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Einer der interessantesten, aber auch zugleich einer der schwierigsten Berufe ist der des Ethnographen Ethnographie = Völkerbeschreibung.. Sein Arbeitsfeld erstreckt sich oft über unendliche Gebiete und doch bleibt zumeist das Ergebnis all seines Schaffens nur »Kleinarbeit«, aufgestapelt in den verschiedenen Museen für Völkerkunde. Gleich seinem engeren Kollegen, dem Geographen, verschwindet er oft für Jahre aus der Zivilisation, um in irgendeinem entlegenen Erdenwinkel unter denkbar ungünstigsten Verhältnissen und unter Preisgabe seiner persönlichen Sicherheit Beiträge zur Geschichte der Menschheit zu sammeln. Und wenn er, vom Glück begünstigt, heimkehrt, dann eilt ihm nicht die Kunde von großen Landentdeckungen voraus, die geeignet ist, ihn schnell zum berühmten und begüterten Manne zu machen. Seine ganze Gefolgschaft bilden verstaubte Kisten und zerschundene Ballen, deren Inhalt uns später das Leben fremder Völker vor Augen führen soll. Es kommen dann wohl jeden Tag Wissensdurstige, die in zwei, höchstens drei Stunden alle Schätze solch eines ethnographischen Museums bewundern wollen. Sie eilen aber meist ohne Methode durch die Räume, und würden wir sie beim Verlassen dieser Stätte der Wissenschaft fragen, was sie nun eigentlich gesehen und gewonnen haben, wir würden wohl recht konfuse Antworten kommen. Sicherlich aber hat keiner von den Besuchern an die Persönlichkeiten gedacht, welche all diese Schätze in mühsamer Lebensarbeit zusammenbrachten.
Als Ethnographen eignen sich deshalb auch nur Leute, die nicht nach dem Beifall der Menge haschen und die auch bereit sind, dem ihnen innewohnenden Idealismus gegebenenfalls ihr Lebensglück zu opfern. Der Ethnograph muß »Hans Dampf in allen Gassen« sein. Seine Stellung als Wissenschaftler darf ihn auch nicht verhindern, da, wo es notwendig wird, Stellungen anzunehmen, die an sich durchaus nichts mit der Wissenschaft zu tun haben, die für ihn lediglich Mittel zum Zweck bleiben. Denn er ist schließlich ein Eroberer, und als solcher darf er nicht wählerisch in seinen Mitteln sein. Auch sein Geldbeutel, selbst wenn er noch so gut gefüllt wäre, würde ihn nicht immer in den Stand setzen, weiterzukommen; denn jenseits der Zivilisation hören alle Lebensbedingungen, die für uns Kulturmenschen gegeben sind, auf. An ihre Stelle tritt die Selbsthilfe. Jeder Ethnograph hat sich also, wenn er erfolgreich sein will, den Standpunkt der »Wilden«, oder sagen wir besser, die Anschauungen der Urmenschen, mit denen er in Fühlung tritt, zu eigen zu machen. Er muß auch als Eroberer ihr Freund werden, indem er sich so schnell als möglich akklimatisiert. Keinesfalls darf er die Verhältnisse, die für das Leben der ihm sonst fremden Umgebung maßgebend sind, vom Standpunkte des Kulturmenschen beurteilen.
Mich persönlich hat diese Erkenntnis ungefährdet 12 500 Kilometer durch Sibirien geführt. Fast ohne Waffen durchstreifte ich dabei die entlegensten Gebiete von Nordost-Sibirien.
Von St. Petersburg zu Fuß durch West-Sibirien bis zum Baikalsee. Die Lena hinunter als Flößerknecht. Von Jakutsk bis Werchojansk, dem asiatischen Kältepol, als Polizeibegleiter. Dann zu den Ufern der Kolyma als Postillon, und schließlich sechs Monate Knecht bei den heidnischen Nomaden im Tschuktschenlande. Das sind so die einzelnen Stufen meiner letzten denkwürdigen Fahrt, während welcher ich Meile um Meile bewältigte, und allgemach ein anderer wurde.
Ich schüttelte alles von mir ab, was noch an den Ich-Menschen erinnerte, und fand mich schließlich wieder als Mitglied einer Gemeinde von Kommunisten Kommunisten = Menschen, die in Gütergemeinschaft leben., die sich, fern von aller Zivilisation, im äußersten Nordosten Asiens durch die Härte der Existenz zur Erkennung des wahren Lebens durchgerungen haben.
Mit Pferden, Renntieren und Hunden bin ich im Schlitten durch die Einöde gezogen, die sich wie ein endloses weißes Leichentuch vor mir ausbreitete. Immer größer wurde die Entfernung, die mich von der Heimat trennte, immer kleiner die Häuschen, die mir auf meinem Wege Unterkunft gewährten, und immer schwächer der Atem des Lebens, der mir brausend bis zur Grenze der Kultur das Geleit gegeben hatte. Eisig zog der Wind über die Tundra, hielt mit mir Schritt und erzählte im Flüsterton von Not und Tod. Kein Weg, kein Steg. Zuletzt wurde es still. So still, daß ich meinte, den Schlag des eigenen Herzens vernehmen zu können.
Und was mir diese wunderbare Stille an Eindrücken vermittelte, davon will ich in diesem und in den nächstfolgenden Kapiteln einiges erzählen.