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Der Verlust der Heimat

Die erfolgreiche Jagd auf das Rebhuhn bleibt unauslöschlich in des Katers Bewußtsein. Er lichtet den Mäusebestand, erwirbt Verdienst in den Augen seines Herrn und sitzt im übrigen auf der Ofenbank und spinnt. Phlegmatisch und lässig erhöht er die Behaglichkeit der Küche.

Dämmerung erfüllt den Raum. Die Lampe brennt noch nicht, nur beweglicher roter Schein spielt aus dem Herdloch. Der Rauchfang gähnt schwarz und viereckig, Würste, Speckseiten und Schinken hängen da oben. Ein Holzscheit knistert und knallt in der Glut – der Kater schnurrt. Sein Schatten, riesengroß und grotesk, bewegt sich an der Wand, wenn das Feuer auflodert. So kann er stundenlang sitzen. Erinnerungen, Empfindungen oder Ahnungen weben in ihm. Zwar er selbst hat noch nicht viel erlebt, an das er sich erinnern könnte, doch die Erlebnisse und Erfahrungen von Generationen seiner Vorfahren, Erfahrungen, die längst feste Form angenommen haben und die seelische Zusammensetzung und einen Teil der triebhaften Fähigkeiten der Nachkommen ausmachen – all dies bewegt sich dunkel in dem Geschöpf, das da scheinbar unbewegt auf der Ofenbank sitzt. So schweift der Kater in den weiten Feldern des Unterbewußtseins. Doch da wispert etwas in entfernter Ecke der Küche. Sofort ist die Aufmerksamkeit des außerordentlich feinen Katzenohres erregt, die Augen weiten sich, und lautlos steht Mautz hellwach auf den Läufen! Unhörbar gleitet er in jene Ecke, die in völliger Dunkelheit liegt. Dort steht er regungslos, nur die äußerste Schwanzspitze zuckt kaum merklich. Da – plötzlich huscht vor ihm etwas Graues. Ein Prankenschlag! – – so blitzschnell, daß sein Kommen nicht zu beobachten wäre. Ein dünner Schrei – und die Maus taumelt im Halbkreis dem rettenden Loch zu, doch ein neuer, leichterer Schlag wirft sie zurück. Und wieder will sich das von Schmerz und Schrecken halb gelähmte Tier in Sicherheit bringen; vergeblich! Überall sind die unerbittlichen Krallen. Der Kater wirft sein immer noch lebendes Opfer wie einen kleinen Ball hin und her und spielt mit ihm, ausgelassen und graziös, wie ein junges Kätzchen, ehe er endlich der Quälerei ein Ende macht.

Als der Herbst zu Ende ging, nahm der Bauer den Kater eines Tages in den Arm, streichelte ihn – – und dann – – ehe Mautz es sich versah – – wurde er in einen Sack gesteckt. Da half alles Sträuben und Kämpfen nichts. Er sah auch bald ein, daß hier Gewalt ganz zwecklos sei und verhielt sich ruhig. Dann wurde er auf einen Wagen geworfen, und stundenlang rumpelte und stuckerte es mit ihm dahin. Schließlich klang es so, als bewegten sich Wagen und Pferd auf Holz, und dann standen sie still. Mautz konnte nicht ahnen, daß er jetzt auf einer Fähre über einen großen, breiten Fluß fuhr. Und dann ging es wieder noch einmal zwei Stunden mit dem Wagen weiter. Aber endlich wurde der Sack mit dem verängstigten Tier vom Wagen genommen und geöffnet. Struppig und zerdrückt saß er auf einem fremden Hof. Die Sonne tat seinen Augen weh, und Menschen, die er nie gesehen hatte, umstanden ihn. Gedrückt schlich er unter einen Schuppen, sprang auf die Deichseln und Stangen, die unter dem Dach lagen und leckte und striegelte sich, denn wie er jetzt aussah, fühlte er sich etwa so, wie wir uns fühlen, wenn wir verstaubt und ermüdet von einer langen Reise kommen. Sein bisheriger Herr hatte den Kater seinem Bruder mitgegeben, der sich vor Ratten nicht retten konnte. Der neue Besitzer und die anderen Menschen auf dem Hof ließen Mautz in Frieden. Sie gedachten, ihn sich erst an die neue Umgebung gewöhnen zu lassen, bevor sie sich mit ihm abgaben. Doch als die Dunkelheit kam, hatte sich der Kater soweit erholt, daß er einen Entschluß fassen konnte. Er verschwand. Auf seinen alten Hof gehörte er – sonst nirgends hin! Und so nahm ihn die Dunkelheit auf. Die Nacht konnte ihm nicht den Richtungssinn schwächen, der ihn sicher geleitete auf seiner Reise nach Hause.

Mautz wird in den Sack gesteckt

Pak, die Wildente, konnte sich mit einem neuen Aufenthalt abfinden.

Mautz empfand die Trennung schwerer, denn eine Katze liebt den Ort ihrer Geburt mehr als ihren Herrn.

Auf weichen flinken Sohlen lief Mautz dahin. Die kühle herbstlich duftende Nacht war nur wenig von Sternen erhellt, denn große Wolken zogen am Himmel. Über Äcker, durch Wälder und über Eisenbahnschienen nahm der Kater seinen Weg. Nichts konnte ihn irre machen. Es war aber auch nichts da, was ihm als Anhalt hätte dienen können. Der Richtungssinn allein wies ihm den Weg zu dem Hof, auf dem er geboren war. Jetzt kam er an eine Blöße. Dürres Gras ließ den Kater verschwinden, nur Hals und Kopf ragten zur Hälfte heraus. So war Mautz kaum zehn Meter vom Kiefernwalde entfernt, als sich aus den dunklen Kronen ein Schatten löste.

Der Waldkauz kam mit weitklafternden Schwingen heran. Die im hohen Grase laufende Katze verkennend, hielt er sie für ein weit kleineres Tier. Unhörbar – wie eine große dunkle Flocke stieß der Kauz von hinten auf den Kater herab. Der fühlte in letzter Sekunde den Lufthauch und warf sich zur Seite. Doch einen bösen Riß an der Schulter hatte er weg. Er begriff, hier half keine Flucht, und wie eine Feder schnellte er empor. Der Kauz – jäh erschrocken über die Größe und Kraft seiner vermeintlichen Beute – hing einen Augenblick rüttelnd über dem Kater.

Der Waldkauz hängt über dem Kater

Seine glühenden Augen trafen zwei grün schillernde Lichter, die voll Wut und Wildheit waren. Da machte der Raubvogel kurz kehrt und strich dem Walde zu.

Mautz aber leckte sich seine Wunde und dachte mit Grimm an den Vogel, der, wie eine Katze, einen dicken, runden Kopf mit leuchtenden Augen hatte, und der so leise angriff, wie es ebenfalls nur eine Katze konnte. Nicht größer als Pak, der Erpel, war der Kerl, und doch so ganz anders. Ein leises Grollen drang aus der Brust des Katers, als er seinen Weg fortsetzte. Hunger plagte ihn und seine Läufe wurden müde, denn so lange Wege war er nicht gewöhnt. Schließlich sprang er an einer hohlen Weide hoch, und in dem alten, knorrigen Baum schlief er, bis die Sonne ihn weckte. Steif und geschwollen war seine vom Kauz verwundete Schulter, aber er mußte weiter. Als er an einer Kiefernschonung entlang zog, die von den Strahlen der Morgensonne erwärmt wurde, flitzten plötzlich zwei Karnickel in ihre Baue. Da wurde er ganz langsam und niedrig und pürschte bis zur nächsten Ecke der Schonung. Vorsichtig – Zentimeter um Zentimeter rückte er voran, er, den niemand pürschen gelehrt hatte. Und doch sprang wieder ein Kaninchen in die schützenden Kusseln, denn Mautz war mit dem Winde gekommen, und so hatte ihn der graue Flitzer gewittert. Als wolle er den Kater auslachen, so wippte die weiße Blume des flinken Nagers. Verärgert wandte sich der Kater dem Felde zu, wurde ehrbar und fing sich eine Maus. Bald darauf noch eine und zum Schluß noch eine junge – zum Nachtisch. Dann ging es weiter. Ruhe konnte er erst wieder finden, wenn er auf dem Schuppendach in der Sonne lag, auf dem einst seine Mutter gelegen hatte.

Durch nasse Wiesen, dürre Heiden und buschigen Unterwuchs zog der heimattreue kleine Kater. Aber als die Sonne im Mittag stand, sollte ein Hindernis kommen, das er nicht zu nehmen verstand. Der Fluß! – Der Fluß – über den er mit der Fähre gefahren war. Breit und reißend, war er für eine Katze nicht zu durchschwimmen. Stundenlang wanderte Mautz an dem schnell dahinreißenden Wasser entlang. Dann kam ein mächtiger Nebenarm, und der Kater kehrte um. Zurück den weiten Weg bis an die Stelle, wo er auf den Fluß gestoßen war, und nach längerer Ruhepause nach der andern Seite gewandert. Dann kam wieder eine Nacht, die Mautz in einem Heuschober verbrachte. Kaum graute der Morgen, so zog der Katzenodysseus weiter. Doch ein ausgedehnter Sumpf gebot ihm Halt.

Tagelang lungerte er am Fluß herum. Er magerte ab, denn nur selten fing er irgend ein kleines Tier, das geeignet war, den wütendsten Hunger zu bändigen. Endlich schlich Mautz sich, trotz größter Angst, auf eine Zille. Es dauerte auch nicht lange, und der Lastkahn fuhr ab. Er war wohl dreißig Meter vom Ufer entfernt, da stöberte ein kleiner schwarzer, schwanzloser Hund mit Stehohren den Kater aus seinem Versteck. Es war ein Schipperke, ein Hund der Rasse, die auf den Flußkähnen seit Jahrhunderten gezüchtet wird. Der jagte den verängstigten Mautz eine Weile hin und her, bis der Kater schließlich über Bord sprang. Er hielt den Kopf krampfhaft über das Wasser, die Augen standen ihm vor Angst heraus, und seine kleine Nase schnaufte verzweifelt. Mit Mühe erreichte Mautz das Ufer; – geschwächt wie es war, wäre das arme Katzentier beinahe ertrunken. – – –

So lag er denn und ruhte seine müden Glieder aus. Gerade wollte er anfangen, sich wohl zu fühlen, da biß ihn etwas schmerzhaft in die Sohle. Das brannte wie Feuer. Ärgerlich schüttelte der Kater die Pfote und zog weiter. »Nirgends Ruhe«, dachte er grimmig und verschwand in den Kusseln.

Aber auch die Waldameise, die den Leisetreter so unangenehm gebissen hatte, weil er sich – ausgerechnet – auf die Ameisenstraße gelegt hatte, packte das Stück Kiefernzweig, das sie hatte fallen lassen, und das doppelt so lang war, wie sie selbst. So winzig klein die Ameise gegenüber Mautz war, so beträchtlich war der Schmerz, den sie diesem Riesen, der sich über ihren Weg gelegt hatte, bereiten konnte. Und so kraftvoll und geschmeidig Mautz von der Natur geschaffen wurde, was war seine Kraft im Verhältnis zu seiner Größe gegenüber der Titanenstärke der Ameise im Verhältnis zu ihren Ausmaßen. Wie stark muß solch Insekt sein, wenn es Lasten, die das Eigengewicht um das Mehrfache übertreffen, über Riesenhindernisse hinweg, an Baumstämmen empor und durch die engen Gänge des Baues befördern kann.

Wenn Mautz dagegen ein Kaninchen, das etwa den dritten Teil von des Katers Gewicht wiegt, davonträgt, so kann er weder springen noch klettern. Er vermag nicht einmal schnell zu laufen. Die Ameise aber lief flott über die von Tannennadeln und kleinen Zweigen gebildeten Berge und Täler dahin. Häufiger kamen ihr andere Arbeitsameisen entgegen und als sie um den starken Fuß einer Kiefer bog, erhob sich der hohe Berg vor ihr, der die Wohnung ihres Stammes war. Am Eingang zum Bau wurde sie vom Wächter angehalten, auf ihre Stammeszugehörigkeit durch Betasten mit den Fühlern geprüft und dann durchgelassen. Der Gang, der ins Innere des Ameisenhaufens führte, nahm sie auf. In völliger Dunkelheit fand sie, geführt durch ihren wunderbaren Tastsinn, den Weg. Andere Ameisen, die hinaus zur Arbeit zogen, kamen ihr entgegen, wichen ihr, da sie zu tragen hatte, höflich aus, und als sich jetzt ihre Last in dem enger werdenden Gang festklemmte, griffen sofort zwei Kameraden zu, und schnell war der Aufenthalt beseitigt. Dann war sie am Ziel. An der schadhaften Stelle setzte sie das Zweigstückchen ein und machte wieder kehrt – um neues Material zu holen.

Als die Ameise auf einem andern Wege dem Ausgang zustrebte, begegnete ihr ein riesenhafter, plumper Geselle, der wohl zwölfmal so groß war, wie sie selbst: der Rosenkäfer. Behaglich schlenderte er den Gang entlang. Er füllte den Weg beinahe aus, so daß die Ameise sich an die Seite drücken mußte, um den dicken Kerl durchzulassen. Der Käfer hatte sich, wie viele seiner Art, im Ameisenhügel aus dem Ei, über die Larve und die Puppe, zum Käfer entwickelt; jetzt zog es ihn an die Luft, und er verließ den Bau. Das wurde ihm leichter als damals seiner Mutter das Hereinkommen. Das Rosenkäferweibchen hatte sich mit fest angezogenen Gliedern und Fühlern in die Nähe des Ameisenhaufens gelegt. Die Ameisen hatten versucht, eine Ritze in dem Chitinpanzer zu finden, um den Käfer töten zu können. Als das nicht gelang, schleppten sie ihn in ihren Bau, in der Hoffnung, daß er dort schließlich doch die geschlossene Schutzstellung aufgeben würde. Als das Rosenkäferweibchen nach etwa zwei Tagen den Ameisengeruch angenommen hatte, wurde es von den Bewohnern des Baues nicht mehr beachtet, erhob sich, legte seine Eier ab und verließ den Ameisenhügel. Die aus den Eiern ausschlüpfenden Larven nährten sich von den Baustoffen des Hügels, bis sie sich verpuppten. Dies war auch der Entwicklungsgang des Rosenkäfers, der jetzt die Stätte seiner ersten Jugend verließ.

Der Rosenkäfer verläßt den Ameisenbau

Die Ameise drückte sich also an dem Rosenkäfer vorbei und strebte dem Ausgang zu. Eben war sie zwischen zwei hohen Moosbergen durch ein tiefes Tal gelaufen, als sie auf sechs bis acht Stammesgenossen stieß, die im Kampf mit einer Raupe lagen. Sofort stürzte auch sie sich in das Abenteuer. Sie wollte mit den Greifzangen zupacken, aber die pralle Haut der sich bäumenden Raupe entglitt ihr, sie bekam einen Schlag, der sie durch die Luft fliegen ließ, dann schlug sie gegen einen Baum, daß ihr für kurze Zeit die Sinne schwanden. Sie erholte sich schnell, griff wieder an, und diesmal hielt sie fest. Schon hatten einige Ameisen die Haut der riesenhaften Gegnerin durchbissen, sie wühlten und rissen im Leib ihres Opfers, dessen Bewegungen matter wurden. Jetzt war auch die hinzugekommene Arbeitsameise bis zu den lebenswichtigsten Organen der Raupe vorgedrungen, als das gequälte Geschöpf zur letzten Abwehr ausholte. Der ganze Leib schlug und wand sich mit mächtiger Kraft, in Sand und Staub wurden die Ameisen, die nicht losließen, hin und her geschleudert, in schnellen, ruckartigen Bewegungen krümmte sich die Raupe, so daß sich Kopf und Schwanzende trafen. Plötzlich ließen die Anstrengungen des zukünftigen Schmetterlings, der nie einer werden sollte, nach, und die Raupe starb. Langsam – aber mit stetiger Kraft, in vernunftvoller Zusammenarbeit schleppten die Sieger ihre Beute zum Bau.

Die Arbeitsameise setzte ihren Weg fort, um noch mehr Baumaterial zu holen. Bald hatte sie ein geeignetes Stück gefunden und wieder ging es unermüdlich zurück zum Bau. Unter der dicken Kiefernkussel durch, an den beiden vorjährigen Kienäpfeln vorbei und nun über die große freie Sandfläche. Der Kampf mit der Raupe und die rastlose Arbeit an dem heißen Tage hatten die Ameise geschwächt. Die Kraft reichte noch zum Laufen und Tragen, doch die Aufmerksamkeit für die Umgebung, für die jedem Geschöpf der freien Natur immer Gefahren bergende Umwelt, diese ständige Wachsamkeit hatte nachgelassen.

Als die Ameise schon beinahe die Sandfläche hinter sich hatte, rutschte auf einmal der Boden unter ihr weg, sie glitt in einen Trichter, mußte ihre Last fallen lassen und war mit großer Anstrengung beinahe wieder oben, als von unten, aus dem Mittelpunkt des Trichters, mit voller Kraft Sand nach ihr geschleudert wurde. Die tapfere Ameise rutschte wieder herunter. In solcher Situation wäre Mautz im Vorteil gewesen, denn wenn er auch nicht die stählerne Kraft der Ameise hatte, so besaß er doch zwei famose Sprunggelenke an den Hinterläufen, und die hätten ihn wohl über eine rutschende Sandfläche hinweggetragen. Die Ameise arbeitete sich noch einmal mit letzter verzweifelter Anstrengung nach oben! Aber wieder flog Sand, und als sie aufs neue in den Trichter hinabrutschte, da erfaßten sie mächtige Zangen und preßten ihr Leib und Hinterbeine zusammen.

In Schmerz und Entsetzen gruben die Vorderbeine im Sand, aber schon verschwand die Ameise langsam immer mehr. Der Ameisenlöwe zog sie zu sich hinab, und bald lag der Trichter wieder untadelig und ohne jedes Anzeichen eines vorangegangenen Kampfes da.


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