Gottfried Keller
Der grüne Heinrich
Gottfried Keller

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Wiederum Fastnacht

Das größte Theater der Residenz war in einen Saal umgewandelt und hatte, voll erleuchtet, bereits die beiden Körper des Festheeres, die Darstellenden und die Zuschauer, in sich aufgenommen. Während auf den Galerien und in den Logenreihen die schauende Welt versammelt harrte und einstweilen sich selbst in ihrem Schmucke betrachtete, summten die Seitensäle und Gänge dicht angefüllt von den sich ordnenden Künstlerscharen. Hier wogte es hundertfarbig und schimmernd durcheinander. Jeder war für sich eine inhaltvolle Erscheinung und Person, und indem er selber etwas Rechtem gleichsah, schaute er freudig den Nächsten, welcher in der schönen Tracht nun ebenfalls so vorteilhaft und kräftig erschien, wie man gar nicht hinter ihm gesucht hätte, trotzdem der Kern der Festgebenden nicht aus leeren Figuranten und Lebemenschen, sondern aus schwungvollen, vom Genius gehobenen Jünglingen und längst in gediegener Arbeit ausgereiften Männern bestand, welche einen rechtsgültigen Anspruch besaßen, die bewährten Vorfahren darzustellen. Außer den Malern und Bildhauern gingen im Zuge Baumeister, Erzgießer, Glas- und Porzellanmaler, Holzschneider, Kupferstecher, Steinzeichner, Medailleure und viele andere Angehörige eines voll ausgegliederten Kunstlebens. In den Gießhäusern standen zwölf Ahnenbilder für den Königspalast, soeben vollendet, jedes zwölf Fuß hoch und im Feuer vergoldet. Zahlreiche Statuen von Landes- und Geistesfürsten eigener und fremder Nationalität, zu Roß und Fuß, samt den Bildwerken ihrer Fußgestelle, waren schon vollendet und in der Welt zerstreut, riesenhafte Unternehmungen begonnen, und es ging in den Feuerhäusern wohl schon so gewaltsam und kraftvoll her, wie an jenem Gußofen zu Florenz, als Benvenuto seinen Perseus goß. In Fresko und Wachs waren schon unabsehbare Wände bemalt; haushohe gemalte Fenster wurden gebrannt und zusammengesetzt in einem Farbenfeuer, das der Auferstehung einer untergegangenen Kunst angemessen war, um sie würdig zu feiern. Was die Gemäldesammlungen an seltenen und unersetzbaren Schätzen auf vergänglicher Leinwand bewahrten, wurde zur Erhaltung in dauernder Wiedergabe von geübten Arbeitern mit anspruchlosem Fleiße auf Porzellantafeln und edle Gefäße übertragen mit einer Kunst, die erst seit wenig Jahren in solchem Grade bestand. Was nun der ganzen Trägerschaft dieser Kunstwelt, den großen und kleineren Meistern, den Gesellen und Schülern einen erhöhten Wert verlieh, das war der reinere Abglanz der ersten Jugendreife einer solchen Epoche, deren ideale Freudigkeit im selben Zeitalter selten wiederkehrt, eher schon von dem leichten Schatten der Verbildung und Ausartung da und dort umschwebt wird. Alle, auch die bejahrteren, waren noch jung, weil die ganze Zeit jung und die Spuren eines bloßen Könnens ohne Gefühl noch wenig zahlreich waren.

Jetzt öffneten sich die Türen, und die Trompeter und Pauker, welche klangvoll erschienen, verbargen mit ihren Reihen den hinter ihnen anschwellenden Zug, so daß man erwartungsvoll harrte, bis sie vorgeschritten der reichen Entfaltung Raum gaben. Ihnen folgten zwei Zugführer mit dem Nürnberger Wappen, dem Jungfernadler auf den weiß und roten Röcken, und hinter diesen schritt schlank und zierlich einher, einen mächtigen Laubkranz auf dem Haupte, den goldenen Stab in der Hand, der Führer der stattlichen Zunft der Meistersänger. Alle bekränzt, ging die gute Schar derselben daher mit ihrer Spruchtafel, voran die wanderlustige Jugend in kurzer Tracht, welcher die Alten folgten, den ehrwürdigen Hans Sachs umgebend, der sich im dunkelfarbigen Pelzmantel wie ein wohlgelungenes Leben mit dem Sonnenschein ewiger Jugend um das weiße Haupt darstellte.

Aber das bürgerliche Lied war dazumal so reich und überquellend, daß es jede Meisterschaft begleitete und hauptsächlich auch unter dem Banner der nun folgenden Baderzunft hinter Schermesser und Bartbecken herging. Da war Hans Rosenblüth, der Schnepperer, der viel gewanderte Schalks- und Wappendichter, ein krummbuckliger munterer Gesell mit einer großen Klistierspritze im Arm. Mit langen Schritten folgte diesem der hochbeinige Hans Foltz von Worms, der berühmte Barbier und Dichter der Fastnachtsspiele und Schwänke und als solcher Genoß des Rosenblüth und Vorzünder des Hans Sachs. Zwei Bartscherer und ein Schuhmacher pflegten so das junge Schoß der deutschen Bühne.

Liederreich waren alle die andern Zünfte, die nun folgten in ihren bestimmten Farben an Kleid und Banner, die Schäffler und Brauer, die Metzger in rot und schwarzem mit Fuchspelz verbrämtem Zunftgewande, die hechtgrauen und weißen Bäcker, die Wachszieher, lieblich in Grün, Weiß und Rot und die berühmten Lebküchler hellbraun und dunkelrot gekleidet; die unsterblichen Schuster schwarz und grün, wie Pech und Hoffnung, buntflickig die Schneider. Mit den Damast- und Teppichwirkern erschienen schon namhafte Meister des höheren Gewerbes; denn sie brachten die fürstlichen Teppiche und Tücher hervor, mit denen die Häuser der Kaufherren und Patrizier geschmückt waren.

Alle jetzt erscheinenden Zünfte waren ausgefüllt von einer wahren Republik kraftvoller, erfindungsreicher Handwerks- und Kunstmänner. Die Tüchtigkeit teilte sich unter die Gesellen, welche manchen berufenen Burschen aufzuweisen hatten, wie unter die Meister. Schon die Dreher zeigten als Genossen Hieronymus Gärtner, welcher mit kindlicher Andacht, als ein Werklein zum Preise Gottes, aus einem Stückchen Holz eine Kirsche schnitzte, die auf dem Stiele schwankte, und eine Fliege, die darauf saß, so zart, daß die Flügel und die Füße sich bewegten, wenn man sie anhauchte – der aber zugleich ein erfahrener Meister in Wasserwerken und kunstreichen Brunnen war.

Aus der wirren Fülle von Erscheinungen, deren fast jede ihre anmutige Legende hatte, leben jetzt noch manche in meinem Gedächtnisse, und doch sind es wenige im Vergleich zum Ganzen. Unter den Hufschmieden, rot und schwarz gekleidet wie Feuer und Kohle, ging Meister Melchior, der die großen eisernen Schlangengeschütze aus freier Hand schmiedete; unter den Büchsenmachern der erfindungsreiche Geselle Hans Danner, der schon dazumal von den Metallen Späne trieb, als hätte er weiches Holz unter den Händen, und sein Bruder Leonhard, der Erfinder von mauerstürzenden Brechschrauben. Da ging auch Meister Wolff Danner, der Erfinder des Feuersteinschlosses, und neben ihm Böheim, der Meister der Geschützgießer, welche ihre gleißenden, wohlverzierten Geschützröhren, Kanonen, Metzen und Kartaunen durch alle Welt berühmt machten.

Die Zunft der Schwertfeger und Waffenschmiede allein umfaßte eine gegliederte Welt kunstreicher Metallarbeiter. Der Schwertfeger, der Haubenschmied, der Harnischmacher, jeder von diesen brachte den Teil der kriegerischen Rüstung, der seinem Namen entsprach, zur größten Gediegenheit und bewährte darin ein nachhaltiges Künstlerdasein. Wunderbar löste sich die strenge Einteilung in die Freiheit und Vielseitigkeit auf, mit welcher die schlichten Zunftmänner wieder zu den wichtigsten Taten und Erfindungen vorschritten und alle wieder alles konnten, oft ohne des Lesens und Schreibens mächtig zu sein. So der Schlosser Hans Bullmann, der Verfertiger großer Uhrwerke mit Planetensystemen, und der Vervollkommner derselben, Andreas Heinlein, welcher auch so kleine Uhren zuwege brachte, daß sie im Knopfe der Spazierstöcke Platz hatten; auch Peter Hele, der eigentliche Erfinder der Taschenuhren, ging hier unter dem handfesten Namen eines Schlossermeisters.

Noch seh ich auch unter den Holzschneidern ein kleines Männchen in einem Mäntelchen von Katzenpelz, den Hieronymus Rösch, den Katzenfreund, in dessen stiller Arbeitsstube überall jene spinnenden Tiere saßen. Und gleich hinter dem grauschwarzen Katzenmännchen erblicke ich die lichte Erscheinung der Silberschmiede in himmelblauem und rosenrotem Gewande mit weißem Überwurf, und die Goldschmiede, hochrot gekleidet, mit schwarz damastenem, reich mit Gold gesticktem Mantel. Silberne Bildtafeln und goldgetriebene Schalen wurden ihnen vorangetragen; die plastische Kunst lachte hier in silberner Wiege und die neugeborene Kupferstecherei hatte hier ihren metallischen Ursprung, getrennt von dem Holzschnitt, welcher mit der schwärzlichen Buchdruckerei wandelte.

Noch sehe ich auch einen feinen Mann, dessen Legende mich besonders rührte, unter den Kupfertreibern, den Sebastian Lindenast, der seine kupfernen Gefäße und Schalen so schön und kostbar arbeitete, daß der Kaiser ihm das Vorrecht verlieh, sie zu vergolden, was sonst keiner durfte. Welch ein schönes Verhältnis zwischen dem Werkmann und dem obersten Haupte der Nation, diese Befugnis, ein geringes Metall um der edlen Form willen zum Goldrange zu erheben!

Gleich neben diesem sah ich den Veit Stoß, einen Mann von seltsamster Mischung. Er schnitt aus Holz so holde Marienbilder und Engel und bekleidete sie so lieblich mit Farben, güldenem Haar und Edelsteinen, daß damalige Dichter begeistert seine Werke besangen. Dazu war er ein mäßiger und stiller Mann, der keinen Wein trank und fleißig seiner Arbeit oblag, immer neue fromme Bilder für die Altäre erschaffend. Aber des Nachts machte er eifrig falsche Wertpapiere, um sein Gut zu mehren, und als er ertappt wurde, durchstach man ihm öffentlich mit einem glühenden Eisen beide Wangen. Weit entfernt, von solcher Schmach gebrochen zu werden, erreichte er in aller Gemächlichkeit ein Alter von fünfundneunzig Jahren und schnitt nebenbei Reliefkarten von Landschaften mit Städten, Gebirgen und Flüssen; auch malte er und stach in Kupfer.

Doch als ein ganzer und klassischer Genoß trat nun unter dem schlichten Namen eines Gelb- und Rotgießers Peter Vischer einher mit seinen fünf Söhnen, die Hantierer in glänzendem Erze. Er sah aus mit seinem kräftig gelockten Bart, der runden Filzmütze und seinem Schurzfell wie der wackere Hephästos selber. Sein freundlich großes Auge verkündete, daß es ihm gelang, sich im Sebaldusgrabe ein unvergängliches Denkmal zu setzen, reich an Arbeit vieler Jahre und beschienen vom Abglanz griechischen Lebens, ein Wohnsitz vieler Bildwerke, die im lichten Raume den silbernen Sarg des Heiligen hüten. So wohnte der Meister selbst mit seinen fünf Söhnen samt ihren Weibern und Kindern in einem Hause und derselben Werkstatt, im Glanz neuer Werke.

Einer, der mir nicht viel weniger gefiel, war im Zuge der Maurer und Zimmerleute Georg Weber, groß und stark heranschreitend, zu dessen grauem Kleide es einer Unzahl von Ellen Tuches bedurfte. Der war freilich ein Wäldervertilger; denn mit seinen Werkleuten, die er alle so groß und stark aussuchte, wie er selber war, mit dieser Riesenschaft arbeitete er mächtig in Bäumen und Balken, sinnreich und künstlich, und fand nicht seinesgleichen. Er war jedoch ein trotziger Volksmann und machte im Bauernkriege den Bauern Geschütze aus grünen Waldbäumen. Er sollte deshalb zu Dinkelsbühl geköpft werden; allein der Rat von Nürnberg löste ihn wegen seiner Kunst und Nützlichkeit aus und ernannte ihn zum Stadtzimmermeister. Er baute nicht nur schönes und festes Sparren- und Balkenwerk, sondern auch Mühl- und Hebemaschinen und gewaltige lasttragende Wagen und fand für jedes Hindernis, jede Gewichtsmasse einen Anschlag unter seiner starken Hirnschale. Bei alledem konnte er weder lesen noch schreiben.

So folgten sich, da man eine ganze Zeit zusammenfaßte, Scharen von ausdrucksvollen Gestalten, die alle im Leben gestanden hatten, bis dieser Teil des Zuges mit der Zunft der Maler und Bildhauer und der Erscheinung Albrecht Dürers abschloß. Unmittelbar voran ging ihm der Edelknabe mit dem Wappenschilde, der in blauem Felde drei silberne Schildchen zeigt und von Maximilian dem großen Meister für die ganze Künstlerschaft gegeben worden ist. Dürer selbst schritt zwischen seinem Lehrer Wohlgemuth und Adam Kraft; die eigenen hellen Ringellocken des Darstellers fielen nach beiden Seiten gleich gescheitelt ganz so auf die breiten mit Pelz bedeckten Schultern, wie im bekannten Selbstbildnis, und mit anmutiger Geschicklichkeit trug der geschmeidige Mann die feierliche Würde, die auf ihm lastete.

Nachdem nun, was eine Stadt baut und ziert, vorangegangen, trat gewissermaßen die Stadt selbst auf. Von zwei bärtigen Hellebardieren begleitet, wurde ihr das große Banner vorgetragen. Hoch trug der kecke Fähndrich die wallende Fahne, im üppig geschlitzten Kleide, die linke Faust stattlich in die Seite gestemmt. Alsdann kam der Stadthauptmann, kriegerisch prächtig in Rot und Schwarz gekleidet, mit dem Brustharnisch angetan und den Kopf mit breitem von Federn wogendem Baretthute bedeckt. Ihm folgten Bürgermeister, Syndikus und Ratsherren, unter ihnen manch ein im weiten Reich angesehener und ersprießlicher Mann, und endlich die festlichen Reihen der Geschlechter. Seide, Gold und Juwelen glänzten hier in schwerem Überfluß. Die kaufmännischen Patrizier, deren Güter auf allen Meeren schwammen, die zugleich in streitbarer Haltung mit dem selbstgegossenen Geschütze die Stadt verteidigten und an den Reichskriegen teilnahmen, übertrafen den mittleren Adel an Pracht und Reichtum wie in Gemeinsinn und sittlicher Würde. Ihre Frauen und Töchter rauschten wie große lebende Blumen einher, einige mit goldenen Netzen und Häubchen um die schön gezöpften Haare, andere mit federwallenden Hüten, diese den Hals mit feinsten Linnen umschlossen, jene die entblößtem Schultern mit köstlichem Rauchwerk eingerahmt. Inmitten dieser glänzenden Reihen gingen einige venezianische Herren und Maler, als Gäste gedacht, poetisch in ihre welschen purpurnen oder schwarzen Mäntel gehüllt. Diese Gestalten lenkten die Phantasie auf die Lagunenstadt und von da in die Weite an alle Küsten des Mittelmeeres.

Eine zweite breite Reihe von Trompetern und Paukern, überragt vom Doppelaar, führte endlich schmetternd das Reich heran mit allem, was es an Tapferkeit und Glanz um den Kaiser zu scharen hatte. Ein Haufen Landsknechte mit seinem robusten Hauptmann gab sogleich ein lebendiges Bild jener Kriegszeit und ihres unruhigen, wilden und singlustigen Volkstumes. Durch den Wald von achtzehn Schuh langen Spießen, unter dem sie einhermarschierten, sah der innere Blick Berg und Tal, Wälder und Felder, Burgen und Festen, deutsches und welsches Land sich ausbreiten, nachdem die mauerumschlossene reichgebaute Stadt sich vorhin kundgetan. Die Schar der Kriegsgesellen, aus dem jungen Volk und einigen älteren Schnapphähnen bestehend, hatte sich so eifrig in Tracht, Sitten und Lieder des geschichtlichen Vorbildes eingelebt, daß von diesem Feste her sich eine eigene Landsknechtkultur in Wort und Bild auftat und die bloßen sonnverbrannten Nacken der Schwartenhälse, ihre zerschnittenen Bauschkleider und kurzen Schwerter noch langehin überall zu sehen waren.

Nun wurde es aber wieder feierlicher und stiller. Vier Edelknaben mit den Wappenschilden von Burgund, Holland, Flandern und Österreich, dann vier Ritter mit den Bannern von Steier, Tirol, Habsburg und mit dem kaiserlichen Paniere traten auf, dann ein Schwertträger und zwei Herolde. Nach der Flamberge tragenden Leibwache des Kaisers kam eine Schar Edelknaben in kurzen goldstoffenen Wämsern, goldene Pokale tragend, dem kaiserlichen Mundschenk vorauf, und ebenso gingen Jäger und Falkoniere dem Oberjägermeister vorauf. Fackelträger mit vergittertem Gesicht umgaben den Kaiser. Rock und Hermelinmantel von schwarzdurchwirktem Goldstoff, einen goldenen Brustharnisch tragend, auf dem Barett den königlichen Reif, ging Maximilian I. heroisch daher, das Angesicht auf das Heldenmütige, Ritterhafte und Sinnreiche gerichtet. So konnte man selbst von dem lebenden Konterfei sagen. Denn es hatte sich für das Bild des Kaisers ein junger Maler von den fernsten Grenzen des ehemaligen Reiches gefunden, der in Haltung und Angesicht ohne alle Zutat wie dazu geschaffen war.


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