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Leiden und Leben
Diese Demütigung traf mich um so stärker, als ich, in Annas Träumen und Ahnungen rein und gut zu erscheinen, den Winter über ein puritanisches Wesen angenommen hatte und nicht nur meine äußerliche Haltung, sondern auch meine Gedanken sorgfältig überwachte und mich bestrebte, wie ein Glas zu sein, das man jeden Augenblick durchschauen dürfe. Welche Ziererei und Selbstgefälligkeit dabei tätig war, wurde mir jetzt erst bei dieser gewaltsamen Störung deutlich, und meine Selbstanklage wurde noch durch das Gefühl der Narrheit und Eitelkeit verbittert.
Anna hatte während des Winters streng das Zimmer hüten müssen und wurde im Frühling bettlägerig. Der arme Schulmeister kam in die Stadt, um meine Mutter abzuholen; er weinte, als er in die Stube trat. Wir schlossen also unsere Wohnung zu und fuhren mit ihm hinaus, wo meine Mutter wie ein halbes Meerwunder empfangen und geehrt wurde. Sie enthielt sich jedoch, alle die Orte, die ihr teuer waren, aufzusuchen und ihre gealterten Bekannten zu sehen, sondern eilte, sich bei dem kranken Kinde einzurichten; erst nach und nach benutzte sie günstige Augenblicke, und es dauerte monatelang, bis sie alle Jugendfreunde gesehen, obgleich die meisten in der Nähe wohnten.
Ich hielt mich im Hause des Oheims auf und ging alle Tage an den See hinüber. Anna litt morgens und abends und in der Nacht am meisten; den Tag über schlummerte sie oder lag schweigend im Bette, und ich saß an demselben, ohne viel zu wissen, was ich sagen sollte. Unser Verhältnis trat äußerlich zurück vor dem schweren Leiden und der Trauer, welche die Zukunft nur halb verhüllte. Wenn ich manchmal ganz allein auf eine Viertelstunde bei ihr saß, so hielt ich ihre Hand, während sie mich bald ernst, bald lächelnd ansah, ohne zu sprechen, oder höchstens, um ein Glas oder sonst einen Gegenstand von mir zu verlangen. Auch ließ sie sich oft ihre Schächtelchen und kleinen Schätze auf das Bett bringen, kramte dieselben aus, bis sie müde war, wo sie mich dann alles wieder einpacken ließ. Dies erfüllte uns beinahe mit einem stillen Glücke, und wenn ich dann fortging, so konnte ich nicht begreifen, wie und warum ich Anna in Erwartung schmerzvoller Qualen zurückließ.
Der Frühling blühte nun in aller Pracht; aber das arme Kind konnte kaum und selten ans Fenster gebracht werden. Wir füllten daher die Wohnstube, in welcher ihr weißes Bett stand, mit Blumenstöcken und bauten vor dem Fenster ein breites Gerüste, um auf demselben durch größere Töpfe möglichst einen Garten einzurichten. Wenn Anna an sonnigen Nachmittagen eine gute Stunde hatte und wir der warmen Maisonne das Fenster öffneten, der silberne See durch die Rosen und Oleanderblüten hereinglänzte und Anna in ihrem weißen Krankenkleide dalag, so schien hier ein sanfter trauernder Kultus des Todes begangen zu werden.
Manchmal aber wurde Anna in solchen Stunden ganz munter und verhältnismäßig redselig; wir setzten uns dann um ihr Bett herum und führten ein gemächliches Gespräch über Personen und Begebenheiten, bald heiterer Natur und bald ernster, so daß Anna Bericht erhielt von dem, was unsere kleine Welt bewegte. Eines Tages, als meine Mutter in das Dorf gegangen war, fiel das Gespräch auf mich selbst, und der Schulmeister wie seine Tochter schienen es auf diesem Gegenstande so wohlwollend festhalten zu wollen, daß ich mich äußerst geschmeichelt fühlte und aus behaglicher Dankbarkeit die größte Aufrichtigkeit entgegenbrachte. Ich benutzte den Anlaß, mein Verhältnis zu dem unglücklichen Römer zu erzählen, über welches ich seit jenem Briefe mit niemandem gesprochen, und ich brach in die heftigsten Klagen über den Vorfall und mein Verhalten aus. Der Schulmeister verstand mich aber nicht recht; denn er wollte mich beruhigen und die Sache als nicht halb so schlimm darstellen, und was darin noch gefehlt war, sollte mich aufmerksam machen, daß wir eben allzumal Sünder und der Barmherzigkeit des Erlösers bedürftig seien. Das Wort Sünder war mir aber ein für allemal verhaßt und lächerlich und ebenso die Barmherzigkeit; vielmehr wollte ich ganz unbarmherzig die Sache mit mir selbst ausfechten und mich verurteilen auf gut weltlich gerichtliche Art und durchaus nicht auf geistliche Weise.
Plötzlich aber bekam Anna, welche sich bisher still verhalten, aufgeregt durch meine Erzählung und durch mein Gebaren, einen heftigen Anfall ihrer Krämpfe und Leiden, daß ich das arme zarte Wesen zum erstenmal seiner ganzen hilflosen Qual verfallen sah. Große Tränen, durch Not und Angst erpreßt, rollten über ihre weißen Wangen, ohne daß sie dieselben aufhalten konnte. Sie war ganz durch die Bewegungen ihrer Leiden beschäftigt, so daß bald alle Rücksicht und Haltung verschwinden mußten, und nur dann und wann richtete sie einen kurzen irrenden Blick auf mich, wie aus einer fremden Welt des Schmerzes heraus; zugleich schien sie dann eine zarte Scham zu ängstigen, so maßlos vor mir leiden zu müssen; und ich muß bekennen, daß meine Verlegenheit, so gesund und ungeschlacht vor dem Heiligtume dieser Marterstätte zu stehen, fast so groß war als mein Mitleiden. Überzeugt, daß ich ihr dadurch wenigstens einige Befreiung verschaffe, ließ ich sie in den Armen ihres Vaters und eilte bestürzt und beschämt davon, meine Mutter herbeizuholen.
Nachdem diese mit einer Nichte sich fortbegeben, um das kranke Kind zu pflegen, blieb ich den Rest des Tages im Hause des Oheims, mir Vorwürfe machend über mein plumpes Ungeschick. Nicht nur mein Unrecht gegen Römer, sondern sogar das Bekenntnis desselben und seine heutigen Folgen warfen einen gehässigen Schein auf mich, und ich fühlte mich gebannt in einer jener dunklen Stimmungen, wo einem der Zweifel aufsteigt, ob man wirklich ein guter, zum Glück bestimmter Mensch sei, wo es scheint, als ob nicht sowohl eine Schlechtigkeit des Herzens und des Charakters, als eine gewisse Schlechtigkeit des Kopfes, des Geschickes einem anhafte, welche noch unglücklicher macht als die entschiedene Teufelei. Ich konnte nicht einschlafen vor dem Bedürfnisse, mich zu äußern, da das immerwährende Verschweigen wie die mißlungene Aufrichtigkeit das Gefühl des Unheimlichen noch vermehrt. Ich stand nach Mitternacht auf, kleidete mich an und schlich mich aus dem Hause, um Judith aufzusuchen. Ungesehen kam ich durch Gärten und Hecken, fand aber alles dunkel und verschlossen bei ihr. Ich stand einige Zeit unschlüssig vor dem Hause; doch kletterte ich zuletzt am Spalier empor und klopfte zaghaft an das Fenster; denn ich fürchtete mich, das schöne und kluge Weib aus dem geheimnisvollen Schleier der Nacht aufzuschrecken. Sie hörte und erkannte mich sogleich, stand auf, zog sich leicht an und ließ mich zum Fenster herein. Dann machte sie Licht, Helle zu verbreiten, weil sie glaubte, ich sei in der Absicht gekommen, irgend einige Liebkosungen zu wagen. Aber sie war sehr verwundert, als ich anfing, meine Geschichten zu erzählen, erst die gewaltsame Störung, welche ich heute in die stille Krankenstube getragen, und dann die unglückliche Geschichte mit Römer, deren ganzen Verlauf ich schilderte. Nachdem ich meinen kunstreichen Mahnbrief und den darauf erhaltenen Pariser Brief beschrieben, aus dessen Inhalt wir wohl Römers Schicksal ahnen konnten, nur daß wir statt des Irrenhauses gar ein Gefängnis vermuteten, rief Judith: »Das ist ja ganz abscheulich! Schämst du dich denn nicht, du Knirps?« Und indem sie zornig auf und nieder ging, malte sie recht genau aus, wie Römer sich vielleicht erholt hätte, wenn man ihm nicht die Mittel zu seinem ersten Aufenthalte in Paris entzogen, wie ihn der Erhaltungstrieb vielleicht, ja sicher eine Zeitlang hätte klug sein lassen und hieraus unberechenbar eine bessere Wendung auf diese oder jene Weise möglich gewesen.
»Oh, hätte ich den armen Mann pflegen können«, rief sie aus, »gewiß hätte ich ihn kuriert! Ich hätte ihn ausgelacht und ihm geschmeichelt, bis er klug geworden wäre!«
Dann stand sie still, sah mich an und sagte: »Weißt du wohl, Heinrich, daß du allbereits ein Menschenleben auf deiner grünen Seele hast ?«
Diesen Gedanken hatte ich mir noch nicht einmal klar gemacht, und ich sagte betroffen: »So arg ist es wohl nicht! Im schlimmsten Falle wäre es ein unglücklicher Zufall, den ich herbeizuführen nie wähnen konnte!«
»Ja«, erwiderte sie sachte, »wenn du eine einfache, sogar grobe Forderung gestellt hättest! Durch deinen sauberen Höllenzwang aber hast du ihm förmlich den Dolch auf die Brust gesetzt, wie es auch ganz einer Zeit gemäß ist, wo man sich mit Worten und Brieflein totsticht! Ach, der arme Mann! Er war so fleißig und gab sich Mühe, aus der Patsche zu kommen, und als er endlich ein Röllchen Geld erwarb, nimmt man es ihm weg! Es ist so natürlich, den Lohn der Arbeit zu seiner Ernährung zu verwenden; aber da heißt es: Gib erst zurück, wenn du geborgt hast, und dann verhungere!«
Wir saßen beide eine Weile düster und nachdenklich da; dann sagte ich: »Das hilft nichts, geschehene Dinge sind einmal nicht zu ändern. Die Geschichte soll mir zur Warnung dienen; aber ich kann sie nicht ewig mit mir herumschleppen, und da ich mein Unrecht einsehe und bereue, so mußt du es mir endlich verzeihen und mir die Gewißheit geben, daß ich deswegen nicht hassenswert und garstig aussehe!«
Ich merkte nämlich erst jetzt, daß ich darum hergekommen und allerdings bedürftig war, durch Mitteilung und durch die Vermittlung eines fremden Mundes die Vertilgung eines drückenden Gefühles oder Verzeihung zu erlangen, wenn ich mich auch gegen des Schulmeisters christliche Vermittlung sträubte. Aber Judith antwortete: »Daraus wird nichts! Die Vorwürfe deines Gewissens sind ein ganz gesundes Brot für dich, und daran sollst du dein Leben lang kauen, ohne daß ich dir die Butter der Verzeihung darauf streiche! Dies könnte ich nicht einmal; denn was nicht zu ändern ist, ist eben deswegen auch nicht zu vergessen, dünkt mich, ich habe dies genugsam erfahren! Übrigens fühle ich leider nicht, daß du mir irgend widerwärtig geworden wärest; wozu wäre man da, wenn man nicht die Menschen, wie sie sind, lieb haben müßte?«
Diese seltsame Äußerung in Judiths Munde machte mich tief betroffen und verursachte mir ein langes Nachsinnen; je länger ich sann, desto gewisser wurde es mir, daß Judith das Rechte getroffen, und ich gelangte zu einem Schluß, welcher, indem er zugleich zu einem Entschluß wurde, nämlich das Bewußtsein des begangenen Unrechtes nie mehr vergessen und immer in seiner ganzen Frische tragen zu wollen, mir die einzig mögliche Ausgleichung zu sein schien.
Es ist merkwürdig, daß die Menschen immer nur große Dummheiten, die sie begangen, nicht glauben vergessen zu können, sich bei deren Erinnerung vor den Kopf schlagen und kein Hehl daraus machen, zum Zeichen, daß sie nun klüger geworden; begangenes Unrecht aber machen sie sich weis, allmählich vergessen zu können, während es in der Tat nicht so ist, schon deswegen, weil das Unrecht mit der Dummheit nahe verwandt und ähnlicher Natur ist. Ja, dachte ich, so unverzeihlich mir meine Dummheiten sind, wird es auch mein Unrecht sein! Was ich an Römer getan, werde ich von nun an nie mehr vergessen und, wenn ich unsterblich bin, in die Unsterblichkeit hinübernehmen, denn es gehört zu meiner Person, zu meiner Geschichte, zu meinem Wesen, sonst wäre es nicht geschehen! Meine einzige Sorge wird sein, noch so viel Rechtes zu tun, daß mein Dasein erträglich bleibt!
Ich sprang auf und verkündete der Judith diese Ausführung und Anwendung ihrer einfachen Worte; denn es dünkte mir ein wichtiges Ereignis, so für immer auf das Vergessen einer Übeltat zu verzichten. Judith zog mich nieder und sagte mir ins Ohr: »Ja, so wird es sein; du bist jetzt erwachsen und hast in diesem Handel schon deine moralische Jungfernschaft verloren! Nun kannst du dich in acht nehmen, Bürschchen, daß es nicht so fortgeht!« Der drollige Ausdruck, den sie gebrauchte, stellte mir die Sache noch in ein neues und lächerlich deutliches Licht, daß ich einen großen Ärger empfand und mich einen ausgesuchten Narren, Laffen und aufgeblähten Popanz schalt, der sich so blindlings habe übertölpeln lassen. Judith lachte und rief: »Denke daran, wenn man am gescheitesten zu sein glaubt, so kommt man am ehesten als ein Esel zum Vorschein!« »Du brauchst nicht zu lachen!« erwiderte ich ärgerlich, »ich habe dir soeben, als ich kam, auch einen Tort angetan; ich habe gefürchtet, daß du vielleicht einen fremden Mann bei dir haben könntest!«
Sie gab mir sogleich eine Ohrfeige, doch wie es mir schien, mehr aus Vergnügen als aus Zorn, und sagte: »Du bist ein recht unverschämter Gesell und glaubst wohl, du brauchst deine schändlichen Gedanken nur einzugestehen, um von mir absolviert zu sein! Freilich sind es nur die beschränkten und vernagelten Leute, welche nie etwas eingestehen wollen; aber die übrigen machen deswegen damit auch nicht alles gut! Zur Strafe gehst du mir jetzt gleich zum Tempel hinaus und machst, daß du nach Hause kommst! In der künftigen Nacht darfst du dich wieder zeigen!«
Ich begab mich nun, sooft es anging, des Nachts zu ihr; sie brachte den Tag meistens allein und einsam zu, während ich entweder weite Streifzüge unternahm, um zu zeichnen, oder in des Schulmeisters Haus, als in einer Schule des Leidens, mich still und gemessen halten mußte. So hatten wir in diesen Nächten vollauf zu plaudern und saßen oft stundenlang am offenen Fenster, wo der Glanz des nächtlichen Himmels über der sommerlichen Welt lag; oder wir machten dasselbe zu, schlossen die Läden und setzten uns an den Tisch und lasen zusammen. Ich hatte ihr im Herbst auf ihr Verlangen nach einem Buche eine deutsche Übersetzung des rasenden Roland zurückgelassen, welchen ich selbst noch nicht näher kannte; Judith hatte aber den Winter über oft darin gelesen und pries mir jetzt das Buch als das allerschönste in der Welt an. Judith zweifelte nicht mehr an Annas baldigem Tod und sagte mir dies unverhohlen, obgleich ich es nicht zugeben wollte; durch diesen Gegenstand und meine Berichte von jenem Krankenlager wurden wir trübselig und düster, jedes auf seine Weise, und wenn wir nun im Ariost lasen, so vergaßen wir alle Trübsal und tauchten uns in eine frische, glänzende Welt. Judith hatte das Buch erst ganz volkstümlich als etwas Gedrucktes genommen, wie es war, ohne über seinen Ursprung und seine Bedeutung zu grübeln; als wir aber jetzt zusammen darin lasen, verlangte sie manches zu wissen, und ich mußte ihr, so gut ich konnte, einen Begriff geben von der Entstehungsweise und der Geltung eines solchen Werkes, von dem Wollen und den bewußten Absichten des Dichters, und ich erzählte, soviel ich wußte, von Ariost. Nun wurde sie erst recht fröhlich, nannte ihn einen klugen und weisen Mann und las die Gesänge mit verdoppelter Lust, da sie wußte, daß diesen so heiteren und so tiefsinnigen Wechselgeschichten eine heitere Absicht zugrunde lag, ein Wollen, Schaffen und Gestalten, eine Einsicht und ein Wissen, das ihr in seiner Neuheit wie ein Stern aus dunkler Nacht erglänzte. Wenn die in Schönheit leuchtenden Geschöpfe rastlos an uns vorüberzogen, von Täuschung zu Täuschung und leidenschaftlich sich jagend und huschend, immer eins dem anderen entschwand und ein drittes hervortrat, oder wenn sie in kurzen Augenblicken bestraft und trauernd ruhten von ihrer Leidenschaft, oder vielmehr sich tiefer in dieselbe hineinzuruhen schienen an klaren Gewässern, unter wundervollen Bäumen, so rief Judith: »O kluger Mann! Ja, so geht es zu, so sind die Menschen und ihr Leben, so sind wir selbst, wir Narren!«
Noch mehr glaubte ich selbst der Gegenstand eines poetischen Scherzes zu sein, wenn ich mich neben einem Weibe sah, welches ganz wie jene Fabelwesen auf der Stufe der vollentfalteten Kraft und Schönheit stillzustehen und dazu angetan schien, unablässig die Leidenschaft fahrender Helden zu erregen. An ihrer ganzen Gestalt hatte jeder Zug ein siegreiches festes Gepräge, und die Faltenlagen ihrer einfachen Kleider waren immer so schmuck und stattlich, daß man durch sie hindurch in der Aufregung wohl goldene Spangen oder gar schimmernde Waffenstücke zu ahnen glaubte. Entblößte jedoch das üppige Gedicht seine Frauen von Schmuck und Kleidung und brachte ihre bloßgegebene Schönheit in offene Bedrängnis oder in eine mutwillig verführerische Lage, während ich mich nur durch einen dünnen Faden von der blühendsten Wirklichkeit geschieden sah, so war es mir vollends, als wäre ich ein törichter Fabelheld und das Spielzeug eines ausgelassenen Dichters. Nicht nur das platonische Pflicht- und Treuegefühl gegen das von christlichen Gebeten umgebene Leidensbett eines zarten Wesens, sondern auch die Furcht, schlechtweg durch Annas krankhafte Träume verraten zu werden, legten ein Band um die verlangenden Sinne, während Judith aus Rücksicht für Anna und mich und aus dem Bedürfnisse sich beherrschte, in dem zierlich platonischen Wesen der Jugend noch etwas mit zu leben. Unsere Hände bewegten sich manchmal unwillkürlich nach den Schultern oder den Hüften des anderen, um sich darum zu legen, tappten aber auf halbem Wege in der Luft und endigten mit einem zaghaften abgebrochenen Wangenstreicheln, so daß wir närrischerweise zwei jungen Katzen glichen, welche mit den Pfötchen nacheinander auslangen, elektrisch zitternd und unschlüssig, ob sie spielen oder sich zerzausen sollen.