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22. Kapitel.

Als Hans von Stark im Hause seiner Braut anlangte, öffnete Käte ihm selbst, und die ungestüme Umarmung, der lange Kuß, mit dem sie ihn empfing, offenbarte ihm die tiefe Herzensnot, in der sie sich in den letzten Stunden befunden hatte.

»Du kommst doch wieder!« sagte sie mit einem erstickten Schluchzen.

So ernst wie sie selbst, aber vielleicht noch heftiger bewegt, erwiderte er:

»Hast du daran gezweifelt?«

Und dann gingen sie, eng umschlungen, in das Zimmer des Vaters, der ruhig, die Zeitung lesend, in seinem Schreibstuhl saß.

Der junge Offizier merkte sofort, daß dieses tapfere Mädchen bis jetzt ihre Qualen ganz allein getragen und, um den Vater zu schonen, noch keine Silbe von dem gesagt, was am heutigen Nachmittag geschehen war.

Und der Makler, der daran gewöhnt war, daß seine Frau oft erst spät Abends nach Hause kam, war offenbar ganz ahnungslos.

Die Liebenden sahen einander an, und Käte las in den Augen ihres Verlobten, daß auch er nicht den Mut hatte, dem unglücklichen Manne die furchtbare Wahrheit mitzuteilen.

So unterhielten sie sich eine Weile, und die Gewißheit, daß er recht gehandelt hatte, als er Frau Ellinor zur sofortigen Abreise bestärkt, ließ in Hans das Gefühl wohltuender Ruhe aufkommen.

Aber wie dem Vater schonend beibringen, was er doch erfahren mußte?!

Da hörte man plötzlich kräftige Schritte vor der Zimmertür, und Effie rief fröhlich hinein:

»Onkel Eberhard kommt!«

Das war die Erlösung!

 

Sobald der Makler sich zur Ruhe begehen, teilte Hans von Stark dem Geheimrat alles mit. Und der wußte gleich, was zu tun sei.

»Vorläufig darf mein Bruder überhaupt nichts weiter erfahren, als daß die Frau verreist ist. Und das sagen wir ihm heute auch noch nicht. Sie ist ja oft genug des Abends erst so spät heimgekommen, daß sie ihren Mann nicht mehr gesehen hat. Ihr Ausbleiben wird daher heute auch nicht auffallen. Allmählich müssen wir ihn ja aufklären. Aber wie das geschehen soll und durch wen, das wollen wir ruhig der Zeit und Stunde überlassen.«

Hans nickte zustimmend, dann aber meinte er zu dem alten Herrn aufblickend:

»Eins ist mir unklar, woher wußten die Leute auf der Polizei, daß sie es, was ja in der Tat richtig ist, mit einer Frau zu tun haben, die für ihre Handlungen nicht verantwortlich zu machen ist?«

Der Geheimrat unterdrückte ein Lächeln.

»Unsere Polizei ist eben nicht so dumm, wie manche Leute sie machen … Aber nein, Ihnen gegenüber, Herr von Stark, ist das doch eine zu billige Antwort: Ich fühle mich nicht berechtigt, Ihnen Einzelheiten über die Angelegenheit mitzuteilen. Aber das können und dürfen Sie wissen, daß es mir gelungen ist, rechtzeitig die maßgebenden Behörden auf Frau Ellinor aufmerksam zu machen. Und ich will Ihnen gern gestehen, daß mir dabei die Dankbarkeit eines sehr vornehmen und hochstehenden Mannes geholfen hat, dem ich einmal durch meine ärztliche Kunst einen Dienst erweisen durfte … Aber nun möchte ich auch an Sie eine Frage richten. Sind Sie schon vollkommen klar darüber, mein lieber, junger Freund, welche Folgen das heutige Abenteuer für Sie haben kann? Wenn, was doch garnicht ausgeschlossen ist, die Zeitungen sich des Falles bemächtigen?«

Der Oberleutnant nickte.

»Das Wohlwollen der Zeitungen darf ich garnicht erst abwarten,« sagte er einfach. »Der Weg, den ich zu gehen habe, ist für mich streng vorgeschrieben. Ich muß unverzüglich meinen Abschied einreichen.«

»Ja, wenn Sie es nicht vorziehen, Ihre Verlobung mit Käte aufzulösen,« bemerkte der Geheimrat.

Hans von Stark lächelte.

»Es gäbe nur eine Möglichkeit, die mich dazu zwingen würde. Das wäre die Bitte oder ein Befehl meines Vaters, und ich weiß bestimmt, daß Papa gar nicht daran denkt, mir das zu befehlen. Er hat Käte selbst sehr lieb und besonders jetzt, wo wir aller Voraussicht nach diese Frau, die ja nicht einmal eine Blutsverwandte meiner Braut ist, niemals wiedersehen werden. Jetzt läge auch keine Veranlassung dazu vor. Ich habe heute nachmittag bereits an Papa telephoniert, morgen ist er sicher in Berlin, und dann werden Sie, Herr Geheimrat, selbst Gelegenheit haben, mit ihm zu reden … Denn ich betrachte Sie jetzt, wo Ihr armer Herr Bruder noch so sehr der Schonung bedarf, gewissermaßen als das Oberhaupt der Familie.«

Dann drückten sich die beiden Männer schweigend die Hände. Sie hatten sich verstanden.

 

Schon am Vormittag des nächsten Tages traf der alte Herr von Stark in Berlin ein, und schnell waren auch Käte, die natürlich dieselben Bedenken wie ihr Onkel gehabt hatte, alle Lasten von der Seele genommen.

Der alte Herr lachte herzlich, als ihm das junge Mädchen mit roten Wangen ihre Zweifel und Aengste eingestand, ob sie nach alledem noch würdig wäre, seines Sohnes Frau zu werden. Gerührt schloß er sie in seine Arme und sagte, ihr tief in die blauen Augen sehend:

»Dann müßte ich mich ja noch einmal auf die Brautschau für ihn machen! Nein, ich bin froh, daß ich so ein passendes Weibchen für ihn gefunden habe! Die Hauptsache ist …«

»Ja, ich weiß schon,« fiel Käte rasch ein, ihm ihre weiße Hand auf die Lippen drückend, … »die Hauptsache ist, daß wir uns lieb haben und daß ich ihn glücklich mache.«

– Ende. –

 


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