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Pak in der Großstadt

Zu der Zeit, als der Krebs zur Sehenswürdigkeit gemacht wurde, hatte Pak die Sache längst vergessen. Er hatte inzwischen Ärger mit Jägern gehabt. Einmal des Abends auf dem Zug und ein anderes Mal morgens am Fließ. Es war gottseidank aber beide Male gut abgegangen.

Doch wie so oft, nach Monaten der Stille, kommen mitunter Wochen, in denen ein Ereignis das andere jagt.

Es war wieder in der Morgenfrühe, doch lag kein Nebel über dem Wasser. Es blitzte und strahlte alles in wunderbarer Frische, und was da gründelte und schwamm, fühlte erhöhtes Leben.

Doch so ging es leider nicht nur den Enten, Wasserhühnern und Tauchern. Auch der Rohrweih fühlte sich voller Tatendrang. Er strich über die Rohrgelege hin, und wo er sich zeigte, da rauschte Wasser und Schilf von fliehenden Vögeln.

Dieser Räuber mit dem weitklafternden Schwingenpaar flog ganz systematisch den See ab. Er schwebte immer so über dem Rohrwald, daß ihn die Enten und Lietzen, die vor der Rohrwand auf dem freien Wasser schwammen, oft erst gewahr wurden, wenn es zu spät war. Pak hatte wohl acht auf den großen Schatten, der so plötzlich über einem sein konnte. Heute war er schon vorüber und nachdem der Erpel die Deckung wieder verlassen hatte, sah er, wie hundert Meter weiter der Raubvogel niederstieß. Doch konnte Pak nicht sehen, ob dem Weih etwas zur Beute gefallen war.

»Wieder mal überstanden, der Schreck in der Morgenstunde!«, dachte Pak. Fröhlich trieb er nun mit den anderen Breitschnäbeln sein Wesen, wobei er Gelegenheit fand, sich über die zänkischen Lietzen zu ärgern. Eben war so eine schwarze unverträgliche Person wie eine Furie aus dem Rohr gekommen und hatte Pak angegriffen. Immer ihren harten Ruf ausstoßend, täck – täck – täck, schlug sie auf den Erpel ein. Zwar war Pak kräftiger als das Bleßhuhn, aber durch den spitzen Schnabel sind die Lietzen den Enten überlegen. Deshalb läßt man auch in gut gehegten Entenrevieren die Lietzen nicht überhand nehmen. Schon viele brütende Stockenten sind von den zanksüchtigen Zappen, wie die Bleßhühner auch genannt werden, von ihren Eiern vertrieben worden, und im Herbst war ein Schof Jungenten weniger auf dem See. Pak biß nach Kräften zurück, aber sein stumpfer Schnabel war dem spitzen der Lietze nicht gewachsen. Er mußte dem unverschämten Wasserhuhn weichen und zog sich ins Rohr zurück.

Er war aber noch nicht hinter den Halmen verschwunden, als ein Schatten über die Rohrwand glitt.

Ein Sausen fuhr an dem Erpel vorüber und der braune Räuber, der Rohrweih, schlug der Lietze seine Dolche in den Rücken. Acht krumme Messer trafen sich im Leibe des Wasservogels, der nur einen kurzen Schrei ausstieß. Dann schlug der Weih schwer mit den Schwingen, bis die Luft ihn und sein Opfer emporhob. Er strich quer über den See, blockte drüben auf einem knorrigen Eichenüberhälter auf und kröpfte seinen Raub.

Pak aber saß der Schreck noch lange in den Knochen, denn dieses Mal war es wirklich nahe vorbeigegangen.

Der Rohrweih schlägt die Lietze

Dieser See, auf dem das Verhängnis den Erpel so leicht hätte erwischen können, lag nicht weit vor den Toren der großen Stadt. Auf seiner ziellosen Reise mit dem später berühmt gewordenen Krebs war Pak bis an die Stadtgrenze gekommen. Als er eines Abends eine größere Strecke geradeaus flog, da sah er unter sich in der Tiefe ein Geflimmer, wie er es bisher nur in manchen Nächten über sich gesehen hatte. Auch tönte ein Brausen zu ihm herauf, ein Gewirr von Stimmen, Tuten, Klingeln, ein ganzes Meer von Tönen.

Lange strich der Wilderpel über dieser brausenden, schimmernden Fremde hin und her, bis er endlich müde ward und sich scheu und ängstlich auf einem kleinen See inmitten von Bäumen niederließ. Hier glühten nur wenige der leuchtenden Augen aus dem Dunkel, und wie überrascht war Pak, Enten zu sehen. Sie saßen still auf dem dunklen glatten Wasser und nahmen kaum Notiz von dem eben Angekommenen. Pak war so müde, daß er bald den Kopf in das Rückengefieder steckte und einschlief. Am nächsten Morgen, es wurde gerade erst hell, da kam dicht an dem kleinen Teich ein Ungeheuer vorbeigebraust, das hatte mehrere Junge auf seinem Rücken. Das furchtbare Wesen stieß einen entschlichen heulenden Schrei aus, der an- und abschwoll, so daß Pak wie wahnsinnig vor Angst und Schrecken aufflog und gleich einem Pfeil davonschoß. Er konnte ja nicht wissen, daß es der Wagen des Überfallkommandos war, und daß die Jungen auf seinem Rücken die Beamten waren.

Pak beruhigte sich im Fliegen, doch alles, was er sah, war ihm ein fremdes Wunder. Ein Gewirr und Gewimmel von Menschen, wie er es nie erträumt hätte. Alle in Eile und Hast laufend, oder in und auf lärmenden Ungeheuern sitzend und stehend. Aber von Pak nahm niemand Notiz, das wurde ihm bald klar. Oft sah er Wasserläufe und kleine Teiche unter sich, die waren bevölkert mit Möwen, Stockenten und Schwänen, wobei das Tollste war, daß die Menschen ihnen Futter zuwarfen, und die Wildlinge ließen sich füttern, als wären sie Haustiere. In weitem Bogen schwamm Pak um sie herum, denn gerne hätte auch er Brocken von dem Brot ergattert, doch er traute sich nicht in die Nähe der Menschen, da er seine Erfahrungen hatte.

Überall, wohin Pak auch strich, waren Menschen, und nirgends sah er einen Wasservogel, der Scheu vor ihnen hatte. Das war eine neue Welt für ihn. Schon nach einer Woche hatte sich der Erpel an seine neue Umgebung gewöhnt. Betriebsam strich er nun immer hin und her, bald in diesen, bald in jenen Anlagen nach Futter suchend. Er lernte die Kanäle kennen, die glatte steinerne Ufer haben und von denen man erst glaubt, sie könnten eine Ente nicht ernähren. Doch es kommt soviel in ihnen entlanggeschwommen und wird soviel hineingeworfen, daß viele Enten, Schwäne und Möwen sehr gut leben können.

Mitten in der Riesenstadt war ein ausgedehnter Park. Hohe alte Bäume, Rasenflächen und stille Bäche und Kanäle, an denen oft Büsche mit großen Blüten standen. Eines Tages ließ sich Pak auf einem Teich mit zwei kleinen baumbestandenen Inselchen nieder, der rundum mit Büschen und Bäumen aller Art umgeben war. Kaum aber hatte er sich auf dem kleinen sympathischen Gewässer etwas umgesehen, da kam eine Ente auf ihn zugeschwommen, wie er sie noch nie gesehen hatte. Rostrot am ganzen Körper war sie, nur der Kopf war weiß. Emsig, mit tief gehaltenem Kopf kam sie angerudert. Ihr Tempo war so schnell, daß ein kleiner Wellenberg vor ihrer Brust stand.

»Wenn der Bursche es so eilig hat, zu mir zu kommen, warum fliegt er nicht?«, dachte der Wildenterich, der dem Fremden den Erpel ansah. Nun zog sich Pak schwimmend zurück, doch der andere schwamm schneller. Das letzte Stück brauste der Rote flügelschlagend aus ihn los und da er größer und stärker war als Pak, schlug er ihn in die Flucht. Im Ausfliegen sah Pak, daß auch der andere in die Luft wollte, aber es fehlte ihm auf der einen Seite ein gutes Stück des Flügels, so daß er in einer kleinen Kurve aufs Wasser zurückfiel. Dort schrie er laut und heiser, gar nicht wie eine vernünftige Ente, und um die Ecke der Insel bog sein Weibchen, das ähnlich gefärbt war wie der Gatte. Pak flog nur ein kleines Stück weiter zu einem anderen Teich. Da aber traute er seinen Augen kaum. Hier schwammen Enten herum in allen nur erdenklichen Farben und Formen. Da waren tiefschwarze mit weißen Seiten, die hatten einen Kopfputz wie ein Reiher und bernsteingelbe Augen. Andere hatten an den Flügeln merkwürdige Schmuckfedern, die standen hoch wie zwei kleine Segel, ihr Kopf hatte einen wundervollen Federschmuck und ihr Gefieder trug einen entzückenden Farbenreichtum. Es schwammen solche herum, die auf ihrem Schnabel einen riesigen Hornhöcker hatten, auch ihr Gefieder war herrlich. Es glänzte in metallischem Blau und war weiß und gelb abgesetzt. Pak saß still und staunte. Immer neue Entenarten sah er, alle schön und ganz eigenartig. Aber alle konnten, aus derselben Ursache wie der rote Erpel, nicht fliegen. Da plötzlich bog um einen Felsen herum ein Schwan. Er war im ganzen wie alle anderen Schwäne, aber sein Hals und sein Kopf waren schwarz. Pak wußte gar nicht, wohin er hier geraten war. Er stand auf und flog wieder ein Stück weiter, auf einen dritten Teich. Wenn Wildenten von solchen Dingen Begriffe hätten, dann würde Pak jetzt geglaubt haben, er wäre im Märchen. Kaum saß er auf diesem Teich, da sah er sich von Vögeln umgeben, na, mit einem Wort, ihm war, als träume er. Große schwere Tiere lagen auf dem Wasser. Sie hatten mächtige Schnäbel, so lang wie ihre langen Hälse. Kehlsäcke hatten sie, darin hätte Pak bequem Platz gehabt, und bizarre Hornauswüchse saßen oben auf den Schnäbeln. Neben diesen standen etliche im Wasser aus Beinen, unendlich lang und dünn, wie Röhricht. Der Hals dieser hell und zartrosa gefärbten Tiere wollte überhaupt nicht aufhören. Er war so lang, daß die Tiere eine Schleife daraus bilden konnten. Diese beiden Arten von Riesenvögeln kümmerten sich überhaupt nicht um Pak, den kleinen Erpel. Er saß recht verloren da, als sich ihm aber einer der Erstgenannten näherte, flog er doch lieber auf. Als er nun über der näheren Umgebung hin und her flog, sah er die erstaunlichsten Geschöpfe. Graue Berge, die keine Berge waren, sondern lebende Tiere. Ihre Nasen hingen bis auf die Erde hinab, ihre Beine waren so dick wie Bäume, und sie wedelten mit unwahrscheinlich großen Ohren. Doch es gab noch Schlimmere. Die waren höher als mancher Baum, waren bunt gefleckt, und Beine und Hals waren so lang, daß das ganze Tier beinahe bis zu Pak hinaufreichte, der schnell etwas höher stieg, als er vorüberflog. Er flog gerade über einen Platz, der von einem breiten und tiefen Graben umgeben war und auf dem sonderbare gelbe Wesen herumlagen und trotteten. Sie waren eigentlich Mautz, dem Kater, sehr ähnlich, nur viel größer. Einige hatten um Kopf und Schultern lange Haare hängen. Eines von ihnen reckte plötzlich den Kopf nach vorn und stieß ein mächtiges Brüllen aus. Es war ein so donnerähnliches Brüllen, daß Pak vor Schreck ein kleines Stück in der Luft fiel. Als er sich zusammenraffte und weiterflog, da fielen die anderen großen Katzen in das Gebrüll ein, und es war ein Grollen und Dröhnen – nicht zu sagen.

Pak bei den merkwürdigen Vögeln

Dies Konzert war noch nicht verklungen, da begann ein entsetzliches Heulen und gellendes, wahnwitziges Gelächter, so daß Pak durch die Lüfte schoß, wie vom Teufel gejagt. Er flog geradeaus – nur fort aus dieser total verrückten Gegend.

Pak überfliegt die großen Tiere mit den langen Nasen

Daß er ausgerechnet im Zoologischen Garten gelandet war, konnte ja niemand voraussehen. Es gibt eben Naturen, die auf jeden Fall ins Außergewöhnliche tappen, selbst wenn sie die Grenzen ihrer Heimat kaum überschreiten. Andere fuhrwerken um den Erdball und wissen nur davon zu berichten, was sie hier oder dort gegessen haben.

Aber es war ja so, daß die Entstehung dieses Erpels an sich schon einem glücklichen Zufall zu danken war. So blieb eben sein ganzes Leben wechselvoll und ungewöhnlich.

Der Abend kam, Pak flog. Unter ihm waren immer noch die hohen Häuser, sie flohen nach hinten weg. Die Lichter flammten auf und das Steinmeer unter dem dahinsausenden Vogel versank mehr und mehr im Dämmer. Immer weniger konnte Pak die Häuser und Plätze unterscheiden, immer farbiger blinkte und blitzte es zu ihm heraus, das bunte, schillernde, mit tausend Klängen tönende, mit wilder Leidenschaft lebende Riesentier – die Großstadt. Aber so stark ruht im Geschöpf der Natur der eigene Rhythmus, so fest liegt die eigene Bahn, daß dieses große, brausende, strahlende Kaleidoskop den Wilderpel nicht irritieren konnte. Mit unermüdlichen schnellen Schwingenschlägen zog das Geschöpf der Wiesen und Seen seiner Welt zu, denn eine mächtige Sehnsucht nach dem, was sein war, nach Schilf und Moor, Bach und See und allen dazugehörenden Genüssen und Gefahren hatte Pak erfaßt. In tiefer Dunkelheit fiel er auf einem dichtumwachsenen Torfstich ein, steckte den Kopf unter die Flügel und schlief ein.


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