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Sechstes Kapitel

Der Frühling war gekommen; schon lagen viele Frühpflanzen, nachdem sie flüchtige schöne Tage hindurch mit ihren Blüten der Menschen Augen vergnügt, nun in stiller Vergessenheit dem stillen Berufe ihres Reifens, der verborgenen Vorbereitung zu ihrer Fortpflanzung ob. Schlüsselblümchen und Veilchen waren spurlos unter dem erstarkten Grase verschwunden, niemand beachtete ihre kleinen Früchtchen. Hingegen breiteten sich Anemonen und die blauen Sterne des Immergrün zahllos aus um die lichten Stämme junger Birken, am Eingange der Gehölze, die Lenzsonne durchschaute und überschien die Räumlichkeiten zwischen den Bäumen, vergoldete den bunten Waldboden; denn noch sah es hell und geräumig aus, wie in dem Hause eines Gelehrten, dessen Liebste dasselbe in Ordnung gebracht und aufgeputzt hat, ehe er von einer Reise zurückkommt und bald alles in die alte tolle Verwirrung versetzt. Bescheiden und abgemessen nahm das zartgrüne Laubwerk seinen Platz und ließ kaum ahnen, welche Gewalt und Herrlichkeit in ihm harrte. Die Blättchen saßen symmetrisch und zierlich an den Zweigen, zählbar, ein wenig steif, wie von der Putzmacherin angeordnet, die Einkerbungen und Fältchen noch höchst exakt und sauber, wie in Papier geschnitten und gepreßt, die Stiele und Zweigelchen rötlich lackiert, alles äußerst aufgedonnert. Frohe Lüfte wehten, am Himmel kräuselten sich glänzende Wolken, es kräuselte sich das junge Gras an den Rainen, die Wolle auf dem Rücken der Lämmer, überall bewegte es sich leise mutwillig, die losen Flocken im Genicke der jungen Mädchen kräuselten sich, wenn sie in der Frühlingsluft gingen, es kräuselte sich in meinem Herzen. Ich lief über alle Höhen und blies an einsamen, schön gelegenen Stellen stundenlang auf einer alten großen Flöte, welche ich seit einem Jahre besaß. Nachdem ich die ersten Griffe einem musikalischen Schuhmachergesellen abgelernt, war an weiteren Unterricht nicht zu denken und die ehemaligen Schulübungen waren längst in ein tiefes Meer der dunkelsten Vergessenheit geraten. Darum bildete sich, da ich doch bis zum Übermaß anhaltend spielte, eine wildgewachsene Fertigkeit aus, welche sich in den wunderlichsten Trillern, Läufen und Kadenzen erging. Ich konnte ebenso fertig blasen, was ich mit dem Munde pfeifen oder aus dem Kopfe singen konnte, aber nur in der härteren Tonart, die weichere hatte ich allerdings empfunden und wußte sie auch hervorzubringen, aber dann mußte ich langsam und vorsichtiger spielen, so daß diese Stellen gar melancholisch und vielfach gebrochen sich zwischen den übrigen Lärm verflochten. Musikkundige, welche in entfernterer Nachbarschaft mein Spiel hörten, hielten dasselbe für etwas Rechtes, belobten mich und luden mich ein, an ihren Unterhaltungen teilzunehmen. Als ich mich aber mit meiner mächtigen braunen Röhre einfand, deren Klappe einer messingenen Türklinke glich, und verlegen und mit bösem Gewissen die Ebenholzinstrumente mit einer Unzahl silberner Schlüssel, die stattlichen Notenblätter sah, bedeckt von Hieroglyphen, da stellte es sich heraus, daß ich rein zu gar nichts zu gebrauchen, und die Nachbaren schüttelten verwundert die Köpfe. Desto eifriger erfüllte ich nun die freie Luft mit meinem Flötenspiele, welches dem schmetternden und doch monotonen Gesange eines großen Vogels gleichen mochte, und empfand, unter stillen Waldsäumen liegend, innig das schäferliche Vergnügen des siebzehnten Jahrhunderts und zwar ohne Absicht und Gemachtheit.

Um diese Zeit hörte ich ein flüchtiges Wort, Anna sei in ihre Heimat zurückgekehrt. Ich hatte sie nun seit zwei Jahren nicht gesehen, wir beide gingen unserem sechzehnten Geburtstage entgegen. Sogleich rüstete ich mich zur Übersiedelung nach dem Dorfe und machte mich eines Sonnabends wohlgemut auf die geliebten Wege. Meine Stimme war gebrochen und ich sang, dieselbe mißbrauchend, mich müd durch die hallenden Wälder. Dann hielt ich inne, und die seit kurzem gekommene Tiefe meiner Töne bedenkend, dachte ich an Annas Stimme und suchte mir einzubilden, welchen Klang sie nun haben möge. Darauf bedachte ich ihre Größe, und da ich selbst in der Zeit rasch gewachsen, so konnte ich mich eines kleinen Schauers nicht erwehren, wenn ich mir die Gestalt sechzehnjähriger Mädchen unserer Stadt vorstellte. Dazwischen schwebte mir immer das halbkindliche Bild am See oder auf jenem Grabe vor, mit seiner Halskrause, seinen Goldzöpfen und freundlich unschuldigen Augen. Dies Bild verscheuchte einigermaßen die Unsicherheit und Zaghaftigkeit, welche sich meiner bemächtigen wollten, daß ich getrost fürbaß schritt und am Abend das Haus meines Oheims in alter Ordnung und lauter Fröhlichkeit fand.

Doch nur die älteren Personen waren sich eigentlich ganz gleich geblieben, das junge Volk ließ einen etwas veränderten Ton in Scherz und Reden merklich werden. Als nach dem Nachtessen sich die Ältern zurückgezogen und einige junge ledige Dorfbewohner beiderlei Geschlechtes dafür ankamen, um noch einige Stunden zu plaudern, bemerkte ich, daß die Gegenstände der Liebe und der geschlechtlichen Verhältnisse nun ausschließlicher und ausgeprägter der Stoff der neckischen Gespräche geworden, aber so, daß die Jünglinge mit gleichgültig verwegener und etwas spöttischer Galanterie den Schein tieferer Empfindung zu verhüllen, die Mädchen eine große Sprödigkeit, Männerverachtung und jungfräuliche Selbstzufriedenheit an den Tag zu legen bemüht schienen, und an der Art und Weise, wie die sich kreuzenden Scherze und Angriffe hier reizten, dort scheinbar verletzten, war nicht zu verkennen, daß hier die Kristallelemente zusammenzuschießen auf dem Punkte waren.

Ich war anfangs still und suchte mich in den wort- und witzreichen Scharmützeln zurechtzufinden; die Mädchen betrachteten mich als einen anspruchslosen Neutralen und schienen einen frommen und bescheidenen Knappen an mir gewinnen zu wollen. Doch unversehens nahm ich, das Scheingefecht für vollen Ernst haltend, die Partei meines Geschlechts. Die vermeintliche Bedürfnislosigkeit und stolze Selbstverklärung der Schönen schien mir gefährlich und beleidigend und entsprach nicht im mindesten meinen Gefühlen. Aber leider setzte ich, anstatt mich der praktischeren und beliebteren Waffen meiner Genossen zu bedienen, knabenhafter und ungalanter Weise den Mädchen ihre eigene Kriegführung entgegen. Der trotzige Stoizismus, welchen ich gegen das jungfräuliche Selbstgenügen aufwandte, warf mich umso schneller in eine isolierte und gefährliche Stellung, als ich in meiner Einfalt augenblicklich selber daran glaubte und mit heftigem Ernste verfuhr. Ich vereinigte sogleich alle Pfeile des Spottes auf mich, als ein nicht zu duldender Aufrührer; die männlichen Teilnehmer ließen mich auch im Stich oder hetzten mich fälschlicherweise auf, um bei den erzürnten Mädchen desto besser ihre Rechnung zu finden, worüber ich wieder verdrießlich und eifersüchtig ward, und es ärgerte mich gewaltig, wenn ich bemerkte, wie mitten im Kriege die verständnisvollen Blicke häufiger fielen und der schöne Feind seine Hände den Burschen immer anhaltender und williger überließ. Kurz, als die Gesellschaft auseinanderging und ich die Treppe hinanstieg als ein erklärter Weiberfeind, verfolgten mich die drei Basen, jede ihr Nachtlämpchen tragend, spottend bis vor die Tür meines Schlafzimmers. Dort wandte ich mich um und rief; »Geht, ihr törichten Jungfrauen mit euren Lampen! Obgleich jede nur zu bald ihren irdischen Bräutigam haben wird, fürchte ich doch, das Öl eurer Geduld reiche nicht aus für die kürzeste Frist; löscht eure Lichter und schämt euch im Dunklen, so spart ihr das bißchen Öl, ihr verliebten Dinger!«

Eine Magd trug gerade ein Becken mit Wasser hinein; sie tauchten ihre Finger in das Wasser und spritzten mir dasselbe ins Gesicht, während sie mit ihren brennenden Lämpchen mir um Haar und Nase herumzündeten und mich hart bedrängten. »Mit Feuer und Wasser«, sagten sie, »taufen wir dich zu ewigem Frauenhasse! Nie soll eine wünschen, diesen Haß schwinden zu sehen, und das Licht der Liebe soll dir für immerdar erlöschen! Schlafen Sie recht wohl, gestrenger Herr, und träumen Sie von keinem Mädchen!« Hiermit bliesen sie meine Kerze aus und huschten auseinander, daß ihre Lichtchen in dem dunklen Hause verschwanden und ich im Finstern stand. Ich tappte in das Zimmer, stieß an alle Gegenstände und streute in der Dunkelheit mißmutig meine Kleider auf dem Boden umher. Und als ich endlich das Kopfende des Bettes gefunden und mich rasch unter die Decke schwingen wollte, fuhr ich mit den Füßen in einen verwünschten Sack, daß ich sie nicht ausstrecken konnte, sondern in meiner gewaltsamen Bewegung auf das unangenehmste gehemmt und zusammengebogen wurde. Die Leintücher waren, infolge einer ländlich-sittlichen Neckerei, so künstlich ineinander geschürzt und gefaltet, daß es allen meinen ungeduldigen Bemühungen nicht gelang, sie zu entwirren, und ich mußte mich in der unbequemsten und lächerlichsten Lage von der Welt zum Schlafe zusammenkauern. Allein dieser wollte trotz meiner Müdigkeit sich nicht einfinden; ein ärgerliches und beschämendes Gefühl, daß ich mich in eine schiefe Stellung geworfen, die Besorgnis, wie Anna sich zu all diesem verhalten würde, und das verhexte Bett ließen mich die Augen nur auf Augenblicke schließen, wo dann die unruhigsten Traumbilder mich verfolgten. Die Nacht im Tale war unruhig und geräuschvoll, denn es war diejenige des Sonnabends auf den Sonntag, in welcher die ledigen Burschen bis zum Morgen zu schwärmen und ihren Liebeswegen nachzugehen pflegen. Ein Teil derselben durchzog in Haufen singend und jauchzend die nächtliche Gegend, bald fern, bald nah laut werdend; ein anderer Teil schlich einzeln um die Wohnungen her, mit verhaltner Stimme Mädchennamen rufend, Leitern anlegend, Steinchen an Fensterladen werfend. Ich stand auf und öffnete das Fenster; balsamische Mailuft strömte mir entgegen, die Sterne zwinkerten verliebt hernieder, ein Kätzchen duckte sich um eine Hausecke, um die andere bog ein schlanker Schatten mit einer langen Leiter und lehnte sie an das Haus, drei oder vier Fenster von mir. Rüstig klomm er die Sprossen entlang und rief halblaut den Namen der ältesten Base, worauf das Fenster leise aufging und ein trauliches Geflüster begann, von einem Geräusche unterbrochen, welches von demjenigen feuriger Küsse nicht im mindesten zu unterscheiden war. »Oho!« dachte ich, »das sind feine Geschichten!« und indem ich so dachte, sah ich einen anderen Schatten aus dem Fenster der mittleren Base, welche eine Treppe tiefer schlief, sich auf den Ast eines nahen Baumes schwingen und flink zur Erde gleiten; kaum war er über fünfzig Schritte entfernt, so brach er, den fernen Nachtschwärmern antwortend, in ein mörderliches Jauchzen aus, welches weithin widerhallte.

Mit sehr gemischten Empfindungen machte ich vorsichtig das Fenster zu und suchte in meinem boshaften Leinwandlabyrinth Mädchen, Liebe, Mainacht und Verdruß zu vergessen.

Noch gemischtere Gefühle jedoch kehrten zurück, als ich am Morgen meine gemachten Erfahrungen bedachte. Zuerst machte sich eine Art von Zorn geltend gegen meine Basen und ihre Liebhaber, oder vielmehr eine gewisse Unbehaglichkeit, mir bekannte und nahstehende Mädchen in einem engen Verhältnis zu fremden Personen zu sehen. Es machte mir den Eindruck, wie wenn in einem heimlichen verschlossenen Garten allerlei Freimaurerei getrieben würde und ich als ein Verhöhnter vor dem Tore stände. Dann stellte sich aber sogleich das Bewußtsein heraus, mich im Besitze eines Geheimnisses zu finden, welches die Mädchen stark berührte, und mit diesem Bewußtsein noch schneller eine vorläufige Beratschlagung, in welcher Weise das Geheimnis am vorteilhaftesten für meine Stellung zu dem schönen Geschlechte zu verwenden sei? Hier muß ich zu meiner Schande aufrichtig gestehen, daß ich sehr unbefangen die Wahl zwischen Verschwiegenheit und Verrat ganz in der Ordnung fand, ja nicht einmal darüber dachte und allein meinen Nutzen ins Auge faßte. Es fragte sich, ob ich mich durch offene Mitteilung mit einem Schlage in das erzwungene Vertrauen der Mädchen setzen oder durch ein schonendes allmähliches Merkenlassen ihre Gunst besser erwerben könne; denn wenn auch das, was ich wußte, nicht für sie gefährlich oder schädlich war und man ohnehin von jeder herangewachsenen Schönen bestimmt voraussetzen konnte, daß sie mit ihrem Erwählten in der Sitte keine Ausnahme machen werde, wo dann der Grad der Hingabe immer noch von dem persönlichen Charakter abhing, wie andere Dinge mehr im Leben: so war doch das Bekanntwerden des einzelnen Falles verpönt und vielmehr das Gesetz beliebt: du sollst dich nicht erwischen lassen! wie bei anderen Dingen mehr, und ich entschloß mich, gelegentlich und mit guter Manier die eine und andere meiner Basen in meine Mitwissenschaft blicken zu lassen und durch ein vertrautes Verhältnis meine Ungeschicklichkeit aufzuwiegen, zumal ich nun schon merkte, daß ich dem gewohnten Krieg und Verkehr nicht gewachsen war. Ich dachte mir nun nicht anders, als die Liebe wäre das Geheimnis eines gemeinschaftlichen Ordens, in welchem voraus alle Frauen und Mädchen inbegriffen, der aber jedem Neuling, welcher sich ungeschickt anstelle, den Eintritt erschwere, und doch glaubte ich seiner schon vollkommen würdig und fähig zu sein.

Indessen beschloß ich, als es darauf ankam, in die große Wohnstube zu gehen und mein nächstes Benehmen zu bedenken, welches mir keineswegs klar war, vorderhand gänzliche Verschwiegenheit zu üben, und dieser Entschluß kam mir so edel und großmütig vor, daß ich, ganz aufgebläht davon, wähnte, die Mädchen müßten mir meine Großmut auf der Stelle ansehen, als ich in die Stube trat. Ich erregte jedoch nicht die mindeste Aufmerksamkeit; wohl aber sah ich an einem der Fenster eine schlank aufgewachsene jungfräuliche Gestalt stehen, umgeben von meinen drei Basen. An ihren eigentümlichen Zügen und der veränderten und doch gleich lieblich gebliebenen Stimme erkannte ich sogleich Anna; sie sah fein und nobel aus und ich blieb ganz ratlos und verblüfft stehen. Fein und bescheiden schaute sie in die Landschaft hinaus und die Basen sprachen gedämpft, zierlich und vertraulich mit ihr, wie es die Weiber zu tun pflegen, wenn sie einen Besuch haben, der ihrer Gesellschaft zum Schmucke gereicht. Es ging so freundlich andächtig zu, als ob die vier hübschen Kinder geraden Weges aus einer Klosterschule kämen, und besonders die Töchter des Hauses schienen nicht die leiseste Erinnerung an den Ton des gestrigen Abends zu hegen. Unbefangen grüßten sie mich, als ich endlich bemerkt wurde, und stellten mich der Anna vor. Wir sahen auf den Boden und boten uns die Fingerspitzen, die sich kaum berührten, wobei sie, wie ich glaube, einen kleinen höflichen Knix machte. Ich sagte ganz verlegen: »Sie sind also wieder zurückgekehrt?« worauf sie erwiderte: »Ja« – mit dem Tone eines Glöckchens, welches nicht recht weiß, ob es anfangen soll, Mittag oder Vesper zu läuten. Hierauf sah ich mich wieder aus dem Mädchenkreise herausversetzt, ohne zu wissen auf welche Weise, und machte mir eifrig mit einer Katze zu schaffen, indessen ich Anna verstohlen betrachtete. Sie war eine ganz andere Gestalt geworden, schmal und hoch, von einem schwarzen Seidenkleide umwallt, ihr Goldhaar lag schlicht und vornehm gebunden und ließ eine sorgfältige Toilette ahnen, während früher manche Löckchen sich auf eigne Hand gekräuselt und zwischen den Flechten hervorgeguckt hatten. Die Gesichtszüge waren in ihrer Eigentümlichkeit ganz gleich geblieben, nur hielten sie sich nun viel ruhiger, und die armen, schönen blauen Augen hatten ihre Freiheit verloren und lagen in den Banden vornehm bewußter Sitte. Dies alles unterschied ich im Augenblick nicht genau, allein es machte zusammen einen solchen Eindruck auf mich, daß ich erschrak, als ich mich zum Frühstück, welches inzwischen auf getragen war, neben sie setzen mußte; denn der Oheim hatte, da Anna aus Wälschland kam, seine französischen Künste aus der eleganten Zeit des Pfarrhauses wieder zusammengelesen und zu mir gesagt: Eh bien! monsieur le neveu! prenez place auprès de Mademoiselle votre cousine, s'il vous plaît, hé, parbleu! est-ce que vous n'avez pas bien dormi? vous faites une triste figure, il me paraît! und zu Anna, mit einem komischen Kratzfuße, indem er mit seinem Waldhörnchen salutierte: Veuiliez accepter les services de ce pauvre jeune homme de la triste figure, Mademoiselle! souffrez, s'il vous plaît, qu'il fasse votre galant, pour que notre illustre maison revisse les beaux jours d'autrefois! allons parler francais toute la compagnie! Nun begann eine drollige Unterhaltung in französischen Brocken, welche sich auf die lustigste Weise kreuzten, indem niemand sich schämte, seine Schwerfälligkeit und Unkunde zu verraten, und der Scherz als eine Art Huldigung der Anna Gelegenheit geben sollte, ihre erworbene feine Bildung zu zeigen. Auch nahm sie bescheiden, aber sicher an dem seltsamen Gespräche teil und brachte ihre Reden mit artigem Akzente vor, geziert mit den Wendungen wälscher Konversation als: En vérité! Voilà qui est curieux! ah que c'est joliment dit! extrèmement, je vous dis! tenez! voyez! usf., wozwischen der Oheim, seine Geistlichkeit vergessend, einige diables! einfügte. Mir waren diese Formen keineswegs geläufig und ich konnte meine Meinungen nur in strikter und nackter Übertragung vorbringen, dazu nicht in dem lieblichsten Akzente; daher sagte ich nur dann und wann oui und non oder je ne sais pas! Die einzige Redensart, welche mir zu Gebote stand, war: Que voulez-vous que je fasse! und ich brachte diese Blüte mehrere Male an, ohne daß sie gerade paßte. Als hierüber gelacht wurde, machte mich dies trübselig und verstimmt, denn mit jedem Augenblicke, seit ich an das seidene Kleid Annas streifte, wurde es mir bänger, daß ich als gänzlich wertlos und unbedeutend zum Vorschein käme, während ich doch bisher überzeugt war, das Beste und Höchste schätzen und erstreben zu wollen und gerade dadurch selber einen nicht unerheblichen Wert in mir zu tragen. In der Theorie hatte ich schon die Welt erobert und auch verdient und besonders über Anna durchaus verfügt; da nun aber die Praxis begann, so beschlich mich gleich im Anfange eine verzagte Demut, welche ich ungefähr in folgende trotzige und gewaltige Rede zusammenfaßte: Moi, j'aime assez la bonne et vénérable langue de mon pays, qui est heureusement la langue allemande, pour ne pas plaindre mon ignorance du francais. Mais comme Mademoiselle ma cousine a le goût francais et comme elle doit visiter l'église de notre village, c'est beaucoup à plaindre, qu'elle n'y trouvera point de ses orateurs vaudois, qui sont si élevés, élégants et savants. Aussi, que son déplaisir ne soit trop grand, je vous propose, Monsieur mon oncle, de remonter en chaire, nous ferons un petit mais élégant auditoire et vous nous ferez de beaux sermons francais! Que voulez-vous que je fasse, fügte ich etwas verlegen hinzu, als ich diese Rede so hastig und fließend als möglich gehalten hatte. Die Gesellschaft war sehr verwundert über diese langatmige Phrase und betrachtete mich als einen unvermuteten Teufelskerl von Franzosen, besonders da sie wegen der Schnelligkeit, mit der ich sprach, nichts davon verstanden hatten, außer dem Oheim, welcher vergnüglich lachte. Man ahnte freilich nicht, daß ich die Rede im stillen förmlich ausgedacht und daß ich keineswegs mit dieser Geläufigkeit fortzufahren imstande wäre. Anna war die einzige Person, welche alles verstanden, und sie sagte kein Wort hierauf und schien innerlich beleidigt zu sein, denn sie ward rot und sah verlegen vor sich nieder. Sie verstand nämlich, wie es sich später zeigte, keinen Spaß in bezug auf die waadtländischen Geistlichen, die sie in dem Anflug kirchlichen Wesens, den das junge Ding nebst dem Französischen davongetragen, sehr verehrte und deren Andenken für sie eine schöne und bewußtvolle Erinnerung war. Da ich bemerkte, daß die verkehrte Art, meine innere Mutlosigkeit zu äußern, fast einen üblen Eindruck gemacht, so flüchtete ich mich so bald möglich vom Tische hinweg. Es läutete nun das letzte Zeichen zur Kirche und die ganze Familie rüstete sich zum Kirchgange. Anna zog feine glänzende Lederhandschuhe an und die drei Mädchen des Hauses, welche bisher, obgleich städtisch gekleidet, wie die Landmädchen ohne Handschuhe zur Kirche gegangen, brachten nun ebenfalls deren gestrickte aus Seide oder Baumwolle zum Vorschein und putzten sich damit aus. Anna zeigte, als man zum Gehen bereit war, ein gesammeltes und andächtiges Wesen, sprach nicht mehr viel und sah vor sich nieder, und die übrigen Bäschen, welche von jeher lachend und fröhlich zur Kirche gegangen, gaben sich nun auch ein feierliches Ansehen, daß ich ganz aus der Verfassung kam und nicht wußte, wie ich mich gebärden sollte. Ich stand aus Verlegenheit am Ofen, obschon die junge Sommersonne auf dem Garten sich lagerte; man fragte mich, ob ich denn nicht mitginge? worauf ich, um endlich mir wieder etwas Geltung zu verschaffen, mit Wichtigkeit sprach: nein, ich hätte nicht Zeit, ich müßte schreiben!

Diesmal ging das ganze Haus zur Kirche, wohl Anna zu Ehren, und nur ich allein blieb zurück. Durch das Fenster sah ich dem ansehnlichen Zuge nach, welcher sich durch die Wiesen unter den Bäumen hin bewegte und dann auf der Höhe des Kirchhofes zum Vorschein kam, um endlich in der Kirchentür zu verschwinden. Diese wurde bald darauf geschlossen, das Geläute schwieg, der Gesang begann und hallte deutlich und schön herüber. Auch dieser schwieg und nun verbreitete sich ein Meer von Stille über das Dorf, welches einzig dann und wann durch einen kräftigeren Ruf des Predigers unterbrochen wurde. Das Laub und die Millionen Gräser waren mäuschenstill, trieben aber nichtsdestominder mit Hin- und Herwackeln allerlei lautlosen Unfug, wie mutwillige Kinder während einer feierlichen Verhandlung. Die abgebrochenen Töne der Predigt, welche durch einen offenen Fensterflügel sich in die Gegend verloren, klangen seltsam und manchmal wie hollaho! manchmal wie juchhe! oder hopsa! bald in hohen Fisteltönen, bald tief grollend, jetzt wie ein nächtlicher Feuerruf und dann wieder wie das Gelächter einer Lachtaube. Während der Pfarrer predigte und ich Anna in Gedanken aufmerksam und still dasitzen sah, nahm ich Papier und Feder und schrieb meine Gefühle für sie in feurigen Worten nieder. Ich erinnerte sie an die zärtliche Begebenheit auf dem Grabe der Großmutter, nannte sie mit ihrem Namen und brachte so häufig als möglich das Du an, welches ehedem zwischen uns gebräuchlich gewesen. Ich ward ganz beglückt über diesem Schreiben, hielt manchmal inne und fuhr dann in umso schöneren Worten wieder fort. Das Beste, was in meiner zufälligen und zerstreuten Bildung angesammelt lag, befreite sich hier und vermischte sich mit der Empfindung meiner augenblicklichen Lage. Überdies wob sich eine schwermütige Stimmung durch das Ganze, und als das Blatt vollgeschrieben war, durchlas ich es mehrere Male, als ob ich damit jedes Wort der Anna ins Herz rufen könnte. Dann reizte es mich, das Blatt offen auf dem Tische liegen zu lassen und in den Garten zu gehen, damit es der Himmel oder sonst wer durch das offene Fenster lesen könne; aber nur die völlige Sicherheit, daß jetzt doch keine menschliche Seele in der Nähe sei, gab mir diese Verwegenheit, mit welcher ich zwischen den Beeten auf und nieder spazierte, nach dem Fenster hinauf schauend, hinter welchem meine schöne Liebeserklärung lag. Ich glaubte etwas Rechtes getan zu haben und fühlte mich zufrieden und befreit, verfügte mich aber bald wieder in die Stube, da ich dem Frieden doch nicht recht traute, und kam gerade dort an, als das Blatt, durch den Luftzug getragen, zum Fenster hinaussäuselte. Es setzte sich auf einem Apfelbaume nieder; ich lief wieder in den Garten; dort sah ich es sich erheben und mit einem gewaltigen Schusse auf das Bienenhaus zufliegen, wo es hinter einem vollen summenden Bienenkorbe sich festklemmte und verschwand. Ich näherte mich dem Korbe, allein die Bienen waren, in Betracht der kurzen Sommerzeit, polizeilich von der Sonntagsfeier dispensiert und in vollster Bewegung und Tätigkeit begriffen; es summte und kreuzte sich vor dem Hause wie auf einem Jahrmarkte, daß an kein Durchkommen zu denken war. Unschlüssig und ängstlich blieb ich stehen, doch ein empfindlicher Stich auf die Wange bedeutete mir, daß meine Liebeserklärung für einmal der bewaffneten Obhut dieses Bienenstaates anheimgegeben sei. Für einige Monate lag sie allerdings sicher hinter dem Korbe; wenn aber der Honig ausgenommen wurde, so kam sicher auch mein Blatt zutage, und was dann? Indessen betrachtete ich diesen Vorfall als eine höhere Fügung und war halb und halb froh, meine Erklärung aus dem Bereiche meines Willens einer allfälligen Entdeckung ausgesetzt zu wissen, gleich einem verlornen Samenkorn des Aufblühens harrend. Meine gestochene Wange reibend, verließ ich endlich die Bienen, nicht ohne genau nachzusehen, ob nirgends ein Zipfelchen des weißen Blattes hervorgucke. Der Gesang in der Kirche ertönte wieder, die Glocken läuteten und die Gesellschaft kam in einzelnen Gruppen zerstreut nach Hause. Ich stand wieder oben am Fenster und sah Annas Gestalt durch das Grüne allmählich herannahen. Ihren weißen Hut abnehmend, stand sie vor dem Bienenhause einige Zeit still und schien die fleißigen Tierchen mit Wohlgefallen zu betrachten; mit noch größerem Wohlgefallen betrachtete ich jedoch sie, welche so ruhig vor meinem verborgenen Geheimnisse stand, und ich bildete mir ein, daß die Ahnung desselben sie an der blühenden und lieblichen Stelle festhalte. Als sie herauf kam, zeigte sie jene zufriedene Fröhlichkeit Andächtiger, welche aus der Kirche kommen, und machte sich nun ein wenig lauter und zugänglicher als vorher. Beim Mittagessen, wo ich wieder neben ihr zu sitzen kam, begann jedoch meine herb annehmliche Schule wieder. An Sonn- und Festtagen glich der Tisch meines Oheims ganz seinem Hause und zeigte dessen merkwürdige und malerische Zusammensetzung in allen Stücken. Drei Vierteile desselben, von der Jugend und den Dienstleuten besetzt, trugen große ländliche Schüsseln mit den entsprechenden Speisen: mächtige Stücke Rindfleisch und gewaltige Schinken. Neuer Wein aus einem großen Kruge wurde in einfache grünliche Gläser geschenkt, Messer und Gabeln waren aufs billigste beschaffen und die Löffel von Zinn. Nach der Spitze der Tafel zu, wo der Oheim und die allfälligen Gäste saßen, veränderte sich die Gestalt dieser Dinge. Dort waren die Ergebnisse der Jagd oder des Fischfanges nebst anderen guten Dingen in kleinen Portionen aufgestellt; denn da die Muhme dem Zubereiten und Essen solcher Sachen nicht grün war, so behandelte sie dieselben apothekerhaft und zimpferlich, gleich einem Grobschmied, der eine Uhr zusammensetzen will. Auf einem bunten alten Porzellanteller lag hier ein gebratener Vogel, dort ein Fisch, einige rote Krebse oder ein feines Salätchen. Alter starker Wein stand in kleineren Flaschen, uralte Ziergläser der verschiedensten Form dabei; die Löffel waren von Silber und das übrige Besteck bestand aus den Trümmern früherer Herrlichkeit, hier ein Messer mit einem Elfenbeinhefte, dort eine komisch gezackte Gabel mit Emailgriff. Aus dem Gewimmel dieser Zierlichkeiten ragte das ungeheure Brot wie ein Berg empor, als ein mächtiger Ausläufer des unteren Speisengebirges, dessen Anwohner sich an der Ausschließlichkeit der oberen Feinschmecker dadurch rächten, daß sie eine scharfe Kritik über deren Geschicklichkeit im Essen ausübten. Wer nicht rasch und reinlich einen Fisch zu verzehren oder die Knöchelchen eines Vogels zu zerlegen wußte, hatte für den Spott nicht zu sorgen. Da ich bei der Mutter an die einfachste Lebensweise gewöhnt war, so war meine Gewandtheit in Fisch- und Vogelessen nur gering und ich sah mich daher am meisten den Witzen der Tischgenossen ausgesetzt. So hielt mir auch heute ein Knecht einen Schinken her und bat mich, ihm diesen Taubenflügel zu zerlegen, da ich so geschickt hierin sei; ein anderer hielt mich für vortrefflich geeignet, den Rückgrat einer Bratwurst zu benagen. Dazu sollte ich als angeblicher Galan meine Schöne bedienen, was mir durchaus unbequem war; denn außer daß es mir lächerlich vorkam, ihr ein Gericht vorzuhalten, das ihr vor der Nase stand, und ich ihr lieber mit dem Herzen als mit den Händen dienen wollte, wo es nicht nötig war, reichte meine Kenntnis hierfür nicht aus, indem ich manchmal den Schwanz eines Fisches präsentierte, wo der Kopf gut war, und umgekehrt. Ich ließ sie auch bald unbedient sitzen und freute mich unbeschwert ihrer Nähe; aber der Oheim weckte mich aus diesem Vergnügen, indem er mich aufforderte, Anna einen Hechtkopf auseinander zu legen und ihr die Symbole des Leidens Christi zu zeigen, welche darin enthalten sein sollten. Allein ich hatte diesen Kopf unbesehens gegessen, obschon man früher davon gesprochen, und stellte mich nun zugleich als einen unwissenden Heiden dar; darüber ärgerlich, ergriff ich mit der Faust den mittlerweile entblößten Schinkenknochen, hielt ihn der Anna unter die Augen und sagte, hier wäre noch ein heiliger Nagel vom Kreuze. Ich behielt nun freilich wieder Recht in den Augen der Spötter, doch Anna hatte gerade solche Grobheit nicht verdient, da sie mich nicht verspottet und ganz still neben mir gesessen hatte. Sie wurde über und über rot, ich fühlte augenblicklich mein Unrecht und hätte aus Reue gern den Knochen verschlungen. Verlegen legte ich ihn auf meinen Teller und fügte noch ein paar schlechte Witze hinzu. »Diese Reliquie«, sagte ich, »würde allerdings ein artiger Sparren im Kopfe sein! Indessen mag es manchen Heiligen geben, dessen christliche Ideen einem Schinkenknochen gleichen.« Hierauf antwortete niemand etwas außer meinem Oheim, welcher mich ernstlich ersucht haben wollte, dergleichen Mitteilungen zu unterlassen. Das Rotwerden war nun an mir und ich sagte nichts mehr während der übrigen Zeit, die man am Tische zubrachte. Ich zog mich zurück in bitterem Unmute und gedachte mich nicht mehr sehen zu lassen, bis meine Bäschen mich aufsuchten und mich aufforderten, mit ihnen und ihren Brüdern Anna nach Hause zu begleiten und den Schulmeister zu besuchen. Da ich durch den seltenen Verweis des Vaters in eine beschämende Lage geraten, so fanden sie es angemessen, mich durch diese Freundlichkeit daraus zu ziehen; denn sie wußten wohl, daß ich sonst nach der Etikette jenes Alters nicht mitkommen konnte, wo das Schmollen eine Ehrensache und an bestimmte Gesetze gebunden ist.

Wir zogen also aus und gingen dem Flüßchen nach durch den Wald. Ich blieb still, und als wir durch die Enge des Weges getrennt hintereinander gehen mußten, marschierte ich als der letzte hintendrein, dicht nach Anna, aber immer in tiefem Schweigen. Meine Augen hingen mit Andacht und Liebe an ihrer Gestalt, immer bereit, sich abzuwenden, sobald sie zurückschauen würde. Doch tat sie dies nicht ein einziges Mal; hingegen bildete ich mir mit innerlichem Vergnügen ein, daß sie hie und da mit einer kaum sichtbaren Absicht, zu gefallen, sich über schwierige Stellen hinbewegte. Ich machte ein paar Mal schüchterne Anstalten, ihr behilflich zu sein, allein immer kam sie meinen Händen zuvor. Da stand an einer erhöhten Stelle des Weges die schöne Judith unter einer dunklen Tanne, deren Stamm wie eine Säule von grauem Marmor emporstieg. Ich hatte sie lange nicht mehr gesehen, sie schien mit der Zeit noch immer schöner zu werden und hatte die Arme übereinander geschlagen, eine Rosenknospe im Munde, mit welcher ihre Lippen nachlässig spielten. Sie grüßte eines um das andere, ohne sich in ein Gespräch einzulassen, und als ich schließlich auch an die Reihe kam, nickte sie mir leicht zu mit einem etwas spöttischem Lächeln.

Der Schulmeister begrüßte uns mit Freuden und vor allen seine Tochter, die er sehnlich zurück erwartet. Denn sie war nun die Erfüllung seines Ideales geworden, schön, fein, gebildet und von andächtigem, edlem Gemüte, und mit dem bescheidenen Rauschen ihres Seidenkleides war, nicht in schlimmem Sinne, eine neue schöne Welt für ihn aufgegangen. Er hatte zu seinem bisherigen Vermögen noch eine gute Erbschaft gemacht und benutzte diese, ohne Vornehmtuerei, sich mit allerhand anständigen Annehmlichkeiten zu umgeben. Was seine Tochter nach den aus Wälschland mitgebrachten Bedürfnissen irgend wünschen konnte, schaffte er augenblicklich an und unter diesem Vorwande überdies eine Menge schöner Bücher für seine eigenen Wünsche. Auch hatte er seinen grauen Frack mit einem feinen schwarzen Leibrock vertauscht, wenn er ausging, und im Hause trug er einen ehrbaren talarartigen Schlafrock, um mehr das Ansehen eines würdigen, halbgeistlichen Privatgelehrten zu gewinnen. Was irgend mit einer Stickerei geziert werden konnte an seiner Person oder an seinem Geräte, das zeigte diesen Schmuck in allen Manieren und Farben, da ihm solcher ausnehmend gefiel und Anna reichlich dafür sorgte. In dem kleinen Orgelsaale stand nun ein prächtiges Sofa mit bunt gestickten Kissen und vor demselben lag ein großblumiger Teppich von Annas Hand. Diese reiche Farbenpracht, an einer Stelle zusammengehäuft, nahm sich vortrefflich und eigentümlich aus im Gegensatze zu dem einfachen weiß getünchten Saale. Nur die Orgel bot noch einigen Schmuck in glänzenden Pfeifen und mit ihren bemalten Türchen. Anna erschien nun in einem weißen Kleide und setzte sich an die Orgel. Sie hatte in der Pension Klavier spielen müssen, lehnte es aber ab, ein Klavier zu haben, als ihr Vater sogleich ein solches anschaffen wollte; denn sie war zu klug und zu stolz, die gewöhnliche Klimperei fortzusetzen. Dagegen wandte sie das Erlernte dazu an, sich für einfache Lieder auf der Orgel einzuüben, sie begleitete also jetzt unseren Gesang und der Schulmeister stand dafür singend in unserm Kreise. Er sah fortwährend seine Tochter an und ich ebenfalls, da wir ihr im Rücken standen, sie sah wirklich aus wie eine heilige Cäcilie, während die Stellung ihrer weißen Finger auf den Tasten noch etwas Kindliches ausdrückte. Als wir des musikalischen Vergnügens satt waren, gingen wir vor das Haus; dort war auch vieles verändert. Auf dem Treppchen standen Mandel- und Oleanderbäumchen, das Gärtchen war nicht mehr ein krauses Rosen- und Gelbveigeleingärtchen, sondern Annas jetziger Erscheinung mehr angemessen mit fremden Gewächsen und einem grünen Tische nebst einigen Gartenstühlen versehen. Nachdem wir hier eine kleine Abendmahlzeit eingenommen, gingen wir an das Ufer, wo ein neuer Kahn lag; Anna hatte auf dem Genfersee fahren gelernt und der Schulmeister deswegen das Fahrzeug machen lassen, das erste, welches auf dem kleinen See seit Menschengedenken zu sehen war. Außer dem Schulmeister stiegen wir alle hinein und fuhren auf das ruhige glänzende Wasser hinaus; ich ruderte, da ich als Anwohner eines größeren Sees auch meine Künste zeigen wollte, und die Mädchen saßen dicht beisammen, die Bursche aber hielten sich unruhig und suchten Scherz und Händel. Endlich gelang es ihnen, das Gefecht wieder zu eröffnen, zumal sich ihre Schwestern aus der gemessenen Haltung heraus nach freier Bewegung sehnten. Sie hatten sich nun genug darin gefallen, mit Anna die Feinen und Gestrengen zu machen, und wünschten vorzüglich die Früchte des Spukes, welchen sie sich mit meinem Bette erlaubt hatten, mit Glanz einzuernten. Deshalb wurde ich bald der Gegenstand des Gespräches; Margot, die Älteste, berichtete Anna, daß ich mich als einen strengen Feind der Mädchen dargestellt hätte und daß nicht zu hoffen wäre, daß ich jemals mich eines schmachtenden Herzens erbarmen würde; sie warne daher Anna zum voraus, sich nicht etwa früher oder später in mich zu verlieben, da ich sonst ein artiger junger Mensch sei. Darauf bemerkte Lisette, es wäre dem Schein nicht zu trauen; sie glaube vielmehr, daß ich innerhalb lichterloh brenne vor Verliebtheit, in wen, wisse sie freilich nicht; allein ein sicheres Zeichen davon wäre mein unruhiger Schlaf, man hätte am Morgen mein Bett im allersonderbarsten Zustande gefunden, die Leintücher ganz verwickelt, so daß zu vermuten, ich habe mich die ganze Nacht um mich selbst gedreht wie eine Spindel. Scheinbar besorgt fragte Margot, ob ich in der Tat nicht gut geschlafen habe? Wenn dem so wäre, so wüßte sie allerdings nicht, was sie von mir halten müßte. Sie wolle inzwischen hoffen, daß ich nicht ein solcher Heuchler sei und den Mädchenfeind mache, während ich vor Liebe nicht wüßte, wo hinaus! Überdies wäre ich doch noch zu jung für solche Gedanken. Lisette erwiderte, eben das sei das Unglück, daß ein Grünschnabel wie ich schon so heftig verliebt sei, daß er nicht einmal mehr schlafen könne. Diese letzte Rede brachte mich endlich auf und ich rief; »Wenn ich nicht schlafen konnte, so geschah das, weil ich durch euere eigene Verliebtheit die ganze Nacht gestört wurde, und ich habe wenigstens nicht allein gewacht!« »O gewiß sind wir auch verliebt, bis über die Ohren!« sagten sie etwas betroffen, faßten sich aber sogleich und die Ältere fuhr fort: »Weißt du was, Vetterchen, wir wollen gemeinsam zu Werke gehen; vertraue uns einmal deine Leiden und zum Danke dafür sollst du unser Vertrauter werden und unser Rettungsengel in unseren Liebesnöten!« »Es dünkt mich, du hast keinen Rettungsengel notwendig«, antwortete ich, »denn an deinem Fenster steigen die Engel schon ganz lustig die Leiter auf und nieder!« – »Hört, nun redet er irre, es muß schon arg mit ihm stehen!« rief Margot, rot werdend, und Lisette, welche noch bei Zeiten sich verschanzen wollte, setzte hinzu: »Ach, laßt den armen Jungen in Ruh, er ist mir recht lieb und dauert mich!« »Schweig du!« sagte ich noch mehr erbost, »dir fallen die Liebhaber von den Bäumen in die Kammer!«

Die Bursche klopften in die Hände und riefen: »Oho, steht es so? Der Maler hat gewiß etwas gesehen, freilich, freilich, freilich! Wir habens schon lange gemerkt!« und nun nannten sie die begünstigten Liebhaber der beiden Dämchen, welche uns den Rücken wandten mit den Worten: »Larifari! ihr seid alle verlogene Schelme und der Maler ein recht böser Hauptlügner!« Lachend und flüsternd unterhielten sie sich hierauf mit den anderen beiden Mädchen, die nicht recht wußten, woran sie waren, und alle würdigten uns keines Blickes mehr. So hatte ich das Geheimnis, das ich am Morgen großmütig zu verschweigen gelobt, noch vor Untergang der Sonne ausgeplaudert. Dadurch war der Krieg zwischen mir und den Schönen erklärt und ich sah mich plötzlich himmelweit von dem Ziele meiner Hoffnungen gerückt; denn ich dachte mir alle Mädchen als eng verbündet und gleichsam eine Person, mit welcher man im Ganzen gut stehen müsse, wenn man ein Teilchen gewinnen wolle.

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