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Ein banger Augenblick

Sein täglicher Schulweg führte an einer Mauer vorüber, hinter der ein paar Apfelbäume standen. Er hatte sie im Frühlingskleid gesehen, dicht besäet mit rosa Blüten und hatte beobachtet, wie die Blütenblätter abfielen und die kleinen, runden Früchte ansetzten. O so viele, wenn man in die Zweige hinaufschaute! Dann hatten Sommerwind und Hagelschauer einen großen Teil herabgeworfen, aber es blieben noch genug dran, die täglich größer wurden. Im August schon waren sie so groß wie Maxels geballte Hand, und im September bekamen sie schöne rote Bäckchen, die täglich leuchtender wurden. Früh lag bereits der blaue Herbstnebel auf den Wiesen, wenn der Bub an der Mauer vorbei zur Schule wanderte, die Schwalben hielten auf dem Kirchdach Beratungen wegen der Winterreise, und glitzernde Marienfäden hingen in der Luft, – jetzt mußten die Apfel reif sein. –

Ob es da wohl für einen Buben, der gern Äpfel ißt, so ganz leicht sein mag, täglich von neuem der Versuchung zu widerstehen, sich ein paar davon als Beigabe zum Frühstücksbrot mitzunehmen? Unser Maxl war kein kleiner Wilderer, wie so manche der Dorfbuben, die da meinen, sie hätten ein gewisses Recht darauf, in fremden Gärten heimlich Obsternte zu halten; seine Mutter, eine arme Witwe, hatte ihm vielmehr von klein auf den Unterschied zwischen Mein und Dein scharf eingeprägt und ihm das siebente Gebot: »Du sollst nicht stehlen!« noch ganz besonders in Bezug auf die Obstgärten anderer Leute ausgelegt: »Arbeit schändet nicht,« sagte sie, »aber Unehrlichkeit immer! Und wer nicht jung lernt ehrlich zu sein im Kleinen, der kann's später schwer, wo sich's um Großes handelt.« Und weil das Büble brav und ehrlich war und niemals in den Gärten mauste, so schenkte ihm jeder der Bauern gern etwas, wenn Obsternte gehalten wurde.

Nur diesmal lockten die rotgestreiften Äpfel hinter der dicken Steinmauer, die den Garten des Gutsherrn umschloß, gar zu sehr, und ganz besonders taten dies zwei Stück, welche an einem unteren Zweige des nächststehenden Baumes hingen. Die schienen täglich von neuem zu rufen: «Hol uns doch, niemand merkt's!« Eines Morgens, als er überlegend davor stand, war's ihm, als ob sie noch hinzusetzten: »Wer weiß, ob wir nicht heute schon abgenommen werden! Reif sind wir ja.« – Wie kam's aber nur, daß Maxl nun plötzlich an den letzten Weihnachtsabend denken mußte, wo ihm die Frau des Gutsherrn seine schöne Kappe geschenkt hatte und eine große Schüssel voll Lebkuchen und roter Äpfel? Sagte ihm das etwa die Gewissensstimme, von der die Mutter gesprochen hatte? – Warum er jetzt grade daran erinnert wurde, wo er doch nur an den Genuß der schönen Früchte denken wollte? – Ach was, alle andern Buben hielten das Obstmausen für nichts Schlimmes, ja, sie rühmten sich sogar noch damit, – also, hinüber! Einmal ist keinmal. Und mit kühnem Schwung saß Maxl auf der Mauer und – hupp! – war er drüben. Den Baum zu erklettern war ein Spiel; die beiden Äpfel verschwanden in den Hosentaschen.

Da schlug drüben der Hund an, – Schritte kamen den Weg herauf, ein helles Kleid schimmerte durch die Büsche, das war die Gutsfrau selbst. Vor Schrecken starr

Bild: Hermann Kaulbach

Ein banger Augenblick.

sah Maxl, daß sich die helle Gestalt immer mehr näherte, und da schwang er sich in heißer Angst hastig wieder auf die Mauer. Noch einen Augenblick, und die Herankommende mußte hinter dem Baum hervortreten, der ihn jetzt noch verbarg. Da duckte er sich und schoß hinüber. Glücklich entwischt!

Drüben auf der Straße stand er aufatmend still. Was würde geschehen sein, wenn er nicht noch im letzten Augenblick entschlüpft wäre? Hätte wohl die gute Dame seiner Versicherung geglaubt, daß er heute zum ersten Male gemaust hatte? Sicher würde sie es der Mutter gesagt haben, – und dann! Die helle Schamröte stieg dem Buben ins Gesicht und sein Herz klopfte bei der Vorstellung, seiner Mutter solchen Kummer zu bereiten.

Gut, daß alles diesmal noch so abgelaufen war, nun wollte er das Stehlen aber auch gewiß nie, nie wieder versuchen!

Und die Äpfel mußte er jetzt so schnell wie möglich aus den Taschen los werden, . niemand in der Schule sollte sie sehen! So zog er einen heraus und biß hinein. Süß war er schon und saftig auch, – er kannte die Sorte wohl, – aber er hatte doch einen eigentümlich bittren Beigeschmack, – Maxl fand keine Freude daran, ihn zu essen. Im zweiten gar war ein böser Wurm, der ihn innerlich schon ganz zerfressen hatte, er sah es, als er hineinbiß. Da nahm er ihn hastig und warf ihn weit, weit fort.


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