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Die Lerche

Svein hieß ein seefahrender Mann. Er kam auf seinem Schiff nach einem Land, das fast eins war mit dem Meer und aus vielen niedrigen Inseln mit Fjorden und Sunden dazwischen bestand. In einem dieser Fjorde verirrte er sich, fuhr so lang zwischen Landspitzen, Buchten und Inseln herum, daß er schließlich das Land lieb gewann.

Es erhob sich flach und in meilenweit fliehenden Hängen aus dem Meer, steinig, mit Felsblöcken übersät, neu erschaffen und von Regen duftend, als hätte der Gletscher erst gestern es verlassen. Svein landete und fand das Ufer freundlich, mit lauter feinstem Sand bestreut und die Wellen mit bunten und runden Kieseln verbrämt, die sich leise aneinander rieben. Das Gras wuchs bis ins blaue Meer hinaus. Im Innern des Landes waren üppige Wiesen und Sümpfe, ein aufsprossender lichter Wald, dazwischen weite Heide. Herrliches Wild trieb sich überall herum, und der Fjord, der den Wasserlauf aufnahm, der langsam und lächelnd zwischen den Blumen einherzog, funkelte von Fischen. Und über diesem Land, das sich im Meer kaum wiederspiegelte, stand mit schwellenden Wolkenwelten und Lichtpfeilern, die schräg von der versteckten Sonne niederragten, gewaltig der Himmel.

Svein zog an einen andern Ort. Aber er vergaß das flache Land nicht und kam wieder. Es war zeitig im Frühjahr, und der Wind wehte kühl. Regenschauer kamen und gingen mit seltsamer Geschäftigkeit; keiner trieb sie zur Eile an; aber sie verrichteten trotzdem ihre Arbeit.

Oben auf den grauen Feldern standen Schachtelhalme, die wie dünne Knochenfinger neben den Maulwurfshaufen aufgesproßt waren. Im Boden, in den im Sonnenschein die Nässe einsickerte, lagen wie feuchte Augen kleine Steine, und ein paar gelbe Blumen mit schimmeligen Stengeln standen in dem blassen Gras. An den Hängen gen Süden sproßte es grün aus der Erde, und vereinzelte zarte Stiefmütterchen guckten hervor wie winzige, blaugefrorene Gesichtchen.

Unaufhörlich zogen Wolkenschatten über die nassen Felder; bald ging man über düsteres Land, bald brach übermächtig, buhlerisch, die Sonne durch, spreizte sich wie ein Rad, brütete feurig über der Erde und war wieder verschwunden. Die Wolken atmeten über der Erde wie Gespenster eines wandernden Meers, liefen Hänge hinan, verfolgten einander, gejagt vom feuchten Wind, der erdschwanger duftete.

Aber hoch im unruhigen Himmel, wo die Wolken düsterten und die Sonne spielte, daß die Augenlider warm wurden, hing die Lerche und sang.

Langsam, trunken schwebte sie da, bald im Licht und bald im Schatten, unaufhörlich singend – tiri-tirili-tiri, wie in einem verzückten Traum, – so groß ward ihr das Herz von der Luft, die es eintrank! So hoch empor hob sie sich, senkrecht empor, daß Licht und Wolken sie verschlangen, und es war, als sänge die feuchte Luft selber hoch über der Erde, wo die Quellen sprudelnd und klar aus dem nackten Boden brachen.

Und die Nächte wurden warm. Die Frösche hockten bis an die Brust im Wasser und sangen wie kleine Kobolde im Sumpf, wo noch golden der Sonnenspiegel lag. Drunten am Grund schossen grüne Klauen aus den schwarzen verzerrten Kalmuswurzeln, die Weiden standen voller Knospen, die sich weiße Pelzchen angezogen hatten gegen die Launen der Witterung. Zugvögel kamen. Alles keimte.

Aber Sveins Ohren hatten die Lerche vernommen, und er beschloß zu bleiben. Hier sollten seine Kinder aufwachsen und dereinst das Land besitzen. Es ward später Dänemark genannt. Svein ließ sich im Innern eines stillen Fjords, an der Mündung eines Flusses nieder. Das Tal entlang lagen Wald und Moor und über den niedrigen Hängen lag die Hitze.

Sobald Sveins Kinder kriechen konnten, lagen sie schon draußen im Heidekraut, mit lichten Haarschöpfen, und machten sich bekannt mit den Dingen dieser Welt. Sie näherten sich den großen Feldsteinen, die einzeln, jeder mit eigenen, ganz bestimmten Zügen, oder auch in ganzen geselligen Herden auf der Heide verstreut lagen; sie stellten sich manchmal, die Hände auf dem Rücken, vor solch eine schweigende Größe hin, um auf ein Lebenszeichen zu warten, wobei sie selbst sich einstweilen recht zurückhaltend zeigten. Sie streckten die Spitze eines sehr kleinen Fingers nach den Wachholderbüschen aus, die rund, mit einem Bäuchlein, aber ohne Kopf, im Heidekraut standen; und als sie gemerkt hatten, daß sie stachen, kamen sie nicht wieder zu denen.

Aber mit vielen andern Dingen waren sie bald gut Freund; mit dem Heidekraut selbst, das gleich eisernen Bäumchen mit schuppigen Rosen an allen Zweigen stand, mit den immergrünen Blättern des Blaubeerenkrauts, die aussahen wie kleine Boote, und dem wilden Rosmarin, der ganze Viehbestände von fein und wild duftenden Kügelchen trug. Der Ginster blühte wie Feuer und trug später schwarze Schoten, die verbrannten Schwertern glichen und ebensogut hätten ellenlang sein und von der Krone eines Riesenbaums hängen können! Abseits stand die fleckige Orchis und Pisang, im rauhen Flechtenteppich unter dem Heidekraut kroch der Bärlapp und sandte da und dort langköpfige Schossen empor, um Ausschau zu halten – der lichtgrünste, kinderähnlichste unter allen Bäumen.

Die Kinder hatten nie gehört, daß diese wetterharten Kräuter dereinst tropische Bäume gewesen waren in einem Wald, der vor Urzeiten an dieser Stätte gestanden hatte; und dennoch wußten sie es eigentlich ganz gut. Wenn sie einen Zweig Heidekraut kosteten, so schmeckten sie, daß es von einer großen Familie und von einem heißen Ort kam; es lag mit einem balsamischen und bitteren Geschmack auf der Zunge. Sie wußten, daß der Wachholderbusch einst bessere Tage gesehen hatte. Und mit Vorliebe spielten sie, daß das Riedgras hoch in den Himmel aufragte wie eine Palme, mit blanken, kantigen Früchten, groß wie Brote.

An warmen Sommertagen, wenn das Zirp-zirp der Grillen wie ein atemloses Luftholen überall und nirgends durch die Heide klang, geschah es, daß luftige Spiegelungen von Hainen und Seen über all dem Duft standen. Deutlich sahen sie dann oben riesige Bäume und sie fanden diesen großen Wald in der Luft ganz natürlich.

In lichten Nächten wachten sie oft auf und dachten an ihre runden Steine, die droben auf der Heide gefangen lagen, wie Köpfe; sicher fühlten sie sich einsam. Dann richteten sie wohl selbst den Kopf auf und schauten hinaus in die helle Nacht; und durch den halbwachen, hellseherischen Kindersinn mochte ein leises Weben, ein Funke gehen eines solchen Wunders der Vorzeit – des Wunders, daß einst im Norden ein tropischer Wald sich unter den lichten Nächten erstreckt hat. Die Kindheit, das ist das verlorene Land.

Hier endet der Mythus von Dreng.

 


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