein sogenannter ältlicher Halbherr in der Tracht der ersten dreißiger Jahre, mit hohem Hut, Vatermördern, blauem Frack und kleinen Ohrringen. Er sah ungleich komischer aus, als Salander gedacht, daß er aussehen sollte und sich für den Fall gebührte. Befragt, wer er sei und wo er denn hin wolle, stellte er sich als den Liberalismus vor. Er habe vernommen, daß eine große demokratische Hochzeit gefeiert werde, und obgleich ihm sonst die Demokratie von weitem lieber als von nahem sei, möchte er doch gern ein bißchen sehen, wie sie sich im Familienleben ausnehme, wenn es unbemerkt geschehen könne. Da sei er gerade vor die rechte Schmiede gekommen, sagte die rüstige Person, sie sei die Demokratie, er solle sich nur an sie halten, sie wolle ihm alles zeigen. Als er aber näher trat und ihr das Busentuch neugierig ganz sachte etwas lüften wollte, zog sie die Kelle und schlag ihn damit so derb auf den Hut, daß er tönte wie eine Trommel.

Von solchen Späßen begleitet, setzten sie einen gegenseitigen Unterricht in Gang, wobei aber der Liberalismus, so ziemlich wie es im Leben geschieht, ohne es zu merken, einen Satz der Demokratie nach dem andern zu dem seinigen machte und gegen sie selbst verteidigte, während sie mit neuen Sätzen wieder weit voraus war und auf seinem Hute trommelte.

Als sie endlich sahen, daß sie auf solche Art nicht sobald zusammenkämen, schlossen sie einen vorläufigen Frieden, um die Hochzeit lustig mitzumachen und sich vielleicht zu heiraten, wenn es sein müßte. Worauf die Musik plötzlich einfiel und einen Hopser spielte, die Demokratie und der Liberalismus aber sich zu packen kriegten und einen drolligen Tanz aufführten. Dabei riß die wilde Person den guten Herrn so gewaltig herum, daß seine Frackschöße flogen, die Füße stolperten und die Vatermörder die Spitzen nach hinten kehrten. Kurz, die beiden darstellenden Gesellen unterließen keine der bei solchem Anlaß üblichen Hanswurstpossen. Zuletzt zogen sie ab, indem das Weib auf dem Hut des Mannes mit der Kelle den Zapfenstreich schlug und dazu die bekannte Weise pfiff.

Das fröhliche Gelächter inner- und außerhalb des Baumgartens verwandelte sich in ein jubelndes Beifallrufen. Nur ein Häuflein altliberaler Wähler Isidor Weidelichs, die ihm zu Gefallen eingeladen und gekommen waren, machte verdrossene Gesichter, und sie murrten untereinander, wenn sie das gewußt hätten, so wären sie nicht gekommen. Es waren biedere Leute, die durch alle Ungunst der Zeit ihrer Gesinnung treu geblieben und die im Grunde richtigen Anspielungen auf den Wankelmut oder die Nachgiebigkeit, welche das, was sie fürchtet, selbst herbeiführen hilft, nicht einmal verstanden.

Auch Martin Salander war betroffen von der Gestalt, welche seine Anregung bekommen hatte, und fühlte sich als Gastgeber verletzt. Er benutzte daher die eingetretene Stille, die von ihm zu leistende Rede jetzt zu halten und mit einer genugtuenden Wendung den Schaden auszugleichen, die reinere Idee, welche er in der Sache ursprünglich gesehen, wiederherzustellen.

Es gelang ihm auch leidlich, und das gleiche Völklein, welches dem übermütigen Traktieren des Liberalismus zugejubelt, klatschte ihm Beifall, als er sein Hoch unter anderm auch den ehrenwerten anwesenden Vertretern der alten freisinnigen Partei darbrachte, als den Zeugen des wahren Wortes, daß man in Freude und Leid zusammengehen und jener schöneren Zukunft entgegenleben müsse, welche nur eine Partei noch kennen werde, diejenige der geeinigten und befriedigten Patrioten!

Das sogenannte Öffnen der Schleusen war nun geschehen. Während zwei voller Stunden wurde fast unaufhörlich und von allen Enden her toastiert. Zum größeren Behagen oder Troste der Festgenossen hatte aber ein neues Essen begonnen mit anderen Gerichten und feineren Weinen. Die zwei Brautpaare sollten mit anbrechender Dunkelheit das Fest verlassen und die durchgehenden Bahnzüge benutzen, um nach Lindenberg einerseits und in die Nähe des Lautenspiels anderseits zu gelangen. Es waren Züge, die sich bequem und gleichzeitig hier kreuzten. Man hatte von der Hochzeitsreise abgesehen, weil die Notare noch keine Amtsverweser hatten und die Bräute kein Verlangen danach trugen, vielmehr nichts sehnlicher wünschten, als in den Idyllen der neuen Häuslichkeiten sich einzuspinnen, fern vom Geräusche der Welt. Alles war dazu eingerichtet und in jeder Behausung ein tüchtiges Dienstmädchen bereit.

Die zwei Paare endigten einen Umgang, welchen sie unter den Gästen getan, mit Dank für die erwiesene Ehre und geziemender Verabschiedung, während die Tische bereits mit zahlreichen Lichtern besetzt und am Saume des Baumgartens Pechpfannen angezündet wurden. Am Fuße der kleinen Schaubühne angelangt, standen sie einen Augenblick still; denn den Brüdern tauchte gleichzeitig der Gedanke auf, sie sollten, nach dem Vorgefallenen, als Mitglieder des Großen Rates doch noch einige Worte zum besten geben. Am füglichsten könnten sie es tun, meinten sie, wenn sie in Person die vom Schwiegervater verkündete Versöhnung der Parteien, als Angehörige derselben, sozusagen illustrierten, die Bühne rasch bestiegen und oben sich unter passenden kurzen Reden angesichts der ganzen Hochzeitsgemeinde die Hände reichten. Indem sie berieten, welcher von ihnen das Wort zuerst ergreifen solle, Isidor der Altliberale, oder Julian, der Demokrat, entstand auf der Bühne über ihren Köpfen ein polterndes Geräusch, welches die allgemeine Aufmerksamkeit erregte und aller Blicke dorthin lenkte.

Zwei Rüpel oder zerlumpte Stromer, mit Knotenstöcken und Bündeln am Rücken, zogen Arm in Arm auf und drückten sich gröhlend umher. Sie trugen zerzauste Perücken und Bärte von Werg und mächtige falsche Nasen im Gesicht, daß kein Mensch ahnte, wer sie waren. Sie schienen nicht mehr zu wissen, wo sie hinaus sollten, ließen sich endlich fahren und stellten sich einander gegenüber. Es waren offenbar zwei Spaßvögel, die in dieser Verkleidung auftraten, einen Beitrag an die Festlichkeit zu leisten; und man gewärtigte vergnügt, was sie vorbringen würden. Nachdem sie eine Weile über das Schicksal, über Gott und die Welt geschimpft, fingen sie an, zu beraten, was sie denn anfangen könnten, sich ferner redlich durchzubringen? Sie zählten eine Menge tollen Zeuges auf, was sie schon versucht oder probieren könnten, bis der eine auf den Einfall geriet, seine Gesinnung zu verwerten, die noch irgendwo vorhanden sein müsse, da er sie nie gebraucht. »Gesinnung?« schrie der andere, »eine solche muß ich ja auch noch haben, eine wie ein neugeborenes Kind!« Sogleich nahmen sie die Reisebündel vom Rücken, schnürten sie auf und wühlten in dem unhabseligen Schunde herum, fanden aber lange nichts. »Halt,« rief der eine, »da muß was sein!« und brachte ein hölzernes Nadelbüchslein zum Vorschein. Behutsam hob er das Deckelchen zur Hälfte ab und guckte mit einem Auge in die Höhlung. »Ja, da drin sitzt es«, rief er und machte stracks wieder zu. Der andere Rüpel fand ein winziges Pillenschächtelchen, öffnete es ebenso vorsichtig wie jener sein Nadelbüchslein, verschloß es ebenso schnell und schrie, da sitze seine Gesinnung auch ganz wohlbehalten drin.

Da nun jeder dieser Habseligkeit sicher war, hieß es, was damit anfangen? Plötzlich erinnert sich der eine Rüpel, daß ehestens in der Gegend eine glänzende Hochzeit zwischen der reinen Jungfrau Demokratie und dem alten Herrn Liberalismus gefeiert und bei diesem Anlasse ein großer Vorrat von Gesinnung benötigt werde, und zwar von beiden Arten, von der liberalen und von der demokratischen. Jeder, der damit versehen sei, und auch kleinere Beiträge sind willkommen, werde trefflich verpflegt, und wenn er tapfer fresse und saufe, so sei er einer gut besoldeten Anstellung mit permanentem Urlaub sicher usw. Sie wurden einig, an die Hochzeit zu gehen und ihre Gesinnung anzubieten. Um sich aber nicht selber hinderlich zu sein, beschlossen sie, sich auf beide Seiten zu verteilen und der eine bei der Braut, der andere beim Bräutigam sich zu melden. Sie besahen nochmals die kleinen Habseligkeiten im Büchschen und im Schächtelchen, ob sie nicht eine Wegleitung daran zu erkennen vermöchten. Allein sie konnten durchaus nichts erraten und erfanden daher den Ausweg, auszuwürfeln, wessen Gesinnung liberal und wessen Gesinnung demokratisch sein solle.

Sie setzten sich also auf den Boden, zogen einen schmutzigen alten Lederbecher mit Würfeln hervor und würfelten die Parteien unter sich aus, natürlich wieder mit allerhand Schnurren und Possen. »Es ist doch ein lausiges Spiel,« schrie der eine, »wenn man kein Bier dazu hat!« – »Wir wollen uns ein paar frisch gefüllte Töpfe denken,« rief der andere, »sieh den schönen Anstich! Trink!«

Endlich wurden sie mit dem Würfeln, das sie mit vielen Mogeleien lustig zu verlängern gewußt hatten, fertig. Jeder prägte sich seinen Parteinamen wiederholt ins Gedächtnis und machte zur größeren Sicherheit einen Knoten in das alte Schnupftuch, welches der eine von ihnen besaß, so daß dieser beide Versicherungen mit sich trug. Dann gingen sie mit Hallo und Juhe hinter die Bühne und verschwanden, wie sie gekommen.

Die ganze Zeit über waren die Notare mit den Bräuten vor der Bühne gestanden und hatten stumm hinaufgeschaut. Jetzt sahen sie sich mit roten Gesichtern an, durften aber nicht miteinander reden. Glücklicherweise war es für sie die höchste Zeit, nach der Station zu gehen, wozu sie bereits gemahnt wurden. Von den Eltern begleitet, begaben sie sich, nach Vornahme des nötigen Kleiderwechsels, unbemerkt hinweg. Beide Bahnzüge waren zum Ausfahren bereit. Die Brüder fanden einen Augenblick Zeit, einander zu fragen, welcher von ihnen die Würfelgeschichte ausgeschwatzt habe; jeder beteuerte, daß er mit keiner Silbe das getan. »Dann muß uns damals einer beobachtet haben, der uns kannte!« fanden sie einstimmig und trugen von der schönen Hochzeit das unangenehme Bewußtsein hinweg, mit einem Gerüchte behaftet in den Ehestand einzugehen. Als der erste Bahnzug bestiegen werden mußte und die Schwestern Setti und Netti sich zum ersten Male in ihrem Leben trennten, befiel auch sie eine traurige, wie ahnungsvolle Stimmung; sie fielen sich weinend um den Hals und wußten vor Schluchzen sich beinahe nicht zu fassen.

In dem Hochzeitsgarten wurde inzwischen nichts verspürt, daß der Schwank der zwei Rüpel verstanden worden und seine Bedeutung bekannt sei; er wurde als eine harmlos satirische Hochzeitsposse aufgefaßt und belacht. Man wunderte sich nur, wer die beiden Burschen gewesen seien.

Der vielen jungen Frauensleute wegen wurde im Wirtshaussaale nun doch noch ein Tanz angeordnet, und als Salanders Extrazug um Mitternacht den von Münsterburg gekommenen Teil der Gäste wieder abholte, blieben dennoch Haus und Baumgarten ganz erhellt und voll Gesang und Musik in der schönen Juninacht zurück.


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