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Geschwisterliebe

Ja, werd' ich denn nur auch morgen wirklich die drei Kleinen den ganzen Tag über allein lassen können?« sagte die Mutter zu Bärbel, einen bedenklichen Blick auf Gretli, den Poldl und Lips werfend, die eben alle drei in einer Ecke der Stube übereinander kugelten.

»Geh nur ruhig fort, Mutterle,« antwortete die Älteste, »du weißt, die kranke Großmutter wartet auf dich! Ich will ganz gewiß die Kleinen versorgen und auf das Haus achten, so gut ich kann. Ich versprech's dir!« – »Weiß schon, Bärbel, daß man sich auf dich verlassen kann!« sagte die Mutter. »Wenn du nur aber nicht viel Not mit ihnen haben wirst! Sie wollen doch essen und angezogen sein, und der Vater hat drüben auf der Schneidemühle zuviel Arbeit, der kann sich den Tag über nicht um euch Kindervolk kümmern.« – »Macht nichts, wir wollen schon allein fertig werden! Gelt?« sagte Bärbel zu den drei Geschwistern, die aufhorchend näher gekommen waren. – Am andern Morgen macht sich die Mutter mit dem Frühzug, der am Ort vorbeikommt, auf die Reise, nachdem sie Bärbel an der Haustür nochmals die Sorge für Haus und Kinder eingeschärft hat. Mit ernstem Gesichtchen geht Bärbel ins Haus zurück; sie weiß wohl, welch schweres Amt sie übernommen hat. »Hilf mir, lieber Gott, und behüte die Kleinen heute, daß ihnen nichts Böses geschieht!« sagt sie leise, als sie an das Bettchen tritt, wo die beiden Buben eben erwachen und sich den Schlaf aus den Augen reiben. »Wo ist Mutterle?« fragt Poldl, und: »Wo is Muttel?« echot der Kleine. »Ich bin euer heutiges Muttel!« sagt Bärbel und gibt jedem einen Kuß. »Ach, du bist kein Muttel!« meint aber Poldl. – »Doch! Heut bin ich euer Muttel. Kommt, laßt euch schnell waschen, dann gibt's die Morgenmilch! Sie steht schon auf dem Herd.« Und sie holt die große Waschschüssel, 8chwamm und Handtuch herbei und beginnt die kleinen Brüder zu waschen. Anfangs wollen sie unartig dabei sein und sträuben sich gegen den nassen Schwamm, aber das Bärbel bittet so schön: »Lips und Poldl, tut mir's doch zulieb, daß ihr heut ganz artig seid und folgt! Seht mal, ich weiß ja, daß ich selbst noch ein Kind bin und euch sonst nichts zu sagen hab', wenn die Eltern da sind, aber heut' hat mir 's Mutterle doch das Amt übertragen. Und es würde sich sehr grämen, wenn's heute abend hörte, daß ihr nicht folgsam gewesen wäret! Die liebe Großmutter aber würde gewiß gleich noch mehr krank werden, wenn sie's erführe, und am End' könnt' sie gar sterben vor Gram drüber. Und wer sollt' uns dann wohl zum Christfest die guten Lebkuchen backen? Ihr wißt doch, bald kommt das Christkindl!« Da lassen sie artig alles mit sich geschehen, selbst den Zausekamm sich geduldig durchs Haar streichen. Dann meldet sich Gretli nebenan, und als alle drei soweit fertig sind, Poldl sogar schon die neue Wollmütze auf dem Kopf hat, die er so liebt, werden sie aufs Bänkchen an den Herd gesetzt und Bärbel zieht ihnen die blanken Schuhe an. Das geht wirklich heut schneller als sonst und – klipp, klapp! – bekommt jedes Füßchen einen Klaps gegen die Sohle, wenn 's Schühchen festsitzt. Dann gibt's warme Milch für die hungrigen Schnäbel, und als alle genug haben, kriegt die Katze den Rest.

Bild: Hermann Kaulbach

Geschwisterliebe.

So fängt der Tag gut an und geht gut weiter. Will eins unnütz werden und nicht folgen, so braucht Bärbel nur zu mahnen: »Denkt an die kranke Großmutter und ans Christkindl!« und alle Unart verfliegt. Leicht ist der Tag nicht für die Älteste, denn es gibt genug zu schaffen, aber Gretli bietet überall ihre Hilfe an, und selbst Poldl und Lips tragen Holz an den Herd und schleppen sich mit Besen und Kehrschaufel. »Bärbel spielt Mutterle,« sagt Poldl ernsthaft, »und wir müssen ihr gehorchen!« – »Müssen alle dehorchen!« plappert der Kleine nach.

Und am Abend kommen Vater und Mutter heim, als Bärbel eben die Kinder ins Bett bringen will. Poldl, im Hemdchen, stürmt ihnen entgegen und ruft: »Bärbel hat mit uns Mutter und Kinder gespielt, und wir sind alle sehr, sehr artig gewesen!« – »Ja, Muttel, sehr artig!« versichert auch Gretli »Das freut mich!« sagt die Mutter. »Hab's aber auch gar nicht anders erwartet. Drum kann ich euch auch einen Gruß vom Christkind bestellen, das mir für jedes von euch ein paar rote Äpfel mitgegeben hat. Ich begegnete ihm draußen auf der Straße, denn es geht jetzt schon jeden Abend herum und schaut durchs Fenster, ob die Kinder auch artig sind. Und die gute Großmutter, der's, Gott sei Dank, schon viel besser geht, will zum Christfest selbst kommen und einen großen Sack voll Lebkuchen mitbringen. Nun aber macht, daß ihr ins Bett kommt!«

Bärbel aber nimmt die Mutter in den Arm, küßt sie und sagt: »Hast's brav gemacht, Kind! Bist ein gutes Hausmütterchen gewesen!« Da strahlt Bärbels Gesicht vor Freude; dies Lob ist doch noch mehr wert als rote Äpfel und Lebkuchen, obgleich sie beides sehr gern ißt.


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