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Als er solchergestalt diese Dinge betrachtete, nicht eben denkend, daß sie damit noch lange nicht zu Ende seien, und einen kräftigen Zug aus seinem Kruge tat, kamen einige seiner Bekannten heran und überhäuften ihn mit Fragen, warum er sich so lange nicht sehen lassen und wo er gewesen sei. Heinrich tat, als ob nichts geschehen wäre, und froh, wieder unter frohen Menschen zu sein, zechte und scherzte er mit ihnen, während in seinem Gemüte dieser erste kräftige Stoß des stillen, aber unerbittlichen Lebens langsam verschmerzte. Denn er fühlte erst jetzt, als mitten in Scherz und Gelächter die Brust sich noch heftig bewegte und er eine nur allmählich sich legende Aufregung empfand, wie so vielsagend und schonungslos dieser Stoß gewesen, daß er sich wie geschändet fühlte und ihn unwillkürlich verschwieg.
Er ging dessenungeachtet mit dem wenigen Gelde um, als ob er ohne alle Sorgen wäre, und das betrachten wir eher als eine Tugend denn als einen Fehler. Die einen Menschen verhalten sich unablässig im Kleinen höchst zweckmäßig, ausdauernd und ängstlich, ohne je einen festen Grund unter den Füßen und ein klares Ziel vor Augen zu haben, indessen anderen es unmöglich ist, ohne diesen Grund und dieses Ziel sich zweckmäßig und absichtlich zu verhalten, aus dem einfachen Grunde, weil sie gerade aus Zweckmäßigkeit nicht aus Nichts etwas machen können und wollen. Diese halten es dann für die größte Zweckmäßigkeit, sich nicht am Nichtssagenden aufzureiben, sondern Wind und Wellen mit der tieferen, der wahren menschlichen Geduld über sich ergehen zu lassen, aber jeden Augenblick bereit, das rettende Tau zu ergreifen, wenn sie nur erst sehen, daß es irgendwo befestigt ist. Sind sie am Lande, so wissen sie, daß sie alsdann wieder die Meister sind, während jene noch auf ihren kleinen Balken und Brettchen herumschwimmen, die über eine Spanne weit immer zu Ende sind. Wer immer emsig zappelt und zweckmißt, dessen Ausdauer ist alles andere, nur keine Geduld, welche wirklich etwas erdulden und über sich ergehen lassen will.
Heinrich entledigte sich nun, da die Sachen blieben wie sie waren, nach und nach aller Gegenstände, für welche man ihm irgend etwas geben wollte, und indem er je nach diesen Einkünften sich gütlich tat oder sich dürftig behelfen mußte, wurde er erst jetzt, als sein fahrendes wunderliches Eigentum verschwand, arm wie eine Kirchenmaus. Das letzte, was er besaß, waren seine Mappen. Er hatte schon wiederholt versucht, eine bessere Studie oder Zeichnung, da dergleichen oft zum Verkaufe geeignet und gesucht ist, bei den Kunsthändlern anzubringen; allein er war zu seiner Beschämung immer kurz abgewiesen worden als einer, der etwas anbietet und zwar, wie es zu sehen war, aus Not. Jetzt nahm er abermals einige Blätter und ging damit in eine abgelegene Seitengasse zu einem alten seltsamen Männchen, welches einen erbärmlichen Kram von allerlei Schnickschnack führte und in seinem dunklen Laden saß und allerhand laborierte. Am Fenster hatte dieser Mann immer einige vergilbte Zeichnungen oder Druckblätter hängen ohne Wert, wie sie der Zufall zusammengeweht, und ebenso wertlos war eine kleine Bildersammlung im Innern des armseligen Magazins, das Ganze eine jener Zufluchtsstätten und Vermittlungsanstalten für jene gottverlassene Klasse von Kunstbeflissenen, die gänzlich von jeder Weihe, jedem Bewußtsein und jeder Bildung entfernt ihr Wesen treibt in seltsamer Industrie und Armut, ohne Handwerker zu sein. Hier holten sich die Bierwirte der untersten Ordnung oder die Kunstfreunde mit fünfhundert Gulden Einkommen ihren Bedarf, um das für wenige Münzen erstandene Meisterwerk, sobald es in ihrem Besitze war, mit rührender Bewunderung zu preisen. Heinrich hatte bei dem Männchen in seinen guten Tagen zuweilen eine verlorene gute Radierung und dergleichen gekauft, welche der Seltsame, der sich mit eben der Befugnis, welche seine Käufer zu Kunstkennern schuf, zum Kunstmäkler aufgeworfen hatte, mit großem Mißtrauen und Widerstreben zu geringen Preisen abließ, indem er den Wert nicht beweisen konnte und, wenn ein gebildeter Käufer sich bei ihm einfand, stets um einen ungeheuren verborgenen Schatz gebracht zu werden fürchtete. Auf den Tisch dieses Mannes, der außerdem noch mit einer Kaffeekanne, einer auseinandergenommenen Schwarzwälderuhr, einem Kleistertopfe und verschiedenen Firnisgläsern beladen war, legte Heinrich jetzt seine guten Blätter, welche fleißig und treulich gezeichnete Waldstellen aus seiner Heimat enthielten, und mit dem gleichen Mißtrauen, mit dem das greise Männchen sonst ihm etwas verkauft hatte, betrachtete es jetzo die unschuldigen Studien und den jungen Mann. Seine erste Frage war, ob er sie selbst gemacht habe, und Heinrich zögerte mit der Antwort; denn noch war er zu hochmütig gegenüber dem übrigens freundlichen Trödelmännchen, zu gestehen, daß die Not ihn mit seiner eigenen Arbeit in dessen düstere Spelunke treibe. Der graue Krämersmann jedoch, wenn er ein sehr schlecht beratener Kunstkenner war, verstand sich umso besser auf die Menschen und schmeichelte dem Widerstrebenden ohne weiteres die Wahrheit ab, deren er sich, wie er aufmunternd sagte, nicht zu schämen brauche, vielmehr zu rühmen hätte; denn die Sachen schienen ihm in der Tat gar nicht übel und er wolle es wagen und etwas Erkleckliches daran wenden. Er gab ihm auch so viel dafür, daß Heinrich einen oder zwei Tage davon leben konnte, und diesem schien das ein Gewinn, dessen er froh war, obschon er seinerzeit lust- und fleißerfüllte Wochen über diesen Sachen zugebracht hatte. Jetzt aber wog er das erhaltene winzige Sümmchen nicht gegen den Wert seiner Arbeiten ab, sondern gegen die Not des Augenblickes, und da erschien ihm denn der ärmliche Handelsmann mit seiner kleinen Kasse noch als ein freundlicher Wohltäter; denn er hätte ihn ja auch abweisen können, und das wenige, was er mit gutem Willen und gutmütigen Gebärden gab, war so viel, als wenn jene reichen Bilderhändler erkleckliche Summen für eine Laune oder Spekulation ihres ebenso unsicheren Geschmackes hingaben.
Aber noch in Heinrichs Anwesenheit befestigte der alte Kauz die unglücklichen Blätter an seinem Fenster und Heinrich machte errötend, daß er fortkam. Auf der Straße warf er einen flüchtigen Blick auf das Fenster und sah die liebsten Erinnerungen an Heimat und Jugendarbeit de- und wehmütig an diesem Pranger der Armut und Verkommenheit hangen.
Aber nichtsdestominder schlich er in zwei Tagen abermals mit einem Blatte zu dem Mann, welcher ihn ganz aufgeweckt und freundschaftlich empfing; denn er hatte die ersten Sachen schon verkauft, während er sonst gewohnt war, seine Erwerbungen jahrelang in seiner Obhut zu hegen und an seinen Türpfosten hängen zu sehen. Sie wurden bald des Handels einig; Heinrich machte eine vergebliche kurze Anstrengung, einen barmherzigeren Preis zu erhalten; ungewohnt zu feilschen und fürchtend, den Handel abgebrochen zu sehen, da er nach der bestimmten Äußerung, mehr haben zu wollen, ja nicht mehr hätte nachgeben dürfen oder gar zum zweiten Male wieder kommen, war er bald froh, daß der Alte noch kauflustig blieb, und dieser munterte ihn auf, nur zu bringen, wenn er etwas fertig hätte (denn er bildete sich ein, der arme junge Künstler mache diese Sachen vorweg), sich ferner zu bescheiden und hübsch fleißig und sparsam zu sein, und die Zeit würde gewiß kommen, wo aus diesem kleinen Anfang etwas Tüchtiges würde; dabei klopfte er ihm vertraulich auf die Achsel und forderte ihn auf, nicht so traurig und einsilbig zu sein.
Heinrichs ganzes künstlerisches Besitztum wanderte nun nach und nach in den dunklen Winkel des immer kauflustigen Hökers; wenn es auch manchmal Monate dauerte, bis dieser wieder etwas verkaufte davon, so blieb er sich doch gleich, und hierin war es nun nicht zu verkennen, daß der Alte, so knapp er Heinrich hielt, denselben doch nicht wollte im Stiche lassen und auch bei der Befürchtung, die ganze Bescherung auf dem Halse zu behalten, denselben nicht abweisen wollte. Das war die Treue, die Gemütsehre der Armut und Einfalt. Mit diesem Wesen schmeichelte er förmlich den armen Heinrich in eine große Demut und Vertraulichkeit hinein; denn nicht nur erzwang er von ihm eine gute Miene zum bösen Spiel, sondern, wenn diese endlich erfolgte und Heinrich sich plaudernd und lachend ein Stündchen bei ihm aufhielt, dann aber weggehen wollte, forderte er ihn auf, nicht ins Wirtshaus zu laufen und sein Geldchen zu vertun, sondern mit ihm etwas Geschmortes oder Gebratenes zu essen. Der alleinlebende katholische alte Gesell hatte nämlich bei aller Knauserei stets ein gutes Gericht in dem Ofen seines dunklen Gewölbes stehen und war ein vortrefflicher Koch. Bald war es eine Gans, bald ein Hase, welche er sich auf den Feiertag zubereitete, bald kochte er meisterhaft ein gutes Gemüse, welches er durch die Verbindung mit kräftigem Rind- oder Schweinsfleisch, je nach seinem Charakter, zum trefflichsten Gerichte zu machen wußte. Besonders verstand er sich auf die Fastenspeisen, welche er mehr aus Schleckerei als aus Frömmigkeit nie umging, und jeden Freitag gab es bei ihm entweder köstliche Fische, das heißt ziemlich bescheidene und wohlfeile Wassertiere, die er aber durch seine vielseitige Kunst zum höchsten Rang erhob, oder es duftete eine Makaronipastete in seinem Laden, zwischen welche er kleine Bratwürstchen und Schinken hackte, welche unerlaubte Fragmente er spaßhaft Sünder nannte und, indem er seinem Gast vorlegte, eifrig aussuchte und zuschob.
Hierbei blieb er aber nicht stehen, sondern eines Tages, als er den armen jungen Heiden besonders kirre gemacht, wickelte er eine fette Ganskeule nebst einem Stück Brot in ein Papier und suchte es ihm schmunzelnd in die Tasche zu stecken. Heinrich wehrte sich ganz rot werdend heftig dagegen; wie aber der Alte den Finger aufhob und leise sagte: »Na, was ist denn das? Es brauchts ja kein Mensch zu wissen!« da ergab er sich demütig in den Willen des seltsamen Mannes, der ein unerklärliches Vergnügen zu empfinden schien, den ihm fremden Menschen auf diese Weise gemütlich zu tyrannisieren. Das Seltsamste war, daß er sich nicht um dessen Herkunft und Schicksal bekümmerte, nicht einmal fragte, wo er wohne, und am wenigsten den Gründen seiner jetzigen Armut nachforschte. Das schien sich alles von selbst zu verstehen.
Heinrich trug dazumal die Ganskeule wirklich nach Hause. Auf der Schwelle sah er ein Bettelweib sitzen, welches ihn in so erbärmlichen Tönen um Barmherzigkeit anflehte, als ob es am Spieße stäke, und Heinrich fuhr mit der Hand in die Tasche, um hier auf die beste Weise das Nahrungsmittel anzubringen und zugleich dem Alten einen Streich zu spielen. Wie er aber die elende und hinfällige alte Frau näher ansah, da verging ihm endlich der letzte Stolz, und statt des Fleisches gab er ihr eines der Geldstücke, die er eben von seinem Gönner erhalten, ging auf seine Stube und aß die Ganskeule aus der einen Hand, aus der anderen das Brot, nicht um sich gütlich zu tun, sondern zu Ehren und zu Liebe der Menschlichkeit und der Armut, welche die Mutter der Menschlichkeit ist, und diese einsame Mahlzeit war gewissermaßen seine nachgeholte und verbesserte Abendmahlsfeier.
So erhielt er sich ein gutes halbes Jahr, und so wenig der Alte ihm für seine mannigfaltigen Studienblätter, Skizzen und Zeichnungen gab, so waren dieselben doch so zahlreich, daß sie kein Ende zu nehmen schienen. Nie sagte ihm der Wunderliche, wer eigentlich die Sachen kaufe und was er daran gewinne, und Heinrich fragte nicht mehr darnach. Er war im Gegenteil froh, wie er nun gestimmt war, alles hinzugeben und das kärgliche Brot, welches die Welt ihm gewährte, verschwenderisch zu bezahlen, was nun freilich wieder nicht sehr demütig war; aber der Mensch lebt vom Widerspruch! Indessen war das wenige, was er erhielt, das erste, was er seinen eigenen Händen verdankte, und desnahen lernte er davon, sich einzurichten und sich mit wenigem zu begnügen. Unter seinen vielen Zechgesellen und Studiengenossen war es längst bemerkt worden, daß er gänzlich verarmt sei; niemand fragte ihn aber darum, und da er das tonangebende Wesen wieder verloren hatte oder, wenn es unerwartet sich geltend machte, in Heftigkeit und Leidenschaft ausbrach, so lösten sich alle diese munteren Verhältnisse und Heinrich zog sich zurück und fand sich bald ganz allein, oder wenn ihm dies unerträglich wurde, trieb er sich mit allerlei zufälligen Gesellen, wie sie die Ähnlichkeit des Schicksales vorübergehend herbeiführte, herum.
Gleichzeitig nahm aber sein ernährender Jugendvorrat ein Ende, nachdem er schon sorgfältig die letzten Fetzen und Fragmente zusammengesucht und für den Alten zugestutzt hatte. Endlich bot er ihm seine großen Bilder und Kartons an, und der Alte sagte, er solle sie nur einmal herbringen. Heinrich erwiderte, das ginge nicht wohl an, und bat ihn um so viel Geld, daß er sie könne hertragen lassen. »Warum nicht gar, hertragen lassen! Sie Sapperloter! Gleich gehen Sie hin und holen ein Stück her! Fürchten Sie denn, man werde Ihnen den Kopf abbeißen?« Und er schmeichelte und schalt so lange, bis Heinrich sich entschloß und nach Hause ging und das Bild holte, welches er einst so unglücklich ausgestellt hatte. Es war sehr schwer und der weite Weg ermüdete seine Arme auf ungewohnte Weise. Der Alte aber lächelte und schmunzelte und rief: »Ei, ei! sieh, sieh! das ist ja ein ganzes Gemälde! Verstehe nicht den Teufel davon! Aber hochtragisch siehts aus (er wollte sagen: hochtragend oder hochstelzig), habe in meinem Leben nichts so im Laden gehabt! Wissen Sie was, Freundchen, jetzt holen Sie hübsch noch die anderen Sachen, damit wir alles beisammen haben. Nachher wollen wir schauen, ob sich ein Handel machen läßt. Gehen Sie, gehen Sie, Bewegung ist immer gesund!«
Heinrich ging abermals nach seiner Wohnung und ergriff den größten Karton, einen mit Papier bespannten Blendrahmen von acht Fuß Breite und entsprechender Höhe. Dies Ungetüm war leicht von Gewicht, aber ungefüg zu tragen wegen seiner Größe, und als der unmutige Träger damit auf die Straße gelangte, blies sofort ein lustiger Ostwind darein, daß es Heinrich kaum zu halten vermochte. Überdies mußte er, da die große Fahne nur auf der Rückseite an der Kreuzleiste zu halten war, die bemalte Seite nach außen kehren, und so begann er, sich dahinter bestmöglich verbergend, mit seiner Oriflamme durch die belebten Straßen zu ziehen. Alsobald zog eine Schar Knaben und Mädchen vor der wandelnden Landschaft her, und jeder Erwachsene ging ebenfalls ein Dutzend Schritte daneben hin und stolperte, während er die offenbaren und preisgegebenen Erfindungen Heinrichs zu enträtseln suchte, über die Steine. Zwei wohlhabende und angesehene Künstler gingen vorüber und betrachteten vornehm und verwundert den beschämten Träger, der ihnen bekannt vorkam; er fuhr mit seiner spanischen Wand gegen einen Wagen, den er nicht sehen konnte, so daß die Pferde scheu wurden, der Fuhrmann fluchte, und zugleich brachten starke Windstöße das ganze Wesen ins Schwanken und dieses stieß Heinrichs Hut herunter, so daß er nun nicht wußte, sollte er den im Kote dahinrollenden oder sein behextes Werk fahren lassen. Diese Flucht seines Hutes war einer jener kleinen lächerlichen Unfälle, welche einen tiefen Verdruß oder grämliches Leiden auf den Gipfel bringen, und so stand Heinrich ganz elend und ratlos da und unterdrückte einen bitterlichen Zorn im Herzen. Er war in der Verwirrung mitten auf den Gemüsemarkt geraten und konnte sich vollends nicht mehr rühren. Fluchend tat er einen Ruck und schwang seinen Karton über seinen Kopf, um ihn dort in die andere Hand und in eine bequemere Lage zu bringen; als das unselige Werk aber in der Luft schwebte, fand er nicht mehr Raum, es wieder herunterzunehmen, und hielt es so über den wogenden Köpfen der Menschenmenge. Erst jetzt gab es einen rechten Auflauf auf dem Markte, denn das Luftphänomen zog alle Leute herbei, die Fenster in den umliegenden Häusern taten sich auf, alles lachte, schimpfte und rief: Wer wird denn mit solchem Ofenschirm über den Markt gehen um diese Zeit? Da drängte sich Heinrichs Gönnermännchen aus dem Dickicht, im grauen Schlafrock und seine weiße Zipfelkappe auf dem Kopfe, über die Schulter ein Netz mit Gemüse und Fleisch geworfen und Heinrichs übelzugerichteten Hut in der Hand. Freundlich winkte die lächerliche Gestalt ihm zu und Heinrich streckte sehnlich die Hand nach seinem Hute. Aber der Alte rief mit wahrer Dämonenfreude: »Nicht doch! mit nichten, Freundchen! Ihr kommt so viel besser fort! will Euch den Hut schon tragen und den Weg bahnen!« und der Ärmste, er mochte flehen wie er wollte, mußte mit bloßem Kopfe, den mächtigen Rahmen über demselben schwingend, den übrigen Weg zurücklegen, den schlurfenden Alten mit seinem Netz vor sich her, der sich zu größerer Bequemlichkeit den Hut über die Zipfelkappe gestülpt hatte und schreiend und lärmend voranschritt.
Als sie endlich vor dem Häuschen des Alten angekommen und die Unheilsfahne mit vieler Mühe in den engen Laden hineingezwängt hatten, schien das freundliche boshafte Greischen befriedigt. Er öffnete ausnahmsweise sein kleines Pult zur Hälfte, denn bisher hatte er seine winzigen Auszahlungen immer aus der Hosentasche bestritten, und griff behutsam unter den Deckel, wie einer, der eine Maus aus der Falle herausgreifen will, und indem er die Hand zurückzog, drückte er dem ausruhenden Heinrich zehn nagelneue Guldenstücke in die Hand für die beiden Schildereien, ohne ihn zu fragen, ob er damit einverstanden sei. »Für einmal«, sagte er zutraulich leise, »will ich es mit diesen beiden Tausendsassas von Bildern wagen! Wenn ich sie auch behalten muß, was tuts? Ihr seid mir darum nicht feil, Freundchen, Schweizerchen! habe Euch heute gut gehalten, wie? ha ha ha, hi hi hi, was ist das für ein Kreuz mit so hochfahrendem Blute!«
Heinrich sagte kurz und bündig: »Das versteht Ihr nicht, alter Herr!« »Was versteh ich nicht?« flüsterte der Alte, und der Junge wollte fortfahren: »Es ist nicht das, was Ihr meint, etwa Hochmut oder dergleichen: es ist vielmehr der bescheidene Wunsch, nicht aller Welt in die Augen zu fallen und Narrheiten zu treiben auf offener Straße; denn ein Renommist und ein Narr ist, wer mit einer Kleinigkeit einem armen Teufel dienen könnte und ihn das tun lassen, wozu er geschickt und gewöhnt ist, und statt dessen selber auf Abenteuer ausgeht –«; der unbelehrbare Alte ließ ihn aber nicht ausreden, sondern zwang ihn, noch einen Fischschwanz aufzuessen, oder vielmehr die Brühe aufzutunken, welches die Hauptsache sei, und er ließ ihn nicht eher los, bis er den Teller, an welchem ein Stück Rand fehlte, ganz leer gegessen. Erst als das geschehen, sah Heinrich, daß der Tyrann vom Fenster eine große Zeichnung weggenommen hatte, so daß der essende Heinrich in der Spelunke recht sichtbar wurde, und er grüßte dabei mit seiner Zipfelmütze grinsend nach allen Seiten, um die Leute aufmerksam zu machen und herbeizuziehen. Über dieses sonderbare Vergnügen des Männchens mußte endlich Heinrich so herzlich lachen, daß er ganz aufgeweckt wurde und in seiner Freude dem Alten die Zipfelmütze abriß und sich selbst aufsetzte. Zugleich trat aber auf dem kahlen Schädel des Alten eine seltsame Erhöhung oder runder Wulst zutage, ein hügelartiger Auswuchs des Knochens, und auf dieser einsam ragenden Extrakuppe ein stehengebliebenes Wäldchen grauer Haare, was einen höchst lächerlichen Anblick gewährte. Die zornige Verlegenheit des also Beschaffenen bewies, daß dieses sein Geheimnis und seine schwache Seite war; aber Heinrich hatte ihm, als er dies gesehen, unwillkürlich die Zipfelmütze so blitzschnell wieder aufgesetzt und geriet selbst in so harmlose Mitverlegenheit, daß der Alte sich halb schmunzelnd, halb murrend zufrieden gab und überdies etwas nachdenklich wurde.
Heinrich hatte indessen lange nicht so viel Geld besessen wie jetzt, und er beschloß, ehe dasselbe zu Ende gehe, sich neues zu erwerben und, was im Großen nicht hatte gelingen wollen, allmählich im Kleinen zu versuchen. Da seine guten Studienblätter alle verschwunden waren, so machte er sich daran, welche aus dem Stegreif zu schaffen, und fabrizierte in kurzer Zeit eine Anzahl flüchtiger, aber bunter und kecker Skizzen, ohne Andacht und Liebe, denen man es auf den ersten Blick ansah, daß sie nicht im Freien, sondern in der Stube entstanden. Über dieser herzlosen Beschäftigung stand natürlich alles tiefere und innere Streben und Sein vollends still, wie denn auch, da kein Buch mehr in seinem Besitze war und er sich aus den Hörsälen zurückgezogen, seine Selbstbildung von dieser Seite unterbrochen war, indessen er sich in einer anderen Schule befand, wo der Alte Professor war; denn man kann nicht alles zumal treiben. Der Alte empfing ihn aber ganz vergnügt mit den neuen Sachen, die ihm sehr in die Augen sprangen; er nahm ihm ab, was er ihm brachte, war aber nach einiger Zeit verwundert, daß er hiervon auch nicht ein Stück verkaufte und der Käufer, welcher die guten Sachen alle geholt hatte, plötzlich wegblieb. Er teilte dies seinem Schützling mit, schob aber die Schuld auf die Wunderlichkeit und den Eigensinn der Leute und forderte Heinrich auf, nur nicht nachzulassen, sie wollten einmal auf den Vorrat arbeiten, bis sich neue Käufer finden würden. Heinrich konnte das aber nicht länger mit ansehen und sagte dem Alten, daß er wahrscheinlich nie einen Fetzen von dieser neuen Art verkaufen würde und daß er sein Geld, so wenig es sei, wegwerfe. Ganz verblüfft verlangte der Alte eine deutlichere Belehrung und Heinrich setzte ihm, so gut es ging, auseinander, welcher Unterschied zwischen diesen und den früheren Sachen bestehe, wie jene eben etwas Gewordenes, diese etwas Gemachtes seien, jene ohne des Künstlers besonderes Verdienst von einem ganz bestimmten Stoff und Wert, diese dagegen vollkommen wertlos. Er sei nun sogar froh, setzte er hinzu, daß diese Industrie vollständig mißlungen, und um sein Gewissen vollständig zu beschwichtigen, zog er seinen Geldbeutel, der die zehn Gulden enthielt, und anerbot dem Alten, ihm wieder zu ersetzen, was er ihm für die liederlichen Arbeiten gegeben. Denn er hatte jetzt vollständig das Schmähliche einer hohlen herzlosen Tätigkeit empfinden gelernt, die, ohne nur eine ordentliche ehrliche Handarbeit zu sein, sich den Schein eines edleren Berufes gibt.
Der Alte hörte aufmerksam zu, nahm eine Prise über die andere, lächelte dann schlau und vergnügt, indem er das angebotene Geld sogleich einstrich, und streichelte dem Jungen die Backen, welcher Liebkosung sich dieser sachte entzog. Er hatte den Ersatz unwillkürlich angeboten und war jetzt doch etwas betroffen, denselben angenommen zu sehen, da seine kleine Barschaft dadurch stark abnahm, ohne nun weiter zu wissen, was er tun sollte.
Der Alte aber nahm ihn bei der Hand und sagte: »Nur munter, Freundchen! wir wollen sogleich eine Arbeit beginnen, die sich sehen lassen kann und wird! Jetzt sind wir gerade auf dem rechten Punkt, da darf nicht gefeiert und nicht gemault werden!« Und er führte und schob ihn in ein noch dunkleres Verlies, das hinter dem Laden lag und sein Licht nur durch eine schmale Schießscharte empfing, die in der feuchten schimmligen Mauer sich auftat. Als Heinrich sich einigermaßen an diese Dunkelheit gewöhnt, erblickte er das Loch angefüllt mit einer Unzahl hölzerner Stäbe und Stangen, ganz neu, rund und glatt gehobelt, von allen Größen lastweise an den Wänden stehend. Auf einer verjährten längst erloschenen Feueresse, welche das Denkmal irgend eines Laboranten war, der vielleicht vor hundert Jahren in diesem Finsternis sein Wesen getrieben, stand ein tüchtiger Eimer voll weißer Leimfarbe inmitten mehrerer Töpfe mit anderen Farben, jeder mit einem mäßigen Streicherpinsel versehen. »In vierzehn Tagen«, lispelte der Alte, abwechselnd schreiend, »wird die Braut unseres Kronprinzen in unserer Residenz ihren Einzug halten; die ganze Stadt wird geschmückt und verziert werden, Tausende und aber Tausende von Fenstern werden mit Fahnen in unseren und den Landesfarben der Braut versehen; Kattunfahnen von jeder Größe werden die nächsten zwei Wochen die gesuchteste Ware sein, habe schon zweimal in meinem Geschäft den Witz mitgemacht und jedesmal ein gut Stück Geld verdient; wer der erste, schnellste und billigste ist, der hat den Zulauf. Darum frisch dran, keine Zeit zu verlieren! Habe schon seit zwei Wochen vorgesehen und Stöcke machen lassen, weitere Lieferungen sind bestellt, das Kattunschneiden und Nähen wird ebenfalls beginnen, Ihr aber, Schweizermännchen, müßt die Stangen anstreichen. Bst! nicht gemuckst! Hier für diese großen gebe ich einen Kreuzer das Stück, für diese kleineren einen halben, von diesen ganz kleinen aber, welche für die Mauslöcher und Blinzelfenster der Armut bestimmt sind, müssen vier Stück auf den Kreuzer gehen! Jetzt aber paßt auf, wie das zu machen ist, alles will gelernt sein!«
Er hatte schon mehrere Stücke teils halb, teils ganz vorgearbeitet; nachdem die Stange mit der weißen Grundfarbe versehen, welche für beide Landesfarben dieselbe war, wurde sie durch die andere Farbe mit einer Spirallinie umwunden. Der Alte legte eine grundierte Stange am einen Ende in die Schießscharte, hielt sie mit der linken Hand waagerecht, und indem er, den Pinsel eintauchend, Heinrich aufmerksam machte, wie dieser nicht zu voll, noch zu leer sein dürfe, damit eine sichere und saubere Linie in einem Zuge entstände, begann er, die Stange langsam drehend, von oben an die himmelblaue Spirale zu ziehen, womöglichst ohne zu zittern oder eine Stelle nachholen zu müssen. Er zitterte aber doch, auch geriet ihm der weiße Zwischenraum nicht gleichmäßig, so daß er das mißlungene Werk wegwarf und rief: »Item! auf diese Weise mein ichs! Eure Sache ist es nun, das Zeug besser zu machen, denn wofür seid Ihr jung?«
Heinrich legte nun auch eine Stange in die Schießscharte und versuchte sich in dieser seltsamen Arbeit, und bald ging es ganz ordentlich vonstatten, während der Alte vorn im Laden hauste und zwei oder drei Nähtermädchen, die sich eingefunden hatten, rüstig Zeug zuschnitt, damit sie es in zwei Farben zusammennäheten.
Draußen war es anhaltend das lieblichste Sommerwetter, der Sonnenschein lag auf der Stadt und dem ganzen Lande und die Leute trieben sich lebhafter als sonst im Freien herum, teils im Verkehre für die zu treffenden Vorbereitungen, teils im Vorgenuß der kommenden Festtage, welche dies dem Genüsse nachhangende Volk recht auszubeuten gedachte. Der Laden des Alten war angefüllt mit Leuten, welche Fahnen bestellten und holten, nähenden Mädchen, Tischlern, die Stangen brachten, und er selbst regierte, lärmte und hantierte dazwischen herum, nahm Geld ein und zählte Fahnen, und ab und zu ging er einmal in Heinrichs Verlies hinein, wo dieser mutterseelenallein in dem blassen Lichtstrahl der Mauerritze stand, seinen weißen Stab drehete und die sorgfältige reinliche Spirale zog.
Der Alte klopfte ihm dann sachte auf die Schulter und flüsterte ihm ins Ohr: »So recht, mein Söhnchen! dies ist die wahre Lebenslinie; wenn du die recht akkurat und rasch ziehen lernst, so hast du vieles gelernt!« Und wirklich fand Heinrich in dieser einfachen und verachteten Arbeit allmählich einen solchen Reiz, daß ihm die langen Sommertage, in diesem Loch zugebracht, gleich Stunden vorübergingen. Er hatte sich bald eine große Geschicklichkeit erworben, welche trotz ihrer Geringfügigkeit recht bedeutsam war; denn nicht nur galt es, die ewige Linie ohne Anstoß und Aufenthalt, ohne Abschweifung und Ungleichheit fortzuführen, sondern sie auch so zu beschleunigen, daß es überhaupt der Mühe lohnte und den Anforderungen genügt wurde, ohne daß durch die Eile die Arbeit schlechter wurde und die Linie sich verwirrte.
Unablässig zog er dieselbe, gleichmäßig, rasch und doch vorsichtig, ohne zuletzt einen Klecks zu machen, einen Stab ausschießen zu müssen oder einen Augenblick zu verlieren durch Unschlüssigkeit oder Träumereien, und während sich so die umwundenen Stäbe unaufhörlich anhäuften und weggingen, während ebenso unaufhörlich neue ankamen, um welche alle sich dasselbe endlose Band hinzog, wußte er doch jeden Augenblick, was er geleistet, und jeder Stab hatte seinen bestimmten Wert. Er brachte es in den ersten Tagen so weit, daß ihm der ganz verdutzte Alte am Abend jedesmal nicht weniger als zwei Kronentaler auszahlen mußte. Erst sperrte er sich dagegen und schrie, er hätte sich verrechnet; als aber Heinrich mit einer ihm ganz neuen Beharrlichkeit erklärte, so ginge es nicht, und ihm nachwies, daß er froh sein müsse, so viel liefern zu können, indem ihn Heinrichs erworbene Fertigkeit nichts anginge, gab sich der Alte mit einer gewissen Achtung und forderte ihn auf, nur so fortzufahren, denn die Sache sei bestens im Gange. Wirklich hatte er auch einen gewaltigen Zulauf und versorgte einen großen Teil der Stadt mit seinen Freudenpanieren. Heinrich drehte unverdrossen seinen Stab, und zwar so sicher und geläufig, daß er dabei ein ganzes Leben durchdrehte und auf der sich abwickelnden blauen Linie eine Welt durchwanderte, bald traurig und verzagt, bald hoffnungsvoll, bald heiter und ausgelassen, die schnurrigsten Abenteuer erlebend.
Am Abend, nachdem er in einer entlegenen Schenke ein spärliches Abendbrot gegessen, seinen Erwerb geizig zusammenhaltend, kehrte er müde und zufrieden in seine Wohnung zurück und konnte kaum den Tag erwarten, wo er in aller Frühe wieder an die seltsame Arbeit gehen durfte.
So kam endlich der Tag heran, an welchem die künftige Königin ihren Einzug hielt. Schon am frühen Morgen fingen die Straßen an das allerbunteste Gewand anzuziehen, und die Bevölkerung wogte hin und her, der besitzende, angesessene oder abhängige Teil noch mit den Anstalten beschäftigt, der müßige und unabhängige Teil gaffend und sich an dem Tun der anderen vergnügend. Werkleute hämmerten und kletterten an Gerüsten und Ehrenbogen umher, Gärtner und Bauern führten ganze Lasten grünen Zeuges herbei, indessen die Behörden und Zünfte auf den Beinen waren und ihren Aufzug in zwecklosem Umherstehen und Gehen den ganzen Tag hielten. Die dicke gespreizte Magistratsperson, die nicht wußte, wo ihr der Kopf stand vor aufgeblähtem Eifer, Wohldienerei und Wichtigtuerei, rannte die arme Witwe über den Haufen, die noch in der letzten Stunde ein Kränzchen oder Fähnchen herbeiholte, und der reiche Hofschuhmacher stieß mit der ungeheuren Schilderei, welche er an seinem Laden aufrichtete, der über ihm wohnenden alten Jungfer den verblühten Myrtenstock herunter, welchen die Geizige statt allen Aufwandes vor das Fenster gesetzt.
Im Laden des Alten war es allmählich leer geworden, nur einzelne arme Leute kamen am Nachmittage noch, um nach reiflichem Entschlüsse und Erwägung des Nutzens oder des Schadens, welchen die Unterlassung bringen könnte, noch eine billige Fahne oder zwei zu holen, und feilschten hartnäckig um den Preis. Der Alte zählte jetzt seine Einnahme, und vollauf damit beschäftigt, forderte er Heinrich auf, sich jetzt hinauszumachen, unter die Leute zu gehen, den Einzug anzusehen und sich etwas gütlich zu tun. »Sie machen sich wohl nichts daraus, wie?« fügte er hinzu, als er sah, daß der Aufgeforderte keine besondere Lust zeigte, »sehen Sie, so wird man gesetzt und klug! Schon weiser geworden dahinten bei der alten Esse in der kurzen Zeit! Das ist recht, so muß es kommen! Aber geht dennoch ein bißchen hinaus, Liebster, und wäre es nur, um einmal die Sonne zu genießen und ein schönes junges Königskind anzusehen.« Heinrich fühlte sich nicht berufen, dem Alten auseinanderzusetzen, inwiefern er Recht oder Unrecht habe mit seiner Zufriedenheit und seiner Anschauung, ging jedoch vor die Stadt hinaus, um jedenfalls etwas Luft zu schöpfen. Er sah nun auf dem Wege die ganze Herrlichkeit fertig und mit einem Male, alles schwamm, flatterte, glänzte und schimmerte in Farben, Gold und Grün, und ein unzähliger Menschenstrom wälzte sich vor das Tor, wo eine schon vorhandene gleiche Menge auf dem Felde lagerte und zechte, als ob es gälte, ein Ilion von Tonnen zu bezwingen. Aber die goldene Nachmittagssonne rechtfertigte und verklärte allen Lärm, alles Toben und alle Lust; Heinrich atmete tief auf und es war ihm zu Mut, als ob er ein Jahr lang am Schatten gelegen hätte in einem kalten Gefängnis, so wärmend und wohltuend strömte der goldene Schein auf ihn ein.
Plötzlich ertönte Kanonendonner, Glockengeläute über der ganzen weitgedehnten Stadt, Musik erschallte an allen Enden, die Trommeln wurden gerührt, auf der breiten Landstraße wälzte sich erst ein laufender Menschenknäuel daher, dann rasselte ein geharnischter Reiterhaufen, ritten Beamtete aller Art heran und an der Spitze eines langen Wagenzuges rollte jetzt der Blumenwagen vorüber, in welchem ein liebliches junges Mädchen saß in Reisekleidern und höchst vergnügt das tobende Volk begrüßte. Doch alles ging so schnell vorüber wie ein Traum, und hinter den letzten Reitern flutete die Menge zusammen und bedeckte, sich langsam nach der Stadt wälzend, alle Gehöfte, Wirtshäuser und Schenken im Umkreise und fiel singend, lärmend, prügelnd in die zahllosen Fallen, welche ihr die stillen Spekulanten des Tages überall aufgestellt.
Auch Heinrich schlenderte in die Stadt zurück und unterhielt sich nun damit, seine Fahnenstangen vor den anderen herauszusuchen; er kannte sie bald an verschiedenen Zeichen, und ein um das andere Haus wies diese Erzeugnisse seines Fleißes auf. Unversehens aber erwachte der Republikaner in ihm und er rief schmerzlich in sich hinein: »Das ist also nun das Ende vom Liede, daß du in dieser Stadt sitzest und solchen Unsinn beiträgst zum Unsinn!« Und als ob alle Leute ihm ansehen könnten, daß er die unzähligen Stängelchen und Stangen bemalt, während in der Tat kein Sterblicher eine Ahnung hatte außer dem Alten, eilte Heinrich voll Scham und Zerknirschtheit wieder aus der Stadt an den abendlichen Fluß hinaus und in die schönen Gehölze, die sich längs desselben hinzogen. Er ging auf denselben Wegen, auf welchen er einst in Floribus als hoffnungsreicher Kunstjünger gefahren und gegangen in jener grünen Narrentracht und mit Ferdinand Lys gestritten hatte. Die politischen Bedenken wegen seiner Steckenarbeit traten jetzt zwar zurück, aber nur um noch tieferen Platz zu machen. »Das war nun«, sagte er sich, »so ein Stück Schulzeit in der Schule dieses Alten! aber nun ist es nachgerade mehr als genug!« Der rauschende Fluß, die rauschenden Bäume, die balsamische Luft der hereinbrechenden Nacht, die er alle so lange nicht genossen, schienen ihn aufzurufen zur Treue gegen sich selbst und zum Widerstand gegen jedes unnatürliche Joch und schienen zu singen: Siehe, wir rauschen, wehen und fließen, atmen und leben und sind alle Augenblicke da, wie wir sind, und lassen uns nichts anfechten. Wir biegen und neigen uns, leiden und lassen es über uns dahinbrausen und brausen selbst mit und sind doch nie etwas anderes als das, was wir sind! Wir gehen unter und leben doch, und was wir leben, das sorgen wir nicht! Im Herbst schütteln wir alle Blätter ab, und im Lenz bekleiden wir uns mit jungem Grün; heute verrinnen wir und scheinen versiegt und morgen sind wir da und strömen einher, und ich, der Wind, wehe wohin ich muß und tue es mit Freuden, ob ich auf meinen Flügeln Rosengerüche trage oder die Wolken des Unheils! Als Heinrich nach der Stadt zurückkehrte, beschloß er, nie mehr zum Alten zu gehen, möge ihm geschehen, was da wolle, und so schwer es ihm auch fiel; denn er hatte das ungewöhnliche graue Männchen liebgewonnen.
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