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Frauenleben in Nordost-Sibirien

Die Russen sagen, daß in Sibirien die Vögel ohne Stimme, die Blumen ohne Duft und die Frauen ohne Herz seien.

Diese Redensart ist nichts weiter als üble Nachrede, denn nirgendwo anders habe ich in Birkenhainen so viele Nachtigallen schlagen hören wie im Stromgebiet der Lena; und wenn ich Blumen sehe, so mischt sich ihr Duft mit dem weichen, süßen Aroma jener gelben Lilien, die unendliche Wiesengründe in Ostsibirien mit leuchtender Farbe erfüllen. Doch über allem steht die Erinnerung an jene Frauen, die mir während meines langen, einsamen Weges durch die nordasiatische Wildnis, fernab von jeder Zivilisation, eine zweite Heimat boten.

Wie schwer und einsam ist das Leben jener Frauen!

Und doch habe ich sie nie klagen hören. Nur wenn ich von der großen, fernen Welt erzählte, aus der ich hergezogen kam, dann füllten sich ihre Augen zuweilen mit Tränen, und über das flackernde Kaminfeuer hinweg irrten ihre Blicke zu dem einzigen Fenster, dessen Eisquadrate ihnen selbst die Aussicht auf die weite, weiße Schneefläche verwehrten. Wäre die Liebe nicht, die sie miteinander verbindet und die auch in ihre Ehen einen Schimmer des Glückes trägt, ich wüßte kaum, woher diese Ärmsten den Mut zum Leben nehmen.

Das Los jener wenigen Frauen, deren Ehemänner als Beamte und Geistliche zum Dienst in Nordsibirien abkommandiert werden, ist noch einigermaßen erträglich. Denn erstens haben sie immer die Hoffnung, bald wieder in die Zivilisation zurückkehren zu können, und zweitens schließen sie sich mit den übrigen Gebildeten zu einer Freundschaftsgruppe zusammen. Kommt der Sommer, der auch über dem Polarkreis oft noch unangenehm heiß ist, und der als besondere Plage große Stechmücken mit sich bringt, so flüchtet alles aus den engen Blockhäusern in den Urwald oder an die Flüsse. Zelte werden aufgeschlagen, und man arrangiert regelrechte Picknicke. Die Familien des Isprawniks (Gebietschefs), seines Vertreters, des Herrn Sasedatels, sowie Frau und Kinder der Geistlichen und des Arztes, wohl auch einige russische Kaufleute vergnügen sich dann wohlgemut in der Nähe des Eismeeres. Die Damen kredenzen Tee mit Moosbeerenextrakt und amerikanisches Büchsenfleisch, oder Kwas, ein säuerliches Getränk aus gegorenem Brot hergestellt, mit Stroganin, d. i. gefrorener, roher Fisch. Niemals fehlt auch das Teegebäck, das alle russischen Damen und so auch ihre Schwestern in Nordsibirien in ganz vorzüglicher Art herzustellen wissen. Wir dürfen nicht glauben, daß die Damen in Nordsibirien sich in unförmige Pelze wickeln. Das schöne Geschlecht ist dort oben eben so eitel wie unsere lieben Europäerinnen. Ich habe am Ufer der Kolyma Russinnen kennen gelernt, die sich mit ganz entzückender Grazie zu bewegen wußten. Aber auch als Hausfrauen habe ich oft genug Gelegenheit gefunden, sie zu bewundern. Einer Einladung dieser Damen, zum Abendessen zu erscheinen, habe ich immer gern Folge geleistet. Die Bouillon aus Rindfleischbrühe schmeckte stets ganz vorzüglich, und auch der Braten vom Renntier war mit Butter, saurer Sahne und allen möglichen andern Zutaten appetitlich und den Gaumen reizend hergerichtet. Nach Tisch zogen sich die Herren gewöhnlich zurück, um bei Zigaretten, Likör und Kaffee Tarock zu spielen, während sich die Damen von kleinen Jakutenmädchen Kakao und Backwaren servieren ließen. Zuweilen wurde auch musiziert, gesungen und getanzt. Die Wohnungseinrichtungen sind allerdings oft mehr als bescheiden. Aber auch diesen Übelstand sucht man nach Möglichkeit abzuschwächen, indem Teppiche durch Bären- und Wolfsfelle ersetzt werden und jede noch so unansehnliche Kiste vermittels eines Überzuges aus Kattun als neues Mobiliar hinzugefügt wird. Es ist dabei zu bedenken, daß die einzelnen Niederlassungen 1000 bis 3500 Kilometer von der Zivilisation entfernt sind, daß es also nicht leicht und zudem sehr kostspielig ist, etwas aus den letzten Zentren der Kultur zu beziehen. Die Waren sind oft 3 bis 4 Monate auf Renntierschlitten unterwegs, wenn auch die Kaufleute in Werchojansk, Werchny-, Sredne- und Nishny Kolymsk ein ziemlich reichhaltiges Lager führen, so muß doch jede Hausfrau in Nordsibirien darauf bedacht sein, rechtzeitig ihre Bestellungen aufzugeben. Die Karawanen kommen nur einmal im Jahr, da der Sommer das ganze Gouvernement Jakutsk bis südlich zum 62.° n. Br. in einen Morast verwandelt und an ein Durchkommen mit Lasten nicht zu denken ist. An die Beförderung schwerer Gegenstände ist überhaupt, auch während des Winters, nicht zu denken. Schränke, Tische, Stühle und Betten werden daher von einheimischen Künstlern angefertigt. Oft ist es nur ein alter Zwangsansiedler, der das Handwerk eines Kunst- und Möbeltischlers ausübt, und außer einer alten Säge, dem Drillbohrer, einem Hobel und einem verrosteten Beil hat er wohl kaum irgendwelche andere Werkzeuge.

Für die Küche läßt sich schon eher etwas beschaffen, obwohl Kartoffeln, frisches Gemüse, Obst von vornherein ausgeschaltet werden müssen, weil Ackerbau über den 62.° hinaus nicht mehr betrieben wird, bzw. betrieben werden kann. Selbst Mehl muß während des Winters 3-4000 Kilometer weit zugeführt werden. Dagegen gibt es in den Flüssen Nordsibiriens wunderbare Fische, die auf mannigfaltige Art zubereitet werden, und auch das Fleisch des einheimischen Rindes kommt fast täglich auf den Tisch. Der Winter bringt dann noch Renntier- und Elchbraten, Polarhasen, Schneegänse usw., so daß in der Fleischnahrung stets gewechselt werden kann. Bei feierlichen Anlässen gibt es Dörrgemüse, getrocknetes Obst und vielleicht auch konservierte Kartoffeln. Eier nimmt man während des Sommers aus den Nestern der Polarenten; Milch und Butter liefern die in der Umgebung der Ansiedlungen auf ihren Gehöften Viehzucht treibenden Jakuten. Was sonst an Kaffee, Kakao, Reis und anderen Kolonialwaren gebraucht wird, läßt man sich durch die Dienstboten beim Kaufmann holen, der, nebenbei gesagt, auch recht langfristigen Kredit gibt und durchaus nicht auf bares Geld erpicht ist. Er nimmt eben so gern blaue Eichhörnchenfelle, Fuchsbälge und Hermeline in Zahlung, die nach dem jeweiligen Kurs verrechnet werden.

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Jakutische Köchin beim Einholen von Vorräten

Ja, da denke ich an die wunderbaren Pelzgarnituren, die unsere nordsibirischen Damen in Besitz haben, und die den Neid so mancher europäischen Aristokratin erwecken würden. Barette aus Zobelfell und eine lange Stola aus Hermelin sind durchaus keine Seltenheiten. Auch schwere Mäntel mit Eichhörnchen-Fütterung oder Jacken aus Eisfuchsfellen mit Besatz vom Vielfraß oder Silberfuchs erscheinen ihnen nicht als besonders kostbar. Es gab eine Zeit, und sie liegt nicht lang zurück, da verkaufte man dort oben das Hermelinfell mit 10 Pfennig. Heute muß man auch schon 3 Mark pro Stück bezahlen, während Eisfüchse auf 10 bis 12 Mark zu stehen kommen, und ein Zobelfell vom Anadyr gar die Ausgabe von 200 Mark erfordert. –

Stark religiös veranlagt, ist den Frauen der sonntägliche Kirchgang ein Bedürfnis, und die Kirche übt auch im Familienleben ihren Einfluß aus. Der Geist der Nächstenliebe und der christlichen Erziehung macht sich in allen Familiengemeinschaften bemerkbar. Mit zärtlichster Liebe hegen und pflegen die Mütter ihre Kinder; sie widmen ihnen einen großen Teil ihrer freien Zeit und bleiben während der ersten Schuljahre auch ihre pädagogischen Erzieher. –

Während der langen Polarnacht unterbrechen nur ein oder zwei Wintervergnügen das düstere Grau der großen Einsamkeit.

Wenn die Häuschen fast bis zum Dachfirst in Schnee gebettet liegen, und man tagelang auf der Straße auch nicht das leiseste Geräusch vernimmt, rüstet man zum Maskenball oder, richtiger gesagt, zum Kostümfest. Dann feilscht man bei den Kaufleuten um die buntesten Stoffe, bis spät in die Nacht hinein rattern die Nähmaschinen, und Kosaken werden zu Pferde in die Einöde geschickt, um vornehme Jakuten und ihre Familien ebenfalls zum Feste zu laden. Als ich in Sredne Kolymsk weilte, hatte man »einen Tag aus dem Leben der Kleinrussen« als Vorwurf gewählt. Das Ballokal befand sich in einem leerstehenden Vorratshause; es war weder erleuchtet, noch war es erwärmt. Jeder Gast brachte selbst eine Laterne oder eine Kerze mit, und für genügende Durchwärmung sorgten der Tanz sowie die reichlich vorhandenen Spirituosen. Die die Pausen ausfüllende Musik wurde von einem alten Grammophon gestellt, während der Herr Lehrer sowie die Geistlichkeit zum Tanz aufspielten. Da aber nur eine Fiedel zur Verfügung stand, lösten sich die Herren gegenseitig ab. Auch humoristische Einlagen waren vorgesehen. Der Herr Polizeichef und sein Vertreter amüsierten die Damen durch allerlei lustige Clownsprünge. Da sich das Fest aber nicht nur auf die »Aristokratie« beschränkte, sondern auch Kosaken mit ihren Familien sowie eine große Anzahl Eingeborene zugegen waren, schwebte über allem eine ausgesprochene tranige Atmosphäre, die sich aus den glatt gescheitelten Haaren der Kosakenmädchen sowie aus den Fellkleidern der Jakutenfrauen auslöste und alles mit einem widerlichen Fischgeruch durchsetzte. Als die Hundeschlitten am Vorratshause vorfuhren, um die auswärtigen Gäste über die Tundra wieder in ihre weit verstreut liegenden Jurten zurückzubringen, war es längst heller Tag geworden. Trotz der beschränkten Mittel, die den Veranstaltern zu Gebote standen, war das Fest ein wohlgelungenes.

Die Eingeborenen sind es, die dem ganzen Leben in Nordsibirien das charakteristische Gepräge geben. Die Jakuten, die wir im ganzen Gouvernement Jakutsk als Viehzüchter, Jäger und Fischer finden, zählen allein gegen 250 000 Seelen, und es dürfte nicht zu hoch veranschlagt sein, daß etwa 10 000 Frauen und Mädchen in diese Zahl einbegriffen sind. Nach meinen Erfahrungen halte ich die Jakuten für die treuesten Vasallen der russischen Krone. Auch in ihrem Leben spielen die Frauen eine ganz hervorragende Rolle. Ein Weib von solidem Charakter und scharfem Verstand ist das Haupt ihres Mannes. Er übergibt ihr die ganze Herrschaft über sein Haus und Vieh, seine übrige Habe und seine Knechte. Ihr Mann besorgt die Arbeit außer dem Hause; er leitet die Heuernte, sammelt Holz für den langen Polarwinter und widmet sich der Pferdezucht, der Jagd oder dem Handel mit den in der Wildnis ansässigen Eingeborenen. Das Verhältnis der Ehegatten sowie der übrigen Familienmitglieder untereinander ist das denkbar herzlichste, da die Frau ihre Autorität wirklich nur im guten Sinne gebraucht. Dem Vater, der Mutter und den bejahrten Verwandten des Mannes bringt sie ihre höchste Verehrung entgegen, so läßt sie nicht ihren Kopf unbedeckt und ihre Füße bloß sehen. Auch wird sie niemals auf der rechten Seite beim Kaminfeuer vorübergehen; hier schlafen nämlich die Schwiegereltern der Frau.

Interessant ist bei den Jakuten die Brautwerbung. Beabsichtigt einer unter ihnen zu heiraten, so wählt er sich ein Mädchen in der Gemeinde eines andern Stammes aus. Aus seiner eigenen Gemeinde eine Frau zu nehmen, hat er nicht das Recht, ausgenommen, wenn der Vater des Mädchens ein Jakute aus einem andern Stamme ist, der sich dieser Gemeinde angeschlossen hat.

Sobald der junge Mann das Mädchen gewählt hat, schickt er einen Brautwerber ab. Diesem bestimmt der Vater des Mädchens den Kaufpreis, der nach dem Verhältnis seines Reichtums 5 bis über 70 Stück Vieh beträgt, hierauf gibt der zukünftige Schwiegervater Auskunft über die Aussteuer an Kleidern, Schmucksachen und Vieh, die er seiner Tochter mitzugeben gedenkt. Ist der Brautwerber zurückgekehrt und hat der Bräutigam sich mit den gestellten Bedingungen einverstanden erklärt, so versieht er sich mit einem Geschenk von Branntwein und fährt unter Begleitung seiner nächsten Verwandten in das Haus des erwählten Mädchens, indem er ein Drittel oder ein Viertel von dem bestimmten Kaufpreis mit sich führt. Hier tritt er von demselben Abend, an dem er angekommen ist, in die Rechte des Mannes. Nun kommt und geht er, bis der Kaufpreis voll erlegt ist und er das Mädchen in sein eigenes Haus führt. Die Besuche, die der Bräutigam der Braut macht, ziehen sich bisweilen ein, zwei, ja sogar drei Jahre hin. –

Die Nahrung der Jakuten besteht aus Pferdefleisch, Rindfleisch und Fischen. Sie wird in großen Kesseln zubereitet, und zwar ohne alle weiteren Zutaten. Selbst Salz ist in vielen Haushaltungen ein unbekannter Artikel. Ihre Küchengerätschaften sind Kessel und Eisen und Kupfer, Töpfe und Schalen aus Ton, Löffel aus Holz und Horn, Geschirre aus Birkenrinde, Schläuche aus Ochsenhaut, in welch letzteren sie ihren Vorrat an Kumys aufbewahren, während der langen Winterabende sitzen die Frauen und Mädchen beim Kamin, nähen ihre Pelzkleider, fertigen aus Ochsenhäuten allerlei Gefäße an und erzählen sich dabei Sagen aus ihrer eigenen Stammesgeschichte.

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Welche Liebe jakutische Ehegatten zueinander hegen, beweist mir ein Vorkommnis in Kolymskaja. Im Stationshause fand ich bei meiner Ankunft die gräßlich zugerichtete Leiche einer wohl dreißigjährigen Frau. Neben dem vollständig zerrissenen Körper saß, trostlos ins Leere blickend, der Lebensgefährte. Ein armer Jakute, der auf der Kolyma Fischfang betrieb und so mit den Seinen ein an Mühen reiches, aber an Freuden armes Dasein fristete. Auch sein Sohn lag draußen im Schnee mit für immer geschlossenen Augen. Ein Bär hatte beide beim Holzsammeln überrascht, als sie in die Nähe seines Winterquartiers gekommen waren. Mit furchtbaren Tatzenschlägen streckte er zuerst den Sohn nieder und ging dann zum Angriff auf die vollkommen wehrlose Frau über. Nun sollte ich helfen; aber konnte ich dem Tod ins Handwerk pfuschen? Langsam kroch der rote Schein des Kaminfeuers zum Antlitz der Toten; die Augen schienen noch einmal aufzuleuchten. Da hörte ich hinter mir einen schweren, dumpfen Fall. Der Tod hatte sein drittes Opfer gefordert. Unfähig, sich über seinen Verlust und seinen Schmerz hinwegzusetzen, hatte der unglückliche Jakute selbst alles Erdenjoch von sich abgeschüttelt und war seinen Lieben in die Ewigkeit gefolgt. In der erstarrenden Hand blinkte sein kurzes Messer; der Bruchteil einer Sekunde hatte genügt, um den Kreislauf seines Blutes zum Stillstand zu bringen. –


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