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Ein Duell unter der Erde

In der Zeitung wurden Mautzens Taten zwar nicht beschrieben, ebensowenig erschien sein Bild, aber aufregende Erlebnisse hatte auch er inzwischen zur Genüge gehabt. Ein kleiner Hügel, umgeben von Mischwald, liegt in der Morgensonne. Unter der Wurzel einer starken Buche gähnt ein Loch. Davor leuchtet weißer Sand, in dem kleine, hübsche, runde Fährten stehen, die noch frisch sind. In dem smaragdenen, sonnendurchleuchteten Buchenlaub singt der Pirol. Aus Gold und Ebenholz scheint er gemacht, und sein voller süßer Flötenton macht einen Sommertag erst schön. Doch plötzlich verstummt er und äugt hinab. Auf dem hellen Sand sitzt Mautz. Seine grünen Seher starren hinauf zum Sänger, seine Lunte zuckt. Aber der Buttervogel fliegt davon, und ehe er im Grün verschwindet, blitzt er noch einmal auf und erinnert so an seinen schönsten Namen, die Goldamsel. Mautz hebt das Hinterteil, streckt und reckt Vorderläufe und Krallen, reißt den Rachen mit den seinen spitzen Zähnen auf und gähnt. Dann stellt er sich vorne hoch, hebt den Kopf und dehnt und streckt die Hinterläufe, wobei die Lunte sich ringelt.

Da unten, in der Dunkelheit des Baues, hat er gar nicht gewußt, wie warm und wohltuend die Sonne scheint. Er streckt sich in den Sand und läßt sich braten. Herrlich rieselt die Wärme durch alle seine Muskeln, er schließt die Augen halb und scheint völlig der Wonne des sommerlichen Dösens hingegeben zu sein. Nur seine kleinen Ohren behalten die gewohnte Straffheit als zwei kleine Wächter, die ständig auf dem Posten bleiben müssen. Ein Schwalbenschwanz gaukelt in seiner hellen Schönheit um den Kater herum, ehe er sich auf dem warmen Pardelbalg niederläßt. Die kostbaren Flügel sind weit auseinandergefaltet, heben und senken sich, wie atmend und zeigen auf hellgoldenem Grunde die feine dunkle Zeichnung und die lila Flecken. Der Kater rührt sich nicht. Als er ein täppisch drolliges Kätzchen war, da haschte er nach jedem beschwingten Insekt, heute nicht mehr. Nachdem der Falter eine Weile ein Sonnenbad genommen hat, schwebt er wieder empor, ohne daß es ihm bewußt geworden wäre, worauf er sich ausgeruht hatte.

Jetzt erhebt auch Mautz sich. Nicht weit vom Sandhügel steht ein knorriger Holunderstamm. Seine Blüten brechen gerade auf und die Bienen beginnen, ihn zu besuchen. Der Kater stellt sich an diesem Stamm hoch, schiebt die Krallen aus seinen weichen Pfoten und zieht sie durch die korkartige Rinde. Wieder und wieder reißt Mautz an dem Stamm, bis der Saft herausquillt. Dann schiebt er Kopf, Hals und Rücken an dem blutenden Holunder entlang, schnurrt und knurrt wollüstig, wirft sich auf die Erde, sielt und wälzt sich herum, und nichts ist übrig von der Gehaltenheit und Würde, die den Kater sonst kennzeichnet. Aber schon steht er wieder auf den Hinterpfoten und zerfetzt aufs Neue den Holunderbaum, um sich abermals an dem quellenden Saft zu berauschen.

Mautz reibt sich am Holunderstamm

Schließlich ist er ganz von Sinnen, knurrt und mautzt, peitscht mit der Lunte und verfällt in einen wahren Sinnentaumel. Endlich kommt er zu sich. Er leckt und striegelt sich und ist nach einiger Zeit wieder Kavalier. Wer sähe dem vornehmen Elegant an, daß er noch vor kurzem jedes Maß verloren hatte?

Und Mautz vertauscht die strahlende Sonne mit der kühlen Erde. Er verschwindet im Bau. Der Hügel liegt wieder ruhig zwischen den Bäumen aller Art, und dort, wo Mautz eben stand, zeichnet sich nur noch der feine Abdruck seiner kleinen wohlgeformten Sohlen im Sande ab. Plötzlich dringt wildes Gekreisch aus der Erde. Gellend und doch gedämpft erheben sich Stimmen im Kampf, und es hat den Anschein, als bewege sich das Duell unter der Erde hin und her.

Es wird immer lauter da unten. Eine vor Wut und Angst keckernde Stimme scheint dicht am Ausgang zu ertönen. Sie ist begleitet von einem gräßlichen Fauchen, das mit tiefem, bösem Grollen abwechselt. Auf einmal schießt ein braunes geschmeidiges Tier aus der Röhre, dem gleich darauf der Kater in einem Höllentempo folgt. Und der Iltis, der den Bau revidieren zu müssen glaubte, rennt um sein Leben. Schon hat er eine Brombeerhecke erreicht und windet sich tief in das Dornenverhau hinein. Nur um eines Gedankens Schnelle später ist Mautz da, aber eben doch zu spät. In dies Gewirr von stachligen Ranken kann er dem Stänker nicht folgen. Er umkreist eine Weile die Dornenburg, dann gibt er es auf. Tagelang wird der Kater an den Eindringling erinnert, denn der Bau behält dessen Witterung noch eine ganze Weile.

Nach diesem Intermezzo hat Mautz eine lange Zeit Ruhe. Jeder Tag beschert ihm andere vortreffliche Nahrung. Heute eine pricke junge Wildtaube, die aus dem Nest fiel, morgen ein unkluges Hasenkind und den nächsten Tag zwei Junge aus einer Rebhühnerkette. Die Sache mit dem Junghasen war übrigens nicht so ganz einfach. Er hatte den kleinen Kerl gerade erwischt und den Lautklagenden abgetan, als hinter ihm etwas sehr schnell herangefegt kam. Das war die Hasenmama. Ohne jede Einleitung sprang sie dem Kater an den Kopf. Und wie! – Sie schlug und trommelte mit den Vorder-, besonders aber mit den Hinterläufen ganz rabiat und sehr schmerzhaft, so daß Mautz einfach nicht dazu kam, seine Talente zu entfalten, sondern Reißaus nahm.

Aber so schnell er auch lief, die Häsin lief schneller. Er mußte sich schließlich auf einen Baum retten. Die unglückliche kleine Hasenmutter war er nun los, aber drei Eichelhäher bekamen ihn spitz und hetzten ihm alles, was einen Schnabel hatte, auf den Balg. Als zu guter Letzt auch noch einige Krähen auf den Kater stießen und ihn verschiedentlich sehr unangenehm hackten, wurde die Situation ungemütlich.

Glücklicherweise kam der Abend bald, und die Plagegeister ruderten krähend zu ihren Schlafbäumen. Mautz wartete noch ein Weilchen, dann begann er den Abstieg und begab sich zu Tisch, denn er hatte sein Häschen trotz des Ärgers nicht vergessen.

Mautz nahm an Kraft und List zu. Seine Wohnung war glücklich gewählt, und in diesem Sommer gelang ihm eigentlich alles. Im Herbst wurde es noch besser, denn es gab eine Unmenge Jungwild. Muskulös und mit glänzendem Balg ging der Kater in den Winter. Jetzt wurde die Ernährungsfrage naturgemäß schwieriger, doch Mautz hatte ja schon einmal einen Winter unabhängig von den Menschen durchgehalten. Inzwischen hatte er viel gelernt.

Es war eine Mondnacht. Der Schnee warf das Licht verstärkt zurück, und man konnte ein paar hundert Meter weit sehen. Mautz war, wie wohl jeder Jäger in solcher Nacht, unterwegs. Aber vorsichtig hielt er sich im Schatten der Kiefern. Wenn er aber mal über eine freie Fläche mußte, dann huschte er geduckt hinüber und war froh, wenn ihn der Schatten wieder unsichtbar machte. Als er auf einem kleinen Hügel stand, sah er unter sich ein Haus.

Still lag es inmitten einer Gruppe von Bäumen, deren kahle Äste, ein reiches Ornament, auf dem winterlich hellen Nachthimmel standen. Mautz stand still, er sicherte, Witterungen mancherlei Art stiegen zu ihm herauf. Er machte einen Bogen bis zu einer Erlenreihe. An ihnen entlang pirschte er sich bis zu dem einsamen Gehöft. Das Schnauben eines Pferdes klang aus dem Stall, eine Kuh antwortete mit verschlafenem Muhen; Nase, Auge und Gehör des Katers arbeiteten angestrengt. Vor allem, wo war der Hund? Doch der Besitzer des Hauses, der kein anderer als der Förster war, hatte seinen Hasso wegen der Kälte mit in die Stube genommen. Jetzt sprang Mautz über den Zaun. Ganz links klang aus dem Stallgebäude ein leises Gackern. Ein kleines Fenster, dessen eine Scheibe zerbrochen und mit Stroh verstopft war, bot die einzige Möglichkeit.

Mautz riß und zerrte, und bald war das Stroh herausgerissen. Eins – zwei – drei – war der Kater im Hühnerstall. Im entsetzten Geschrei und Geflatter raste Mautz hin und her, schlug dem prächtigen Italienerhahn die Krallen in den Hals, würgte eine dicke weiße Henne und war schon wieder hinter einem anderen Eierleger her, um auch diesen abzuschlachten. So sauste er im Stalle auf und nieder und schwelgte im Mord. Nur die Hühner, die sich still unter die Kotbleche drückten, blieben verschont. Schließlich packte der Räuber eine der gerissenen Hennen und Legekisten und Sitzstangen zu Hilfe nehmend, erreichte er, seine Last schleppend, mit großer Anstrengung die Fensterlücke. Doch da erdröhnte der Hof vom Bellen eines großen Hundes. Eine Männerstimme rief. Und dann wurde die Tür aufgerissen.

Da mußte Mautz blutenden Herzens seinen Raub fallen lassen, und schnell war er durch das Fenster verschwunden. Der Jagdhund raste noch ein paarmal im Stalle herum, so daß die Überlebenden dachten, sie hätten nun doch noch ihr letztes Korn im Leibe; dann stürzte er aus der Tür, nicht ohne die Försterin umzureißen, die auch gerade herzugeeilt war, um sich ins Getümmel zu stürzen. Eine besonders feine Nase besaß dies Hündchen nicht, weshalb er weitere Zeit verlor, ehe er die Fährte des Katers fand.

Mautz aber hatte die erste Erle erklommen, war von der auf die nächste, und von dieser wieder auf eine andere gesprungen und so weiter, bis an den Wald. Der Hund aber raste immer noch um die erste Erle herum, denn hier hörte die Katzenfährte auf.

Die Försterleute haderten indes miteinander. Er meinte, es wäre eine Liederlichkeit, daß die Scheibe nicht längst in Ordnung sei, und sie war der Ansicht, es wäre seine Sache gewesen; und sie hätte sich das Schienbein aufgeschlagen bloß wegen dieses blöden Hundes, der sowieso nichts taugte. Na, nu war's ja richtig! Denn auf seinen Hund ließ der Förster nichts kommen. So ging das hin und her, bis sich die Ehegatten in gemeinsamer Klage um die Hühner einigten.

Mautz aber trottete heimwärts. Zuerst empfand er ein Gefühl der Erleichterung, wieder einmal entronnen zu sein; dann aber wurde er mißmutig. Soviel Beute zu machen und doch hungrig zu sein! Tuff-tuff machten die kleinen Sohlen des Katers, wie er so durch die helle Winternacht zog. Ein weiter Weg lag vor ihm. Sein seelisches Gleichgewicht war gestört, er hatte nun kein Zutrauen mehr zu sich und wollte darum für heute nach Hause, in seinen Bau. Lange wanderte er. Endlich war er wieder im heimatlichen Revier und wollte gerade den Wald verlassen, um in einer Furche das Feld zu überqueren, als sich zwanzig Meter links von ihm ein schwarzes massiges Ungeheuer aus dem Schatten löste. Es trat in die Helligkeit, stieß einen Laut aus, der halb Grunzen, halb Schnaufen war, und dann folgten noch drei solcher Ungetüme. Das letzte war das stärkste und wuchtigste. Noch niemals hatte Mautz Wildschweine gesehen. Er war starr! Die Rotte Sauen zog eine hinter der andern auf das Feld hinaus. Im Mondlicht auf dem Schnee wirkten sie noch größer und massiver als sonst. Nur das letzte Stück zögerte. Aber dann trat auch dieser alte Basse ins Mondlicht und zog den anderen nach. Da zerbrach die Stille der Nacht. Donnernd krachte ein Büchsenschuß! Der Keiler brach in die Knie. Sein Gebräch schlug hart auf den Boden. Er stieß einen klagenden und doch wilden Grunzer aus.

Blasend polterten die anderen Schweine ab. Da fiel der zweite Schuß! Der Keiler ruckte zusammen, wurde aber hoch und flüchtig. Doch lief er nicht hinaus ins Freie, sondern wollte zurück in den Wald. Dabei kam er direkt auf Mautz zugestürmt. Der erwachte aus seiner Starre und bäumte auf. Der Keiler war kaum im Walde, als er auch zusammenbrach. Die Läufe schlugen im Schnee hin und her, die Gewehre klapperten wie Kastagnetten. Dann ging ein Strecken und Bäumen durch das urige Wild, die Läufe streckten sich kerzengerade, der Kopf beugte sich nach unten, und der Basse verendete.

Mautz am gestreckten Keiler

Wie ein schwarzer Hügel lag er im Schnee. Aus seinem Gebräch floß hellroter Schweiß – ein Zeichen, daß die Lunge zerstört war. Mautz wollte eben abbaumen, um seiner Wege zu ziehen, als Schritte heranstampften. Der Mond, der heute an dem Keiler zum Verräter geworden war, leuchtete auch jetzt dem Jäger, um das gestreckte Wild zu finden. »Donner und Doria! – Da liegt er ja!« rief der Mann. Zur Totenwache war es zu kalt, so begann der glückselige Schütze sofort, den Keiler aufzubrechen. Als das geschehen war, zog er ab, um den Wagen zu holen.

Endlich konnte Mautz herunterkommen. Er schlug sich am Überfluß des Aufbruchs voll und kam so doch noch zu einer reichlichen Mahlzeit.


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